Archiv der Kategorie: aus-erlesen kompakt

Tizianas Rosen

Na das ging ja schnell: Nicht einmal vier komplette Seiten gelesen und schon ein Geständnis der Täterin. Tiziana Mara hat Ulrich Vanderhoff ermordet. Wie will man da als Autor Geld verdienen?! Stefan Györke muss nun nur noch reichlich einhundertsiebzig Seiten füllen, um aus dem „Ich war’s“ einen Krimi zu kreieren, der auch ab Seite Fünf Spannung verspricht und den Leser bis zur letzten Seite fesseln wird. Soviel sei schon mal verraten: Er schafft es! Spielerisch!

Tiziana lebt in Zürich, ihre Eltern stammen aus Sizilien. Sie kommt sich wie in einem Film vor als sie von einer renommierten Anwaltskanzlei zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Alle sind freundlich zu ihr. Das Arbeitsklima schient erstklassig zu sein. Viel Arbeit, die obendrein auch noch Spaß macht – was will sie mehr. Ulrich Vanderhoff ist ihr neuer Chef. Ein Charmebolzen, eine elegante Erscheinung … und nicht abgeneigt auch außerhalb der Arbeitszeit Tiziana zu umwerben. Sie ebenfalls. Doch aus der anfänglichen Schwärmerei, der atemlosen Phase des Kennenlernens wird schnell Routine. Arbeit, Arbeit, Arbeit. Kein Lächeln mehr. Kein Schmachten. Seinerseits. Tiziana fügt sich dem Schicksal und tut, was man ihr aufträgt. Auch als sie einem anderen Partner der Kanzlei zugewiesen wird – Ulrich scheint alle Verbindungen zu ihr durchgeschnitten zu haben – ergibt sie sich ihrem Schicksal. Zudem nähert sie sich auch wieder ihren Eltern an. Der Abnabelungsprozess von Mama und Papa (und ihren Geschäften!) ist in ihren Augen abgeschlossen.

Und dann … auf einmal … Rosen vor ihrer Tür … von Ulrich … und dann … ist … Ulrich … tot! Schnell erkennt sie, was zu tun ist. Das Geständnis überzeugt die Ermittler. Zunächst. Doch nichts ist wie es scheint…

„Tizianas Rosen“ rauscht wie eine Freccia rossa durchs Hirn des Lesers. Eine Liebesgeschichte, die furios beginnt und Knall auf Fall endet. Eine nebulöse Verbindung zu Tizianas Eltern. Eine Anwaltskanzlei im noblen Zürich. Und eine Hauptakteurin, die mehr weiß und mehr kann als man an der Oberfläche sieht. Wer spielt hier eigentlich Spielchen? Der Gentleman, der einst als Schwertschlucker durch Sizilien zog? Die Eltern, die immer nur das Beste für ihre Tochter wollten? Kommissar Zufall? Dunkle Machenschaften sind der Nährboden für diesen einzigartigen Krimi, der sich gar nicht wie ein Krimi verhält.

Apulien

Fernab der Klischees von den typischen Rundbauten, den Trulli, dem immer warmen Badewetter und einer unüberschaubaren Anzahl von architektonischen Kostbarkeiten reist Reisebuch-Autor Andreas Haller durch einen Landstrich, der einen fast das Blinzeln vergessen lässt.

Da sind die großen Städte Bari und Lecce. Wer noch nicht dort war, bekommt schon nach wenigen Zeilen eine ziemlich exakte Vorstellung von dem, was da vor dem Auge erscheint, ist man schon bald in einer dieser Städte. Viel Hintergrundinformation für das, was im Vordergrund steht. Nicht nur in den gelben Kästen, die dem Leser Historie und Histörchen als Wegbegleiter und –bereiter dienen. Da ist für jeden was dabei. Tipps für die Unterkunft oder den schnellen und großen Hunger, Einkaufstipps – vor allem aber das komplette Programm für den Tag, um nichts zu verpassen. Jeder einzelne Abschnitt ist klar gegliedert, inkl. kleiner Hilfestellung wie sehr man dies oder das besuchen wollte.

Das Buch arbeitet sich von Norden nach Süden durch Apulien. Und dann immer im Wechsel von Küste und Hinterland. Da weiß man oft gar nicht wo man anfangen soll. Auch hier ist dieser Reiseband, immer hin schon die elfte Auflage, ein nützlicher Ratgeber. Denn wer nun wirklich gar keine Vorstellung hat, was er in Apulien besuchen möchte, liest sich einfach von Anfang bis Ende durch das Buch. Fündig wird man auf jeden Fall. Und Spannung und Vorfreude sind garantiert.

Dass am Anfang eines neuen Kapitels, das Buch ist in sechs Regionen unterteilt, schon die ersten Kurzzusammenfassungen wie kleine Appetithappen auf den hungrigen Leser warten, ist ein echter Segen. Besonders die Tipps zum Reisen vor Ort – wie gut kommt man denn nun von A nach B? etc. – sind echte Alleinstellungsmerkmale auf dem Reisebuchmarkt. Alles noch einmal kompakt zusammengefasst am Ende des Buches.

Bei all der Fülle an sorgsam beschriebenen Höhepunkten darf man nie aus den Augen lassen, dass das Buch der Wegweiser ist. Anschauen ist wichtiger, genießen ist Gesetz. Den Reiseband beiseite zu legen ist mindestens so frevelhaft wie ihn im Gepäck zu lassen. Griffbereit sollte er immer sein. Egal wie man unterwegs ist, per pedes, per Rad, mit dem Bus, dem Zug oder im Auto. Die lockere Sprache ohne dabei den Ernst des (Er-)Lebens aus dem Blick zu verlieren, passt in das Lebensgefühl an der unteren Rückseite des Stiefels. Wer A sagt, muss auch pulien sagen. Wer A sagt, muss auch ndreas Haller vertrauen. Er reiste 2024 mehrmals nach Apulien, um der Neuauflage das Neueste hinzuzufügen, Bewährtes zu aktualisieren und neue Wege zu beschreiten. Vor allem Pedalisten werden hier auf ihre Kosten kommen. Elf Wanderungen runden den Reiseband ab. Allesamt für jedermann zu bewältigen. GPS-Koordinaten im Buch sind mehr als nur bloße Festhaltepunkte zum Entlanghangeln. Und für Puristen gibt’s wie immer die faltbare Karte zum Herausnehmen und im Buch zahlreiche Karten und Pläne. Wer nun immer noch nicht weiß, was er in Apulien machen soll … dem ist … nein … der liest das Buch einfach noch mal.. Die Erkenntnis kommt garantiert!

Musik in Wien

Wien, Neustiftgasse Ecke Kellermanngasse. Ein Hauch von Melodik macht sich breit. Die Ersten zögern, bleiben stehen. Dann bricht es aus ihnen heraus: „Oh Du lieber Augustin, Augustin…“. Was ist geschehen? Sie haben das Denkmal vom lieben Augustin entdeckt. Er hat die Nacht in einer Pestgrube überlebt. Schlawiner oder Glückspilz? Das Lied ist bekannt, auch über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus. Den Grundstein für die Allianz von Musik und Wien hat es bestimmt nicht gelegt, ist aber mindestens genauso eng damit verbunden wie Hietzings bekannteste Mieter: Liszt, Strauss, Beethoven. Apropos Beethoven. Will man Wien zu Fuß auf seinen Stationen folgen, muss man sich gut rüsten. Der gute Mann ist andauernd umgezogen. Mal „nur schräg gegenüber“, mal „gleich ans andere Ende der Stadt“. Ein echter Marathon, der wie so viele Stadtrundgänge auf den Spuren großer Namen (meistens sind es dann doch Musiker, zumindest Künstler) auf dem Zentralen enden.

Peter Rupperts „Musik in Wien“ ist der ultimative Reiseband für alle Musikfreunde, die in Wien schon so manche Ecke erkundet haben und die man nur schwer noch beeindrucken kann. Das geballte Musikwissen der Stadt in einem Buch – Freud und Leid, Hoffnung und Verzweiflung, triumphale Erfolge und nicht minder bittere Niederlagen und Tumulte. Es sind die kleinen Anekdoten, die dieses Buch so besonders machen.

Und wer weiß schon, dass auch Alma Mahler-Werfel selbst komponierte? Ihre Werke sind leider größtenteils verschollen. Dachbodenfunde zu bestimmten Jubiläen sind also nicht ausgeschlossen.

Auch begnügt sich Peter Ruppert nicht damit nur all die großen Namen aufzuzählen und ihnen auf der Spur zu bleiben. Sie alle hatten Schüler und Verehrer, die ihnen nachreisten oder schon da waren. Haydn lehrte Beethoven. Es passt nicht, geht sich nicht aus. Beethoven grübelt, wettert gegen den Alten. Sucht Rat bei Johann Georg Albrechtsberger. Doch auch der ist mit dem ungestümen Rheinländer überfordert. Später wird Albrechtsberger auf Anraten von Mozart Domkapellmeister zu St. Stephan. Im Wiener Stadtteil Meidling, im Zwölften, ist eine Gasse nach ihm benannt.

Augen auf beim Wienbummel. Immer wieder, fast schon an jeder Ecke, trifft man auf Namen, die der Stadt ein gewisses Flair gaben. Doch das hörte nicht einfach mit dem Ende des Walzerzeitalters oder des Kaiserreiches oder gar mit dem Ende der klassischen Musik auf. Moderne Komponisten wie Arnold Schönberg oder Alban Berg übernahmen den Ruhm ihrer Vorgänger nahtlos. Der Zeitungsausschnitt im Buchklappentext über ein Konzert mit moderner Musik lässt die „ausgelöste Stimmung“ bis heute erahnen – das als Watschenkonzert in die Geschichte eingegangene Ereignis gehört zu Wien wie Falcos „Vienna Calling“ oder Wolfgang Ambros’  „Es lebe der Zentralfriedhof“. Ihnen allen widmet sich dieses Buch und wird für jeden, der mit einem Liedchen auf den Lippen, mit der unstillbaren Neugier eines Wientouristen, ohne Bedenken sich der Stadt hingeben will, zu einem dienlichen Begleiter.

Teneriffa

Und immer wieder die Kanaren: Das trubelige Gran Canaria, das verträumte Lanzarote und das stachelige Teneriffa. Das stachelige Teneriffa? Soll das Titelbild dieses Reisebandes etwa ein Hinweis auf die Undurchdringbarkeit der Insel hinweisen? Mitnichten. Denn Irene Börjes schlägt Schneisen ins Dickicht des Unbekannten, das einem die Augen übergehen. Wer sich für Teneriffa entscheidet, tut das in dem Bewusstsein Natur und Mensch sich gleichermaßen anzunähern. Hier steht man sich nicht gegenüber, hier geht man Hand in Hand und erlebt die schönste Zeit des Jahres.

Das kann zum Beispiel beim Lucha Canaria geschehen. Wer sich beim allabendlichen Fernsehen die Sinne schon mal beim Wrestling versengt hat, dem ist Lucha Libre ein Begriff. Die mexikanische Variante des Wrestlings, mit viel Show, Tamtam und bunten Kostümen. Weniger Show, trotzdem viel Tamtam und echter Leidenschaft stehen sich Mann gegen Mann und auch schon mal Frau gegen Frau gegenüber. Man reicht sich die Hand. Brega – es geht los. Wer nun mit einem anderen Körperteil als dem Fuß den Boden berührt, hat verloren. Es gibt sogar eine Liga. Und für die meisten ist erst dann Wochenende, wenn lucha canaria die Menschen zusammenbringt. Ein Spektakel, das man sich als Besucher nicht entgehen lassen sollte.

Teneriffa kann sich außerdem rühmen die höchste Erhebung Spaniens zu besitzen, den Teide. Kann man relativ einfach erklimmen. Aber Vorsicht, hier zieht’s, an den Klamotten, an der Kondition, manchmal auch und gerade deswegen an den Nerven. Wie, wann, von wo man am besten nach Oben kommt – hier steht’s, ab Seite 170, in der zehnten Auflage dieses Reisebandes ohne den man die Insel gar nicht erst zu besuchen braucht. Mehr als in diesem Buch steht, weiß sicherlich auch kein Einheimischer!

Costa del Silencio verspricht schon vom Namen her eintönige Ruhe, die man nicht lange suchen muss. Quirliger, aber nicht abgeschmackt geht es in Los Cristianos zu. Die Beats der Retortenorte Playa de las Américas und Costa Adeje hinter sich lassend, ist man hier noch lange nicht im Nirgendwo. Aber alles ist ein bisschen ruhiger und dennoch städtisch angenehm erschlossen.

Egal, wo man sich auf Teneriffa wie auch immer erholen möchte, die Tipps von Irene Börjes treffen jedes Mal mitten ins Herz des Begehrens. Die farbigen Kästen machen nicht nur das Buch bunter, sondern auch den Aufenthalt. Wie sonst sollte man sonst vom lucha canaria erfahren?!

Lanzarote

Lanzarote ist derart gut erschlossen, dass man eigentlich kein Reisebuch mehr braucht. Das mag stimmen, wenn man den Urlaub in einem Reisebüro planen und sich dann vom Taxi abholen lässt, über den halben Kontinent und einen Teile des Atlantiks fliegt. Sich dann ins Hotel bringen lässt, auspackt und dann zwei Wochen am Pool die Drinks genießt, die man daheim in jeder halbwegs vernünftigen Bar ebenso genießen kann.

Oder man nimmt die Planung selbst in die Hand. Das kann schon mal ein paar Stunden oder Tage dauern. Aber wie beim Warten aufs Christkind ist die Belohnung umso schöner, wenn man dann endlich die Geschenke auspacken darf. Mehr als nur eine hilfreiche Stütze ist bei letzter Planung dieser Reiseband. Reisebuchautor Eberhard Fohrer hat eine persönliche Beziehung zur Insel. Er lebte hier, machte hier unzählige Urlaube und recherchierte hier noch öfter. Zieht man ihn zu Rate, dann erblasst jedes Reisebüro. Und ereignisreicher werden die ein oder zwei oder mehr Wochen ohnehin. Die 416 Seiten dieses Reisebuches sind nicht nur chic anzusehen, sie sind ein El Dorado für alle, die Lanzarote erkunden und im besten Sinne für sich erobern wollen. Ein Appetitmacher, der hält, was er verspricht!

Das beginnt bei der exakten Beschreibung von Festen, die die Inselbewohner und Touristen zusammenbringt und hört bei Restaurantstipps noch lange nicht auf. Ausgedehnte Touren, bei denen man allein oder in Gruppen vieles zu Gesicht bekommt, was anderen verwehrt bleibt. Echte Geheimtipps, die man sich erarbeiten darf und die Erholung und einzigartige Eindrücke garantieren. Schon mal von Jameos del Augua gehört? Ein Höhlensystem, das vor dreitausende Jahren nach dem Ausbruch des Monte Corona entstand. Nun ist der Name Corona mittlerweile in aller Munde. Und durch eben einen solchen steigt man hinab oder hinein in eine neue Welt. So wie schon vor ein paar Jahren. Aber dieses Mal hat alles ein gutes Ende. Und noch nachhaltigere Erinnerungen. Die exakte Beschreibung der Gegebenheiten machen einen die Entscheidung einfach: Ja, ja, ja. Oder Si, si, si. Muss man gesehen haben, wenn es die körperliche Verfassung zulässt. Und Uga ist noch weniger besucht. Und wenn man von hier nach Puerta de Carmen wandert (nur eine von vielen Wanderungen, die im Buch genau beschrieben werden, inkl. GPS-Daten), kann es sein, dass man tatsächlich stundenlang keiner Menschenseele begegnet, obwohl man auf einer Insel ist, die für Touristenströme bekannt ist.

Lanzarote ist und bleibt immer ein Reiseziel, dass besonders zur Weihnachtszeit oder generell in der kälteren Zeit gern als Fluchtpunkt ausgewählt wird. Verständlich, wenn man sich intensiv mit diesem Reiseband auseinandersetzt.

Sturz in die Sonne

Die Erde, die Menschheit musste und muss so einige Katastrophen ertragen: Hunger, Krieg, Vertreibung, Dürre und andere Klimakatastrophen. Dagegen kann man etwas tun. Man kann! Tut es aber nicht! Doch was, wenn tatsächlich etwas passiert, wogegen man als normaler Mensch, als Manager, als Politiker, als General nicht – gar nichts – tun kann? Man ignoriert es. Und lässt den Dingen ihren Lauf. Also wie immer?!

Charles Ferdinand Ramuz lässt in seinem Roman „Sturz in die Sonne“ der Menschheit keine Wahl. Ein Fehler im Gravitationssystem lässt die Erde in die Sonne fallen. Das ist Science fiction in seiner natürlichen Form. Ja, alle haben die Warnungen, zumindest die Information irgendwie zu Gesicht bekommen. Doch was soll man damit anfangen. Dann wird’s halt wärmer. Ja, wird es auch. Aber darüber hinaus wird es auch windiger. Man schlafft ab. Die Arbeit geht nicht mehr so leicht von der Hand. Auch wenn die Arbeit völlig unsinnig ist. Wozu noch Plakate kleben für eine Show, wenn eh bald alles vorbei ist?! Die Winzer freuen sich über das produktfreundliche Klima. Diesen Jahrgangswein wird niemand mehr genießen können, auch wenn die Preise stabil bleiben. Erste, fast unbemerkte Anzeichen einer größeren Veränderung sind die aufziehenden Truppen vor der Nationalbank. Das Wort von der Revolution schleicht herum.

Und schließlich ist es ja auch nicht so, dass die Erde mach zweiundsiebzig Stunden wieder aufersteht, sich dann knapp sechs Wochen herumtreibt, um sich dann als Paradies zu entpuppen. Es gibt einfach auch keine Vergleichsmöglichkeiten. Man kann niemanden fragen, wie habt Ihr das damals geregelt, als die Erde unterging? Und so versinkt man im Alltagstrott, der noch unerträglicher ist als zuvor. Wegen der Temperaturen und so. Und im Netz nach Informationen suchen geht auch nicht. Das gibt es noch nicht. Das Wort Computer existiert nur im Englischen. Und wird äußerst selten benutzt.

Charles Ferdinand Ramuz hat diesen dystopischen Roman vor mehr als hundert Jahren geschrieben. Er ist aktueller denn je. Auch wenn die Erde nicht aus ihrer Umlaufbahn zu brechen droht. Das könnte man vielleicht vorausberechnen… Er schaut dem Volk ziemlich genau aufs Maul und die Finger. Die Idylle am Genfersee bricht auseinander. Und nicht nur dort. Flucht ist keine Option. Denn die Gazetten sind sich einig, dass nicht der Genfersee in die Sonne plumpst, sondern alles andere herum – die gesamte Erde – schon bald verglühen wird. Es kommt wie es kommen muss. Allerdings zum letzten Mal. Alles zum letzten Mal.

1000 places to see before You die

Im Leben gibt es unzählige Listen, die man erstellt. An die meisten hält man sich, wie den Einkaufszettel. Andere hingegen dienen – so meint man – der eigenen Beruhigung etwas zumindest in Planung zu haben. Meist gehen diese Listen irgendwann den Weg in den Abfall. Und dann wiederum gibt es Listen, die sind so dick, weil gehaltvoll, die werden niemals ihre Anziehungskraft verlieren. Bucketlist nennt man das.

Und so eine liegt in diesem Fall einmal mehr vor. Tausend Orte, die man besuchen muss bevor man es nicht mehr kann. Unmöglich? Schon möglich. Aber genauso möglich ist es tausend Orte zu bereisen. Doch wo anfangen? Hier kommt dieses Monster an Ideen, Ratgebern, Tipps, Tritten in den Allerwertesten ins Spiel. Von nun an gibt es keine Ausreden mehr! Der Anfang ist gemacht. Und der erste Schritt ist bekanntlich der erste von vielen, die noch folgen werden. Und wenn man schon mal angefangen hat…

… dann auf zum Lac d’Annecy oder nach Riga. Am besten mit einem Abstecher zu den Stränden Goas in Indien oder Sanibel und Captiva vor Florida. Oder der größten Sandinsel der Welt, Fraser Island in Australien. Zu ruhig? Dann hilft eine Shopping- oder Sightseeingtour über die quirligen Märkte von Saigon.

Man muss das Buch nur in die Hand nehmen und ein wenig darin blättern. Und schon hat man Reisefieber. Und eine Reisefibel auf dem Schoß. Klar gegliedert nach Kontinenten und Ländern. Ganz Mutige nehmen diesen Schmöker als festen Reiseplan – viel Spaß beim Urlaubsantrag ausfüllen: „Chef ich bin dann mal weg. Wenn ich das Buch abgearbeitet habe, komme ich wieder. Bis in … Jahren!“. Die Vorstellung ist doch schon sehr verlockend.

Ein Sinnes-Overkill ist garantiert. Berge, Täler, Strände, Stadtzentren, Architektur, Naturwunder, über und unter Wasser, Aussichtspunkte, Absteige wie Kletterpartien – wer hier nicht fündig wird, der hat entweder schon alles gesehen (was fast unmöglich scheint) oder will einfach nicht. Man kann dieses – nein, man sollte – dieses Buch als niemals versiegende Inspirationsquelle sich regelmäßig aus dem Regal nehmen. Reisen bildet. Lesen macht Appetit. Bei 1220 Seiten kann man sich niemals satt sehen und inspirieren lassen. Es gibt immer wieder Neues zu entdecken. Heute hier, morgen da. Der Sehnsucht einfach mal Futter geben. Sich selbst austesten, was alles möglich sein kann. Schon allein dafür lohnt sich ein Blick in diesen Schmöker.

Miss Muriel

Es sind nur sechs Buchstaben, die die ganze Perfidität wiedergeben, die das Leben der jungen Erzählerin umfasst. Sie ist zwölf. Eine gute Schülerin. Sie hat Freunde. Lebt komfortabel, ihr Vater betreibt mit ihrer Tante zusammen eine Apotheke. Sie sind die einzigen Schwarzen im Ort. Und da beginnt die Perfidität. Als Zwölfjährige versteht sie noch nicht alles. Aber sie sieht mehr als diejenigen, die im Laufe der Jahre gelernt haben (lernen mussten) wegzusehen und zu ertragen, was niemand ertragen muss.

Es sind die kleinen, offensichtlichen, täglichen Rassismen, die das Zusammenleben mit Fiebrigkeit erfüllen. Das merkt man sogar schon im Alter von Zwölf! Denn Muriel ist nicht einfach nur ein Markenname. Für viele ist es Anlass die eigenen „guten Manieren“ Anderen aufzuzwingen. Miss Muriel – so muss es heißen – so viel Zeit muss sein.

Allein schon die titelgebende erste Kurzgeschichte in diesem lässt den Leser erschauern. Offener Rassismus ist manchmal leichter zu ertragen als der Unterschwellige, denn er nistet sich tief unter der Haut ein und verweilt dort ein Leben lang. Ann Petry lässt den häuslichen Kokon der Erzählerin in wohligen Farben erstrahlen. Die kleinen Dellen in dessen Außenhaut sind sichtbar, aber nicht lebensbedrohend. Unmerklich und unaufhörlich jedoch beginnt diese Hülle zu zerreißen. Ein angsteinflößender Prozess, besonders für einen Teenager, der die ersten eigenständigen Schritte macht. Sie beobachtet wie die Liebe in Person des Schusters in ihr Haus einzudringen versucht. Er hat sich in Aunt Sophronia verguckt. Die lässt ihn jedoch abblitzen. Weil er weiß ist? Den Barpianisten Chink lässt sie aber ebenso wenig an und schon gar nicht in ihr Herz. Er ist ein Windhund, der nach der Badesaison wieder von dannen ziehen wird.

Die Parallelen zu Ann Petrys Leben sind offensichtlich. Auch sie wuchs in New England auf. Ihr Papa hatte eine Drogerie, später mehrere Läden. Sie selbst studierte anfangs Pharmazie bevor sie sich dem Schreiben endgültig zuwandte. Auch sie erfuhr Beleidigung und Erniedrigung – wegen ihrer Hautfarbe.

Jede einzelne Geschichte ist ein in sich geschlossener Kosmos, den man in seiner ganzen Vielfalt erkunden darf. Ganz unaufgeregt begegnet man ganz normalen Menschen in ganz normalen Situationen, die erst nach und nach aus ihrer Normalität herauskommen und hinauskatapultiert werden. Sie auf ihrer Umlaufbahn zu begleiten ist ein Privileg, das man mit Entsetzen verfolgt und mit einem Lächeln der Dankbarkeit ins herz schließt.

Ladies‘ Lunch

Ruth, Bridget, Farah, Lotte und Bessie sind wie die funkelnden Diamanten, die ihre Finger zieren müssten. Sie alle haben einiges erlebt. Vertreibung, Verlust, Verheißung, aber auch das hohe Lied auf das Leben gesungen und selbiges genießen können. Und sie haben Lebenserfahrung. Wenn sie sich einmal im Monat zum Lunch treffen, sitzt da ein knappes halbes Jahrtausend an Lebenserfahrung am Tisch. Nicht immer sind sie zu fünft. Aber immer gibt es etwas zu bequatschen, zu tratschen – in der Regel folgen sie einem Thema. Ja, die fünf rüstigen Damen geben sich immer ein Thema vor, treffen sich bei einer der Damen und erzählen. Ganz ohne Hektik, ohne übertriebene Hast, voller Freude sich zu sehen. Die grauen Zellen funktionieren bestens.

Es sind Kurzgeschichten, die Lore Segal in „Ladies’ lunch“ (hier muss der Apostroph stehen!) so geistreich zu Papier gebracht hat. Sie ist eine Meisterin darin, das Offensichtliche so knapp wie möglich zu halten, das Interessante hervorzuheben und das Unwesentliche mit unsichtbaren Buchstaben im Raum verschwinden zu lassen. Das Quintett ist weit entfernt von einer Clique garstiger Alter, die nur die Vergangenheit glorifizieren.

Sie sind sich bewusst, dass jedes Zusammensein ein besonderer Anlass ist. Sie hatten und haben immer noch ihre Problemchen, untereinander, mit der Welt, mit der Pflegekraft … mit allem, was das Leben bereithält. Doch ihr loser Zusammenhalt ist der stärkste Kitt der Welt! Nichts und niemand kann sie trennen. Sie reden offen und ehrlich miteinander. Ihr Humor ist grenzenlos und einzigartig.

Kurzgeschichten zu schreiben ist eine Kunst. Exzellente Kurzgeschichten zu schreiben, ist ein Glücksgriff. Lore Segal – selbst im magischen Alter ihrer Protagonistinnen – ist der Glückspilz, der die Kunst der Kurzgeschichten zur Perfektion erhebt. Hier passieren keine sonderbaren Dinge, die im Film mit allerlei Effekten in Szene gesetzt werden. So wunderbar (oh je, Lore Segal mag dieses Wort nicht!) normal gleiten die Worte über die Augen zum Herzen des Lesers. Kleine Weisheiten, kuriose Abenteuer, liebevolle Erinnerungen – das sind die Zutaten dieser Geschichtensammlung. Vielleicht kennt der Eine oder Andere Damen mit ähnlich bewegter Geschichte und ihre Geschichten, aber sie werden niemals so eindrucksvoll in Szene gesetzt wie beim „Ladies’ lunch“!

O Du Schreckliche

Weihnachten kann manchmal ganz schön … stressig, hektisch und in bestimmten Fällen sogar … schrecklich werden. Wie zum Beispiel in Grittibach. In der kleinen Gemeinde steht man seit Jahren mit einem ernsthaften Wettstreit mit Müntschisberg: Wer hat den größten? Wer hat den schönsten? Äh, Weihnachtsbaum, natürlich. Und überhaupt versucht man sich in allem und überall zu übertreffen. Sei es nur um besser zu sein oder weil es schon immer so war. In Müntschisberg hat man dieses Jahr – unfreiwillig, überraschend und unverhofft – einen gewaltigen Vorteil. Und es schneit auch noch! Krimifans wissen mit diesen spärlichen Hinweisen sicherlich etwas anzufangen…

Seemann Kuddel Daddeldu – genau der … Joachim Ringelnatz’ grandiose Erfindung – hat’s nicht so mit der weihnachtstypischen Besinnlichkeit. Wenn er davon spricht, dass der Baum brennt, dann brennt der wirklich. Aber das lässt sich im Rausch durchaus ertragen.

Axel Hacke weiß so manch Untypisches (oder doch typisch Weihnachtliches?!) zu berichten. Der Thrill des Weihnachtsbaumkaufes (der Zeitpunkt ist entscheidend und für manches der einzige Berührungspunkt mit Wissenschaft) ruft in ihm Erinnerungen an Thomas Mann und Helmut Qualtinger hervor. Auch die hatten so ihre Problemchen mit deM Bäumchen. Mann sogar mit deN Bäumchen. Und Qualtinger … na ja, a Watschn tut’s auch.

Daniel Glattauer sieht die Weihnachtszeit ebenso pragmatisch. Wenn schon streiten, dann jetzt! Und vollem Umfang und ohne Gnade. Denn die kommt ohnehin und mit unumstößlicher Sicherheit.

Ein köstlicher Knabberspaß mit Spekulatius, Weihnachtsteemischung, stimmungsvollem Licht oder einfach nur am liebsten Leseort. Im Kanon der schauerlichen, untypischen, grausamen, besonderen Weihnachtsgeschichten nimmt „O du schreckliche“ einen Spitzenplatz ein. Von Martin Suter, Ludwig Thoma, T. C. Boyle bis zu Axel Hacke, Hans Fallada und John Updike wird der Weihnachtszeit nicht der unnachahmliche Charme genommen. Vielmehr wird ihr ein Hauch von ungewollter Unplanbarkeit hinzugefügt. Und für all diejenigen, denen so viel Ungemach im eigenen Leben so manchen Herzschmerz zufügen würde, bleibt die Gewissheit, dass das alles nur erfunden ist und zum Glück nur Anderen passiert ist.