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Hitlers Fotograf Heinrich Hoffmann

Der Name eignet sich erstaugenblicklich wohl nicht zum Star-Tum. Heinrich war zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts ein mehr als gebräuchlicher Name. Und Hoffmanns (mit all ihren Schreibvarianten) gab es auch wie Sand am Meer. Aber ist Heinrich Hoffmann deswegen einer unter vielen? Ganz im Gegenteil. Wahrscheinlich kennen ihn mehr Leute als er selbst vermuten würde … würde heute noch leben. Sein Werk ist millionenfach gesehen worden. Seine Fertigkeit, sein Ehrgeiz, seine Attitüde waren sein Kapital.

Heinrich Hoffmann war Hitlers Fotograf. Niemand kam ihm so nah wie er. Wo immer der Schnauzbart auftrat – Hoffmann war nicht weit. Immer die Kamera im Anschlag. Nur die Kamera. Doch war Hoffman wirklich nur der Fotograf, dessen Werk geschickt als Propaganda benutzt wurde? Mitnichten. Er profitierte selbst am meisten von seiner Arbeit.

Schon früh war Hoffmann von den Ideen der Nationalsozialisten angetan. Nicht nur aus unternehmerischem Kalkül, sondern aus tief verwurzelter Überzeugung. Er war kein Nachsprecher, der bereitwillig Propaganda verbreitete. Er musste nicht agitierte werden. Er war Nazi. Einer der ersten Stunde. Und er war ehrgeizig.

Als enger Vertrauter – und das war er zweifelsfrei – genoss der Privilegien wie kaum ein anderer. Das füllte nicht nur sein Herz, sondern vor allem auch seinen Geldbeutel. Der kleine Fotograf stieg schnell zum erfolgreichen Verleger auf. Sein Bilder, seine Rechte, seine Konten. Sein Aufstieg war steiler als so mancher rechter Arm in der dunkelsten Zeit Deutschlands, Europas und der Welt. Er war ein echter Influencer.

Sebastian Peters hat unzählige Stunde damit zugebracht Archive zu durchstöbern, Bildmaterial zu sichten, Schriften zu analysieren. Auf über sechshundert Seiten entstand so die erste umfangreiche Biographie einer der einflussreichsten und mehr oder weniger unbekannten Persönlichkeiten des Dritten Reiches.

Bis heute prägen Hoffmanns Bilder unser Bild von Nazideutschland. Ein Perspektivwechsel ist durch dieses Buch erstmalig möglich. Jede Einstellung, alles, was gezeigt wird und vor allem, was nicht gezeigt wird, war und ist Inszenierung von Hoffmanns Hand und Auge. Dessen muss man sich stets bewusst sein. Schnappschüsse gab es nicht. Und wenn doch, dann kann man es fast schon nicht mehr glauben. Aufarbeitung ist Schwerstarbeit. Und wenn heute Diktatoren medial auftauchen, stellt man sich immer wieder die Frage: „Soll das so sein?“. Es ist ein Anfang sich den Anfängen in den Weg zu stellen. Sebastian Peters’ Buch über Heinrich Hoffmann ist mehr als nur eine Biographie, es ist ein Wegweiser Propaganda die Masken herunterzureißen und die Dürftigkeit des Banalen bloßzustellen.

Ligurien

Berge oder Meer? Diese Frage stellt sich hier, in Ligurien, nicht! Beides. Am besten gleich nebeneinander. Küstenstraßen, die dem Beifahrer ein Ah! oder an mancher Stelle ein oooohh! entlocken werden – das ist Ligurien. Doch das ist noch lange nicht alles. Idyllische Bergdörfer mit Eckhäusern, deren Kanten regelmäßig von Bussen geschrammt werden. Das Festival in San Remo, das immer noch Stars hervorbringt. Die Metropole Genua, die mit ihrer einzigartigen Architektur aufwartet. Strände, die dafür gemacht zu sein scheinen, um Wasser und Meer miteinander zu verbinden. Auch das ist Ligurien – und auch das ist noch lange nicht alles.

Sabine Becht und Sven Talaron kennen die vielleicht nicht zwingend versteckten, dennoch fast unbekannten Schätzchen der Region. Einfach mal nach Borgio Verezzi suchen, im Buch ist das Seite Eins-Eins-Null. Zweitausendeinhundert Einwohner, ein Info-Büro, und etwas mehr als eine Seite im Reiseband. Da liest man dann von hinkenden Ziegen, verstummender Hektik und einer Tropfsteinhöhle – macht schon beim Lesen Appetit.

Und so geht das weiter auf den fast vierhundert Seiten dieses Reisebandes. Die Landschaft erstrahlt vor dem Auge des Lesers. Unruhig blättert man sich durch Schluchten der Palmenriviera (ja, die Blumenriviera ist nicht die einzige Riviera, kraxelt auf Hänge der Cinque terre, bereist Städte deren Namen wie Donnerhall das Herz höher schlagen lassen. Und zwischendrin immer wieder kleine Haltepunkte. Gelbe Infokästen, die selbst Einheimische ein Staunen ins Gesicht zaubern wird.

Die ausgeklügelten Touren sind gespickt mit Augenschmaus und lukullisch ist Ligurien eine Offenbarung. Das pesto genovese ist da nur die Spitze des Genusses.

Ligurien ist ein bisschen wie die Rolling Stones. Schon immer da und immer wieder überraschend überraschend. Alles schon mal gesehen und doch reizt es den Reisenden immer tiefer einzutauchen. Hier erfindet sic die Geschichte immer wieder neu. Schritt für Schritt taucht man in eine Region ein, die ihre Reize offen zeigt. Man muss nur wissen, wo man ausgetretene Pfade verlassen sollte, um noch wirklich Neues zu entdecken. Das erfahrene Autorenteam Becht/Talaron ist für diese Art des Reisens der ideale Wegweiser im wahrsten Sinne des Wortes. Doch Vorsicht: Vor lauter Wissbegier auch mal den Blick aus dem Buch in die Ferne und das Naheliegende richten!

Vom Glück des Umziehens

Da steht man in Paris vor dem Palais Royal, Rue de Beaujolais 9. Ein imposantes Gebäude. Und? Fertig! Ein weiterer Punkt auf der Liste der zu besichtigenden Dinge abgehakt. Kann man machen, muss man aber nicht. Wer da wohl drin wohnt? Wer da wohl mal drin gewohnt hat? Was war da los? Ging hier die Post ab oder fand einer der Bewohner hier sogar seinen Frieden – und das in mehrfacher Hinsicht? Dann zückt man dieses kleine rosa Büchlein. Und blättert noch einmal darin. Ah, hier hat Colette gewohnt, die letzten sechzehn Jahre ihres Lebens verbracht. Hier schrieb sie mit einer eigens für sie angefertigten Schreibunterlage. Sie war am Ende ihres Lebens ans Bett gefesselt. Nur körperlich. Und dann liest man, dass dies hier ihre letzte Wohnung ihres rastlosen Pariser Lebens war. Station Elf.

Ihre erste Wohnung in Paris war vom Sommer 1893 bis zum Herbst 1896 in der Rue Jacob 28. Auf geht’s zur ersten Adresse. Mit dem Auto dauert es 16 min, zu Fuß nur unbedeutend länger. Und dann steht man in einer engen Straße, in der parkende Autos jedes Weiterkommen verhindern. Links und rechts Geschäfte. Man schaut nach oben … diesen Ausblick hat Colette nicht gehabt. Ist ja auch mehr als hundert Jahre her seitdem die berühmte Autorin hier lebte. Aber man versteht warum sie hier leben wollte. Mitten im Leben. Ein wenig Grün fehlt. Das hat Colette – vielleicht nicht hier, doch an anderer Stelle immer selbst in die Hand genommen. Balkone und Hauseingänge waren vor ihrem Gründrang nicht sicher.

Der Anhang dieses Büchleins ist für reisende Leser wie lesende Reisende eine Fundgrube. Manche Adresse sieht heute komplett anders aus – die ursprünglichen Häuser gibt es nicht mehr. Als ausgemachter Colette-Fan wird dieser Tag in Paris unvergessen bleiben.

Elf Wohnungen in der Stadt der Liebe. Elf Tapetenwechsel. Und wenn es mal nicht für den Umzug reichte, dann wurden Möbel gerückt. Umzug Null Punkt Fünf. Die kleinen Geschichten in den vier oder mehr Wänden – je erfolgreicher sie wurde desto größer die Appartements, die Anzahl der Räume und somit auch die der Wände – füllen jede Sehnsucht nach Paris mit noch mehr Sehnsucht. Durch die Detailgetreue sind ihre Stationen auch heute noch nachvollziehbar. Wer jedoch erwartet im Quartier des Ternes, dass sich an den Arc de Triomphe anschließt, Austern für neun Sous zu bekommen, wird herb enttäuscht werden. Und das nicht nur, weil es den Sous nicht mehr gibt…

Die Geschichten vom Zwang Neues zu erleben, sich von Liebgewonnen zu trennen, sich immer wieder ins Abenteuer zu stürzen, sind bis heute ein Leseschmaus. Wohl auch deswegen lesen sie sich bis heute (fast hundert Jahr später) immer noch flüssig und nachvollziehbar. Nicht nur für Paris- und Collete-Fans.

Lago Maggiore

Italien darf sich rühmen eine eigene Art des Reisens entwickelt zu haben: Italienreisen. Obwohl es vorrangig die Engländer waren, die diesen Begriff mehr oder weniger bewusst geprägt haben. Sie kamen, staunten und machten Italienreisen zu einem Must-Have. Geballte Architektur-Ensemble, grandiose Ausblicke, fantastische Küche – und wo geht das wohl am besten? Überall! Aber wo geht es noch ein bisschen besterer? Am Lago. Klar, am Lago ist es immer am schönsten. Und an welchem Lago am schönstesten? Am Lago Maggoire!

Ja, es ist eine Binsenweisheit mit orthographischen Ungereimtheiten. Aber wer einmal am Lago Maggiore tief eingeatmet hat, den Blick schweifen ließ, der weiß, was damit gemeint ist. Für alle anderen gibt’s dieses Buch als Appetitmacher.

Zum Beispiel Stresa – beginnen wir am Anfang, denn hierher kamen die Engländer zuerst. Sie sahen die Borromäischen Inseln. Sie blickten über den See, sahen die Berge, genossen die Sonnenstrahlen. Und errichteten Paläste, die heute als Hotels den Glanz der guten alten Zeit zum Besten geben. Heruntergezogene Mundwinkel sucht man hier vergebens. Alles ein bisschen edler, ein bisschen feiner, reiner und erlebnisreicher.

Eberhard Fohrer und Marcus X. Schmid gehen auf Entdeckungsreise rund um einen der beeindruckendsten Seen Oberitaliens. Vom Schweizer Nordufer – Locarno und Ascona verheißen noblesse und Verwöhnprogramm erster Klasse – bis in den Süden, vorbei am benannten Stresa und den idyllischen Borromäischen Inseln. Doch es gibt noch mehr zu sehen. So viel, dass man erstaunt ist, dass alles, wirklich alles(!), auf reichlich dreihundertfünfzig Seiten Platz findet.

Egal ob man nun das Nordufer bevorzugt, dem Süden noch ein Stück näher kommen will, oder Links und Rechts des Sees auf Erkundungstour geht, es kommt immer darauf an, wo man die ausgetretenen Pfade verlässt. Denn eines steht fest: Allein ist man hier nur selten! Besonders im Sommer. Umso wichtiger ist es, dass man sich auf ein geschultes Auge und unkomplizierte Wissensvermittlung verlassen kann. Die beiden Autoren kann man getrost als alte Maggiore-Hasen bezeichnen. So manche Ecke, so mancher versteckte Schatz wurde durch sie gehoben und dem Publikum zur Begutachtung dargeboten. Wer’s nicht gelesen hat, der läuft eben da lang, wo die Anderen auch langlaufen. Wer außergewöhnliche Orte braucht, um sich erholen zu können, dem steht eine dreihundertachtundsechzigseitige Entdeckungsreise bevor, die erst so richtig beginnt, wenn die letzte Seite, der letzte Abschnitt, der letzte farbig abgesetzte Infokasten, die letzte Info, die letzte Karte gelesen sind. Doppelt reisen – erst lesend, dann per pedes oder mobil. Auf alle Fälle wird es nicht langweilig!

 

Es lebe die Republik!

Es ist nie zu spät noch dazuzulernen. Einem wie Thomas Mann konnte man das natürlich nicht direkt ins Gesicht sagen – dafür thronte er einfach zu hoch über den Lesern und Zuhörern. Aber es stimmt. War er einst ein glühender Verehrer der kämpferischen Auseinandersetzung, war die Ermordung Walther Rathenaus ein Wendepunkt im Denken des bis dahin stramm unpolitischen Schriftstellers.

„Es lebe die Republik!“, der Satz. Ort: Der Beethovensaal der Alten Philharmonie in Berlin. Zeit: Oktober 1922. Anwesend waren unter anderem Gerhard Hauptmann, Literatur-Nobelpreisträger und Vater Ebert, wie ihn Thomas Mann nicht müde werdend immer wieder nannte, Friedrich Ebert, Reichspräsident.

Und das, was er zu sagen hatte, ließ die Kritiker erzürnen, die Vaterlandsliebenden ihn als Verräter kennzeichnen und Demokarten ihn ins Herz schließen. Kalkül oder Überzeugung? Beides.

Wer Thomas Mann nur als den über allen schwebenden gesamtdeutschen Schriftsteller-Übergott sieht, wird überrascht sein, dass ausgerechnet dieser Grübler, dieser stets überlegende Mensch einst deutsche Freikorps mit strammen Winkehändchen in den Krieg verabschiedete und dem der deutsche König näher war als die Rätestände.

Vom Saulus zum Paulus? Mitnichten! Thomas Mann war ein Kopfmensch. Gedanken, und seien sie erst einmal nur gespielt, waren sein Metier. Bauchentscheidungen gab es nicht. Alles hatte Hand und Fuß. Disziplin galt mehr als Gefühlsleitstände.

Kurt Oesterle ist Thomas-Mann-Experte, der sich nicht vor einer Bücherwand ablichten lassen muss, um ernstgenommen zu werden. Er nimmt den Ausruf „Es lebe die Republik!“ zum Anlass die Wandlung Thomas Manns unter die Lupe zu nehmen. Heimat, Demokratie, Vertreibung, aber auch Mannsche Anmaßung sind nur einige Eckpunkte, die er ins Feld führt, um in einem Versuch wie er es nennt, ein weiteres Schlaglicht auf den großen deutschen Dichter zu werfen. Es hilft bei der Lektüre sich ein wenig im Werk Manns auszukennen. Doch auch ohne die Verlinkungen von Haupt- und Nebencharakteren Bescheid zu wissen, wird schnell klar, wie allgemeingültig die Gedankengänge Thomas Manns waren. Und wie aktuell!

Wer sich in seinem Leseleben durch die Literatur gelesen, Tagebücher, Aufsätze und Reden aufgesogen hat, der wird ein ums andere Mal in den Zeilen Bestätigung finden und hier und da Erstaunliches entdecken.

Fünf unlösbare Rätsel der Mathematik

„Eins und Eins, das macht Zwei … denn Denken schadet der Illusion“ – Na bitte. Da haben wir’s! Der schwere Kopf, der in jungen Jahren im Matheunterricht auf die Tischplatte sank, war die logische Konsequenz (und niemals falsch!) auf das, was da im Lehrbuch oder an der Tafel stand. Mathe kann so einfach sein!

Spaß beiseite! Ja, Mathe kann einfach sein. Aber nicht immer. Will man beispielsweise einen Behälter mit einem Kubikmeter Fassungsvermögen bauen, müssen die Innenseiten jeweils einen Meter lang sein. Und bei zwei Kubikmetern? Sind die Innenseiten dann zwei Meter lang? Nö. Nur in der Kneipe beim x-ten Bierchen, wenn das Denkvermögen irgendwo zwischen Eichstrich und Pinkelpause verloren gegangen ist.

Kehr am nächsten Tag der Denkalltag wieder ein, könnte man sich diesem Problem zuwenden. Allein der Rechenweg (drei Seitenlängen Malnehmen) zeigt die Schwierigkeit auf exakt zwei Kubikmeter zu erlangen. Es bleibt immer etwas übrig. So ungefähr ein kleines bis größeres Bierchen – womit sich aber keineswegs der Kreis schließt.

Fragt man Edmund Weitz, der ist Mathematiker, wird auch er keine zufriedenstellende Antwort parat haben. Aber er weiß, dass es sich dabei um das Delische Problem handelt. Das kennt man schon seit Jahrtausenden. Trotz Taschenrechner, ultraschneller Computer und seitdem erlangtem Wissen, ist es bis heute nicht möglich die exakten Längen des Zwei-Kubikmeter-Behälters zu berechnen. Und selbst wenn, wie soll man das denn dann auch noch herstellen. Also gibt’s immer einen Zuschlag.

Mathematik heißt „Kunst des Lernens“ – so die Altgriechen, die die Mathematik nicht erfunden haben, aber ihr (sie also weiblich?!) einen Namen gegeben haben.

Mit Hingabe und sehr unterhaltsam beschreibt Edmund Weitz von fünf Problemen, die die Mathematik – nicht nur nach heutigem Wissensstand – niemals beweisbar lösen kann. Es ist die Quadratur des Kreises. Manches kann man einfach nicht lösen – viele kennen das … aber aus anderen Bereichen…

Dieses Buch ist sicher kein Buch, das man ab und zu in die Hand nimmt, ein paar Seiten liest und dann wieder beiseitelegt. Nein! Auch wenn man die Lösung kennt (dass es keine Lösung gibt), ist es doch spannend zu erfahren wie die Mathematiker seit Jahrtausenden sich daran die Zähne ausbeißen, ohne das dabei Schadenfreude aufkommt. Grenzen ausloten, und trotzdem nicht aufgeben – darin liegt der Reiz des Forschens. Und des Lesens!

Apulien

Fernab der Klischees von den typischen Rundbauten, den Trulli, dem immer warmen Badewetter und einer unüberschaubaren Anzahl von architektonischen Kostbarkeiten reist Reisebuch-Autor Andreas Haller durch einen Landstrich, der einen fast das Blinzeln vergessen lässt.

Da sind die großen Städte Bari und Lecce. Wer noch nicht dort war, bekommt schon nach wenigen Zeilen eine ziemlich exakte Vorstellung von dem, was da vor dem Auge erscheint, ist man schon bald in einer dieser Städte. Viel Hintergrundinformation für das, was im Vordergrund steht. Nicht nur in den gelben Kästen, die dem Leser Historie und Histörchen als Wegbegleiter und –bereiter dienen. Da ist für jeden was dabei. Tipps für die Unterkunft oder den schnellen und großen Hunger, Einkaufstipps – vor allem aber das komplette Programm für den Tag, um nichts zu verpassen. Jeder einzelne Abschnitt ist klar gegliedert, inkl. kleiner Hilfestellung wie sehr man dies oder das besuchen wollte.

Das Buch arbeitet sich von Norden nach Süden durch Apulien. Und dann immer im Wechsel von Küste und Hinterland. Da weiß man oft gar nicht wo man anfangen soll. Auch hier ist dieser Reiseband, immer hin schon die elfte Auflage, ein nützlicher Ratgeber. Denn wer nun wirklich gar keine Vorstellung hat, was er in Apulien besuchen möchte, liest sich einfach von Anfang bis Ende durch das Buch. Fündig wird man auf jeden Fall. Und Spannung und Vorfreude sind garantiert.

Dass am Anfang eines neuen Kapitels, das Buch ist in sechs Regionen unterteilt, schon die ersten Kurzzusammenfassungen wie kleine Appetithappen auf den hungrigen Leser warten, ist ein echter Segen. Besonders die Tipps zum Reisen vor Ort – wie gut kommt man denn nun von A nach B? etc. – sind echte Alleinstellungsmerkmale auf dem Reisebuchmarkt. Alles noch einmal kompakt zusammengefasst am Ende des Buches.

Bei all der Fülle an sorgsam beschriebenen Höhepunkten darf man nie aus den Augen lassen, dass das Buch der Wegweiser ist. Anschauen ist wichtiger, genießen ist Gesetz. Den Reiseband beiseite zu legen ist mindestens so frevelhaft wie ihn im Gepäck zu lassen. Griffbereit sollte er immer sein. Egal wie man unterwegs ist, per pedes, per Rad, mit dem Bus, dem Zug oder im Auto. Die lockere Sprache ohne dabei den Ernst des (Er-)Lebens aus dem Blick zu verlieren, passt in das Lebensgefühl an der unteren Rückseite des Stiefels. Wer A sagt, muss auch pulien sagen. Wer A sagt, muss auch ndreas Haller vertrauen. Er reiste 2024 mehrmals nach Apulien, um der Neuauflage das Neueste hinzuzufügen, Bewährtes zu aktualisieren und neue Wege zu beschreiten. Vor allem Pedalisten werden hier auf ihre Kosten kommen. Elf Wanderungen runden den Reiseband ab. Allesamt für jedermann zu bewältigen. GPS-Koordinaten im Buch sind mehr als nur bloße Festhaltepunkte zum Entlanghangeln. Und für Puristen gibt’s wie immer die faltbare Karte zum Herausnehmen und im Buch zahlreiche Karten und Pläne. Wer nun immer noch nicht weiß, was er in Apulien machen soll … dem ist … nein … der liest das Buch einfach noch mal.. Die Erkenntnis kommt garantiert!

Briefe aus der Asche

Im Januar 2025 jährt sich zum sechzigsten Mal die Befreiung der Gefangenen im Konzentrationslager Auschwitz. Wieder werden Politiker der unmenschlichen Bedingungen und Schandtaten gedenken und große Worte finden. Bis heute ist das ehemalige deutsche Lager auf heutigem polnischem Boden ein zahlreich besuchter Ort, der das Gedenken in Ehren hält. Ein Wissenschaftlerteam ist immer noch damit beschäftigt die Abläufe dar- und Exponate im gerechten Licht auszustellen. Ein Ort, an dem man innehält – ganz automatisch.

Pavel Polian ist Historiker, Geograph und Philologe. Er hat die Grausamkeiten dank der Gnade der späteren Geburt nicht miterleben müssen. Er forscht seit Jahrzehnten zu den Gräueltaten, die hier passierten. So erfuhr er auch von heimlichen Mitschriften der Sonderkommandos in Auschwitz. In diesen Sonderkommandos wurden Gefangene, meist Juden, dazu gezwungen beispielsweise die Asche der Verbrannten zu beseitigen, Leichen auf Karren in die Gruben zu bringen. Sie hatten Sondervergünstigungen. Was es ihnen auch ermöglichte Skizzen zu zeichnen, teils sogar Fotos zu machen, vor allem aber Aufzeichnungen vorzunehmen. Diese Schriften aus der Asche versteckten sie. Erst Jahre, manchmal Jahrzehnte später wurden sie entdeckt, in Laboren untersucht, entziffert und entschlüsselt. Einige Namen der fast zweitausend Zwangsarbeiter in den Sonderkommandos sind bekannt. Erstmals sind in einem Band die Erkenntnisse der Forschungen und die fast kompletten Abschriften zusammengefasst.

Der erste Teil des Bandes ist der wissenschaftliche Teil. Statistiken, Einordnungen der Strukturen sowie die menschenverachtende Sprache werden hier anschaulich dargestellt. So sehr, dass es einen immer wieder verwundert, dass es immer noch Leugner gibt, und willfährige Helfer immer noch deren krude Theorien als Wahrheit annehmen. Und noch widerwärtiger sind die Günstlinge, die aus dieser Verblendung Kapital schlagen wollen – meist sogar im wörtlichen Sinne.

Für den zweiten Teil braucht man starke Nerven. Denn die Niederschriften von Salmen Gradowski, Lejb Langfuß, Salmen Lewenthal, Herman Strasfogel, Marcel Nadjari und Abraham Levite sind der Horror in Buchstaben. Führt man sich allein schon vor Augen wie diese Sonderkommandos zusammengestellt worden, dreht sich einem der Magen um. Sie alle wussten, was in den Gaskammern passiert. Landsleute, Freunde, Fremde, Familienangehörige wurden durch Vergasung ums Leben gebracht. Ihre Schreie stecken noch heute in den Wänden. Und dann soll man dort wider für Ordnung sorgen, damit der Menschenmord weitergeht? Keine Chance für Verweigerung! Und dann diese Chroniken. Teils sachlich, teils emotional, immer jedoch wahrhafte Zeugnisse.

„Briefe aus der Asche“ ist ein Mahnmal. Mehr muss man nicht dazu sagen. Man muss es lesen. Das verstehen kommt von ganz allein.

Musik in Wien

Wien, Neustiftgasse Ecke Kellermanngasse. Ein Hauch von Melodik macht sich breit. Die Ersten zögern, bleiben stehen. Dann bricht es aus ihnen heraus: „Oh Du lieber Augustin, Augustin…“. Was ist geschehen? Sie haben das Denkmal vom lieben Augustin entdeckt. Er hat die Nacht in einer Pestgrube überlebt. Schlawiner oder Glückspilz? Das Lied ist bekannt, auch über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus. Den Grundstein für die Allianz von Musik und Wien hat es bestimmt nicht gelegt, ist aber mindestens genauso eng damit verbunden wie Hietzings bekannteste Mieter: Liszt, Strauss, Beethoven. Apropos Beethoven. Will man Wien zu Fuß auf seinen Stationen folgen, muss man sich gut rüsten. Der gute Mann ist andauernd umgezogen. Mal „nur schräg gegenüber“, mal „gleich ans andere Ende der Stadt“. Ein echter Marathon, der wie so viele Stadtrundgänge auf den Spuren großer Namen (meistens sind es dann doch Musiker, zumindest Künstler) auf dem Zentralen enden.

Peter Rupperts „Musik in Wien“ ist der ultimative Reiseband für alle Musikfreunde, die in Wien schon so manche Ecke erkundet haben und die man nur schwer noch beeindrucken kann. Das geballte Musikwissen der Stadt in einem Buch – Freud und Leid, Hoffnung und Verzweiflung, triumphale Erfolge und nicht minder bittere Niederlagen und Tumulte. Es sind die kleinen Anekdoten, die dieses Buch so besonders machen.

Und wer weiß schon, dass auch Alma Mahler-Werfel selbst komponierte? Ihre Werke sind leider größtenteils verschollen. Dachbodenfunde zu bestimmten Jubiläen sind also nicht ausgeschlossen.

Auch begnügt sich Peter Ruppert nicht damit nur all die großen Namen aufzuzählen und ihnen auf der Spur zu bleiben. Sie alle hatten Schüler und Verehrer, die ihnen nachreisten oder schon da waren. Haydn lehrte Beethoven. Es passt nicht, geht sich nicht aus. Beethoven grübelt, wettert gegen den Alten. Sucht Rat bei Johann Georg Albrechtsberger. Doch auch der ist mit dem ungestümen Rheinländer überfordert. Später wird Albrechtsberger auf Anraten von Mozart Domkapellmeister zu St. Stephan. Im Wiener Stadtteil Meidling, im Zwölften, ist eine Gasse nach ihm benannt.

Augen auf beim Wienbummel. Immer wieder, fast schon an jeder Ecke, trifft man auf Namen, die der Stadt ein gewisses Flair gaben. Doch das hörte nicht einfach mit dem Ende des Walzerzeitalters oder des Kaiserreiches oder gar mit dem Ende der klassischen Musik auf. Moderne Komponisten wie Arnold Schönberg oder Alban Berg übernahmen den Ruhm ihrer Vorgänger nahtlos. Der Zeitungsausschnitt im Buchklappentext über ein Konzert mit moderner Musik lässt die „ausgelöste Stimmung“ bis heute erahnen – das als Watschenkonzert in die Geschichte eingegangene Ereignis gehört zu Wien wie Falcos „Vienna Calling“ oder Wolfgang Ambros’  „Es lebe der Zentralfriedhof“. Ihnen allen widmet sich dieses Buch und wird für jeden, der mit einem Liedchen auf den Lippen, mit der unstillbaren Neugier eines Wientouristen, ohne Bedenken sich der Stadt hingeben will, zu einem dienlichen Begleiter.

Teneriffa

Und immer wieder die Kanaren: Das trubelige Gran Canaria, das verträumte Lanzarote und das stachelige Teneriffa. Das stachelige Teneriffa? Soll das Titelbild dieses Reisebandes etwa ein Hinweis auf die Undurchdringbarkeit der Insel hinweisen? Mitnichten. Denn Irene Börjes schlägt Schneisen ins Dickicht des Unbekannten, das einem die Augen übergehen. Wer sich für Teneriffa entscheidet, tut das in dem Bewusstsein Natur und Mensch sich gleichermaßen anzunähern. Hier steht man sich nicht gegenüber, hier geht man Hand in Hand und erlebt die schönste Zeit des Jahres.

Das kann zum Beispiel beim Lucha Canaria geschehen. Wer sich beim allabendlichen Fernsehen die Sinne schon mal beim Wrestling versengt hat, dem ist Lucha Libre ein Begriff. Die mexikanische Variante des Wrestlings, mit viel Show, Tamtam und bunten Kostümen. Weniger Show, trotzdem viel Tamtam und echter Leidenschaft stehen sich Mann gegen Mann und auch schon mal Frau gegen Frau gegenüber. Man reicht sich die Hand. Brega – es geht los. Wer nun mit einem anderen Körperteil als dem Fuß den Boden berührt, hat verloren. Es gibt sogar eine Liga. Und für die meisten ist erst dann Wochenende, wenn lucha canaria die Menschen zusammenbringt. Ein Spektakel, das man sich als Besucher nicht entgehen lassen sollte.

Teneriffa kann sich außerdem rühmen die höchste Erhebung Spaniens zu besitzen, den Teide. Kann man relativ einfach erklimmen. Aber Vorsicht, hier zieht’s, an den Klamotten, an der Kondition, manchmal auch und gerade deswegen an den Nerven. Wie, wann, von wo man am besten nach Oben kommt – hier steht’s, ab Seite 170, in der zehnten Auflage dieses Reisebandes ohne den man die Insel gar nicht erst zu besuchen braucht. Mehr als in diesem Buch steht, weiß sicherlich auch kein Einheimischer!

Costa del Silencio verspricht schon vom Namen her eintönige Ruhe, die man nicht lange suchen muss. Quirliger, aber nicht abgeschmackt geht es in Los Cristianos zu. Die Beats der Retortenorte Playa de las Américas und Costa Adeje hinter sich lassend, ist man hier noch lange nicht im Nirgendwo. Aber alles ist ein bisschen ruhiger und dennoch städtisch angenehm erschlossen.

Egal, wo man sich auf Teneriffa wie auch immer erholen möchte, die Tipps von Irene Börjes treffen jedes Mal mitten ins Herz des Begehrens. Die farbigen Kästen machen nicht nur das Buch bunter, sondern auch den Aufenthalt. Wie sonst sollte man sonst vom lucha canaria erfahren?!