Die Nacht der Physiker

Wenn im Herbst eines jeden Jahres die Nobelpreise vergeben werden, sorgt das immer (noch) für Aufsehen. Und das obwohl kaum jemand die Preisträger und ihre Verdienste kennt, geschweige denn versteht.

Man könnte sich diesem Buch auch mit der Diskussion um die Erbschaftssteuer in Deutschland nähern. Ein zähes Ringen um Deutungshoheit und Schutz der eigenen Wählerschaft machen es unmöglich etwas Substanzielles zu erkennen. Doch diese Diskussion tritt im Zusammenhang mit diesem Buch in den Hintergrund.

Die Namen von Weizsäcker, Hahn, Heisenberg sind vielen sicher geläufig. Auch dass sie mit der schrecklichsten Waffe, die man Menschen in die Hand geben kann in einem Atemzug genannt werden, ist hinlänglich bekannt. Ebenso die Tatsache, dass diese Namen sich der Tragweite ihrer Entdeckungen ab einem gewissen Zeitpunkt durchaus bewusst waren.

Richard von Schirach – und hier kommt unterbewusst die Erbschaftssteuer im übertragenen Sinne ins Spiel – ist die Zerrissenheit zwischen Tun und Verantwortung wohl bekannt. Sein Vater war Reichsjugendführer.

Die alliierten Amerikaner nehmen kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges die Elite der deutschen Atomphysiker fest und verhören sie präzise dokumentiert auf einem englischen Landsitz. Das dauert nicht nur ein paar Stunden oder Tage. Es dauert Wochen, Monate.

Die Angeklagten – auch wenn es rechtlich zuerst einmal Zeugen und wissenschaftlich und kriegsbedeutend vor allem wichtige Informationsbringer sind – stehen vor dem Scherbenhaufen ihres Lebens. Es sind schlaue Leute. Sie sind wissbegierig. Die meisten erfolgreich. Sie sitzen auf dem Thron der Wissenschaft, weil man ihren Ideen Glauben schenkte. Und ein perfides System nutzte diese wissenschaftliche Energie aus, und staffierte sie mit Privilegien aus, von denen sie nie zu träumen wagten. Die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten. Für die einen nicht schnell und effektiv genug – Diktatoren und ihre Handlanger sind niemals geduldig. Für die Anderen, die Mahner ist das Tempo immer noch zu hoch. Was, wenn Nazideutschland tatsächlich zuerst der Bau einer Atombombe gelänge? Nicht auszudenken welch unermessliches Leid hereinbrechen würde.

Andere machen das Spiel und erbringen schlussendlich den Beweis wie verheerend ein Atombombenabwurf sein kann. Und welche lang sichtbaren Folgen das hat. Hier kommt ein weiteres Mal das Erbe ins Spiel. „Die Nacht der Physiker“ ist im Regal der Sachbücher das Thriller-Non-Plus-Ultra. Von Schirach muss keine Biographien kunstvoll miteinander verweben. Sie sind es bereits. Aber es geling ihm Zerrissenheit, taktisches Kalkül, Forscherdrang, Menschlichkeit und Reue in Einklang zu bringen, so dass man sich wünscht, dass dieses Buch niemals enden würde.

Schöne Bescherung auf Compton Bobbin

Klingt erstmal wie ein Rock ’n Roll Hit aus den 50ern: Compton Bobbin. Und ein Stein wird auch ins Rollen gebracht. Und eigentlich rockt dieses Buch ganz gehörig. Also doch schnörkelloser Rock ’n Roll im feinen Tweed? Ein bisschen.

Lady Bobbin besitzt ein Anwesen in den Cotswolds – edle Gegend. Ruhig, abgelegen, idyllisch. Eine Art Visitenkarte, Eintrittskarte ins flegelhafte „Ich bin reich – ich darf das!“-Getue. Lady Bobbin beliebt eine Weihnachtsgesellschaft zu geben. Nur das, was da vor dem Tore steht, was noch angefahren kommen wird, wer mit wem im Gepäck und mit welchen Absichten, das konnte die Gute nun beim besten Wissen nicht erahnen.

Der Schriftsteller Paul Fotheringay hat es endlich geschafft: Sein erster Roman ist erschienen. Und er wird geliebt und gelobt. Man hält sich den Bauch vor Lachen und findet, dass dies das richtige Buch zur richtigen Zeit sei. Zu dumm nur, dass Paul Fotheringay meinte ein sehr ernstes Buch geschrieben zu haben.

Philadelphia Bobbin, die Tochter des (guten) Hauses ist der Prototyp des gelangweilten Teenagers. Die Etikette und das ganze Drumherum gehen ihr gehörig auf die Nerven.

Amabelle Fortescue ist dem Namen nach eine ebenso feine Dame der Gesellschaft wie Lady Bobbin. Amabelle feiert Weihnachten in der Nähe in einem Cottage, das sie eigens zu diesem Zweck angemietet hat. Der Name lässt es nicht vermuten – Amabelle Fortescue gehört nicht zum alten Adel. Ihr finanzielles Polster, auf dem sie ihren edlen Körper bettet, wurde durch finanzielle Beigaben ihrer zahlreichen – zahlungsfreudigen – Männerbekanntschaften gepolstert. Sie heiratete geschickt, der Gatte verblich nicht weniger für sie geschickt nach angemessener Zeit. Oder anders gesagt: Wer in den gehobenen Kreisen nach Entspannung jedweder Art suchte, kannte Amabelle Fortescue.

Gleich zu Beginn des Buches gibt Nancy Mitford die Stoßrichtung vor: Sie stellt die handelnden sechzehn Personen der Reihe nach vor. Allesamt mit reichlich Dreck am Stecken, doch nahezu unantastbar. Dass das Weihnachtsfest für keinen der Anwesenden zu hundert Prozent perfekt verlaufen wird, steht ziemlich schnell fest. Doch was passieren wird, muss man sich erarbeiten. Was heißt hier erarbeiten?! Nein, Nancy Mitford hat einen diebischen Spaß die ganze Gesellschaft an der Nase durch die Arena des bitterbösen Humors zu ziehen. Selbst der Friedfertigste bekommt sein Fett weg. Die Parallelen zu ihrer eigenen Familiengeschichte sind durchaus sichtbar. Nancy Mitford war das schwarze Schaf der Familie, die sich mit den Faschisten Großbritanniens gemein machte. Alle bewunderten Hitler und seine Ideen. Nancy Mitford war das alles zu abstoßend, weswegen sie auch im Namen der Krone gegen ihr eigenes Blut spionierte.

„Schöne Bescherung auf Compton Bobbin“ ist ein schonungsloser Einblick ins Leben und Denken der scheinbar besseren Gesellschaft. Show and shine inmitten der landschaftlichen Idylle der Cotswolds. Menschliche Perfidität und rücksichtsloses Handeln sind der Treibstoff, der Mitfords zweiten Roman im rasanten Tempo von einer gefährlichen Kreuzung zur nächsten treibt. Da kommt man schon mal ins Schlingern und holt sich die eine oder andere Beule. Es ist halt Weihnachten. Vorsicht, Glatteisgefahr!

Dresden – Stadt der Schlösser und Gärten

Dresden war und ist in aller Munde. Sie war nie wirklich weg. Immer gab es etwas worüber es etwas zu sagen gab. Tragisch, ehrfurchtsvoll, sarkastisch, bewundernd – die Stadt hatte viele Verehrer. Das „Deutsche Florenz“ wurde es von Herder getauft. Canalettos Blick(e) auf die Stadt sind heute beliebtes Marketinginstrument. Ein Bummel durch die Stadt gleicht einem Herumstromern in der Geschichte. So manches Bauwerk scheint extra für die Silhouette an der Elbe gemacht zu sein. Stimmungsvolle Illuminationen unterstreichen den romantischen Charakter der Stadt. Weit entfernt vom „Tal der Ahnungslosen“ präsentiert sich Dresden heute wie ein offener Bildband dem Besucher.

Dieser kleine Bildband ist das Willkommensgeschenk an neue Besucher der Stadt. Altbekanntes und hin und wieder Verstecktes lauern hinter  jedem Umblättern. Die prachtvollen Elbterrassen läuten schon beim Betrachten den gelungenen Tagesabschluss ein bevor man überhaupt einen Schritt in die Stadt getan hat.

Jan Leglers Fotografien sind eine Liebeserklärung an seine Stadt. Hier wurde er geboren, hier wird er immer wieder fündig auf der Suche nach Motiven, die jeden Betrachter in ihren Bann ziehen.

Uwe Schieferdecker untermalt mit seinen prägnanten Sätzen diese Eindrücke. Und um den Weltruf Dresdens zu bestätigen sind die Texte zusätzlich in Englisch und Französisch verfasst. Fast könnte man mit dem Buch auf Reisen gehen und Werbung für das Elbflorenz machen…

Auf Entdeckertour in Dresden gehen ist ein Leichtes. Es gibt so viel, was sich finden lassen möchte. Dieser kleine Bildband ist ein Reisebegleiter, ein Appetitmacher und Erinnerungsstück zugleich an einen oder mehrere Tage in Dresden. Auch ideal zum Verschenken.

Abseits

Ein Pfiff. Jubelschreie. Verunsicherung. Abseits. Doch war es wirklich Abseits? Nein, darum geht es in Ulrich Rüdenauers Roman nicht. Auch wenn stellen weise das Wunder von Bern eine Rolle spielt.

Der Krieg ist Jahre her, aber noch lange nicht vergessen. Man spricht nicht darüber, nur über die, die in den eigenen (stets verschlossenen) Augen Schuld hatten. Rechtfertigungen sind ebenso präsent wie Verwandte abwesend sind. So wie die Eltern des kleinen Richard. Er wächst in den 50ern irgendwo im Süden Deutschland bei seinem Onkel, seiner Tante und deren Sohn auf. Ein hartes Leben mitten auf dem Land, Arbeit geht vor Bildung. So wird Richard schon mal für den Unterricht entschuldigt, weil er mit anpacken muss. So entgeht er wenigstens der Prügel. Dafür bekommt er emotionale Kälte vom Onkel zu spüren. Einen echten Ausweg scheint es für ihn nicht zu geben.

Wenn Richard einkaufen gehen soll, hat er meist einen Zettel dabei. So vergisst er nicht, was er holen soll. Bei Herrn Adler im Laden und Adam, seinem Angestellten, darf er ab und zu sogar mal mitarbeiten. Nägel und Schrauben abfüllen – kleine Arbeiten. Die ihm allerdings Lob und Anerkennung, zumindest eine Art von Zuneigung einbringen. Das ist für ihn mehr wert als jede Art von Lohn.

Richard spürt, dass er niemals dazugehören wird. Er ist der, der dem Onkel aufgezwungen wurde. Harte Zeiten, in denen man zusammenstehen muss. Muss, nicht will! Das Herumstromern im Wald mit dem Cousin ist in den Sommerferien einen schwacher Sonnenstrahl. Denn am Abend geht es zurück in die familiäre Kälte. Selbst als der Onkel einen Unfall erleidet – er war schlicht und ergreifend unvorsichtig als er das Pferd zu zügeln versuchte – ist Richards emotionales Loch nicht zu füllen. Der Onkel ist körperlich derangiert, Richard ist entsetzt als er ihn erblickt, als er mit in Krankenhaus muss – muss. Doch sein Solitärdasein wird dadurch nicht gemildert.

Ulrich Rüdenauer gelingt mit stringenter Wortwahl der lähmenden Stille der Nachkriegszeit eine eindringliche Stimme zu geben. Er klagt nicht an, Richard ist noch lange nicht so weit sich erheben zu können.

„Abseits“ sollte man sich ins Regal stellen und links und rechts noch Platz lassen für die hoffentlich kommenden Bücher des Autors. Ein Erstling, der derart ohne Getöse unter die Haut geht, ist selten.

Sonny Boy

Seit über einem halben Jahrhundert rätselt die Filmwelt wer, wenn nicht dieser eine Al Pacino könnte diese Rolle sonst noch formatfüllend spielen. Und seitdem lautet die Antwort: Niemand!

Kaum vorzustellen, dass dieser Leinwandgigant einmal die Hosen voll hatte und daran zweifelte, dass der eingeschlagene Weg Schauspieler zu werden eine Sackgasse sei. Marlon Brando, James Dean und Montgomery Clift – deren Talent konnte er einordnen. Aber als Dustin Hofmann in „Die Reifeprüfung“ ins Kino kam, war der junge Al Pacino eingeschüchtert. Zu diesem Zeitpunkt ist die Revolution in Hollywood im vollen Gange. Der Umbruch ist state of the art. Und Al Pacino aus der South Bronx, den seine Mutter von im Alter von drei Jahren mit ins Kino nahm, quält sich durch den Schauspielunterricht. Sein Lehrer ist schockiert wegen seiner Darstellungen im Unterricht. Kommilitonen sind begeistert. Wem soll er mehr Beachtung schenken?

Die Geschichte lehrt den Zuschauer, Regisseure und Produzenten, dass das Gelernte nur einen Teil des Schauspielers ausmacht. Als Schauspieler muss man selbst seinen Weg finden. Und sich finden lassen. Wer die Probeaufnahmen zu „Der Pate“ mit Diane Keaton gesehen hat, ist verblüfft. Dieses Milchgesicht soll einmal der rigoroseste Gangster der Filmgeschichte werden? Ja! Und niemand sonst hätte es so darstellen können.

Kurze Zeit später ist dieses Milchgesicht ein desillusionierter Cop mit Rauschebart, der der Korruption in den eigenen Reihen bedingungslos den Kampf ansagt. Dann ist er ein Bankräuber, der seinem Freund mit der erhofften Beute eine Geschlechtsumwandlung bezahlen will. Alles von nur einem Menschen verkörpert. Und wiederum die niederschmetternde Erkenntnis: Das kann nur einer spielen – Al Pacino!

Den Namen Sonny Boy bekam der kleine Al von seiner Mutter. Angelehnt an einen Schlager der Zeit. „Sonny Boy“ ist (s)eine Reminiszenz an (s)ein Leben, dass mit stotterndem Motor begann, doch mit Rasanz eine Fortsetzung fand, die niemand erahnen konnte. Er setzte sich gegen scheinbar unbesiegbare Heroen der Leinwand durch, stieg binnen weniger Jahre zu einem gottgleichen Titanen auf und verschwand immer wieder mal gern in der Versenkung, um seine eigenen Projekte in die Tat umzusetzen.

Ohne großartig Schlaglichter zu setzen blickt in diesem Buch ein Mann auf sein Leben zurück, dass einzigartig ist. Ruhig und besonnen, mit der Milde und der Weisheit des Alters, reist Al Pacino mit dem Leser durch mehr als ein halbes Jahrhundert Lebens- und Filmgeschichte. Anekdotenreich und mit dem Willen alles zu erzählen. Für Fans das lang ersehnte Glück, für Biographieleser eine Offenbarung.

Bitteres Blau – Neapel und seine Gesichter

Neapel sehen und … immer wieder zurückkommen, sich neu verlieben, das Kribbeln spüren. Maike Albath macht noch viel mehr. Sie saugt die Stadt auf, sie läuft sich von ihr aufsaugen. Sie trifft die, die schon lange nicht mehr da sind und die, die niemals von hier weggehen werden. Sie sieht Angst, aber auch die Hoffnung. Hoffnung worauf? Dass das Image der Stadt einmal ein anderes sein wird? Niemals! Der Charme der Stadt – ein von Teufeln bewohntes Paradies, wie Benedetto Croce sagte – baut auf den Anachronismus von Gut und Böse, von rau und sanft, von Verkommenheit und unendlicher Schönheit.

Wer einmal im Dezember-Nieselregen durch dunkle, enge Straßen ging, erlebt eine rohe Schönheit. Funktionalität stellen die Napoletaner selbst her. Und wenn man dann am Abend auf dem Bett liegt und den Tag Revue passieren lässt, wird einem bewusst, dass das Image der gefährlichen Stadt eben zu einem großen Teil ein Image ist. Ein Postkartenmotiv mit shabby chic. Und mit einer Seele, die keine Ruhe kennt.

Im Quartieri spagnoli ist der Fußball zuhause. Alle paar Ecken werden die Reviere mit Graffiti markiert. Jede Fanvereinigung (und es sind mehr als nu Fans vom SSC Napoli) schaut in seinem Abschnitt nach dem Rechten. Neuankömmlinge werden beobacht, gemustert und eingeschätzt. Nach ein paar Sichtungen weiß man hier aber auch Bescheid, wer wo und vielleicht auch wie lange in der Stadt weilen wird. Unangenehm ist es nur für denjenigen, der vor allem Fremden Angst hat. Alle Anderen werden willkommen geheißen.

Maike Albath schreitet über schwülstige Treppenaufgänge aber auch auf dem unebenen Pflaster der Stadt. Stimmengewirr versiegt nur bei Fußballspielen. Während der WM 2022 war es selbst am Markt an der Muro Maradona – einem Freiluftgelände, auf dem nur mit Devotionalien von Diego Armando Maradona gehandelt wird – muxmäuschenstill. Doch sofort nach Abpfiff kehrte das gewohnte Leben wieder zurück. Binnen Sekunden heulten Mopedmotoren, sprachen alle durcheinander, wurde jeder Spielzug noch einmal durchexerziert, war Napoli wieder Napoli. Der scudetto, die italienische Meisterschaft vom SSC wurde tagelang gefeiert. Kleinere und größere Betriebe waren tagelang geschlossen.

Mit Maike Albath eine italienische Stadt zu erkunden (sie war schon Reisebegleiterin in Rom, Turin und Palermo – ist eine Offenbarung. Durch Gassen, über Plätze, in Bars, auf offener Straße spricht sie mit Menschen, die Napoli ein Gesicht geben. Teuflisch gut – himmlisch verführerisch.

Wien und der Tod

Die lebenswerteste Stadt der Welt und der Tod – wie geht das zusammen? Bedingt das Eine das Andere? So hoch sollte man den Zusammenhang nun doch nicht hängen. Ja, Wien darf sich seit Jahren als die Stadt mit der höchsten Lebensqualität bezeichnen. Das liegt an dem offensichtlichen, stets verfügbaren kulturellen Angebot. Und dazu gehört nun mal in der Donaumetropole auch der Tod. Spätestens, wenn man nach Simmering fährt: Zum Zentralfriedhof. Letzte Ruhestätte für so manchen Promi, für die Lebenden ist der (uneingeschränkte) Zugang verboten. Ein Paradies zum Schlendern. Das haben wir es wieder: Das Jenseits gehört dann doch irgendwie zur Stadt dazu.

Peter Ahorner nimmt dem leidigen Thema Tod die Schwere in seinem kleinen schwarzen Büchlein. Anekdoten pflastern des Lesers Weg in die ewige Sehnsucht nach … Wien. Kein Angst, hier wird niemand vorzeitig „vom Banernen“ geholt. „A eckn muss ma a net mochn“. Und schon gar nicht !“a bankl reißen“. Diese Synonyme voller Poesie sind nur ein kleiner Spiegel des Umgangs der Wiener mit dem Tod.

Und heimtückisch ist dieses Büchlein auch nicht. Man weiß worum es geht, wird trotzdem überrascht, was man alles über den Tod in Wien herausfinden kann. Die Habsburger ließen sich gern mehrmals beerdigen. Nicht, um den Hinterbliebenen endlose Feierlichkeiten zu bescheren. Nein, ihre Körperteile wurden an verschiedenen Orten begraben, ausgestellt, verwahrt. Echter Besitzanspruch.

Wer Wien tiefergehend kennenlernen will, muss öfter mal Treppen hinabsteigen. Von der Kapuzinergruft bis hin zum Zentralen zu ebener Erde, breitet sich der Weg in die Ewigkeit vor dem Interessierten aus. So mancher lässt beim Kontemplativrundgang im Ohr Wolfgang Ambros erklingen („Es lebe der Zentralfriedhof“) – wer Lokalkolorit braucht, blättert in diesem Büchlein. Doch Vorsicht! An mancher Stelle kann man sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen.

Klein – schwarz – morbide – unterhaltsam: Die heilige Vierfaltigkeit des Todes in Wien trägt schwarz und hat ein Lesebändchen. Passt in jedes Reisegepäck und sorgt für vergnügliche wie informative Augenblicke. Kurz und knapp – so soll es sein. Das letzte Kapitel zum Thema ist mit diesem Buch geschrieben.

Cellini – Ein Leben im Furor

Wäre Benvenuto Cellini heute ein Superstar? Ein über alle Maßen erfolgreicher content creator, der mit allerlei Krimskrams auf sich aufmerksam machen würde? Er müsste es nicht! Denn er war ein begnadeter Goldschmied und Bildhauer. Seine Werke stehen im Louvre, in den Uffizien. Und sein Leben bietet Stoff gleich für mehrere Staffeln einer Serie. Nun war es die Gnade der frühen Geburt, dass er vom Social-Media-Hype verschont blieb – er wurde am 3. November 1500 geboren #cellini1500. Wäre auch ein guter Name für seine eigene Duftmarke.

Und von denen hatte er einige gesetzt. Mit 13 begann er eine Lehre zum Goldschmied. Die meisten seiner Follower versuchen heutzutage ihre mangelnde Hygiene mit angesagten Mittelchen zu kaschieren. Im Alter von 23 wird er wegen Sodomie verurteilt, also Sex mit etwas anderem, was keine Frau ist. So war das damals. Und außerdem hat er sich ganz ordentlich mit einem Mitglied einer anderen Goldschmiedefamilie geprügelt. Er flieht. Nach Rom. Dort spielt er auch im Orchester von Papst Clemens VII. die Flöte. Und bekommt erste Aufträge vom Stellvertreter Gottes auf Erden. Im Alter von 30 wird er zum Mörder – der Papst vergibt ihm.

Na, ist das genug Stoff für eine spannungsgeladene Biographie? Oh ja. Und es bleibt nicht dabei. Immer wieder muss Cellini fliehen. Roma, Mantua, Florenz, Pisa, Siena, Neapel, Frankreich. Immer wieder findet er sofort Anschluss. Erhält Aufträge der Machthaber. Viele seiner Arbeiten gehen verloren, werden vermutlich eingeschmolzen. Doch das, was erhalten bleibt, „Perseus“, „Nymphe von Fontainbleu“ und die „Saliera“, lässt noch heute jeden Besucher innehalten. Die Detailversessenheit ist wegweisend, prachtvoll, atemberaubend.

Andreas Beyer nimmt sich die erhaltenen Seiten der Vita von Cellini – er diktierte fleißig seine Leben einem Gehilfen – und bringt sie in eine moderne Form. Oberflächlich wird die Renaissance von einer Handvoll Künstlern bestimmt, wie Michelangelo und da Vinci. Cellini ist fast in Vergessenheit geraten. Wer will schon einem Mörder frönen?! Einem mehrfachen Mörder.

Was ist er nun, dieser Cellini? Genie, Wahnsinniger, Getriebener, Unbelehrbarer, Freigeist? Wohl eine zum großen Teil ungesunde Mischung aus allem. Von ganz oben protegiert, vom Leben ausgespuckt, von der Muse verschlungen. Dieses Buch ist ein Höllenbrand, der sich in Hirn brennt, und niemals gelöscht werden kann.

Kröners Gedichtekalender 2025

Da könnte man fast neidisch werden. Nein, man wird definitiv neidisch. Die Feinheit der Linien, die Schriftführung, die Klarheit der Worte – wer sich beim Anblick dieser Kalenderblätter zu einem Vergleich mit der eigenen Handschrift hinreißen lässt, muss starke Nerven haben. Und wer noch nie so recht erklären konnte, warum etwas schön ist, dem wird hier geholfen.

Doch das sind nur Äußerlichkeiten – wenn auch die Schönsten, denen man im Jahr 2025 begegnen wird. Schon das Titelblatt der insgesamt siebenundzwanzig Kalenderblätter – jeder Monat also mit mindestens zwei Blättern, doppelter Genuss! – gibt die Marschrichtung vor: Alles wird gut! Und wenn es mal nicht so gut läuft, hilft lesen! Der erste und wohl einzige Kalender, den man anschauen und durchlesen kann. Muss!

Von Hölderlin bis Biermann über Rilke und Morgenstern bis hin zu Ringelnatz und Droste-Hülshoff reichen die Wortgaben des Gedichtekalenders, handgeschrieben von Hubert Klöpfer.

Man fragt sich unweigerlich, ob die Gestaltung nun Arbeit oder Vergnügen war. Wahrscheinlich war die Arbeit ein echtes Vergnügen. Und wenn nicht, will man es auch nicht wissen. Der Gedanke, dass so etwas Schönes aus Arbeit erstanden ist, wird von der Vorstellung, dass Schönes nur aus reinem Antrieb heraus entstehen kann, überlagert.

Ein bisschen Poesie im Alltag tut jedem gut. Es ist ein Zeichen von Kultur Eduard Mörike und Gottfried Benn wiedergeben zu können. Das ist echte Traditionsbewahrung, ganz ohne Ressentiments und sinnfreies Dagegensein (nur, weil es einfacher ist als Lösungen anzubieten!). Dieser Kalender braucht keine grafische Untermalung, es ist Wortwucht und feinsinnige Gestaltungsfreiheit in Einem. Das (schön-)geschriebene Wort als Gestaltungsmittel gibt es nicht mehr so oft. Hier wird jedes Wort, jede Silbe, jeder Buchstabe, ja, jeder Federschwung mit Hingabe zelebriert, dass die Sinne in Schwingung geraten. Brillant!

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Kulturkalender für Baden und Württemberg

Ein Kalender zeigt einem immer an, was der Tag geschlagen hat. Er ist der Knoten im Taschentuch, das Eselsohr im Buch und in diesem Fall eine Zierde an der Wand. Und dieser Kalender ist darüber hinaus ein Wissenslückenfüller.

Die gebürtige Ulmerin Hildegard Knef – ja, die war gar keine „echte Berlinerin“, wie die meisten vermuten mögen – machte am 18. Januar 1951 von sich reden. Es war der Premierentag von „Die Sünderin“. Zum ersten Mal bekam das züchtige Darstellungen gewöhnte deutsche Kinopublikum das zu sehen, wonach es nie zu dürsten wagte: Nackte Haut. Nur kurz, aber ausreichend, um jeden noch so verbiesterten Sittenhüter auf den Plan zu rufen. Dabei war es doch nur das natürlichste von der Welt…

Natürlich, also eigentlich naturalistisch, ist das Attribut, das den Künstler Friedrich Wilhelm Baumeister umschreibt. Sein Hauptwerk „Das Unbekannte in der Kunst“ dient bis heute dazu Moderne Kunst zu umschreiben, zu erkennen und einzuordnen. Ein echter Schwob, dessen Geburtstag man am 22. Januar gedenken sollte.

Ob nun der Gründung des Müttergenesungswerkes durch Elly Heuss-Knapp, mutiger Frauen, die „ihrem Mann standen“ oder visionären Ingenieuren – das Jahr 2025 bietet vielerlei Anlässe sich der Großen aus zu erinnern. Immer akzentuiert in Szene gesetzt und mit einem kurzen Erklärtext bildet der „Kulturkalender für Baden und Württemberg“ einen echten Hingucker. Da freut man sich endlich mal auf den Beginn der Woche!

Wo andere Kalender durch optische Überreizung schnell ihren eigenen Reiz ob der Fülle ins Abseits stellen, folgt jedem Umblättern im Wochenrhythmus ein mindestens kleiner Aha-Effekt. Und manchmal ist das neue Kalenderblatt vielleicht sogar Anstoß, um sich neuen Themen zu nähern. Die Zeitspanne der Ereignisse, die in diesem Kalender hervorgehoben werden, umfasst mehrere Jahrhunderte. Von den Bauernkriegen bis hin zur Geburt des Astronauten Alexander Gerst, von kulturellen Uraufführungen bis hin zur jüngeren Geschichte eines ganzen Landes.

Fernab von monothematischen Kalendern bekommt man hier die volle Breitseite der Geschichte und der Kultur aus und nicht nur für Baden und Württemberg.