Archiv der Kategorie: aus-erlesen ungewöhnlich

Die böse Saat

Dieses Kind will niemand um sich haben! Ein Satz, den man erstmal wirken lassen muss. Es ist wohl das Schlimmste, was man über ein Kind sagen kann. Niemand will es um sich haben. Rhoda Penmark ist – das eigentlich lassen wir jetzt mal beiseite – klassisch wohlerzogen und ordnungsliebend. Fragezeichen türmen sich auf. Wieso will sie denn nun niemand um sich haben?! Denn sie manipuliert, nicht offensichtlich oder gar brüllend wie die meisten Kinder. Ob nun für ihr Leben gern oder aus einem anderen Antrieb heraus, ist nicht klar. Sie will etwas – sie bekommt es. Die geborene Anführerin. Sollte man meinen. Doch sie nutzt ihre Macht anders. Ganz anders!

Christine Penmark hat den härtesten Job der Welt. Denn sie ist Rhodas Mama. Auf der einen Seite ist sie die stolze Mama von Rhoda, die trotz ihres Kindesalters schon so einige allein tun kann wozu andere in Jahren noch nicht in der Lage sind. Andererseits… nun, Christine ist ihre Mutter. Sie kennt ihr Kind, in- und auswendig. Doch so manches kann und (später) will sie nicht wahrhaben. Es gibt nur wenige Personen, die Rhoda wirklich in die Seele schauen können. Oder zumindest denken, dass sie es können. Denn Rhoda ist vielschichtig. Und entschlossen…

In der Schule wurde Rhoda die nur ihr allein zustehende Medaille für die größten Fortschritte verwehrt. So sieht es das kleine Mädchen. Claude Daigle hat sie bekommen. Das ist ungerecht. Als der junge bei einem Schulausflug ums Leben kommt und alles (!) auf Rhoda als Täterin hinweist, bricht für Christine eine Welt zusammen. Doch Rhoda ist sich keiner Schuld bewusst. Sie hat schlüssige Erklärungen, warum die momentane Situation so ist wie sie ist. Für sie ist alles ganz logisch. Bei Christine kullern die Tränen wie Sturzbäche. Was ist mit ihrem kleinen Mädchen? Es gab ja schon einmal einen ähnlichen Vorfall. Doch damals glaubte sie Rhoda, dem Menschen, den sie so bedingungslos liebt. Christine zieht das Leid von Claudes Eltern und die Unwissenheit um Rhodas Benehmen in eine Krise für die es keine Rettung zu geben scheint. Denn Rhoda ist natürlich gerissen und noch lange nicht am Ende…

William March wählt als Hauptprotagonistin und Übeltäterin ein Kind, ein Mädchen. Aus gutem Hause. Sie kann sich gewählt ausdrücken. Sie ist schlau, wissbegierig, begabt. Mit einer abgrundtief schwarzen Seele. In ihrer Umgebung wurden schon Menschen zu Siegmund Freud geschickt, denen sonst nicht zu helfen war. Rhoda ist nicht zu helfen. Jedwede Ermahnung an das Gute im Menschen, an soziale Normen dringen bei ihr maximal bis in die oberste Hautschicht ein. Darunter ein Panzer aus Teflon. Als der Roman Mitte der 50er Jahre erschien, war er echtes Pionierwerk. Ein Kind als Mörder – das gab’s noch nicht. Ist die Grausamkeit genetisch bedingt (vererbt?!) oder schuf die Umgebung das Monster aus ihrer Mitte? Forschungen belegen mittlerweile, dass es keine genetische Grausamkeit gibt, die weitergegeben wird. Was bleibt, ist ein packender Thriller, der einen nicht mehr loslässt. Über die Machtlosigkeit, die Raffinesse, die Kaltblütigkeit und die Trauer können wir heute nur noch staunen. Und uns unserer Gänsehaut erfreuen.

Ein kleines Buch über die Kunst zu sterben

Ulf Nilsson ist (Präsens) ist preisgekrönter Schriftsteller als er die Diagnose Krebs erhält. Bauchspeicheldrüse und Bauchraum sind angegriffen. Heilung – unmöglich. Drei Monate – zwölf/dreizehn Wochen hat er noch, um … Das „Es sollten zehn Wochen werden“, die seine Frau im Vorwort schreibt, sind nicht einmal ansatzweise resignierend gemeint. Denn das, was nun folgt, ist real, ungeschönt, herzlich, nüchtern und niemals angriffig, gefühlsduselig, Mitleid einfordernd.

Ulf Nilsson tut das, was er sein ganzes Leben kann: Schreiben. Tagebuch, Meist nur wenige Worte und Sätze, die kaum eine Seite füllen. Jedoch dem Leser eine Art Zuversicht vermitteln – das Ziel niemals verleugnend. Auch fehlen die Tagesangaben, was den Leserfluss am Leben hält.

Das Ende ist definiert. Das Ziel ist klar, auch wenn ein dichter Nebel über den Weg dorthin hängt. Dass das Ende unumkehrbar ist, stellt niemand in Frage. Nur hat sich der Krebs dazwischengestellt und lässt keinen zeitlichen Spielraum mehr zu, um vielleicht das Eine oder Andere zu tun, was man immer (noch) tun wollte.

Es gibt gute Tage, es gibt schlechtere Tage. Besucher sollen nicht leiden. Den eignen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der Anderen muss man leben (Zitat: Mascha Kaleko).

Alltägliche Dinge sind es Ulf Nilsson wert erwähnt zu werden. Gewichtsabnahme, die Lieferung der Flüssignahrung – eigentlich keine Höhepunkte eines Tages. Doch für ihn wichtig, aus vielerlei Gründen. Es kommt der Punkt, an dem das Ende immer konturierter aus dem Nebel tritt. Ein zarter Sarkasmus umgarnt ihn und seine Familie. Kindliche Fragen erhellen das drohende Dunkel. Ernst sein fällt schwer bis …

Ulf Nilsson wurde (Präteritum) dreiundsiebzig Jahre und vier Tage alt.

Das Buch ist nicht lustig, soll es auch nicht sein! Auch geht es nicht darum mit betroffenheitskitschiger Attitüde dem Tabuthema Tod zu begegnen und mit publikumswirksamen Worten auf die eigene Stiftung o.ä. hinzuweisen.

Dieses kleine Büchlein, Ulf Nilsson ist voll in seinem Element, liest man mehrmals. Als Pageturner (dauert nicht lang), um sich seiner Geschichte bewusst zu werden und noch einmal seitenweise (über einen längern Zeitraum). Beide Male wird man Neues entdecken. Und das ist die große Kunst großer Künstler. Beklemmungen zu lösen ohne vorher anzukündigen dies auch tun zu wollen.

Die Ferien

Keru und Nate haben es wie kaum ein anders Pärchen verdient sich endlich mal zu erholen. Sie arbeiten in einem fort. Das Leben in New York will schließlich finanziert sein. Cape Cod soll es sein. Keru hat sich monatelang damit beschäftigt, wo es denn für beide am erholsamsten sein wird. Bei aller Liebe zum Urlaub – aber der Aufwand, den sie betreibt, ist übertrieben. Zumindest so lange bis feststeht, dass beide vorhaben ihre Eltern dazu zu holen. Nacheinander, versteht sich. Denn Keru und Nate und ihre dazugehörigen Eltern zusammen – dagegen ist eine Atombombe ein laues Grillfeuer.

Keru ist Unternehmensberaterin. Nate ist Biologieprofessor und forscht über Fruchtfliegen. Keru ist im Alter von Sechs mit ihren Eltern aus China in die USA gekommen. Nate stammt aus den Bergen, einem kleine Ort – seine Eltern bezeichnen sich heute noch als white trash. Wohl mehr, um behaupten zu können, sie gehören einer Gruppe an.

Zuerst sollen Kerus Eltern kommen. Sie würden niemals in einem Bett schlafen, in dem schon eine andere Person die Nacht verbrachte. Keru putzt das Feriendomizil wie eine Wahnsinnige. Was witzig klingt, ist purer Ernst. Das wird klar, als Kerus Eltern eintreffen. Wie ein Inspektor begutachten sie das Anwesen. Keru ist innerlich dem Zusammenbruch näher als einer echten Erholung.

Nates Eltern, die Nachfolger im Gästezimmer sind da etwas entspannter. Doch auch sie haben ihre Macken. Die Eltern als Gradmesser für den eigenen Erfolg. Nate hat da eindeutig die Nase vorn. Keru lässt sich immer noch von ihren Eltern runterziehen. Nate kann da überhaupt nichts machen. Man kann schon fast meinen, dass er tatenlos zusieht wie Keru in einen Abgrund schlittert. Aber so ist nunmal ihr Leben. Sie leben miteinander nebeneinander her. Emotionale Zuneigung äußert sich nur in auf Frieden bedachter Bestätigung des Anderen. Und immer schön political correct. Was sind das nur für Menschen, die Beziehungen haben – Heinz Rudolf Kunze hätte an diesem Pärchen seine reinste (Schreib-) Freude.

Was gehört für ihre beiden Eltern zur Vollendung des Glücks ihrer Kinder? Kinder! Was sonst. Dann würden vielleicht auch die eigenen Nörgeleien aufhören?! Nate ist inzwischen derart abgestumpft, dass er gar nicht bemerkt wie Keru sich selbst in einen Wahn treibt, der unumkehrbar scheinit…

Weike Wang macht sich nicht lustig über die drei Paare, die durch die frucht ihrer Lenden mehr gemeinsam haben als sie es selbst erkennen können. Mit viel Wortwitz und unaufhaltbarem Voranschreiten schickt sie Keru und Nate in die Hölle. Ihre Eltern sind – in ihren eigenen Augen – nur die Hüter eines Planes, den sie sich für ihren Nachwuchs wünschen. Dass Keru und Nate eigene Pläne haben, interessiert hier niemanden. Grausame Einblicke in ein Familienkonstrukt, das nur dort gedeihen kann, wo die Realität mit viel Sand in den Augen wahrgenommen wird. Make family great again, möchte man ihnen zurufen. Doch die vielen Kopfverdreher lauern schon hinter der nächsten Kreuzung, um die Parole zum eigenen Nutzen umzukehren. Dystopisch? Vielleicht. Auf alle Fälle komisch und der Hit des Lesesommers!

Der Junge im Taxi

Die Beerdigung des Großvaters ist für Simon trauriger Anlass genug. Doch diesen Tag wird er niemals mehr im Leben vergessen. Es ist der Moment als er unvermittelt erfährt, dass Großvater einen Sohn gezeugt hat. Damals in Deutschland. Mit einer Deutschen. Und den er zurückgelassen hat. Damals in Deutschland. Simon lässt diese Geschichte nicht los. Er reist sofort los. Nach Deutschland. Ins Deutschland von heute.

Im ersten Kapitel von Sylvain Prudhommes „Der Junge im Taxi“ fühlt man sich an den Schulsport zurückerinnert. Weitsprung. Ein paar Meter zurückgehen, Anlauf nehmen und mit aller Kraft abspringen. Sylvain Prudhomme stellt sich an der Startlinie zum Fünftausendmeterlauf auf. Er läuft unbeirrt im Steigerungslauf einige Runden, um dann plötzlich abzubiegen, noch einmal Fahrt aufzunehmen und dann treffsicher den Absprungbalken zu nehmen und zu fliegen, zu fliegen, alle zu übertreffen. Und eine Punktlandung hinzulegen. Der Neue in der Familie – ein Deutscher – erzählt ihm vom verschwiegenen Sohn des Großvaters. M. ist sein Name. So mystisch und so weit entfernt wie nur irgendmöglich. Simon ist vor den Kopf gestoßen, und emotional derart berührt, dass er aus der Misere – schließlich hat man ihn systematisch aus diesem Familienkapitel ausgeschlossen, wenn selbst der „Neue“ in der Familie es weiß – eine Kraft schöpft, die ihn vielleicht verwundert, ihm sicher aber Antrieb verleiht, nach M. zu suchen. Er will am Bodensee allem auf den Grund gehen…

Simon ist ein gestandener Mann. Eigentlich dürfte ihn die Nachricht über den unsichtbaren Onkel nicht aus den Schuhen hauen. Und doch ist da etwas in ihm, das unaufhörlich arbeitet. Es pocht in seinem Herzen wie verrückt. Er muss M. nicht unbedingt finden, wobei das sicherlich die Krönung seiner Recherche wäre. Er will nur wissen, wie es M. ergangen ist. Ohne Vater aufzuwachsen. Als Kind eines Mannes, der jahrzehntelang als Erbfeind galt. Ein Gewinner des Krieges, der sich über das unterlegene (Weibs-?) Volk hermachte? Welche Auswirkungen hat dies alles auf sein Leben? Lebt er überhaupt noch?

Sylvain Prudhomme hat einen einzigartigen Stil entwickelt düsterste Kapitel im Leben eines Menschen eine poetische Note zu verleihen, alles in eine sanfte Sinfonie zu verwandeln. Fast vergisst man die traurige Geschichte von M. Man lauscht den Klängen der Worte aus der Feder des Autors – ja, man kann seine Worte hören, fühlen, manchmal sogar schmecken – und wiegt sanft den Kopf dazu im Takt seiner Melodien. Wieder einmal ein Meisterwerk, das man so schnell nicht vergessen kann. Als Urlaubslektüre (in Frankreich wie am Bodensee) ebenso perfekt wie für wissbegierige Historienleser.

Die acht Leben der Frau Mook

Die Zahl Acht hat im Koreanischen eine positive Bedeutung. Auch weil sie in ihrer Aussprache dem Wort für Reichtum und Glück doch sehr ähnlich ist.

Die Erzählerin in diesem Buch arbeitet in einem Seniorenheim. Sie möchte in Zukunft mit den Bewohnern schon zu Lebzeiten deren Nachrufe schreiben. Drei Worte sollten als Basis vollkommen ausreichend sein. Ihre Chefin stimmt nach einigem Zögern der Idee zu. Als jedoch Mook Miran an der Reihe ist, stößt die Erzählerin an die Grenzen ihres Vorhabens. Denn Frau Mook macht ihr unmissverständlich klar, dass drei Worte keineswegs ausreichend sind ihr Leben in einem Nachruf zusammenzufassen. Nicht mal dann, wenn es nur um eine erste Fassung geht. Acht Worte sind der Kompromiss ihres Gedankenaustauschs. Ein Zufall oder kontrolliertes Kalkül?

Sklavin – Fluchtkünstlerin – Mörderin – Terroristin – Spionin – Geliebte – Mutter – das sind doch nur sieben. Sieben Leben sind es! Doch die Mörderin lässt die Erzählerin nicht los. Frau Mook dachte, dass die Geliebte oder die Mutter interessanter seien. Um es vorweg zu nehmen. Alle Leben der Frau Mook – egal, ob es nun sieben oder acht oder vielleicht doch nur drei gewesen sind – sprühen nur so vor Spannung.

Wir sind im Korea der Gegenwart. Frau Mook ist mittlerweile eine alte Frau. Mit ein bisschen Geschichtskenntnissen kommt der Leser dem reichhaltigen, ereignisreichen Leben der Frau Mook schnell auf die Spur. Frau Mook wurde als Japanerin geboren. Zu einer Zeit als Japan Korea fest im Würgegriff hielt. Der scheinbar rasche und unspektakuläre Wechsel von Nord- nach Südkorea verwundert jedoch, auch die Nachruf-Schreiberin. Kaum kann sie ihre Neugier und Unrast im Zaum halten. Doch Frau Mook weiß sie zu besänftigen.

Im Buch spricht Frau Mook nicht in zeitlicher Abfolge von ihren acht Leben – es sind acht, nicht nur sieben oder drei. Und mit jedem Leben füllt sich das Puzzlebild zu einem Gesamtkunstwerk, das an Spektakel, Leid, Hoffnung, Verzweiflung und Wendungen derart überfrachtet ist, dass es locker für mehrere Leben reichen könnte. Die Leichtigkeit der Geschichten ist eine Wohltat in diesem prall gefüllten Band. Hier wird nicht ewig herumpolemisiert. Hier wird nicht andauernd über Leid geklagt. Hier spricht eine Frau, die gelebt hat. Nicht einmal, nicht zweimal, sondern mehrfach. Und hier berichtet eine Frau, die jedes ihrer Leben in vollen Zügen gelebt hat. Genießen konnte sie selten. Beobachten und lernen – das war ihr Lebenselixier. Wie sonst hätte sie die Prügelattacken ihres prügelnden Vaters sonst überstehen können? Oder die Zeit als … ach nein, das muss man sich selbst erlesen. Mirinae Lee ist nihct einfach nur eine Erzählerin mit einer genialen Idee für ein Buch. Sie Geschichtsreferentin, Geschichtentante im besten Sinne des Wortes und gewiefte Verführerin in Einem.

My life as a serial killer

Er ist ihr vollkommen ausgeliefert. Das gefällt ihm. Sein Charme hat gewirkt. Gleich wird es passieren. Gleich werden er und sie … Lucas hat sich den romantischen Abend wohl anders vorgestellt. Sie, Claire hat ihn sich genau so vorgestellt.

Kurz zuvor war sie bei der Trauerfeier für ihren Vater. Der einzige Mensch, der sie jemals verstanden hat. Alle murmeln was, trauen sich nicht die Stimmung zu brechen, Claire ist angewidert von den alten Männern, die immer wieder dasselbe faseln. Die angespannte Situation wird durch eine Email gesprengt. Sie, Claire, ist in der engeren Auswahl für einen Kunstpreis. So eng können Freud und Leid beieinanderliegen. Und noch eine Mail. Upps, alles nur ein Versehen. Die, die in der engeren Wahl ist, heißt auch Claire. Ist aber eine andere Claire. Claire, die, die nicht in der engeren Wahl ist, bleibt äußerlich ruhig. Innerlich kocht sie. Sie sucht nach dem Verfasser der Mail, der sich so normiert bei ihr für sein persönliches Fehlverhalten entschuldigt. Man kann sich nicht selbst von Schuld freisprechen, wenn man einen Fehler begangen hat. Entschuldigungen sind für diejenigen, die die wahre Bedeutung des Wortes nicht kennen. Nun liegt er unter ihr, Lucas, der Mailschreiber, dem alles so schrecklich leid tut. Gefesselt, erregt und absolut unwissend, wer über ihm kniet. Und wozu Claire fähig ist…

Es ist nicht Claires erste Bluttat. Sie ist gut. Sie ist zielstrebig. Gewissenhaft. Gewissen, ha! Gibt es das überhaupt in ihrem Leben? Was es in ihrem Leben gibt – und das ist neu für sie – ist Angst! Denn jemand, hat sie gesehen. Bei dem, was sonst niemand wissen darf. Und dieser jemand, rückt ihr auf die Pelle. Claire muss ihm näher kommen, um … na was schon?! Sie ist Serienkillerin (oder sagt man jetzt Serienkillende?)! Es ist ihr … ihre Berufung. Und sie ist gut. Bis vor Kurzem war sie zu hundert Prozent unbehelligt geblieben. Bis vor Kurzem. Bis also jemand was gesehen hat, was er nicht sehen sollte.

Bisher war Claire die Katze. Sie jagte ihre Beute, spielte mit ihr, verschlang sie mit Haut und Haaren. Jetzt scheint sie das Mäuschen zu sein. So wie vor knapp dreißig Jahren. Sie stand auf der Bühne tanzte als Mäuschen wild herum, das Publikum fühlte sich prächtig unterhalten. Selbst als sie einem Mitmäuschen aus Versehen den Schwanz abtrat. Alle waren ganz wild auf die kindliche Aufführung. Bis auf Mama. Auf dem Heimweg stoppte sie den Wagen. Die Pein der Muter, weil das Töchterchen in ihren Augen versagt hatte, endete in einer schallenden Ohrfeige. Das solle nie wieder passieren! Nie wieder Maus sein, nur noch Katze! Und nun das! Claire war bis auf die ersten beiden Morde schon immer eine Serienkillerin. Sie muss sich auf ihre Grundtugenden besinnen.

Joanna Wallace treibt den Killerirrsinn auf die Spitze. Tarantinoesk marodiert Claire durch London und tötet wer ihr auf nur das dünnste Härchen krümmt. Dabei ist sie cool und lässig wie Hannibal Lector und witzig wie Robin Williams, wäre er Engländer gewesen. Ihr Handwerkszeug ist stets griffbereit. Der geschulte Schulterblick wird dieses Mal zur Lebensversicherung, wenn es das für SerienkillerIinnen gibt…

Kampf der Zauberer

Da kommen in einem manchmal schon böse Erinnerungen wieder hoch. Damals in der Schule als man ein Buch in einem Aufsatz unter einer fragwürdigen Fragestellung interpretieren musste. Bei „Mario und der Zauberer“ reichte es eben nicht aus, dass ein braver junger Mann, Mario, einen anderen Mann erschoss, weil der ihm gehörig auf die Nerven ging. All das Drumherum, die Gängeleien, der Weltschmerz, die Hoffnungslosigkeit spielen nur als Grundsatz in die Tat mit hinein. In der DDR reichte es vollkommen aus die Worte „Solidarität“, „Kampf gegen Faschismus“ und „Held“ irgendwie mit einzubauen, um mindestens eine Drei zu bekommen. Doch auch das kommt dem kleinen Roman von Thomas Mann nicht einmal nahe.

Dierk Wolters macht sich an die Mammutaufgabe die eingangs bösen Erinnerungen an das richtige Verhältnis von Werkskenntnis und Interpretation wegzuwischen. Als „Mario und der Zauberer“ – schon allein die Untersuchung warum das Wörtchen „und“ so bedeutungsvoll ist, lässt den Leser sich schmerzhaft an die ersten eigenen Gehversuche in Literaturverständnis erinnern – entstand, war Thomas Mann noch nicht der lupenreine Demokrat, der mit Vehemenz gegen dessen Feinde argumentierte. Das kam später, seine Radioansprachen waren der giftigste Stachel im Fleisch der Nationalsozialisten.

Hier nun steht ein Mensch unter permanenter Anspannung. So wie die Familie Mann im Italienurlaub. Das waren in diesem Fall der Zauberer selbst (also Thomas Mann, nicht das spätere – literarische – Opfer), sein Frau Katia und seine Kinder Michael und Elisabeth. Die später selbst in Italien lebte und arbeitete. Es war keine Erholung in dem Badeort möglich. Die Kinder wurden missachtet, teils massiv geärgert. Den Eltern ging es auch nicht besser. Man wurde aus dem ersten Haus am Platz verbannt. Ach nein, halt, das war ja im Buch. Man schreibt über das, was man selbst erlebt hat bzw. das, was man jeden Tag sieht.

Es ist einerlei, ob man „Mario und der Zauberer“ schon gelesen hat bevor man sich dieses kleine Büchlein mit wachsender Begeisterung einverleibt hat. Feststeht, dass man es sich ganz fest vornimmt, es nun doch einmal zu lesen, weil man es nun ja viel besser versteht. Und das ist nicht so gemeint, dass man sich erst den Film anschaut und dann das Buch liest. Das ist was völlig anderes.

Es müssen nicht endlose Bandwurmsätze sein, die hunderte Seiten zieren, um sich ins Herz des Lesers zu pflanzen. Manchmal liegt die Würze in der Kürze. So ist es auch bei diesem Buch. Für Fans und solche, die es werden wollen und nicht immer nur kopfschüttelnd vor den unzähligen Mann-Reportagen hocken wollen.

Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping

So viele erste Male! Schon der erste Satz, das erste „erste Mal“ gibt die Marschrichtung vor: Ein Plan ist ein Plan ist ein Plan. Ob und dass er funktioniert, steht in den Sternen. Und die funkeln für Pete Halliday und Tommy LeClerc nicht besonders helle. Warum auch?! Die beiden sind es ja auch nicht! Das wird ein Spaß diesen zwei Knalltüten beim Planen, bei der Ausführung ihrer Pläne und beim … (na, was wohl?!) zuzusehen. So viel sei schon mal verraten. Im Süden, New Orleans, Big Easy ist nichts easy. Oder vorhersehbar. Oder vom Glück begünstigt. Was jedoch feststeht ist die Tatsache, dass jeder hier eigene Pläne und Vorstellungen hat. Die Ausführung ist der Unterschied, der die Spreu vom Weizen trennt.

Pete war mal Baseballspieler, Major League. War einer der Besten, ganz gut, in der Liga, in seinem Verein, auf seiner Position, für ein paar Innings. Doch seine Zockerei – er setzte permanent seinen gesamten Lohn auf die falschen Teams – brachten ihm erstmal die Kündigung und sein satte Abfindung ein. Letzte ist aufgebraucht. Frisches Geld muss rein. Tommy ist der Mann, den Pete braucht, um an den benötigten Zaster zu kommen. Einen Plan gibt’s schon. Die Cajun-Mafia über den Tisch ziehen. Ganz einfach. Hat noch nie jemand gemacht.

Dafür brauchen die beiden aber erstmal Anzüge, sonst fallen sie in der Gegend, wo sie ihr Ding drehen wollen zu sehr auf. Schon das geht erstmal gründlich in die Hose, nicht in die Anzughose. Die haben sie da immer noch nicht. Aber einen wütenden Mob aus der Straßenbahn gegen sich aufgebracht…

Irgendwo muss Pete auch unterkommen. Ein obdachloser Gangster mit dem Plan für das ganz große Ding – das geht nicht. Cat, bei ihr kommt er unter. Kellnerin. Cat Duplaisir, Teilzeitnutte – schon allein für den Namen müsste Les Edgerton posthum noch einmal (nicht zum ersten Mal!) geehrte werden.

Tja, was haben wir? Zwei Typen, die sich für ausgebufft halten, aber nicht in der Lage in ihrem Oberstübchen für Ordnung zu sorgen. Hochtrabende Ideen – nein, als Plan kann man nichts bezeichnen, was ihnen durch die Rübe geht – laufen bei ihnen wild durcheinander. Ein entführter Mafiaboss, dessen Gefolge alles (wirklich?) daran setzt, den Chef wieder zurückzuholen … ohne dabei auch nur einen müden Dollar Lösegeld zu zahlen. Und dann noch die „richtige“ Mafia. Mit und bei denen hat Pete auch noch eine (nee, mehrere Rechnungen) offen.

„Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping“ rotzt auf Konventionen. Wer hier geradlinig spielt, ist schon auf der Verliererstraße. Querschläger von allen Seiten. Fouls en masse. Und mittendrin der Betrachter (sprich Leser), der sich vom Spielfeldrand die ersten Gehversuche in Sachen Gangstertum amüsiert anschauen darf. Immer in der Gefahr lesend, dass er königlich meisterhaft wird.

Trauben schwarz wie Blut

„Trauben schwarz wie Blut“ – das klingt doch vom Beginn an wie eine Geschichte, die man nicht im Vorbeigehen „zusammenschreibt“. Und dann die elegante Dame auf dem Cover, der durchdringende Blick, die noble Körperhaltung – wer da nicht Appetit bekommt zumindest einen ins Buch zu werfen, dem ist nicht zu helfen. Es kommt noch besser.

Casimiro Badalamenti lebt im Sizilien der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Cinisi ist seine neue Heimat geworden – oder soll man sagen, dass er hier Unterschlupf gefunden hat? – nachdem er Giardinello verlassen musste. Concetta nimmt den ehrgeizigen, doch grobschlächtigen Weinbergbesitzer bei sich auf. Auch ihre Reputation ist nicht die allerbeste. Bei gehen alle ein und aus, inklusive des Pfarrers, die Zuneigung suchen. Doch nun herrscht im Haus ein anderer Ton. Casimiro reißt den Haushaltsvorstand an sich. Kinder will er keine haben, viel mehr will er aufsteigen, ein ehrenwerter Mann sein. Ehrenwert – Sizilien: Alles klar?! Er muss einsehen, dass das Schicksal stärker ist als jeder erzwungener Wille. Casimiro wird Papa. Nicht ein-, nicht zwei-, mehrmals. Wer nun denkt, das der hartherzige Casimiro sich wandeln wird, kommt ziemlich schnell dahinter, dass das Gegenteil der Fall ist.

Die Zeit vergeht, Casimiro setzt alles daran ein geachteter Mann zu werden. Die Frucht seiner Lenden hat er abgegeben. Ja, abgegeben. Zu Menschen, die willige, nein, billige Arbeitskräfte benötigen. Und die in ihrer Verachtung die Kinder wie Dreck behandeln. Die Kinder von Casimiro Badalamenti – so poetisch der Name klingt, so widerlich ist sein Charakter. Auch die Rückkehr in seinen Weinberg, wo er exzellenten Wein anbaut, der für die Region ganz besonders ist. Die Trauben sind … schwarz … wie Blut.

Vier Kinder hat Casimiro gezeugt. Drei leben inzwischen wieder bei ihm. Darunter auch Nicola, sein Erstgeborener, der Stammhalter. Mit eigenem Kopf, wie der Vater. Doch Nicola steht seinem Erzeuger nicht wohlwollend gegenüber, um es ganz vorsichtig auszudrücken. An seiner Seite wird er bald schon Rosaria haben. Mit ihr soll das Glück vollkommen werden. Wird es auch. Für eine bestimmte, für beide viel zu kurze Zeit. Denn ihre Verbindung steht unter keinem guten Stern. Das merkt auch Casimiro schon bald. Es geht um seine Ehre!

Livia de Stefani – das ist die elegante Dame auf dem Cover – schreibt über ihre Heimat, die sie der Liebe wegen verließ. Aus Rom schreibt sie über ihre Heimat, die so roh und stellenweise brutal, ja unmenschlich dargestellt wird. Und das bereits 1953. Ihre Landsleute nahmen ihr ihre schonungslose Geschichte übel, so dass der Roman fast in Vergessenheit geriet. Die Strukturen, was heute gemeinhin und mit einem Handstreich als mafiös bezeichnet wird, der Sonneninsel Sizilien werden hier bis ins kleinste Glied der Gesellschaft dargestellt. Hier räkeln sich keine machthungrigen, angsteinflößenden Ehrenmänner im Sessel und beraten wortreich den nächsten Schlag gegen wen oder was auch immer. Hier ist ein Emporkömmling, der seiner eigenen Familie den Dolchstoß versetzt und es nicht bemerkt. Als die Schande zu präsent ist, wird er zum Wirbelwind seiner eigenen Perfidität. Die Ohnmacht und die den Menschen eigene Art mit dieser bedrohlichen Situation umzugehen, die detaillierte Beschreibung einer Gesellschaft, die stets am Abgrund taumelt – und die Tatsache, dass der Roman von einer Frau geschrieben wurde – machen „Trauben schwarz wie Blut“ zu einem Goldstück der Literatur.

Es gibt viele Mafiaromane. Viele erregen nur durch die Erwähnung des Wortes Mafia Aufsehen. Dann gibt es die tiefblickenden Einsichten wie beispielsweise die Bühne von Leonardo Sciascia. Und dann gibt es diesen Klassiker. Noch vor allen anderen hat Livia de Stefani, die selbst aus einer wohlhabenden sizilianischen Familie stammt, diese Art des Zusammenlebens (zu oft ist es ein Gegeneinander) beschrieben. Dieses Buch ist eine Wiederentdeckung, die viel zu lange verschollen war.

Der falsche Vermeer

Es sind nur ein paar Puzzleteile. Also eine ganz leicht zu lösende Aufgabe. Doch erst, wenn das letzte Teilchen sich ins Bild fügt, wird das Gesamtbild sichtbar.

Der krieg ist vorbei. Die Niederlande sind befreit. Van Aelst sitzt im Gefängnis – Kollaboration mit dem Feind. In Frankreich wurde Frauen der Kopf geschoren, so dass jeder die sichtbare Schande sehen konnte. Schließlich war nach de Gaulles Aussage jeder Franzose im Widerstand. In den Niederlanden ist man nicht ganz so expressiv. Trotzdem muss man sich verantworten, hat man mit den braunen Horden gemeinsame Sache gemacht und daraus einen eigenen Vorteil gezogen. Und somit auch zum Unwohl der niederländischen Gemeinschaft. Das ist Puzzleteil Eins.

Ja, der niederländische Untergrund war aktiv, erfolgreich, bekam nur weniger Aufmerksamkeit nach dem Krieg. Auch Mag van Hettema kämpfte auf ihre Art gegen die Besatzer und ihre Willkür. Nun sind die Fronten geklärt, die Aggressoren verjagt. Nun beginnt die Zeit der Aufarbeitung. Als Journalistin ist sie endlich wieder frei in ihrer Arbeit. Doch die kleinen Alltagsgeschichten füllen sie nicht aus.

Da erfährt sie vom Schicksal van Aelsts. Der Fall scheint sonnenklar. Er hat – mit enormem Gewinn – dem Generalfeldmarschall Hermann Göring, der Dicke, der Kunstsammler, der Uniformkönig (dem Anschein nach Phantasieuniformen) von Großdeutschland Kunst verkauft. Auch einen wundervollen, prächtigen Vermeer. Niederländisches Kulturgut. An einen Deutschen. Und dann ausgerechnet dem?! Klar, dass van Aelst dafür büßen muss. Doch Meg kommt da ein Verdacht. Puzzleteil Zwei.

Van Aelst sieht das natürlich anders. Würde jeder behaupten, dessen Haupt auf dem Spiel steht. Ist nur menschlich. Doch van Aelst hat gute Argumente. Leider kann er sie nicht alle komplett und schon gar nicht sofort ins Gefecht führen. Denn dann würde er sein Geschäftsgeheimnis verraten. Und sich somit seiner Lebensgrundlage berauben. Puzzleteil Drei.

Patrick van Odijk mischt auf seiner Wortpalette unverrückbare historische Fakten, mengt eine gehörige Portion Phantasie bei, akzentuiert mit ein wenig krimineller Energie und malt mit Eleganz einen Kunstkrimi, der an Chuzpe – ha, den Nazis mit Chuzpe eine Schnippchen schlagen: Doppelter Schlag ins feige Gesicht! – kaum zu überbieten ist.

Sich diebisch freuend kann man es kaum aushalten endlich weiterzublättern. Wie ein ungeduldiges Kind rutscht man auf dem Hosenboden umher, um zu erfahren, ob die Gewieftheit wirklich echt ist oder ob hier jemand ein doppeltes Spielchen treibt, um die eigene Haut zu retten. Und vor allem will man wissen, ob der erhöhte Einsatz von Meg auch wirklich zielführend ist. Großartig und vielschichtig! Eine seltene Kombination.