Die Lottozahlen im Spiel „Vier aus Venedig“: 1 – 4 – 21 – 336. Die Nummer-Eins-Autorin, wenn es um Verbrechen in der Lagunenstadt geht, Donna Leon, hat den einundzwanzigsten Falle ihres Commissarios Brunetti fertig und schickt ihr Erfolgsquartett aus Brunetti, Vianello, Elettra, und dem unvermeidlichen Vice-Questore Patta in ein 336-Seiten-Rennen. So was nennt man dann wohl einen Volltreffer!
Das Opfer sieht das natürlich etwas anders. Aufgedunsen wird er aus den Kanälen der Stadt gezogen. Auffallend ist die deutliche Deformierung des Körpers: Ein Hals ist kaum erkennbar. Madelung-Syndrom lautet die Diagnose. Ein Ermittlungsansatz? Brunetti kennt den Toten – nur leider weiß er nicht mehr genau woher. Diese Augen – ja sie sagen dem Commissario etwas. Aber was?
Weiterhin fallen dem aufmerksamen Ermittler die offensichtlich nicht zum Rest der Kleidung passenden Schuhe auf. Die Kleidung ist eher Massenware, nichts Besonderes. Die Schuhe hingegen sind auffällig und von erlesener Qualität.
Brunetti kommt an die Grenzen der Ermittelbaren, oder an die Grenzen seiner Kombinationsgabe. Erste Anzeichen für eine Zäsur im Leben des erfolgreichen Commissarios? Schließlich hat er all seine Fälle bisher gelöst. Leise klingen erste Töne von Aufhören an. Ein Omen?
Der Leser wird in routinierter Weise von Donna Leon durch die Lagunenstadt geführt. Während man so durch die Kanäle schlendert und sich den Verfall der Stadt aus sicherer Entfernung anschauen kann, strengt Brunetti seine grauen Zellen an. Double-Feature. Doppelvorstellung. Zwei Reisen zum Preis von einem. Zum Einen das gemütlich Dahinschippern über die nicht immer so glatten Kanäle, zum anderen die rauhe Gischt des Verbrechens und die Kälte der Profitgier.
Der Leser wird sanft auf die Folter gespannt. Erst nach und nach verschwindet der Schleier des Unwissens. Bruchstückhaft liest man sich in den Fall ein. Ein Löffelchen Wissen hier, ein Häppchen Hintergrund da. Reichlich 300 Seiten voller Erwartung darauf, was noch kommt. Vom Leser wird viel Geduld erwartet. Aber er wird auch belohnt…
Wieder einmal gelingt es der Wahl-Venezianerin Donna Leon zwei Seiten der Venedig-Medaille zu zeigen. Hier die Faszination des Einzigartigen und da die hässliche Fratze des Bösen. Geldmacherei um jeden Preis, gepaart mit Skrupellosigkeit und dem Glanz der Lagunenstadt. Dass Brunetti den Fall lösen wird, ist klar. Dass er ich meiniges abfordern wird ebenso. Leise und analytisch ohne große Denkerpose beeindruckt der Commissario den Leser mit seiner Einsatzbereitschaft und seinem unbedingten Willen Täter zur Strecke zu bringen und Opfern Genugtuung zu verschaffen. Den Traum von Gerechtigkeit hat er fast schon aufgegeben. Die gibt es nur noch im Film.