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Es lebe die Republik!

Es ist nie zu spät noch dazuzulernen. Einem wie Thomas Mann konnte man das natürlich nicht direkt ins Gesicht sagen – dafür thronte er einfach zu hoch über den Lesern und Zuhörern. Aber es stimmt. War er einst ein glühender Verehrer der kämpferischen Auseinandersetzung, war die Ermordung Walther Rathenaus ein Wendepunkt im Denken des bis dahin stramm unpolitischen Schriftstellers.

„Es lebe die Republik!“, der Satz. Ort: Der Beethovensaal der Alten Philharmonie in Berlin. Zeit: Oktober 1922. Anwesend waren unter anderem Gerhard Hauptmann, Literatur-Nobelpreisträger und Vater Ebert, wie ihn Thomas Mann nicht müde werdend immer wieder nannte, Friedrich Ebert, Reichspräsident.

Und das, was er zu sagen hatte, ließ die Kritiker erzürnen, die Vaterlandsliebenden ihn als Verräter kennzeichnen und Demokarten ihn ins Herz schließen. Kalkül oder Überzeugung? Beides.

Wer Thomas Mann nur als den über allen schwebenden gesamtdeutschen Schriftsteller-Übergott sieht, wird überrascht sein, dass ausgerechnet dieser Grübler, dieser stets überlegende Mensch einst deutsche Freikorps mit strammen Winkehändchen in den Krieg verabschiedete und dem der deutsche König näher war als die Rätestände.

Vom Saulus zum Paulus? Mitnichten! Thomas Mann war ein Kopfmensch. Gedanken, und seien sie erst einmal nur gespielt, waren sein Metier. Bauchentscheidungen gab es nicht. Alles hatte Hand und Fuß. Disziplin galt mehr als Gefühlsleitstände.

Kurt Oesterle ist Thomas-Mann-Experte, der sich nicht vor einer Bücherwand ablichten lassen muss, um ernstgenommen zu werden. Er nimmt den Ausruf „Es lebe die Republik!“ zum Anlass die Wandlung Thomas Manns unter die Lupe zu nehmen. Heimat, Demokratie, Vertreibung, aber auch Mannsche Anmaßung sind nur einige Eckpunkte, die er ins Feld führt, um in einem Versuch wie er es nennt, ein weiteres Schlaglicht auf den großen deutschen Dichter zu werfen. Es hilft bei der Lektüre sich ein wenig im Werk Manns auszukennen. Doch auch ohne die Verlinkungen von Haupt- und Nebencharakteren Bescheid zu wissen, wird schnell klar, wie allgemeingültig die Gedankengänge Thomas Manns waren. Und wie aktuell!

Wer sich in seinem Leseleben durch die Literatur gelesen, Tagebücher, Aufsätze und Reden aufgesogen hat, der wird ein ums andere Mal in den Zeilen Bestätigung finden und hier und da Erstaunliches entdecken.

Fünf unlösbare Rätsel der Mathematik

„Eins und Eins, das macht Zwei … denn Denken schadet der Illusion“ – Na bitte. Da haben wir’s! Der schwere Kopf, der in jungen Jahren im Matheunterricht auf die Tischplatte sank, war die logische Konsequenz (und niemals falsch!) auf das, was da im Lehrbuch oder an der Tafel stand. Mathe kann so einfach sein!

Spaß beiseite! Ja, Mathe kann einfach sein. Aber nicht immer. Will man beispielsweise einen Behälter mit einem Kubikmeter Fassungsvermögen bauen, müssen die Innenseiten jeweils einen Meter lang sein. Und bei zwei Kubikmetern? Sind die Innenseiten dann zwei Meter lang? Nö. Nur in der Kneipe beim x-ten Bierchen, wenn das Denkvermögen irgendwo zwischen Eichstrich und Pinkelpause verloren gegangen ist.

Kehr am nächsten Tag der Denkalltag wieder ein, könnte man sich diesem Problem zuwenden. Allein der Rechenweg (drei Seitenlängen Malnehmen) zeigt die Schwierigkeit auf exakt zwei Kubikmeter zu erlangen. Es bleibt immer etwas übrig. So ungefähr ein kleines bis größeres Bierchen – womit sich aber keineswegs der Kreis schließt.

Fragt man Edmund Weitz, der ist Mathematiker, wird auch er keine zufriedenstellende Antwort parat haben. Aber er weiß, dass es sich dabei um das Delische Problem handelt. Das kennt man schon seit Jahrtausenden. Trotz Taschenrechner, ultraschneller Computer und seitdem erlangtem Wissen, ist es bis heute nicht möglich die exakten Längen des Zwei-Kubikmeter-Behälters zu berechnen. Und selbst wenn, wie soll man das denn dann auch noch herstellen. Also gibt’s immer einen Zuschlag.

Mathematik heißt „Kunst des Lernens“ – so die Altgriechen, die die Mathematik nicht erfunden haben, aber ihr (sie also weiblich?!) einen Namen gegeben haben.

Mit Hingabe und sehr unterhaltsam beschreibt Edmund Weitz von fünf Problemen, die die Mathematik – nicht nur nach heutigem Wissensstand – niemals beweisbar lösen kann. Es ist die Quadratur des Kreises. Manches kann man einfach nicht lösen – viele kennen das … aber aus anderen Bereichen…

Dieses Buch ist sicher kein Buch, das man ab und zu in die Hand nimmt, ein paar Seiten liest und dann wieder beiseitelegt. Nein! Auch wenn man die Lösung kennt (dass es keine Lösung gibt), ist es doch spannend zu erfahren wie die Mathematiker seit Jahrtausenden sich daran die Zähne ausbeißen, ohne das dabei Schadenfreude aufkommt. Grenzen ausloten, und trotzdem nicht aufgeben – darin liegt der Reiz des Forschens. Und des Lesens!

Apulien

Fernab der Klischees von den typischen Rundbauten, den Trulli, dem immer warmen Badewetter und einer unüberschaubaren Anzahl von architektonischen Kostbarkeiten reist Reisebuch-Autor Andreas Haller durch einen Landstrich, der einen fast das Blinzeln vergessen lässt.

Da sind die großen Städte Bari und Lecce. Wer noch nicht dort war, bekommt schon nach wenigen Zeilen eine ziemlich exakte Vorstellung von dem, was da vor dem Auge erscheint, ist man schon bald in einer dieser Städte. Viel Hintergrundinformation für das, was im Vordergrund steht. Nicht nur in den gelben Kästen, die dem Leser Historie und Histörchen als Wegbegleiter und –bereiter dienen. Da ist für jeden was dabei. Tipps für die Unterkunft oder den schnellen und großen Hunger, Einkaufstipps – vor allem aber das komplette Programm für den Tag, um nichts zu verpassen. Jeder einzelne Abschnitt ist klar gegliedert, inkl. kleiner Hilfestellung wie sehr man dies oder das besuchen wollte.

Das Buch arbeitet sich von Norden nach Süden durch Apulien. Und dann immer im Wechsel von Küste und Hinterland. Da weiß man oft gar nicht wo man anfangen soll. Auch hier ist dieser Reiseband, immer hin schon die elfte Auflage, ein nützlicher Ratgeber. Denn wer nun wirklich gar keine Vorstellung hat, was er in Apulien besuchen möchte, liest sich einfach von Anfang bis Ende durch das Buch. Fündig wird man auf jeden Fall. Und Spannung und Vorfreude sind garantiert.

Dass am Anfang eines neuen Kapitels, das Buch ist in sechs Regionen unterteilt, schon die ersten Kurzzusammenfassungen wie kleine Appetithappen auf den hungrigen Leser warten, ist ein echter Segen. Besonders die Tipps zum Reisen vor Ort – wie gut kommt man denn nun von A nach B? etc. – sind echte Alleinstellungsmerkmale auf dem Reisebuchmarkt. Alles noch einmal kompakt zusammengefasst am Ende des Buches.

Bei all der Fülle an sorgsam beschriebenen Höhepunkten darf man nie aus den Augen lassen, dass das Buch der Wegweiser ist. Anschauen ist wichtiger, genießen ist Gesetz. Den Reiseband beiseite zu legen ist mindestens so frevelhaft wie ihn im Gepäck zu lassen. Griffbereit sollte er immer sein. Egal wie man unterwegs ist, per pedes, per Rad, mit dem Bus, dem Zug oder im Auto. Die lockere Sprache ohne dabei den Ernst des (Er-)Lebens aus dem Blick zu verlieren, passt in das Lebensgefühl an der unteren Rückseite des Stiefels. Wer A sagt, muss auch pulien sagen. Wer A sagt, muss auch ndreas Haller vertrauen. Er reiste 2024 mehrmals nach Apulien, um der Neuauflage das Neueste hinzuzufügen, Bewährtes zu aktualisieren und neue Wege zu beschreiten. Vor allem Pedalisten werden hier auf ihre Kosten kommen. Elf Wanderungen runden den Reiseband ab. Allesamt für jedermann zu bewältigen. GPS-Koordinaten im Buch sind mehr als nur bloße Festhaltepunkte zum Entlanghangeln. Und für Puristen gibt’s wie immer die faltbare Karte zum Herausnehmen und im Buch zahlreiche Karten und Pläne. Wer nun immer noch nicht weiß, was er in Apulien machen soll … dem ist … nein … der liest das Buch einfach noch mal.. Die Erkenntnis kommt garantiert!

Briefe aus der Asche

Im Januar 2025 jährt sich zum sechzigsten Mal die Befreiung der Gefangenen im Konzentrationslager Auschwitz. Wieder werden Politiker der unmenschlichen Bedingungen und Schandtaten gedenken und große Worte finden. Bis heute ist das ehemalige deutsche Lager auf heutigem polnischem Boden ein zahlreich besuchter Ort, der das Gedenken in Ehren hält. Ein Wissenschaftlerteam ist immer noch damit beschäftigt die Abläufe dar- und Exponate im gerechten Licht auszustellen. Ein Ort, an dem man innehält – ganz automatisch.

Pavel Polian ist Historiker, Geograph und Philologe. Er hat die Grausamkeiten dank der Gnade der späteren Geburt nicht miterleben müssen. Er forscht seit Jahrzehnten zu den Gräueltaten, die hier passierten. So erfuhr er auch von heimlichen Mitschriften der Sonderkommandos in Auschwitz. In diesen Sonderkommandos wurden Gefangene, meist Juden, dazu gezwungen beispielsweise die Asche der Verbrannten zu beseitigen, Leichen auf Karren in die Gruben zu bringen. Sie hatten Sondervergünstigungen. Was es ihnen auch ermöglichte Skizzen zu zeichnen, teils sogar Fotos zu machen, vor allem aber Aufzeichnungen vorzunehmen. Diese Schriften aus der Asche versteckten sie. Erst Jahre, manchmal Jahrzehnte später wurden sie entdeckt, in Laboren untersucht, entziffert und entschlüsselt. Einige Namen der fast zweitausend Zwangsarbeiter in den Sonderkommandos sind bekannt. Erstmals sind in einem Band die Erkenntnisse der Forschungen und die fast kompletten Abschriften zusammengefasst.

Der erste Teil des Bandes ist der wissenschaftliche Teil. Statistiken, Einordnungen der Strukturen sowie die menschenverachtende Sprache werden hier anschaulich dargestellt. So sehr, dass es einen immer wieder verwundert, dass es immer noch Leugner gibt, und willfährige Helfer immer noch deren krude Theorien als Wahrheit annehmen. Und noch widerwärtiger sind die Günstlinge, die aus dieser Verblendung Kapital schlagen wollen – meist sogar im wörtlichen Sinne.

Für den zweiten Teil braucht man starke Nerven. Denn die Niederschriften von Salmen Gradowski, Lejb Langfuß, Salmen Lewenthal, Herman Strasfogel, Marcel Nadjari und Abraham Levite sind der Horror in Buchstaben. Führt man sich allein schon vor Augen wie diese Sonderkommandos zusammengestellt worden, dreht sich einem der Magen um. Sie alle wussten, was in den Gaskammern passiert. Landsleute, Freunde, Fremde, Familienangehörige wurden durch Vergasung ums Leben gebracht. Ihre Schreie stecken noch heute in den Wänden. Und dann soll man dort wider für Ordnung sorgen, damit der Menschenmord weitergeht? Keine Chance für Verweigerung! Und dann diese Chroniken. Teils sachlich, teils emotional, immer jedoch wahrhafte Zeugnisse.

„Briefe aus der Asche“ ist ein Mahnmal. Mehr muss man nicht dazu sagen. Man muss es lesen. Das verstehen kommt von ganz allein.

Musik in Wien

Wien, Neustiftgasse Ecke Kellermanngasse. Ein Hauch von Melodik macht sich breit. Die Ersten zögern, bleiben stehen. Dann bricht es aus ihnen heraus: „Oh Du lieber Augustin, Augustin…“. Was ist geschehen? Sie haben das Denkmal vom lieben Augustin entdeckt. Er hat die Nacht in einer Pestgrube überlebt. Schlawiner oder Glückspilz? Das Lied ist bekannt, auch über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus. Den Grundstein für die Allianz von Musik und Wien hat es bestimmt nicht gelegt, ist aber mindestens genauso eng damit verbunden wie Hietzings bekannteste Mieter: Liszt, Strauss, Beethoven. Apropos Beethoven. Will man Wien zu Fuß auf seinen Stationen folgen, muss man sich gut rüsten. Der gute Mann ist andauernd umgezogen. Mal „nur schräg gegenüber“, mal „gleich ans andere Ende der Stadt“. Ein echter Marathon, der wie so viele Stadtrundgänge auf den Spuren großer Namen (meistens sind es dann doch Musiker, zumindest Künstler) auf dem Zentralen enden.

Peter Rupperts „Musik in Wien“ ist der ultimative Reiseband für alle Musikfreunde, die in Wien schon so manche Ecke erkundet haben und die man nur schwer noch beeindrucken kann. Das geballte Musikwissen der Stadt in einem Buch – Freud und Leid, Hoffnung und Verzweiflung, triumphale Erfolge und nicht minder bittere Niederlagen und Tumulte. Es sind die kleinen Anekdoten, die dieses Buch so besonders machen.

Und wer weiß schon, dass auch Alma Mahler-Werfel selbst komponierte? Ihre Werke sind leider größtenteils verschollen. Dachbodenfunde zu bestimmten Jubiläen sind also nicht ausgeschlossen.

Auch begnügt sich Peter Ruppert nicht damit nur all die großen Namen aufzuzählen und ihnen auf der Spur zu bleiben. Sie alle hatten Schüler und Verehrer, die ihnen nachreisten oder schon da waren. Haydn lehrte Beethoven. Es passt nicht, geht sich nicht aus. Beethoven grübelt, wettert gegen den Alten. Sucht Rat bei Johann Georg Albrechtsberger. Doch auch der ist mit dem ungestümen Rheinländer überfordert. Später wird Albrechtsberger auf Anraten von Mozart Domkapellmeister zu St. Stephan. Im Wiener Stadtteil Meidling, im Zwölften, ist eine Gasse nach ihm benannt.

Augen auf beim Wienbummel. Immer wieder, fast schon an jeder Ecke, trifft man auf Namen, die der Stadt ein gewisses Flair gaben. Doch das hörte nicht einfach mit dem Ende des Walzerzeitalters oder des Kaiserreiches oder gar mit dem Ende der klassischen Musik auf. Moderne Komponisten wie Arnold Schönberg oder Alban Berg übernahmen den Ruhm ihrer Vorgänger nahtlos. Der Zeitungsausschnitt im Buchklappentext über ein Konzert mit moderner Musik lässt die „ausgelöste Stimmung“ bis heute erahnen – das als Watschenkonzert in die Geschichte eingegangene Ereignis gehört zu Wien wie Falcos „Vienna Calling“ oder Wolfgang Ambros’  „Es lebe der Zentralfriedhof“. Ihnen allen widmet sich dieses Buch und wird für jeden, der mit einem Liedchen auf den Lippen, mit der unstillbaren Neugier eines Wientouristen, ohne Bedenken sich der Stadt hingeben will, zu einem dienlichen Begleiter.

Teneriffa

Und immer wieder die Kanaren: Das trubelige Gran Canaria, das verträumte Lanzarote und das stachelige Teneriffa. Das stachelige Teneriffa? Soll das Titelbild dieses Reisebandes etwa ein Hinweis auf die Undurchdringbarkeit der Insel hinweisen? Mitnichten. Denn Irene Börjes schlägt Schneisen ins Dickicht des Unbekannten, das einem die Augen übergehen. Wer sich für Teneriffa entscheidet, tut das in dem Bewusstsein Natur und Mensch sich gleichermaßen anzunähern. Hier steht man sich nicht gegenüber, hier geht man Hand in Hand und erlebt die schönste Zeit des Jahres.

Das kann zum Beispiel beim Lucha Canaria geschehen. Wer sich beim allabendlichen Fernsehen die Sinne schon mal beim Wrestling versengt hat, dem ist Lucha Libre ein Begriff. Die mexikanische Variante des Wrestlings, mit viel Show, Tamtam und bunten Kostümen. Weniger Show, trotzdem viel Tamtam und echter Leidenschaft stehen sich Mann gegen Mann und auch schon mal Frau gegen Frau gegenüber. Man reicht sich die Hand. Brega – es geht los. Wer nun mit einem anderen Körperteil als dem Fuß den Boden berührt, hat verloren. Es gibt sogar eine Liga. Und für die meisten ist erst dann Wochenende, wenn lucha canaria die Menschen zusammenbringt. Ein Spektakel, das man sich als Besucher nicht entgehen lassen sollte.

Teneriffa kann sich außerdem rühmen die höchste Erhebung Spaniens zu besitzen, den Teide. Kann man relativ einfach erklimmen. Aber Vorsicht, hier zieht’s, an den Klamotten, an der Kondition, manchmal auch und gerade deswegen an den Nerven. Wie, wann, von wo man am besten nach Oben kommt – hier steht’s, ab Seite 170, in der zehnten Auflage dieses Reisebandes ohne den man die Insel gar nicht erst zu besuchen braucht. Mehr als in diesem Buch steht, weiß sicherlich auch kein Einheimischer!

Costa del Silencio verspricht schon vom Namen her eintönige Ruhe, die man nicht lange suchen muss. Quirliger, aber nicht abgeschmackt geht es in Los Cristianos zu. Die Beats der Retortenorte Playa de las Américas und Costa Adeje hinter sich lassend, ist man hier noch lange nicht im Nirgendwo. Aber alles ist ein bisschen ruhiger und dennoch städtisch angenehm erschlossen.

Egal, wo man sich auf Teneriffa wie auch immer erholen möchte, die Tipps von Irene Börjes treffen jedes Mal mitten ins Herz des Begehrens. Die farbigen Kästen machen nicht nur das Buch bunter, sondern auch den Aufenthalt. Wie sonst sollte man sonst vom lucha canaria erfahren?!

Lanzarote

Lanzarote ist derart gut erschlossen, dass man eigentlich kein Reisebuch mehr braucht. Das mag stimmen, wenn man den Urlaub in einem Reisebüro planen und sich dann vom Taxi abholen lässt, über den halben Kontinent und einen Teile des Atlantiks fliegt. Sich dann ins Hotel bringen lässt, auspackt und dann zwei Wochen am Pool die Drinks genießt, die man daheim in jeder halbwegs vernünftigen Bar ebenso genießen kann.

Oder man nimmt die Planung selbst in die Hand. Das kann schon mal ein paar Stunden oder Tage dauern. Aber wie beim Warten aufs Christkind ist die Belohnung umso schöner, wenn man dann endlich die Geschenke auspacken darf. Mehr als nur eine hilfreiche Stütze ist bei letzter Planung dieser Reiseband. Reisebuchautor Eberhard Fohrer hat eine persönliche Beziehung zur Insel. Er lebte hier, machte hier unzählige Urlaube und recherchierte hier noch öfter. Zieht man ihn zu Rate, dann erblasst jedes Reisebüro. Und ereignisreicher werden die ein oder zwei oder mehr Wochen ohnehin. Die 416 Seiten dieses Reisebuches sind nicht nur chic anzusehen, sie sind ein El Dorado für alle, die Lanzarote erkunden und im besten Sinne für sich erobern wollen. Ein Appetitmacher, der hält, was er verspricht!

Das beginnt bei der exakten Beschreibung von Festen, die die Inselbewohner und Touristen zusammenbringt und hört bei Restaurantstipps noch lange nicht auf. Ausgedehnte Touren, bei denen man allein oder in Gruppen vieles zu Gesicht bekommt, was anderen verwehrt bleibt. Echte Geheimtipps, die man sich erarbeiten darf und die Erholung und einzigartige Eindrücke garantieren. Schon mal von Jameos del Augua gehört? Ein Höhlensystem, das vor dreitausende Jahren nach dem Ausbruch des Monte Corona entstand. Nun ist der Name Corona mittlerweile in aller Munde. Und durch eben einen solchen steigt man hinab oder hinein in eine neue Welt. So wie schon vor ein paar Jahren. Aber dieses Mal hat alles ein gutes Ende. Und noch nachhaltigere Erinnerungen. Die exakte Beschreibung der Gegebenheiten machen einen die Entscheidung einfach: Ja, ja, ja. Oder Si, si, si. Muss man gesehen haben, wenn es die körperliche Verfassung zulässt. Und Uga ist noch weniger besucht. Und wenn man von hier nach Puerta de Carmen wandert (nur eine von vielen Wanderungen, die im Buch genau beschrieben werden, inkl. GPS-Daten), kann es sein, dass man tatsächlich stundenlang keiner Menschenseele begegnet, obwohl man auf einer Insel ist, die für Touristenströme bekannt ist.

Lanzarote ist und bleibt immer ein Reiseziel, dass besonders zur Weihnachtszeit oder generell in der kälteren Zeit gern als Fluchtpunkt ausgewählt wird. Verständlich, wenn man sich intensiv mit diesem Reiseband auseinandersetzt.

Pura Vida

Wer sich mit Geschichte auseinandersetzte, begegnet auf seiner Reise so manchem Revolutionär. Che Guevara gehört sicher zu den bekanntesten. Tito sagt dem Einen oder Anderen immer noch etwas. Aber William Walker? Who the f*** ist his guy?! Wahrscheinlich liegt es daran, dass in unserem Teil der Welt Lateinamerika nur als letztes Paradies für backpacker gilt und die Geschichte nur in ganz groben Zügen bekannt ist. Verdichtet man sein Blickfeld dann auch noch auf Nicaragua, wird’s eng mit dem Wissen um die Geschichte. So ziemlich die letzten Bilder aus dem Land hat man aus Rückblicken auf das Wendejahr 1989 als im Palast der Republik in Berlin Erich Honecker mit „befreundeten Staatsoberhäuptern“ den 40. Jahrestag der Gründung der DDR feierte. Da saß Daniel Ortega, Präsident Nicaraguas mit am Tisch. Zusammen mit Ceaucescu und anderen … kurzum mehrmals lebenslänglich – wenn man es satirisch betrachten möchte.

Patrick Deville hat sich in „Pura Vida“ nun dieses Land als Tummelplatz für seinen Roman ausgesucht. Als erfahrener, unfassbar umfangreich belesener Historiker ist ihm William Walker nicht unbekannt. Und nach der Lektüre dieses Buch ist er vielen Anderen ein fast schon vertrauter Revolutionär … mit einem fast schon logischen Schicksal.

Wir befinden uns in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Und William Walker hat mittlerweile Medizin studiert, lebte in Paris, studierte in Heidelberg. Als Junge aus Nashville/Tennessee wäre hundert Jahre später wahrscheinlich Rockstar geworden. Aber als Junge aus Nashville/Tennessee, der im Frühjahr 1824 das Licht der Welt erblickte, wurde er … Freibeuter. Anwalt war er auch noch. Lateinamerika sollte von weißen Nordamerikanern beherrscht werden. Protektion aus Washington war vorhanden.

Die große Stunde schlug 1855/56 als in Nicaragua Bürgerkrieg herrschte. Kriegs- und Herrschererfahrung hatte Walker da schon zur Genüge gesammelt. Mit einem Mal war William Walker, der Junge aus Nashville/Tennessee Präsident von Nicaragua. Doch der Ruhm stieg ihm zu Kopf. Die Widrigkeiten – in Form von in seinen Augen unerfüllbaren Forderungen seiner einstigen Beschützer aus Washington – machten ihm das Leben schwer. Die Regierung zerbrach – Walker war Freiwild. Honduras war sein Schicksal, dessen Regierung Vollstrecker. Walker wurde hingerichtet. Zugegeben eine sehr verknappte Zusammenfassung dieses einzigartigen Buches. Patrick Deville nimmt sich auf über dreihundert Seiten Zeit eine Sinfonie aus Hoffnung, Tatendrang und Illusion zu erschaffen. Ab der ersten Seite wähnt man sich am Ort des Geschehens. Deville zweifelt nicht – er gibt der Geschichte den Spielraum, den sie benötigt. Wo Fakten fehlen, spekuliert er nicht wahllos, sondern lässt die Umstände eine Welt erschaffen, die genau so gewesen sein muss. So wie das echte leben!

1000 places to see before You die

Im Leben gibt es unzählige Listen, die man erstellt. An die meisten hält man sich, wie den Einkaufszettel. Andere hingegen dienen – so meint man – der eigenen Beruhigung etwas zumindest in Planung zu haben. Meist gehen diese Listen irgendwann den Weg in den Abfall. Und dann wiederum gibt es Listen, die sind so dick, weil gehaltvoll, die werden niemals ihre Anziehungskraft verlieren. Bucketlist nennt man das.

Und so eine liegt in diesem Fall einmal mehr vor. Tausend Orte, die man besuchen muss bevor man es nicht mehr kann. Unmöglich? Schon möglich. Aber genauso möglich ist es tausend Orte zu bereisen. Doch wo anfangen? Hier kommt dieses Monster an Ideen, Ratgebern, Tipps, Tritten in den Allerwertesten ins Spiel. Von nun an gibt es keine Ausreden mehr! Der Anfang ist gemacht. Und der erste Schritt ist bekanntlich der erste von vielen, die noch folgen werden. Und wenn man schon mal angefangen hat…

… dann auf zum Lac d’Annecy oder nach Riga. Am besten mit einem Abstecher zu den Stränden Goas in Indien oder Sanibel und Captiva vor Florida. Oder der größten Sandinsel der Welt, Fraser Island in Australien. Zu ruhig? Dann hilft eine Shopping- oder Sightseeingtour über die quirligen Märkte von Saigon.

Man muss das Buch nur in die Hand nehmen und ein wenig darin blättern. Und schon hat man Reisefieber. Und eine Reisefibel auf dem Schoß. Klar gegliedert nach Kontinenten und Ländern. Ganz Mutige nehmen diesen Schmöker als festen Reiseplan – viel Spaß beim Urlaubsantrag ausfüllen: „Chef ich bin dann mal weg. Wenn ich das Buch abgearbeitet habe, komme ich wieder. Bis in … Jahren!“. Die Vorstellung ist doch schon sehr verlockend.

Ein Sinnes-Overkill ist garantiert. Berge, Täler, Strände, Stadtzentren, Architektur, Naturwunder, über und unter Wasser, Aussichtspunkte, Absteige wie Kletterpartien – wer hier nicht fündig wird, der hat entweder schon alles gesehen (was fast unmöglich scheint) oder will einfach nicht. Man kann dieses – nein, man sollte – dieses Buch als niemals versiegende Inspirationsquelle sich regelmäßig aus dem Regal nehmen. Reisen bildet. Lesen macht Appetit. Bei 1220 Seiten kann man sich niemals satt sehen und inspirieren lassen. Es gibt immer wieder Neues zu entdecken. Heute hier, morgen da. Der Sehnsucht einfach mal Futter geben. Sich selbst austesten, was alles möglich sein kann. Schon allein dafür lohnt sich ein Blick in diesen Schmöker.

Endstation Hoffnung

Eines steht von vorn herein fest: Das Cover und schon beim ersten Überfliegen des Kapitelverzeichnisses gibt es keinen Zweifel mehr, dass einem beim Lesen ab und an, hier und da der Atem stocken wird. Leb wohl, du trautes Heim – Im Viehwagen – Endstation Auschwitz. Der Untertitel „Der ultimative Roman über den Holocaust“ ist nicht nur der reißerische Aufrüttler, es wird grausam, es wird schonungslos – aber auch hoffnungsvoll.

Isaia Maylaender als blauäugig zu betiteln träfe nicht einmal ansatzweise den Kern. Seine Eltern werden als Juden nach Auschwitz deportiert. Anfangs begegnet der Vater allem noch mit einem gewissen Spott – seine Scherze lassen einem das Blut in den Adern gefrieren. Isaia, Professor für Geschichte in Italien, ist da – in seinen Augen – realistischer. Er weiß, dass die SS Arbeiter braucht. Er als junger Mann eine Arbeitskraft darstellt, die unbedingt erhalten werden muss. Ein Kollege spricht ihn an. Kurz ist der Plausch über die „guten, alten Zeiten als…“, denn die Realität ist unerbitterlich. Professor Bergamo hat einen Weg gefunden hier zu leben, nicht nur zu überleben, wie er sagt. Er hat sich mit den Gegebenheiten ab-und für sich einen Weg gefunden, die Zeit zu überstehen … meint er.

Das ist Isaias Ausgangspunkt für eine hoffnungsvolle Zukunft. Er hat schon fast aufgegeben seine Eltern noch einmal zu sehen. Auch seine Liebe wird er wohl nicht noch einmal sehen. So wie sich Isaia das Lagerleben vorgestellt hat, scheint es auch zu werden. Ein perfider, fast schon perverser Funken Hoffnung. Der sich bald schon in ein loderndes Feuer verwandeln soll. Und zwar in dem Moment als man ihm anträgt die Biographie eines Hauptsturmführers zu schreiben. Natürlich soll es ein heroisches Werk werden. Isaia macht sich an die Arbeit. Ablenkung in positiver wie negativer Hinsicht verschafft ihm die Frau des „Helden seiner Arbeit“. Die hat ein Auge auf den willfährigen Professor geworfen. Doch auch sie verfolgt eigene Ziele.

Isaia sieht wie Menschen gebrochen werden wie sie sich verwandeln ohne dabei Schuld auf sich zu laden. Er sieht Lebewesen, die sich verwandeln und dabei unendlich viel Schuld auf sich laden. Er sieht wie roh Menschen gemacht werden. Er sieht wie roh sich Menschen verhalten, wenn man sie lässt. Er selbst kämpft jeden Tag, jede Stunde sich selbst treu bleiben zu können. Ein Kampf, der täglich schwerer wird…

Andrea Frediani lässt Isaia Maylaender am schlimmsten Ort der Welt eine Bibliothek errichten. Dort, wo Überleben wie eine Seifenblase der einzige Regenbogen im düstersten Grau der Hoffnungslosigkeit schwach schimmert. Wie soll man Hoffnung am hoffnungslosesten Ort der Welt in Worte fassen? Die Antwort liefert eindrucksvoll Andreas Frediani. Schlicht, stringent und nicht verhandelbar schafft er Raum für einen Helden, der diese Rolle niemals für sich in Anspruch nehmen würde. Aber er weiß auch, dass er in seiner prädestinierten Position mehr bewirken kann als die meisten in Auschwitz. Dieses Bewusstsein lässt ihn sich selbst fast verleugnen.