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Das Sizilien des Giuseppe Tomasi di Lampedusa

Es ist die Schlussszene des Films „Der Leopard“, der die Faszination dieses Epos ein ums andere Mal zu übertreffen scheint. Die versammelte Gesellschaft gibt sich im Reigen dem eigenen Verfall, des Wegschauens und Wegduckens hin. Man ist höflich-höfig distanziert. Man kennt sich, weiß wen man mag und braucht. Bloß nicht verändern. Opulente Ausstattung, begnadete Schauspieler, eindringliche Bilder.

Doch ist das das Sizilien, das den Besucher mit überbordender Wärme empfängt? Ja. Nur anders. Im Film, und vor allem im Buch ist es ein Sizilien, das von einem Mann beschrieben wird, der genau in diesen Kreisen erwachsen geworden ist. Giuseppe Tomasi di Lampedusa gehörte zum Hochadel der Insel. Als er geboren wurde, war Italien schon eins. Zumindest auf dem Papier. Die Vielstaaterei war „nur noch in den Köpfen“. Aber da saß sie noch fest im Sattel.

Autor Jochen Trebesch begibt sich auf Spurensuche. Bis ins kleinste Detail seziert er den Werdegang des großen sizilianischen Schriftstellers, der immer noch mit nur einem Roman ein Ganzes abbildet, das bis heute ein Rätsel bleibt. Sizilianer als stur und veränderungsunwillig abzutun, träfe niemals komplett den Kern. Sofern dem Unterfangen Sizilien umfassend zu verstehen überhaupt Erfolg beschieden werden kann.

Immer tiefer taucht mit dem Text in ein Leben ein, das so weit entfernt liegt wie Schneesturm in Palermo. Und immer verfestigt sich der Gedanke, dass das Leben des Schriftstellers mehr Symbolgehalt hat als man anfangs dachte. So vollzieht sich im Laufe des Lesens ein Sinneswandel. Der goldene Löffel, der dem kleinen Giuseppe schon in der Wiege im Mund steckte, versperrte ihm nicht die Sicht auf die Umwälzungen, die seinem Land bevorstanden. „Il Gattopardo“, wie „Der Leopard“ im Original heißt und auf das Wappen der di Lampedusa zurückgeht, ist die perfekte Symbiose von erstarkender Vorstellungskraft und Biographie der eigenen Familie.

Die Fotografien in diesem Buch stammen von Angelika Fischer. Die Wahl für Schwarz-Weiß hätte nicht besser sein können. Denn nur so kommen die Kontraste erst zur Geltung. Kein quitschbunter Farbenrausch, der die Stimmung ins gewöhnliche rauschen lässt. Sondern konzentrierter Fokus auf das Objekt. Das Buch mag auf den ersten Blick dünn erscheinen. Doch sein Inhalt ist lehrreicher als so mancher Pageturner, der nach 500 Seiten nur noch als dekorativer Schnickschnack im Bücherregal herhalten kann.

Mutters Stimmbruch

„Die alten Zähne wurden schlecht, und man begann sie auszureißen. Die neuen kamen gerade recht, mit ihnen ins Gras zu beißen.“ Heisa, was war das lustig, als man frisch gebadet im Schlafanzug bei der Oma auf der Couch saß und gebannt der großen Samstagabend-Fernsehshow folgte. Hihi, Zahnausfall, dachte man. Bis es einen selbst betraf.

Betroffen ist auch die Tochter, die ihrer Mutter beim Stimmenverlust anfangs tatenlos zusehen muss. Auch hier sind die Zähne die Quelle des Verlusts. Waren sie zu Beginn noch Quell der Hoffnung – mit jedem Milchzahnverlust erlernte die Mutter eine neue Sprache (allerdings nur bei Eckzähnen) – steht heute der Wegfall der Beißkraft für einen Schritt des Älterwerdens. Irgendwie ist der Schwung verloren gegangen.

Alles um Mutter herum ist Herbst. Es regnet durchs Dach, der Garten ist braun und grau und unansehnlich. Die Motivationsschübe sind noch nicht ganz verklungen, doch die Abstände werden größer. Dafür werden die Ausschläge expressiver. Es muss sich was ändern.

Der Umzug ist der einzige Ausweg, wenn es diesen überhaupt gibt. Verzögerungstaktik oder Umwälzung? Ewiger Herbst oder neuerlicher Herbstbeginn mit strahlendem Sonnenschein und partieller Lichtkraft? Es ist mehr als einen Versuch wert…

Katharina Mevissen treibt ihre sonderbaren Gedanken (und das ist in diesem Fall nur positiv gemeint) dem Leser mitten ins Hirn. Voller Anspielungen und Mehrfachdeutungen bedient sie sich dem Klischeebild der alternden Mutter. Wenn etwas fehlt – in diesem Fall erst ein Zahn, dann noch einer, immer öfter sogar die Stimme – geht auch der Nimbus Mutter verloren.

Immer wieder schafft Katharine Mevissen den Twist nicht ins Kitschige oder gar Lächerliche zu verfallen. Mutter ist ein ernstes Thema. Doch nicht nur das: Mutter ist Mutter. Das gibt es keine Grauzone. Nicht einmal eine Parallelwelt. „Mutters Stimmbruch“ ist nicht mehr und nicht weniger als eine liebevolle Auseinandersetzung mit dem Älterwerden des wichtigsten Menschen. Tragik und Komik liegen oft beieinander. Hier hupfen sie Händchen haltend durchs Leben. Und der Leser darf dabei zusehen. Und lauschen. Und sich in der Geschichte festbeißen…

Mama Day

Liest man „Mama day“ wie einen Reisebericht, ist man im Nu bereit alles stehen und liegen zu lassen, um den Süden der USA zu bereisen. Und sei es nur, um zu erkunden, ob es hier denn wirklich so aussieht wie es beschrieben ist. Denn hier muss das Paradies sein.

Liest man „Mama Day“ mit dem gebührenden Respekt für Schicksale, rührt einen die Geschichte zu Tränen. Eine Insel, zu Louisiana gehörend, die wahrhaft zu einem Paradies geworden ist für diejenigen, die unter der Knute ihre Herren, Jahrzehnte, Jahrhunderte litten.

Liest man „Mama Day“ ganz unvoreingenommen, hat man alles richtig gemacht. Die Erzählkunst ist überwältigend und findet kein Ende. Der Anfang prasselt wie ein erfrischender Regen überfallartig über einen herein. Und zwischendrin ist Cocoa. Wie jedes Jahr verbringt sie den Sommer nicht im stickigen New York, sondern auf der Insel Willow Springs. Hier herrscht mit Strenge und Sanftmut Mama Day – womit klar sein dürfte, dass es sich bei diesem Buch nicht um das erbarmungswürdige Winseln nach einem passenden Muttertagsgeschenk handelt, womit aber nicht gesagt ist, dass dieses Buch kein ideales Muttertagsgeschenk ist.

Sommer in Willow Springs – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Doch dieses Jahr ist alles anders. George ist mit von der Party. Cocoas Freund. Und mit ihm schwindet die sorgenfreie Zeit auf der Insel auf sonderbare Weise.

Irgendwo zwischen Mystik und knallhartem Überlebenskampf findet das buch seine Mitte. Beharrliche Legenden der Vergangenheit reißen alte Wunden auf und bilden neue Narben. Mama Days Großmutter scheint der Schlüssel zu allerlei aufgeworfenen Fragen zu sein. Denn das Problem ist, es gibt nicht nur eine Legende. Im Dutzend billiger – vereint im Mythos, dass vor ewigen Zeiten hier ein Mord geschah. Hinterhältig, kalkuliert, bedacht. Aber warum soll man in alten Wunden wühlen, wenn das Ergebnis für die meisten ertragbar ist?

Gloria Naylor ist die Neuentdeckung der vergangenen Jahre. Mit einem Fingerschnipp reißt sie den Leser in eine Welt über die wenig bekannt ist. Black community kann man es nennen. Zur Vereinfachung der Sachlage sicher nicht der schlechteste Ansatz. Dennoch ist dies weniger von Belang als man annimmt. Denn Neid und Missgunst sind community-übergreifend. Nach „Die Frauen vom Brewster place“ und „Linden hills“ beweist die Autorin eindrucksvoll, dass einfühlsame Literatur immer wieder kehrt und niemals eine bloße Modeerscheinung ist.

Der Mann, der die Frauen-Europameisterschaft gewann

Achtung, das ist ein Roman! Geschrieben in den Zwanzigerjahren dieses Jahrhunderts, angesiedelt Ende der Dreißigerjahre des vergangenen. Schon allein die zeitliche Einordnung macht das Thema – und erst recht der Titel – zu einem spannenden Kapitel.

Wer heute die Ergebnislisten von Sportereignissen sich anschaut, wird mit ein paar Klicks die Brisanz der Story erkennen. Wien 1938. Im Hochsprung triumphiert die Ungarin Ibolya Csák mit übersprungenen 1 Meter 64. Doch im Stadion darf sie noch nicht jubeln. Denn jemand anderes ist sechs Zentimeter höher gesprungen: Dora Ratjen. Weltrekord zur damaligen Zeit.

Zeitsprung. Zwanzig Jahre zuvor ist sich Heinrich Ratjen nicht sicher, ob er sich über einen Jungen oder eine Tochter freuen soll. Denn die äußeren Geschlechtsmerkmale sind nicht eindeutig zuzuordnen. Die Hebamme meint aber es sei ein Mädchen. So ist es protokolliert. Und so wächst Dora wie ein Mädchen auf, wird genauso wie zu dieser zeit üblich als Mädchen erzogen.

Wieder ein Zeitsprung zurück ins Jahr 1938. Im Zug gen Norden sitzt eine Person. Die Medaille aus Wien um den Hals gehangen. Weltrekord. Gold bei den Europameisterschaften der Frauen gewonnen. Doch ein mulmiges Gefühl umgibt sie. Viele Passagiere gaffen sie an. So richtig wissen viele nicht warum. Sie müssen einfach gaffen.

Passkontrolle. Die Frau mit der Medaille wird aus dem Abteil geführt. Hier stimmt was nicht. Das haben die Passagiere schon gewusst. Auch die Frau wusste es. Nur anders.

Petr Manteuffel beschränkt sich nicht auf die Faktenwiedergabe. Die ist so spärlich, dass ein Sachbuch mehr einem Heftchen denn einem Buch ähneln würde. Er webt ein dichtes Netz aus falschem Nationalstolz, Verweigerung, Verschwörung, blindem Gehorsam und Ränkespielen. Bekannte Namen treten auf wie Reinhard Heydrich, Statthalter von Prag und prominentes Opfer der Nazis in den eigenen Reihen, selbst Mitglied der Fechtermannschaft. Aber auch involvierte Ärzte – Hitlers Leibarzt, der selbst nicht frei von den Verlockungen der chemischen Industrie war – kommen zu Wort und schreiten zur Tat.

In diesem Netz ist der Leser gefangen. So unrealistisch alles klingen mag, so real war die Geschichte, die schlussendlich kaum wahre Sieger kennt. Was steckte hinter dem ganzen Theater um Dora Ratjen? Nur ein geheimer Plan, um mit aller Macht Gold zu erringen? Ein Sportwettkampf als Experimentierfeld für kommende Ereignisse? Der Roman kann keine Fragen beantworten. Aber er kann Fragen stellen. Und die sind es, die das Weiterlesen derart vorantreiben, dass man nach 160 Seiten erst einmal kräftig durchatmen muss.

Europa erlesen – Leipzig

„Mein Leipzig lob’ ich mir, es ist mein klein Paris“ – ach, immer nur Paris, Paris, Paris, wenn es um Europa geht. Schon olle Goethe wusste die Metropole im Herzen Deutschlands zu schätzen. Wobei viele der Meinung sind, dass er dabei vor allem die lukullischen Spezialitäten im Allgemeinen, und die alkoholischen im Speziellen meinte. Dennoch ist es so, dass wer Leipzig nur einmal besucht, schon vor der Abreise den nächsten Aufenthalt im Kopf hat.

Das ist keine Erfindung der Moderne. Vielmehr ist es so, dass schon vor Jahrhunderten die Stadt von den modernsten Köpfen in den allerhöchsten Tönen gepriesen wurde. Nachzulesen in diesem Büchlein. Das hellblaue Exemplar der „Europa-erlesen-Reihe“ prahlt mit der bekannten Namensliste der Autoren, die sich im Laufe ihres Lebens mit Leipzig auseinandergesetzt haben. Und das beginnt nicht nur bei Goethe, und hört ebenso noch lange nicht bei ihm auf.

Wer die Inschrift des Leipziger Gewandhauses liest, die übersetzt „Reine Freude ist eine ernste Sache“ (Seneca, 5 v. Chr – 65 n. Chr.) kommt dem Kulturverständnis der Stadt schneller auf die Spur als er einatmen kann. Ja, das Masurleum, wie der Kabarettist Bernd-Lutz Lange, gebürtiger Ostsachse und leidenschaftlicher Leebz’scher, das berühmteste Wahrzeichen der Stadt nennt, ist der Stolz der meisten der über sechshunderttausend Einwohner. Auch nach vierzig Jahren nach dem Neubau – viele Beiträge im Buch erzählen von den Hindernissen des fast unmöglichen Vorhabens – ist es immer noch ein Synonym für Moderne. Und so geben sich hier in diesem Buch namhafte Größen die Klinke in die Hand. Brecht forderte in einem Brief an Therese Giehse einen Generalintendanten für die Stadt – die Giehse könne das doch machen?!. Lotte Lenya berichtet von Tumulten während und nach einer Aufführung („Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“). Uwe Johnson staunt über den gewaltigen Bahnhof, der ja eigentlich aus zwei miteinander verbundenen Bahnhöfen besteht. Erich Kästner bezeichnet Leipzig als Märchenhauptstadt, und das als gebürtiger Dresdner (die Rivalität zwischen den Städten ist nicht so ausgeprägt wie beim Fußballduell zwischen Dortmund und Schalke, dennoch vorhanden).

Man blättert und blättert und kommt nicht umhin zu sagen, dass, wenn es so viele Leute so gut mit der Stadt meinen, dass da irgendwas dran sein muss an dieser Stadt. Also nichts wie hin … aber Vorsicht: Nicht vergessen dieses kleine Büchlein ins Handgepäck zu nehmen.

Leipzig außergewöhnlich – Impressionen

Da machen selbst gebürtige Leipziger – Leebzscher – große Augen! So schön ist die Stadt. Klar. Lokalpatriotismus ist die ehrlichste Form des Stolzes. Aber, dass es doch tatsächlich Ecken gibt, die man selbst noch nicht kennt … so muss es doch sein. Denn nur die Veränderung bringt Erstaunen hervor.

Wer Leipzig noch nicht so gut kennt, der wird in diesem Buch eine Offenbarung erleben. Abwechslungsreich ist es hier an der Pleiße. Der viel bemühte Vergleich, dass Tradition und Moderne Hand in Hand gehen, trifft hier wirklich zu.

Da blättert man sich durch Stadtansichten, bei denen man sich als Eingeborener den Kopf zerbricht, wo sich denn nun der Fotograf postiert hatte, um im richtigen Moment (mindestens genauso wichtig wie die Position) den Auslöser zu drücken.

Der bildstarke Band nimmt den Leser an die Hand und führt ihn durch die eindrucksvollen Stadtteile der Metropole, die sich allzu gern als heimliche Hauptstadt Sachsens sieht. Goethe und Mendelssohn-Bartholdy wirkten hier wie Wagner und Schiller. Schwerindustrie und Kultur schlossen sich hier niemals von vornherein aus. Und so verwundert es nicht, dass auf idyllische Parklandschaften im Winterschneepuderweiß nur wenige Seiten später sachliche Industrieeindrücke aus Werkhallen schlussendlich ein stimmiges Gesamtbild ergeben.

Das für einen derartigen Prachtband handliche Format eignet sich nicht nur zum wiederholten Blättern, sondern ist genau deswegen das ideale Geschenk für alle, die einmal die Messestadt besuchten und sie im Handumdrehen ins Herz schlossen. Und sei es „nur“, um die nächste Reise nach Leipzig zu planen. Jede Abbildung ist es wert, dass man sie vor Ort persönlich besucht.

Tag und Nacht, Sommer wie Winter, morgens und abends – hier sind Eindrücke für die Ewigkeit festgehalten. Wenn die Blaue Stunde am idyllischen Karl-Heine-Kanal ehemalige Fabrikgebäude, die heute exquisite Wohngegenden prägen, in satte Farben taucht, kann sich des Eindrucke nicht erwehren, dass diese Stadt ein Juwel ist, das viel schon entdeckt haben, jedoch noch nicht alles entdeckt wurde.

The Doors – graphic novel

Dieses Buch hätte Jim Morrison, dem Sänger der Doors bestimmt gefallen. Er, der Kunststudent, dem Dionysos näher war als Aldous Huxleys „The doors of perception“ – woher der Bandname stammt. Er, die Skandalnudel, der seinen entblößten Jimmy dem Publikum entgegenstreckte. Er, der als Lyriker im Pariser Exil mit seinen Worten die Welt beeindrucken wollte. Er, der vierte im Bund der 27. Ja, Jim Morrison hätte diese Bandbiographie, dieser Comic bestimmt gefallen.

Doors-Fans werden mit diesem Buch nicht fremdeln, weil es eine fremde Art der Auseinandersetzung mit dem Werk einer der einflussreichsten Rockbands ist. Es gibt schon so viele Bücher über die Band. Die Biographie aus dem Produzentenkreis, Reisebände durch Paris auf den Spuren von Jim Morrison, kunstvoll gestaltete Songbooks mit Originalschriften des Masterminds. Nun also der Comic zur Band.

Achtzehn Kapitel – achtzehn verschiedene Künstler, die sich ihrem Stil verpflichtet (hier ist die erste Parallele zu den Doors) den wichtigsten Etappen der Bandbiographie nähern. Die zerrissene Jugend des kleinen Jim, über die ersten zielstrebigen Bemühungen Musik zu machen, erste Erfolge, Skandale bis hin zum jähen Ende der Band.

Rauschhaftes Farbenspiel im Einklang mit dem einzigartigen Rhythmus und dem unverwechselbaren Orgelsound Ray Manzareks, dem virtuosen Gitarrenzauber von Robby Krieger und dem perfekten Taktgeber John Densmore am Schlagzeug. Und mit jedem Umblättern hämmert mindestens ein Song im Kopf mit. Je düsterer der Song, desto düsterer die Bilder. Schwingt sich Jim Morrison euphorisch in andere Sphären hinauf, wird es im Comic dramatisch. Ab sofort wird beim Plattenauflegen von „Morrisons Hotel“ oder dem bedrückenden „The End“ dieser Comic aus dem Regal geholt und malt Bild in die Luft, vor den Augen, im Kopf, die man bisher vermisst hat.

Ein Must-Have für alle Doors-Fans, ein Einstieg für alle, die es noch werden wollen. Eines kann auch dieses Buch nicht: Die Sehnsucht nach guter Musik löschen. Und das ist gut so!

Europa im Blick der Kartographen der Neuzeit

Wer schon als Kind mit dem Finger über die Landkarten in Atlanten gestrichen ist, kennt die Wirkung die Grenzen, Flüsse, Erhebungen auf die Reiselust haben. Wenn dann noch ein gehörige Portion Geschichtsinteresse hinzugefügt wird, sind Bücher wie „Europa im Blick der Kartographen der Neuzeit“ ein gefundener Augenschmaus.

Wie sah man die Welt vor beispielsweise rund vierhundert Jahren? Damals war bei Weitem noch lange nicht die ganze Welt erkundet. Geschweige denn kartographiert. Und die Urlaubsorte der Gegenwart existierten im besten Fall schon. Aber sie waren halt einfache Orte, in denen Menschen lebten und ihr Überleben mit Arbeit sicherten. Tourismus war ein Fremdwort. Und so manche Hinterlassenschaft war ein modernes Zeichen des Fortschritts der (damaligen) Gegenwart.

Simeon Hüttel nimmt den Leser mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Die kann man so nur in diesem Bildband buchen. Die Zusatzleistungen beschränken sich auf beeindruckende Abbildungen, phantasieanregende Reisen mit dem Finger über die Karten und anregende Texte, die Lust machen eventuelle einmal Jahrhunderte nach Entstehen dieser Karten auf dem einen oder anderen gezeichneten Pfad auf Erkundungstour zu gehen.

Doch Vorsicht, so mancher Ortsname hat im Laufe der Jahre seinen Namen geändert. Und wer beispielsweise den Ort Cimbri sucht, wird schnell an seine Grenzen stoßen. Es handelt sich bei Cimbri nämlich um das Volk, nicht einen Ort Cimbri.

Immer wieder werden Details aus den Karten herausgezoomt und erzeugen einen tiefen Einblick in die feine Kunst der Kartenherstellung. Oft waren es Kupferstiche, ein enorm aufwendiges Verfahren, die bis heute den Betrachter verblüffen. Betrachtet man sich diese Details kann man kleinste Linien erkennen, die aus der Ferne erst ihre Wirkung entfalten.

Besonders gravierend sind die Unterschiede zur Gegenwart bei Karten von Ländern, die im Laufe der Jahrhunderte ihre Grenzen verschoben haben, deren Grenzen verschoben wurden. Wie am Beispiel Polens und Litauens. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als die abgebildete Karte entstand, wurden beide Länder von einem gemeinsamen Königreich verwaltet. Dennoch sind Polen und Litauen unterschiedlich dargestellt. Während Polen in die einzelnen Landesteile farbig untergliedert ist, wird das fast gleichgroße Großfürstentum Litauen im einheitlichen Grün präsentiert. Propaganda oder künstlerische Freiheit? Die Kirche, die Christianisierung ist – wie zu oft in der Geschichte – der Schlüssel zur Antwort.

Dieses Buch, im eleganten Pappschuber, zeigt eine Welt, die es so nicht mehr gibt. Ihre Wurzeln der heutigen Welt zu kennen, ist wichtiger denn je. So farbenfroh und nachvollziehbar wurde Geographie selten dargestellt.

Am Fenster klebt noch eine Feder

Jetzt schreibt sie auch noch … so ist es nun wirklich nicht. Maria Lassnig, gefeierte Künstlerin und Trägerin prestigeträchtiger Auszeichnungen, ist ein feste Größe, mancherorts der Standard im Kunstbetrieb. Ihr Grab auf dem Wiener Zentralfriedhof zieht schon wegen der Optik zahlreiche Besucher an. Noch mehr jedoch sind ihre Bilder Pilgerstätten ihrer Jünger.

Und dann passierte das, was so manchem Künstler nachträglich noch einmal einen Schub verpasst. Ein Dachbodenfund – im übertragenen Sinne – brachte eine Seite der Künstlerin ans Tageslicht, die man vermuten konnte, aber nie zu hoffen wagte. Ihr Wegbegleiter Peter Handke, Literaturnobelpreisträger 2019, sah in den Texten, Wortfetzen, nicht wenigen Zeilen ein literarisches Juwel und zugleich das Potential Maria Lassnig noch umfassender zu würdigen.

Es sind meist kurze Texte in diesem Büchlein, die wie ein Gruß aus der Künstlerküche wirken – schmackhaft, verheißungsvoll, anregend, süchtig machend. Da kommt noch mehr. Denn Maria Lassnig, hat in ihrem Künstlerleben immer wieder ihre Gedanken und Eindrücke nicht nur mit dem Pinsel, sondern auch mit der Feder festgehalten. Dass dieser Schatz erst jetzt gehoben wurde, verwundert. Denn ihr Netzwerk zu Lebzeiten war derart umfangreich, dass man eigentlich vermuten könnte, dass nach ihrem Tod 2014 ein gewaltiger Ausverkauf hätte stattfinden müssen. Hat er aber nicht! Was ein Glück!

Denn nur so werden die Texte in ein Licht gestellt, das noch lange strahlen wird. Voller Poesie, Zartheit, aber auch voller brachialer Kraft dringt die Biennale-Preisträgerin von Venedig (2013) noch immer in die Gedanken ihrer Fans ein. Und dank dieses Büchleins erschließt die Künstlerin neue Interessenten ihrer Kunst. Verleger Lojze Wieser spricht von einer Sensation. Kuratorin Barbara Maier liest voller Erfurcht und Ergriffenheit aus dem Buch. Und selbst Kulturzeit-Moderatoren-Urgestein Ernst Grandits (der auf der Leipziger Buchmesse 2023) die Premiere des Buches moderierte, finden nur Superlative für diesen „Dachbodenfund“.

Lassnigs Werk ohne dieses Buch zu genießen, ist das Eine. Es im Zusammenspiel mit den Texten noch einmal zu betrachten, eine Offenbarung.

Der magische Pfad

Es gibt Bücher, die rufen unweigerlich Erinnerungen hervor. Und mit ihnen kommen die Fragen. Wann hat man eigentlich das erste Mal etwas über Haïti gehört? War es bei Graham Greene, der in „Die Stunde der Komödianten“ die Diktatur von Papa Doc demaskierte und der Weltöffentlichkeit präsentierte? Oder war die erste Berührung mit haïtianischer Kultur doch der James-Bond-Streifen „Leben und sterben lassen“, als am Beginn des Films eine Totenprozession bedächtig durch die Straßen von New Orleans zog, und nach einem Anschlag plötzlich die Stimmung kippte und der Zug sich in eine Party verwandelte? Oder hörte man von dem karibischen Land doch erst als vor einigen Jahren ein verheerender Orkan das Land in Schutt und Asche legte, die bis heute noch das Land übersät?

Gary Victor vereint in seinen Büchern sowohl die grauenhafte Zeit der Diktatur, aber auch die Verwüstungen des Hurrikans. Und eine ganz besondere Rolle spielt in seinem Werk die tief verwurzelte Kultur des Totenkults. Was bei Onlinewarenhäusern mit billig produzierten Voodoo-Puppen in schwindelerregendem Kitsch endet, trifft in seinen Büchern auf fruchtbaren Boden.

Persée Persifal – ein Name wie Donnerhall – gehört zu denen, die das Charaktermerkmal gerecht zurecht mit Stolz tragen dürften, wenn man es ihnen anheften könnte. Das ruft Neider, und vor allem diejenigen auf den Plan, die etwas zu verbergen haben und denen Persée Persifal gehörig auf die Füße tritt. Er wird vergiftet.

Und nun beginnt eine Reise wie sie nur in dem gebeutelten karibischen Land vonstatten gehen kann. Denn nicht wie unseren Vorstellungen wird der Leichnam beerdigt, die Trauergemeinde trauert … und das Kapitel ist geschlossen, steht Persée am Anfang einer beschwerlichen Reise in ein neues Reich. Er droht zum Zombie zu werden. An dieser Stelle muss man alles Gehörte und Gesehene, vor allem das klischeehafte Gelesene (Untote, Werwölfe, Vampire, und was sonst noch zu einem kitschigen Roman des Genre dazu gehört) über Bord werfen und sich ganz auf Gary Victor verlassen.

Es wird ein Seelentrip, den man so schnell nicht vergisst. Es gibt nur einen Weg, den Persée Persifal beschreiten kann. Eine steiniger Weg, der jedoch am Ende ein wahrhaft elysisches Ende haben kann. Immer wieder ertappt man sich beim Lesen dabei, dass man Mühe hat Realität und Mythos nicht so einfach auseinanderhalten kann. Das ist es aber, was die Faszination des Buches ausmacht. Eine Kultur, die fremd ist, versteht man nicht auf Anhieb. Man muss ihr Zeit geben sich zu entfalten. Dann offenbart sie sich in ihrer gesamten Vielfalt. Die Erkenntnis steht auch am Ende dieses Buches.