Es lag immer ein Schatten über der Erzählerin. Ein Schatten, der ihr die Sicht niemals verdunkelte, dennoch immer präsent war. Es war der Schatten ihres Vaters. Nun, da sich die Mutter den Ende ihres irdischen Daseins nähert, nimmt der Schatten immer öfter schärfere Konturen an. Ein Satz hier, eine Andeutung da. Sobald es konkret wird, blockt die Mutter ab. Bis ihr eines Tages ungewollt, ungeplant, doch erleichtert die Wahrheit herausrutscht: Der Mann, der als Vater die Tochter erzogen hat, ist nicht ihr Vater. Nicht ihr Erzeuger, um es genau zu sagen. Die Unschärfe der Vermutungen nimmt klare Formen an. Was nun?
Soll sie ihn suchen? Ihn ausfindig machen? Ihn zur Rede stellen? Warum? Was würde sich ändern? Doch nichts tun, ist auch keine Lösung. Die Legende, dass er auf der Straße zusammengebrochen ist und unter Fremden friedlich starb, ist ein wohlwollendes Bildnis, das ihr niemals Schmerzen bereitet hat. Soll sie Wunden an Stellen aufreißen, die bisher von jeder Pein verschont blieben.
Sie entschließt sich dem Vater näher zu kommen. Näher als sie ihm jemals war. Aber auf gar keinen Fall persönlich. Ihr Ausweg – wenn man es so bezeichnen will – ist dieses Buch: „Mein Vater, vielleicht“. Schatten und Licht begleiten von nun an sie und den Leser auf einer Spurensuche, die keine sichtbaren Spuren im eigentlichen Sinne hinterlassen wird. Es sind Spuren im Herzen, im Bauch, im Kopf, die Laura Forti in den Pfad des Ungewissen setzt.
Die Familiengeschichte ist stark von Religion geprägt. Die Familie ist jüdisch. Während der NS-Besatzung Italiens eine lebensgefährliche Situation. Die Mutter ist verliebt. Sie und der Mann an ihrer Seite leben in ständiger Gefahr. Als die Zeiten wieder besser werden, trennen sich die beiden. Sie telefonieren heimlich, haben ein geheimes Signal. Stehen ständig in Kontakt. Lauras Heranwachsen ist für ihren Vater, ihren leiblichen Vater kein Mysterium. Für alle anderen herum, ist er es umso mehr.
Laura Forti gehört zu den meist gespielten Dramatikerinnen im Ausland. Mit Leichtigkeit nähert sie sich einem Thema, das schwerer kaum wiegen kann. Es ist nur logisch, dass sie in der limone-Reihe des nonsolo-Verlages mit „Mein Vater, vielleicht“ eine gewichtige Rolle einnimmt. Das Leben im Moment bekommt mit diesem Buch eine bedeutende Komponente hinzugefügt. Kein rastloses Suchen, kein zu Tränen rührendes Finden, von Kitsch so gar keine Spur. Rational und dabei zugleich emotional tiefschürfend kreist ihre Vatersuche nur um den einen Gedanken nach Erlösung aus dem Kreislauf des ewigen Fragens.