„Trauben schwarz wie Blut“ – das klingt doch vom Beginn an wie eine Geschichte, die man nicht im Vorbeigehen „zusammenschreibt“. Und dann die elegante Dame auf dem Cover, der durchdringende Blick, die noble Körperhaltung – wer da nicht Appetit bekommt zumindest einen ins Buch zu werfen, dem ist nicht zu helfen. Es kommt noch besser.
Casimiro Badalamenti lebt im Sizilien der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Cinisi ist seine neue Heimat geworden – oder soll man sagen, dass er hier Unterschlupf gefunden hat? – nachdem er Giardinello verlassen musste. Concetta nimmt den ehrgeizigen, doch grobschlächtigen Weinbergbesitzer bei sich auf. Auch ihre Reputation ist nicht die allerbeste. Bei gehen alle ein und aus, inklusive des Pfarrers, die Zuneigung suchen. Doch nun herrscht im Haus ein anderer Ton. Casimiro reißt den Haushaltsvorstand an sich. Kinder will er keine haben, viel mehr will er aufsteigen, ein ehrenwerter Mann sein. Ehrenwert – Sizilien: Alles klar?! Er muss einsehen, dass das Schicksal stärker ist als jeder erzwungener Wille. Casimiro wird Papa. Nicht ein-, nicht zwei-, mehrmals. Wer nun denkt, das der hartherzige Casimiro sich wandeln wird, kommt ziemlich schnell dahinter, dass das Gegenteil der Fall ist.
Die Zeit vergeht, Casimiro setzt alles daran ein geachteter Mann zu werden. Die Frucht seiner Lenden hat er abgegeben. Ja, abgegeben. Zu Menschen, die willige, nein, billige Arbeitskräfte benötigen. Und die in ihrer Verachtung die Kinder wie Dreck behandeln. Die Kinder von Casimiro Badalamenti – so poetisch der Name klingt, so widerlich ist sein Charakter. Auch die Rückkehr in seinen Weinberg, wo er exzellenten Wein anbaut, der für die Region ganz besonders ist. Die Trauben sind … schwarz … wie Blut.
Vier Kinder hat Casimiro gezeugt. Drei leben inzwischen wieder bei ihm. Darunter auch Nicola, sein Erstgeborener, der Stammhalter. Mit eigenem Kopf, wie der Vater. Doch Nicola steht seinem Erzeuger nicht wohlwollend gegenüber, um es ganz vorsichtig auszudrücken. An seiner Seite wird er bald schon Rosaria haben. Mit ihr soll das Glück vollkommen werden. Wird es auch. Für eine bestimmte, für beide viel zu kurze Zeit. Denn ihre Verbindung steht unter keinem guten Stern. Das merkt auch Casimiro schon bald. Es geht um seine Ehre!
Livia de Stefani – das ist die elegante Dame auf dem Cover – schreibt über ihre Heimat, die sie der Liebe wegen verließ. Aus Rom schreibt sie über ihre Heimat, die so roh und stellenweise brutal, ja unmenschlich dargestellt wird. Und das bereits 1953. Ihre Landsleute nahmen ihr ihre schonungslose Geschichte übel, so dass der Roman fast in Vergessenheit geriet. Die Strukturen, was heute gemeinhin und mit einem Handstreich als mafiös bezeichnet wird, der Sonneninsel Sizilien werden hier bis ins kleinste Glied der Gesellschaft dargestellt. Hier räkeln sich keine machthungrigen, angsteinflößenden Ehrenmänner im Sessel und beraten wortreich den nächsten Schlag gegen wen oder was auch immer. Hier ist ein Emporkömmling, der seiner eigenen Familie den Dolchstoß versetzt und es nicht bemerkt. Als die Schande zu präsent ist, wird er zum Wirbelwind seiner eigenen Perfidität. Die Ohnmacht und die den Menschen eigene Art mit dieser bedrohlichen Situation umzugehen, die detaillierte Beschreibung einer Gesellschaft, die stets am Abgrund taumelt – und die Tatsache, dass der Roman von einer Frau geschrieben wurde – machen „Trauben schwarz wie Blut“ zu einem Goldstück der Literatur.
Es gibt viele Mafiaromane. Viele erregen nur durch die Erwähnung des Wortes Mafia Aufsehen. Dann gibt es die tiefblickenden Einsichten wie beispielsweise die Bühne von Leonardo Sciascia. Und dann gibt es diesen Klassiker. Noch vor allen anderen hat Livia de Stefani, die selbst aus einer wohlhabenden sizilianischen Familie stammt, diese Art des Zusammenlebens (zu oft ist es ein Gegeneinander) beschrieben. Dieses Buch ist eine Wiederentdeckung, die viel zu lange verschollen war.