Archiv der Kategorie: Urlaubslektüre

Good-bye für heute

Berlin 1926: Die Goldenen Zwanziger überrollen die Stadt mit Champagnerpyramiden, zu kurzen Kleidern und ausgelassener Musik. Berlin 1926, Lützowplatz: Gutbürgerliche Gegend. Hier wohnen Künstler, Aristokraten, Geldadel. Berlin 1926, Lützowplatz 4: Jean Tarnowitz – Amerikanerin mit deutschen Wurzeln – feiert gerade ihren vierzigsten Geburtstag. Zusammen mit ihren Kindern, den Zwillingen Karin und Erhard. Die geräumige Wohnung wurde vom Wohnungsamt geteilt, d.h. Wände wurden eingezogen und Untermieter zugeteilt. Die Kerzen auf der Torte brennen bereits.

Jean arbeitet und spart sich so manches vom Munde ab, um Tochter Karin das Medizinstudium an der Charité ermöglichen zu können. Erhard, ihr Sohn, hängt immer noch dem einstigen Ruhm der Familie nach. Nach dem Krieg wurde ihr Vermögen, ihre Ländereien Polen zugesprochen und nun haust man hier. Im lauten dreckigen Berlin, umgeben von Fremden, der Einfluss des Tarnowitz’ ist nicht mehr existent. Doch es regt sich Widerstand. Widerstand, dem sich Erhard nur allzu gern anschließt, um irgendwann einmal „die alte Ordnung“ wiederherzustellen. Ehre und Umsturz, Antisemitismus und Fortschrittsverweigerung sind seine Welt.

Seine Zwillingsschwester Karin hingegen sorgt sich um ihre eigene Welt. Warum sie allein ist und keinen Mann attraktiv genug findet, um sich mit ihm zu verbinden – das sind die Dinge, die sie beschäftigen.

Mutter Jean spricht ihrer erwachsenen Tochter Mut zu. Mehr kann sie nicht tun. Mehr will sie nicht tun. Mehr wird sie tun müssen…

Margaret Goldsmith zeigt in ihrem Erstlingsroman „Good-Bye für heute“ ihr außergewöhnliches Talent Alltagssituationen mit gesellschaftlicher Veränderung zu verknüpfen. Ihr Leben spielte sich genau hier ab wo ihr Roman spielt. Alle Anspielungen – Boston, Bloomsbury Farm sowie London Mecklenburg Square – sind real, wenn auch heute nicht mehr so erkennbar. Ihr Einfluss ist nachvollziehbar. So ergibt sich aus diesem Roman ein exaktes Abbild der Zeit und der Umgebung, in der sich die Autorin im echten Leben und die Heldin im Roman bewegen. Selten zuvor wurden die Zwanziger in Berlin so echt dargestellt.

Die Herrin der Vögel

Wieder ein Buch von Bachtyar Ali, das einen dahinschmelzen und ins reich der Worte gleiten lässt ohne dabei den Halt zu verlieren. Jedes weitere Wort zum Inhalt ist ein Wort zu viel. Nur so viel. Sausan ist verliebt. Verliebt in das Leben. Süchtig nach Geschichten. Brennend vor Leidenschaft für das Neue, Unbekannte. Doch ihr Körper fesselt sie an ihr Zuhause. Bücher bieten ihr die Fluchtmöglichkeit, die ihr Körper ihr verwehrt.

Sie begehrt. Und so stehen eines Tages gleich drei Verehrer vor der Tür. Sausan ist schlau. Sie wird heiraten. Und sicherlich auch einen der Drei. Doch so einfach macht sie es ihnen nicht. An der Seite eines Mannes bedeutet für sie an der Seite eines weltoffenen, gewandten, belesenen, gereisten Mannes zu sein. Ein jeder soll die Welt bereisen – acht Jahre lang (selbst die kitschigsten Teilnehmer an der kitschigsten Kuppelshow im Fernsehen würden so eine Forderung nicht mal bis zum Ende anhören). Von unterwegs sollen sie ihr Vögel schicken. Nach erfolgreicher Expedition sollen sie berichten, Zeugnis ablegen, dass ihre Reisen nicht bloßes Sightseeing waren, sondern ihren Geist geformt haben. Dann wird sich Sausan entscheiden.

Klingt wie im Märchen. Ist es vielleicht auch. Aber die realitätsnahe Sprache, die zu überwindenden Hindernisse, das betragen der Drei, die Wünsche von Sausan sind so modern, dass man sich nicht davon abbringen lässt, alles für wahr anzusehen. Wie zu einem Liebeslied voller Soul wiegt man seinen Kopf zur Melodie der Worte von Bachtyar Ali. Sausan tanzt wie ein alles um sich vergessende Fee um einen herum. Die Zeit steht still.

Nur wenigen gelingt es mit leichter Feder den Leser derart zu fesseln, dass der sich nicht befreien kann. Solchen Käfigen kann und will man nicht entkommen.

Politisches Engagement, Kritik an herrschender Ordnung ist stets Teil des Werks von Bachtyar Ali. Sie ist scharf und gerecht. Aber sie drängelt sich nicht nach vorn, um der Poesie gönnerhaft den zweiten Platz zu überlassen. Kritik tritt zurück, wenn ihre Wirkung auf einer poetischen Ebene noch wirksamer wird. Bachtyar Ali ist ein Meister dieser kunstvollen Kritik an allem, was Menschen unterwirft.

Die geheime Reise

Der Titel lässt so viel Freiraum zur Interpretation, dass man sich in seinem Phantasieuniversum verirren könnte. Ein junger Mann geht – irgendwann in den 40ern des vergangenen Jahrhunderts von Frankreich aus – auf Deutschlandreise. Nicht einfach so, es alles gut durch organisiert. Seine Mitreisenden sind nicht nur Mitstreiter, sie sind auch – vor allem aber verborgen – Objekte der Begierde. Und hier beginnt es sofort schwierig zu werden. 40er Jahre. Deutschland. Franzosen. Homosexualität. Organisierte Reise. Puh, klingt doch sehr phantastisch! Ist es aber nicht. Denn der geheimen Reise liegt eine echte Reise zugrunde.

Marcel Jouhandeau, der Autor und eindeutig der Held des Romans, wurde im Herbst 1941 eingeladen Deutschland zu besuchen. Goebbels war daran beteiligt, die Reisegruppe traf ihn. Natürlich waren die Autoren und Journalisten Auserwählte von Teufels Gnaden. Die eigentlichen Reisenotizen wurden nie veröffentlicht – bis heute. Was auch daran lag, dass die Mitreisenden nach 1945 kein gesteigertes Interesse an einer nachträglichen Veröffentlichung hatten. Kollaboration mit dem Feind wurde in Frankreich gründlich und nachhaltig betrieben. Die handschriftlichen Seiten von Marcel Jouhandeau sind in Archiven zugänglich.

Marcel Jouhandeau fiel zuvor des Öfteren durch antisemitische Schriften auf. Als die Einladung zur Deutschlandreise, Propagandafahrt in Feindesland – Paris, Frankreich war von den Deutschen besetzt – kam, sagte er zu. Und ihm fiel sofort einer der Organisatoren auf. Die Aufmerksamkeit lag auf beiden Seiten. Das sind die Fakten.

Die poetische, sinnliche, fast schon verklärende, jedoch stets intellektuelle Verarbeitung dieser Eindrücke bricht wie ein Wirbelsturm auf den Leser herein. Andeutungen (werden komplett im Anhang und zuvor schon im originalen carnet des Autors aufgelöst), Abkürzungen (nicht jeder soll sofort identifizierbar sein) und Verführungen (offensichtliche wie gut versteckte) spielen zusammen wie ein gut eingespieltes Orchester.

Verführungen im Zwischenmenschlichen kribbeln an Stellen, an den man sie erwartet, sogar einfordert. Wenn es aber kribbelt und man die Stellen nicht erreichen kann, um sich zu kratzen, sind sie nachhaltig und wirksamer als man sich selbst eingestehen kann und will. Marcel Jouhandeau ist sicherlich ein streitbarer Autor. Dass er zu dieser Reise eingeladen wurde, ist mehr als verdächtig. Dass er später von Schuld freigesprochen wurde, nimmt man als Außenstehender hin – der Zweifel bleibt. Ebenso die Wucht der Worte, die jeden in ihren Bann ziehen. Zwischen den Zeilen lesen macht hier Sinn. Poesie kann man sich nicht entziehen, der Realität muss man hier mit Stirnrunzeln selbige bieten.

Die Zeit so still

Wie war das damals noch gleich?! Kontaktverbot, Hysterie, Unsicherheit, blinder Aktionismus, unbedachter Argumentationswahn. Der Name wird nicht genannt, doch er ist immer noch in aller Munde. Der Beginn des dritten Jahrzehnts des dritten Jahrtausends war von Kontrollen, Regularien, und Panik erfüllt.

In dieser Nacht ist alles wie immer. Der Atem blärrt wie eh und je durch die Nacht. Schritte knirschen unter den Füßen, dass selbst Rockkonzerte wie besinnliche Kammermusikabende erscheinen. Der Atem schreibt wilde Phantasien in den klaren Wind. Nicht viel los. Ein Buch, eine Seite, noch eine Seite – die Straßenbahnendstelle ist das Sinnbild der Zeit.

Ein Reisender – bleiben wir bei dieser ach so überzogenen, fast schon poetischen Einordnung des Fahrgastes – durchbricht die Agonie der Aktualität. Auch er trägt den Kopf voller Gedanken. Soll er, soll er nicht? Was kommt? Was bleibt? Die Nacht ist der ideale Rahmen für die wirklich wichtigen Fragen des Lebens. Des Lebens? Wie kann man … Ach iwooo. Die Zeit steht niemals still, auch wenn man es sich manchmal wünscht.

Und ist die „Die Zeit so still“. Ein kleines Buch, das – in der richtigen Umgebung, zur richtigen Zeit – Erinnerungen noch einmal hervorbringt, Gesagtes in ein anderes Licht rückt, Getanes wieder in den Vordergrund rückt. Pathetisch, klar, nachdenklich, irrlichternd – Florian L. Arnold holt mit sanften Worten eine Zeit zurück, die die meisten gern vergessen möchten. Und sie vielleicht auch schon vergessen haben. Weil, und gerade deswegen, die meisten wider Erwarten sie gut überstanden haben. Oder das Schlimmste, das ihnen je passieren konnte, beiseite gewischt haben.

Dieses kleine Buch hat die Kraft leise Erinnerungen hervorzurufen, sie anzupacken, sie durchzuschütteln und dann mit reinem Gewissen lebensfroh nach vorn zu schauen. Sprache – richtig angewandt – kann Wände durchbrechen, Grenzen überwinden, Herzen durchbohren. Einsamkeit kann verbinden. Dieses Buch kann all das. Ganz bestimmt wird es als Geschenk dem Beschenkten zum Nachdenken anregen.

Metamorphosen 63 – Ohne Dich, Hellas – Griechenland

Wie weit reicht das eigene Geschichtserinnerungsvermögen zurück? Bis in die 50er? Ins Mittelalter? Noch weiter zurück, bis an den Beginn unserer Zeitrechnung? Noch weiter? Und wer kommt einem da alles in den Sinn? Pythagoras? Mit dem wurden angeblich Generation von Schülern gequält (obwohl der im angedichtete Satz doch ganz einfach ist…).

Ganz so weit reicht Ausgabe Nummer 63 der Metamorphosen nun doch nicht zurück. Weit zurück jedoch, um Griechenland nicht nur als das Land zu erkennen, das dem Staatsbankrott nur mit Hilfe von … ach, lassen wir das! Griechenlands Vermächtnis ist bis heute sicht- und spürbar. Ohne konkrete Beweise kann man sicher behaupten, das 80 Prozent von allem, was uns umgibt auf die „Alten Griechen“ zurückzuführen ist. Nachzulesen bei so ziemlich jedem Philosophen, den man nur allzu gern zitiert.

Hier nun die Erben, die Neuerfinder, die Granden der Gegenwart bzw. jüngeren Vergangenheit. Mikis Theodorakis – Moment, der hat doch den Taktstock geschwungen? Richtig, aber auch Gedichte geschrieben. Und was in seinem Schädel so vor sich ging – ein paradiesischer Garten. So benennt er es so freizügig. Strandlektüre, nicht ganz so leichter Stoff fürs Café am Nachmittag, Reisezeitvertreib in sengender Hitze, Hirnfutter für tatsächlich mal verregnete Nachmittage – die Bandbreite an Möglichkeiten in diesem Buch zu lesen ist unendlich.

Und wenn man sich für das gesamte Heft, über 120 Seiten Literatur vom Meere, aus den Bergen, aus Städten und Dörfern, durchgelesen hat, weiß man auch, welche Bücher man als nächste lesen muss. „Ohne Dich, Hellas“ wird es ziemlich dunkel (das Wortspiel musste sein) im Oberstübchen. Anregende Zeilen, die zum Weiterlesen verleiten und Griechenland noch schöner erscheinen lassen.

Korsika

Napoleon hat die Insel verlassen, weil … er Größeres vorhatte. Was kann es Größeres geben als diese Insel mit all ihren Facetten kennenzulernen?! Näher an Italien, Frankreich zugehörig (was jeder echte Korse natürlich ablehnt) und von der Sonne verwöhnt. Bastia, Ajaccio und vielleicht noch Calvi sind die bekanntesten Orte. Und sonst? Wer war noch nicht dort, weiß aber noch ein bisschen mehr?

Marcus X. Schmid war dort. Er kennt sich aus. Und ist der beste Reiseführer über die Insel. Mitten im Inselleben bis hin zu verwunschenen Orten – er kennt sie alle, die geheimen Orte, die besten Aussichten, die ruhigsten Plätze zum Verweilen.

Wer Korsika besuchen will, weil er schon immer dorthin wollte, dem fällt es schwer sich zu entscheiden. Ein klar gegliederter Reiseband ist nun wichtiger als man es sich selbst eingestehen will. Denn nichts ist nerviger als im Urlaub permanent in seinem Reisebuch hin- und herzublättern, um genau das zu finden, was man eben noch gelesen hatte. Jedes Kapitel beginnt mit einem Spoileralarm: Was, Wo, Wann … das Warum? erschließt sich von ganz allein.

Warum soll man also im Hinterland von Sagone in den Ort Muna reisen? Da wohnt kaum noch jemand! Und alle reden vom Dorf der Banditen. Genau deswegen! Langsam kommt wieder Leben ins Dorf, das 1960 noch hundert Einwohner zählte. Heute sind die Nachfahren wieder vor Ort, um es für den geneigten Touristen wieder herzurichten. Es ist ja alles da. Exzellente Bausubstanz und sogar eine Kirche mich funktionierendem „Glöcklein“ wie Marcus X. Schmid so liebevoll in einem der zahlreichen gelb unterlegten Kästen anpreist. Mehr Abenteuer geht nicht.

Wilde Bergformationen, idyllische Strände, lebendige Städte – Korsika muss sich nicht neu erfinden. Hier war schon immer alles so. Geschichte allerorten – kaum ein Reiseband enthält so viele Anekdoten wie dieser hier. Immer wieder wird man zum Innehalten eingeladen. Was gibt es Schöneres als von einem erhabenen Punkt in die Unendlichkeit schauen zu können. Hier gibt es keinen Grund sich klein zu fühlen. Glück – das empfindet man hier. Wenn man die richtigen Orte kennt, die eben dieses versprechen.

Die Abbildungen im Buch sind der farbenprächtige Beweis, dass die Entscheidung Korsika auf die Urlaubsliste zu setzen die richtige Wahl war. Ein erstes grobes Durchblättern lässt die Vorfreude steigen. Und wenn man sich erst einmal ins Buch vertieft hat, ist jede Minute bis zum Abflug eine Qual. Das Warten lohnt sich aber zu mehr als 100%.

Madeira und Porto Santo

Madeira kann getrost als Traumziel erachtete werden. Die Insel ist auch der Einstieg ins Weltreisen. Weit weg von zuhause – Flugzeiten von fast fünf bis acht Stunden) – und doch nicht allzu fremd. Aber selbst bei längerem Nachdenken fallen Einem nicht viele Fakten zu Madeira ein. Der Name Madeira ist Vielen bekannt, und doch weiß man so wenig.

Ray Hartung versucht auf über 250 Seiten mit geballtem Wissen entgegenzuwirken, und schafft es scheinbar spielerisch. Die Insel auf eigene Faust zu erkunden, gehört zum Reisen wie das Salz in der Suppe. Und Madeira bietet sich förmlich an es selbst einmal zu versuchen individuell zu reisen: Berge und das Meer direkt davor, eine kulinarische Hochburg vor den Küsten Afrikas, Florareichtum, der hierzulande nur mit Eintrittsgeld zu erkunden ist und das Besondere leben hier in erwartungsvollem Einklang.

Vor über zweihundert Jahren entdeckten die Engländer die Insel als Zufluchtspunkt für die schönsten Tage im Jahr. Seither reisen jedes Jahr mehr Besucher auf die Insel des ewigen Frühlings. Nichts für All-Inclusivler! Hier ist der Reisende selbst gefordert. Und mit diesem Buch im Reisegepäck ist er auf alle Fälle auf der sicheren Seite, wenn es darum geht nichts zu verpassen.

Erster Anlaufpunkt für die meisten ist Funchal, die Hauptstadt Madeiras. Hier pulsiert das Leben, hier stellt sich Madeira vor. Modern und traditionsbewusst zugleich kommt der Gast in die richtige Stimmung, probiert Espetada de carne oder Espada com banana. So frisch gestärkt (mit Ochsenfleisch und schwarzem Degenfisch) kann man nun die Insel erforschen. Die beiliegende Karte und die abgedruckten Pläne oder die gratis zum Download GPS-Daten machen es einem einfach sich zurechtzufinden: Bis auf die höchsten Gipfel, vorbei an den beeindruckendsten Tälern, mit den schönsten Aussichtspunkten der Insel und mit unvergesslichen Ausblicken auf den unendlichen Ozean. Apropos Meerblick: Seit ein paar Jahren kann man vom Cabo Girão von einem so genannten Skywalk über die fast sechshundert Meter hohe Klippe in den bedrohlichen und faszinierenden Abgrund schauen.

Auch die kleine Schwesterinsel Porto Santo hat ihre Reize. Hier geht es im Allgemeinen etwas gemächlicher zu. Man ist hier unter sich. Die Insel ist bedeutend kleiner als Madeira, doch nicht weniger attraktiv. Tagesausflüglern werden die Rundfahrten empfohlen, wer länger bleibt kann sich mit Bergtouren und Tauchgängen und allem, was dazwischen liegt die Zeit mehr als gehaltvoll vertreiben.

Madeira ist eine feststehende Größe im Reiseplan eines jeden Reisenden. Und mit diesem Reisebuch ist man bestens ausgestattet. Die klare Gliederung, die ausgeklügelten Ausflugs- und Einkehrtipps, die detaillierten Erkundungstouren, die zahlreichen Karten und der kleine Sprachführer am Ende des Buches lassen den Madeira-Aufenthalt noch lange in Erinnerung behalten.

Für mich soll’s rote Rosen regnen

Wenn man sich durch die TV-Landschaft zappt und den Promis beim gezwungenen Zum-Deppen-Machen zuschaut, beschleicht einem ein beklommenes Gefühl, wenn später von Stars die Rede ist. Das sind keine Stars!, die sich da gegenseitig ihre nicht vorhandenen Deutschkenntnisse und Umgangsformen an den Kopf knallen. Würde Hildegard Knef sich heute in einem geriatrischen Promi-Format so zur Schau stellen?! Nein, sie hätte es auch als Spiegel-Covergirl niemals getan. Auch nicht nachdem ihr im Life-Magazin vier Seiten gewidmet wurden. Und als ihr Nippelgate Deutschlands Moralhüter erzürnte schon gleich gar nicht. Sie wusste, was sie kann. Sie brauchte keine gekünstelte Publicity.

Kurz nach Weihnachten dieses Jahres (2025) würde sie ihren Hundertsten feiern können. Sie – der erste große Star des daniederliegenden Deutschlands, das so viel Schuld auf sich geladen hatte. „Die Mörder sind unter uns“ war nicht einfach nur ein Kassenschlager – es war eine Abrechnung. Auch von Regisseur Wolfgang Staudte, der schon in braunen Zeiten sich ausmalte wie es denn sein wird, wenn er nach der Dunkelheit den Widersachern noch einmal begegnen wird. Und mittendrin die Knef. Damals noch ohne Artikel. Aber schon mit der Absicht Karriere zu machen. Durchbeißen konnte sie sich. Musste sie auch. Als die Mutter wieder zurück in Hildegards Geburtstadt Ulm ging und Hildegard nicht mit wollte. Berlin – das war ihr Ziel … vorerst. Doch schon im Januar 1948, bei der Premiere von „Film ohne Titel“, den die Knef so sehr liebte, war damit Schluss. Sie fehlte bei der Premiere – entschuldigt. Der Flieger nach Amerika hob nicht ohne sie ab.

Broadway und die große Leinwand waren alsbald ihre Bretter, die die Welt bedeuten. Der Weg nach Oben schien endlos. Vergessen die Kinderkrankheiten, die ihr Leben bis dato erschwerten. Und singen konnte sie auch noch. Was will man mehr?! Gesundheit, würde sie wohl heute sagen. Das Leben der Knef war ein dauerndes Auf und Ab. Ging es bergab, dann bis zum Tiefpunkt. Ging es bergauf, dann bis auf die höchsten Spitzen.

Und heute? Es gibt eine ganze Generation, die noch nie von Hildegard Knef gehört hat. Eine Generation, die gänzlich ohne echte Stars aufwachsen muss. Nur Pseudo-In-Die-Kamera-Rülpser, deren Worte niemals aufgeschrieben werden sollten. Ach wat wär det schön, wenn die Knef ihren Senf dazu abgeben könnte! Alle spitzzüngigen Giftspritzen würden eingeschüchtert in ihr Nest zurückkehren und ihre Berufswahl noch einmal überdenken. Für die, die mit der Schmach der Unkenntnis über die Knef nicht leben können, ist Christian Schröders Buch ein Erweckungserlebnis. Und führt wohl auch dazu das eigene Anspruchsdenken, was einen Star ausmacht, zu überdenken. Kunst ohne die Knef ist in Deutschland undenkbar. Man muss es suchen, doch man wird fündig. In Theatern, auf großen und kleinen Bühnen, in Nischen, auf der Straße, in Dokus, in Mediatheken. Man muss sich nur trauen. Hildegard Knef wird niemals so ganz gehen – gut so!

Das Alibi

Namenlos, erfolglos, gefühllos – ganz schön was los in Barcelona. Der aus Mexiko stammende anfangs noch namenlose (!) Erzähler erzählt von seiner Frau, der Brasilianerin, ebenfalls namenlos. Und dem Halbwüchsigen und dem Mädchen. Ebenfalls namen… was sonst. Eine Unvernunftehe ist es. Um hier bleiben zu können, nach dem Studium. Dass er Schriftsteller ist, verheimlicht er allzu gern. Zu groß die Angst vor der Blamage.

Schreibkurse gibt er allerdings sehr gern. Wenn denn jemand kommt, um sich inspirieren zu lassen. Ein Ecuadorianer kreuzt seinen Weg. Eine bretonische Friseurin verliert einen Finger – sie ist also quasi fingerlos. Und wie zaubert man daraus nun ein Alibi?

Die Antwort erliest man sich als Leser am besten selbst. Jedwede Erwartung, jede Leseerfahrung muss man dabei aber außen vorlassen. Denn Juan Pablo Villalobos gelingt mit scheinbaren Unnötigkeiten eine Szenerie zu kreieren, die an Eigenwilligkeit nicht zu überbieten ist. Seitenlang ergießt er sich in scheinbar belanglosen Gesprächen, die erst am Ende des – letztendlich doch viel zu kurzen – Buches ein stimmiges Gesamtbild ergeben. Jeder noch bedeutungslose Satz, der bisher das Hirn des Lesers verwirrte, lugt mit einem verschmitzten Lächeln um die Ecke als wolle kundtun: „habe ich es Dir nicht gesagt?!“.

Es ist eine Kunst als Belanglosen (scheinbar) Bedeutungsvolles (in echt!) zu Papier zu bringen. Und erst ganz kurz vorm Schluss wird klar, der der sonderliche Schreiberling ist. Unbekannt ist er nun wirklich nicht. Warum die Handelnden ihr Los der Namenlosigkeit so duldsam ertragen, wird schnell klar: Sie wollen einfach nicht im neuen Buch des Autors erscheinen. Die Kids sind eh nicht erpicht darauf in den Zeilen aufzutauchen. Was, wenn sie jemand erkennt? Wie peinlich! Sie werden ihr blaues – in diesem Fall ihr ROTES – Wunder erleben. Und alle leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage?

Nun ja, ein Märchen ist „Das Alibi“ nicht. Aber mindestens genauso nachhaltig.

Der Mann hinter der Bombe

Das muss schon ein besonderer Anblick gewesen sein, damals vor etwas über hundert Jahren, im Berliner Tiergarten: Da schlendert ein älterer Herr mit wirrem Haar und wachem Blick neben einem offensichtlich Jüngeren, der nicht minder offensichtlich älter wirkt. Sie diskutieren. Sie sind sich in ihren Gedanken ähnlicher wie kaum ein anderes Wissenschaftlerpaar. Der eine ist Professor, Einstein, der Andere hat sich in die Physik-Diskussionen reingemogelt. Leó Szilárd, ungarisch-stämmiger Student des Ingenieur-Wesens, der sich in seinem Fach langweilt und bei den Physik-Kolloquien aufblüht.

Der Gigant Atom eint den Physik-Giganten Einstein und den noch attributfreien Szilárd. Sie wissen, dass das Atom, die Kettenreaktion, die Zukunft bedeuten wird. Doch wie diese aussieht, was noch nachkommen kann, ahnen sie nicht einmal ansatzweise. Noch nicht! Szilárd versucht sich erstmal an einem Friseurstuhl, der mit elektrischen Ladungen die Haare zu berge stehen lässt, was das Haareschneiden vereinfachen soll. Ob Einstein Pate stand, ist nicht überliefert. Jedoch die Tatsache, dass die Idee nicht umgesetzt wurde. Erfolgversprechender scheint da die Entwicklung eines Kühlsystems für Kühlschränke, aus dem keine giftigen Substanzen mehr austreten können. Wenn doch alle Neuerungen so einfach nutzbar für die Menschheit wären…

Die Brillianz des jungen Szilárd fällt Einstein sofort auf. Er gibt ihm Ratschläge wie er es als Physiker zu etwas bringen kann, vermittelt den Doktorvater. Doch nach den aufregenden Jahren in Berlin – wer als Wissenschaftler etwas auf sich hält, forscht hier – folgen die dunklen Jahre. Einstein flieht in die USA, Szilárd zuerst nach London. In Deutschland forscht man weiter an der Atombombe. Was, wenn es den Nazis gelänge die Bombe zu bauen? Die USA müssen die Bombe zu erst in den Händen haben. Als Abschreckung, um den Krieg zu beenden. Doch als der Krieg in Europa zu Ende ist, im Pazifik noch gekämpft wird, erkennen viele der am Bau beteiligten, dass sie an einem Werkzeug mitgeforscht haben, das niemals in den richtigen Händen sein kann. Als die Wüste in New Mexico bebt, ist der reale Irrsinn wahr geworden. Nun gibt es eine Kraft, die das Böse schaffen kann. Wo einst Formeln zwischen den Synapsen funkten, wo Theorien in die Praxis umgesetzt wurden, herrscht nun der Gedanke der Humanität. Wie kann man das alles stoppen? Schlimmeres verhindern? Szilárd, der die Bombe immer befürwortete, erkennt, dass er handeln muss. Wie so viele wird er zum lautstarken Gegner der Bombe – Hiroshima und Nagasaki kann er nicht verhindern…

Dank Blockbuster wie „Oppenheimer“ oder Comedyserien (in „The Big Bang Theory“ hörten viele zum ersten Mal den Namen Richard Feynman) sind viele Mitglieder des Manhattan-Projektes, dem Programm, in dem die klügsten Köpfe der Physik ihr Wissen in die Entwicklung der Atombombe steckten, wohl bekannt. Doch Leó Szilárd gehört nicht zu den Top-Models dieser Clique. Dank Arne Molfenter tritt ein Mann ins Rampenlicht, der dieses mindestens genauso verdient. Ein spannendes Sachbuch, dessen Aussage noch immer aktuell ist. Und wahrscheinlich wichtiger denn je!