Die Affaire Moro. Ein Roman

„Es hatte keine Bedeutung für mich. Es war nur eine Affaire.“, so klingt es in einem schmalzigen Roman mit happy end. Und wenn man die Geschichte der Entführung von Aldo Moro, des ehemaligen (und zweimaligen) italienischen Ministerpräsidenten im Jahr 1978, unter dieser Phrase betrachtet, schauert es einem.

Im März 1978 entführten die Brigate rosse mit einem gewaltigen Waffenarsenal ausgestattet den Vorsitzenden des Nationalrates der Democrazia Cristiana. Nach 55 Tagen fand man seine Leiche, abgestellt in einem Kleinwagen. Offiziell hatte man alles getan, um Aldo Moro aus den Fängen der Entführer zu befreien – das liest sich gut. Klingt auch glaubwürdig… aber nur auf den ersten Blick. Zu tief waren die Gräben zwischen den Idealen des gläubigen Christen und den Machenschaften seiner Gegenspieler. Italien war in einer der heftigsten Wirtschaftskrisen des Landes. Moro wollte eine Allianz aller Parteien, um dieser Krise Herr zu werden. Er scheute auch nicht mit der Kommunistischen Partei zusammenzuarbeiten. Soweit die nüchternen Fakten. Was aber hinter verschlossenen Türen in den Parteizentralen, den Gremien, im Vatikan, in Ministerien besprochen wurde, ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt.

Schon im Jahr der Entführung schrieb Leonardo Sciascia „Die Affaire Moro. Ein Roman“. Sciascia, eines der Sprachrohre der Intellektuellen Italiens. Der Mahner. Der Wachrüttler. Der Unbeirrbare. Man kann bis heute nicht über die Entführung Moros sprechen ohne dieses Buch gelesen zu haben. Je weiter man sich in dieses Buch vertieft umso abstoßender  wirkt das handeln (bzw. das Nicht-Handeln) derer, die etwas hätten tun können. Eine Verbindung zur Affaire Dreyfus und Zolas „J’accuse“ („Ich klage an“) sind nicht von der Hand zu weisen.

Man stelle sich nur einmal vor, Derartiges würde heutzutage passieren. Mit den Möglichkeiten der sozialen Medien wäre das Wirrwarr der Wahrheiten um ein Vielfaches größer als noch vor fünfundvierzig Jahren. Straßensperren, gestammelte Statements aus der ersten Reihe bis hin zu den Hinterbänklern und denen, die nach vorne drängen. Politische Gegner, die im politischen Kalkül jedweden Respekt verlieren. Das Leid der Betroffenen würde durch den medialen Druck noch verstärkt werden. Die Täter – ebenso unter einem gesteigerten Druck – würden mehr Kraft aufwenden müssen, um einen klaren Kopf zu behalten. Und das Opfer? Abgeschnitten von der Außenwelt. In ständiger Ungewissheit. So wie damals.

Noch immer gibt es kein Rezept gegen derartige Terrorakte gegen den Staat. Es wird sie niemals geben. Auch wenn man sich noch sehr bemüht oder es zumindest vorgibt. Die Lehren aus diesem Buch, aus der Affaire Moro, sind immer noch nicht gezogen worden. Und das ist die traurige Erkenntnis, die Leonardo Sciascia auch vorhergesehen hat. Auch deswegen ist dieses Buch immer noch wichtig und lesenswert. Der neuen Ausgabe ist ein Essay des (ebenso wie Sciascia) sizilianischen Schriftstellers Fabio Stassi angefügt. Selbst nach Jahrzehnten lässt auch ihn die Affaire Moro keine Ruhe. Das unterscheidet sie von so vielen Affairen aus rührseligen Romanen.

Den Teufel im Leib

Mit nicht einmal zwanzig Jahren einen Skandalroman zu veröffentlichen, sich in Künstlerkreisen „herumzutreiben“ und eine gewichtige Zeitschrift zu gründen … macht sich immer gut im Lebenslauf. Auch wenn es, wie im Fall von Raymond Radiguet nur zwei Jahrzehnte dauert.

Gleich sein erster Roman – dieser hier – „Den Teufel im Leib“ schlug ein wie eine Bombe. Ein moralischer, moralisierter, moralisierender Aufschrei. Wie kann er nur?! Ein Fünfzehnjähriger verliebt sich in eine ein paar Jahre ältere Frau. An sich nicht weiter verwerflich. Doch der junge Bengel hält mit seinen Gefühlen nicht hinterm Berg.

François hat sich vom ersten Moment an in Marthe verliebt. Und Erfahrungen als Don Juan – wie ihn sein Lehrer einst mahnend nannte – hatte er schon früher. Und irgendwann ist auch Marthe dem Werben unterlegen. Und das obwohl ihr Verlobter im Feld für die Ehre Frankreichs kämpft. Es ist die Zeit der Grabenkämpfe und der ersten perfiden Versuche mit Giftgas das gegnerische Soldatenvolk zu schädigen. Und schon bald schleicht sich François aus dem elterlichen Haus, um nicht nur eine Nacht bei seiner Marthe zu verbringen. Die Notlüge mit der Wanderung zusammen mit seinem Freund platzt alsbald. Die Mutter ist entrüstet, der Vater schmunzelt nicht mit einem gewissen Stolz auf den Lippen.

François und Marthe sind kein Paar. Sie sind zwar zusammen, doch in der ländlichen Idylle sind derartige Liaisons schändlich. Wenn nicht sogar teuflisch! Aber vor allem nicht ohne Folgen…

Das Buch ist tatsächlich schon einhundert Jahre alt. Und erscheint nun in deutscher Sprache, in der Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel. Den kennen einige sicher als sprachbegabten Wortwisser der Sendung Karambolage auf arte. Mit Verve verleiht er dem Jubilar einen modernen Anstrich. In übermoralisierten Zeiten, in denen jedes Wort auf die Goldwaage gelegt zu werden scheint, kommen so manchem Moralapostel und leichtgläubigem Mitläufer einige Zeilen tatsächlich immer noch skandalös vor. Auch der Fortschritt hat eine Vergangenheit, auf die er gern zurückschaut…

Jean Cocteau zählte Raymond Radiguet zu seinen Freunden. Auszüge aus einigen Briefen und vor allem die typischen Cocteauzeichnungen vervollständigen zusammen mit Gedichten von Radiguet die Komplexität dieses Buches. Rasch liest man das Buch. Mit offenem Mund frisst man sich durch den Anhang. Mit weit aufgerissenen Augen staunt man über das kurze, ereignisreiche Leben des Autors. Und dann fängt man von vorn an. Immer wieder und wieder und wieder…

Toskana

Gibt es eigentlich ein Klischee über Italien, das die Toskana nicht erfüllt? Wahrscheinlich nicht. Elegant, wild, grazil – voller Abenteuer, in jeder Hinsicht. Autor und Verleger war sicher mehr als zwanzig Mal in der Toskana. Und bei jeder Reise hat er etwas mitgebracht, um etwas seinen Reisebuchkoffer zu packen. Dieses Mal – zum zwanzigsten Mal – sind es 800 Seiten prall gefüllter Lebenslust, die den Leser, Reisenden, Italienfan weit aufgerissene Augen und ein breites Lächeln ins Gesicht zaubern.

Der Norden ist mit Florenz und Siena ein an Kostbarkeiten und Augenschmaus übervoll gesegnetes Areal, das man eigentlich kaum noch vorstellen muss. Und trotzdem wird so mancher Toskana-Fraktionär sich eines Staunens nicht erwehren können. Beispielsweise, wenn man die zahlreichen farbig unterlegten Kästen liest. Da erfährt man so allerlei, wie über die Wahlen früher in Lucca abgehalten wurden. Vielleicht nicht unbedingt nachahmenswert, aber wenn man schon mal in der Gegend ist, sollte man doch ein wenig Geschichtswissen schon im Handgepäck mit sich führen.

Die Mitte ist ein fest für Auge, Ohren, Magen und all die anderen Sinne, die nach Erfüllung lechzen. Certaldo – kennt doch kein Mensch! Ha, von wegen! Hier wurde Boccaccio geboren, und sein Wohnhaus kann wieder besucht werden. Wenn man sich die idyllischen Bilder im Buch anschaut, rückt dieser Hotspot schon fast in den Hintergrund.

Der Süden wirbt mit klangvollen Orten wie Montepulciano und Grosseto. Wein und Berge, Legenden und Ruinen, Freiluft-Therme und edelste Baumaterialien. Das ist ’ne Mischung?! Da fällt es einem wirklich schwer sich zu entscheiden.

Aber dafür gibt es ja diesen Reiseband. 20. Auflage, 800 Seiten. Wenn man pro Tag sich nur zwei Seiten als Reiseplan vornimmt, kommt man ein reichliches Jahr hin, um im Urlaub komplett abschalten zu können. Das muss man nur noch dem Chef erklären. Sicherlich sind 800 Seiten kein Leichtgewicht, das man gern mit sich herumträgt. Die Mühe ist es aber wert. Immer wieder blättert man ein wenig zurück, um voranzukommen. Auch wenn die Toskana live um ein Vielfaches anregender ist als ein Buch, so braucht man bei Ausschöpfen des Füllhorns der Möglichkeiten einen allwissenden Wegbegleiter. Und den hat man zweifelsohne in diesem Reiseband.

Ob per pedes, per Rad, automobil, auf dem Schienenstrang oder mit dem Schiff (irgendwie muss man ja auch nach Elba kommen, wenn’s der Autor einem so sehr ans Herz legt…) – hier bleibt kein Wunsch offen. Und wem das Gewicht dann doch zu schaffen macht, der kann sich das Buch auch als App (Buch und mmtravel App sind gleichzeitig erhältlich) auf seinen mobilen Reisebegleiter runterladen. Der Toskana-Reiseband ist einer der Klassiker aus dem Michael-Müller-Verlag. Nun auch im modernen gewand der App. Ob als Traditionalist mit dem Buch in der Hand oder als moderner Reisender mit dem Smartphone oder Tablet – wohl genährt in jeder Hinsicht kommt man immer ans Ziel.

Theater laden ein

Tosca auf der Couch. Norma im flauschigen Lesesessel. Aida vor der Glotze. Mit dem entsprechenden technischen Equipment sicher ein Ohrenschmaus. Oberflächlich gesehen. Doch in einem echten Theater, mit der entsprechenden Akustik, auf rotem Samt sitzend, schmachtend den Tönen auf der reich geschmückten Bühne, in einem opulenten Bühnenbild – das ist dann doch eine ganz andere Liga. Eine Liga darüber!

So geht es auch Ulrike Rauh. Die Autorin ist eine Kunstgenießerin, eine Opernliebhaberin, und sie liebt das Theater. Und die Theater dieser Welt. Ihre Spaziergänge zwischen Lüstern und Büsten berühmter Künstler, zwischen Stuhlreihen und Tanzreigen sind ein ziemlich großer  Appetitmacher.

Wie immer in ihren Reiseberichten hat sie sich akribisch auf ihre Geschichten und Anekdoten vorbereitet. Und so wird ein Besuch in der Mailänder Scala zu einer Geschichtsstunde mit den Augen einer wachen Autorin, die sich ihre Neugier bewahrt hat. Denn die Geschichte eines der berühmtesten Opernhäuser der Welt steckt voller Überraschungen. Und die Liste derer, die die Bühne ausfüllten und vom Dirigentenpult die Zuschauermassen begeisterten ist endlos. Und alle so elegant. Kaum vorstellbar, dass hier einst geredet, geschmaust und gefeiert wurde während auf der Bühne Höchstleistungen vollbracht wurden.

Wer sich einmal eine Führung im Teatro San Carlo in Neapel gegönnt hat – der Eintritt ist im Vergleich zur Pracht in dem Haus mit sechs Etagen, in denen die Logen untergebracht sind, lächerlich preiswert – weiß warum die Autorin so fasziniert von der Architektur der Schallhallen ist. Wie auf rohen Eiern möchte man sich fortbewegen, um bloß nichts mit Abnutzungserscheinungen zu beschädigen. Ein Blick hinter verschlossene Türen lohnt immer. Und Ulrike Rauh ist sehr neugierig…

Von Bayreuth bis Santiago de Chile, vom berühmten Teatro Amazons in Manaus (Kenner wissen um die charakterstarke Darstellung von Klaus Kinski in „Fitzcaraldo“, in dem dieses Theater eine zentrale Rolle spielt) bis in die Gänge des Theaters in der Josefstadt in Wien, von der Arena in Verona bis in die wuchtigen Mauern der Semperoper reist Ulrike Rauh mit dem Leser mit schwergewichtigen Melodien um die Welt. Dass sie dabei leichtfüßig durch Jahrhunderte schlendert, ist das große Verdienst ihrer Leidenschaft. Auf alle Fälle bereichert dieses Buch jeden Besuch in Städten, die ein Konzerthaus oder eine Oper ihr eigen nennen dürfen.

Liparische Inseln

Stromboli kennt man aus dem gleichnamigen Film. Vulcanco – da ist klar, was einen erwartet. Lipari… schon mal gehört … da gibt es doch … genau: Die Liparischen Inseln. Aber es gehören nicht nur die drei Genannten zum Archipel. Da sind noch Alicudi, Filicudi, Salina und Panarea. Diese vier Inseln sind weitgehend unbekannt. Und eine Reise wert! Das weiß auch Reisebuchautor Peter Amann und macht mit seinem Wanderreiseband die Entscheidung welche Insel man besuchen sollte einfach und schwer zugleich. Schwer, weil die Vielfalt der Inseln so unfassbar riesig ist. Einfach, weil die Entscheidung alle Inseln zu besuchen mit diesem Buch die Richtige ist.

Ausführlich wird jede einzelne Insel beschrieben. Denn obwohl die sieben Schwestern des großen Ätna auf Sizilien auf den ersten blick gleich erscheinen, hat jede ihre eigenen Reize. Und so findet sich immer ein Grund, warum gerade die und nicht die Andere für einen Ausflug, einen Urlaub, eine Wanderung auserkoren wird.

Alicudi besticht durch ihre Autofreiheit – was nicht bedeutet, dass man hier wie ein wilder Stier herumrasen kann. Ganz im Gegenteil: Autos findet man hier nicht. Dafür aber Esel. Und Treppen, die einem zu den schönsten Ausflugsplätzen führen.

Lipari ist das Partyzentrum der Inselgruppe. Aber nicht falsch verstehen, denn nur im Vergleich mit ihren sechs Schwestern ist Lipari eindeutig die lebendigste Insel. Tauchen, Schlemmen, Wandern, Erholen – hier ist der Urlaub am vielfältigsten.

Salina rühmt sich mit Stille. Und das obwohl sie schon als Filmkulisse diente, so dass während der Dreharbeiten zu „Il postino“ (mit Philippe Noiret als Pablo Neruda) wohl das Wort Ruhe mehr Sehnsucht als Realität war.

Verführerisch, weil hier Mutter Natur sich selbst ein Denkmal setzt, kommt Panarea daher. Üppige Blütenpracht zieht auch die Schickeria an. Wer sich also gern ein Auge an weltlicher Machtfülle holen kann, wird staunen.

Apropos Staunen. Ein Naturspektakel rund um die Uhr – besonders nachts – bietet Stromboli. Wenn der Himmel glutrot erleuchtet, weil der Vulkan Lava spukt, ist die Speicherkarte schnell voll.

Die Nase voll hat man in (nicht von!) Vulcano. Voller Gerüche. Auch wenn man sich an so manchen erstmal gewöhnen muss. Der Schwefelgeruch ist relativ rasch ständiger Begleiter. Auch in den Klamotten. Vielleicht nicht gleich zu Beginn der Inselreise einen Abstecher hierher planen?!

Dieser Reiseband bietet das Rundum-Sorglos-Paket. Wo wohnen, wo wandern, wo innehalten, wo rasten – strukturiert und stets hilfreich in jeder Lage: Laufen, Wandern, Erholen. Seite für Seite ein Erlebnis, schon bevor die Wanderschuhe geschnürt sind.

Tessin

Wer einmal im Tessin war, ist im Handumdrehen infiziert. Und dieses Mal ist es ein gutes Virus. Ganz ohne Ziffern. Und es gibt auch kein Gegenmittel. Warum auch?! Marcus X. Schmid nimmt den Leser – ja, diesen Reiseband liest man, wie ein richtiges Buch, ist ja auch eines – auf eine Reise, die er nie vergessen wird. Denn zwischen erhabenen Gipfeln und glasklaren Seen gibt es so viel zu sehen, dass man staunt, dass tatsächlich alles auf 280 Seiten aufgeschrieben werden kann.

Hier spricht man italienisch. Nicht nur, aber überwiegend. Das hat zur Folge, dass Ortsnamen wie Comologno und Acquarossa oder das Val Lavizzara schon wie Urlaub klingen.

Ganz behutsam führt Marcus X. Schmid den Leser in jedes Kapitel, jede Region, jede Stadt ein. Fast schon plaudernd, ohne das kleinste Detail aus dem Auge zu lassen, nimmt er den Leser an die Hand, um – man kann schon fast sagen – „Sein“ Tessin in die Welt zu tragen. Immer wieder lockern die farbigen Kästen das Informationssammelsurium auf. Kleine Anekdoten abseits der Lesepfade lassen einen die müden Leseknochen auflockern. Um dann sofort weiter zu stapfen durch eine der landschaftlich reizvollsten Gegenden der Welt.

Idyllische Wasserfälle, pittoreske Kirchen, verschlafene Orte, exzellente Kulinarik und immer wieder Geschichte und Geschichten, die man nur hier finden kann. Der Reiseband ist immer einen Schritt voraus. Und fordert es geradezu ein, dass man sich links und rechts der Strecke mindestens genauso neugierig umschaut.

Der Autor hat es auf alle Fälle getan. Denn so viel Wissen häuft man nicht in Telefonaten und beim Prospekte wälzen an. Man merkt auf jeder Seite, dass hier ein echter Fachmann seine Erlebnisse und Erkundungstouren niedergeschrieben hat.

So zum Beispiel der Lago Maggiore. Der nördliche Teil gehört zur Schweiz, zum Tessin. Locarno ist sicher der bekannteste Ort. Selbst dem kann Schmid noch etwas entlocken, das man vielleicht noch gar nicht kannte. Wer verbindet Leonardo da Vinci schon mit Locarno? Die Antwort: Jeder, der den farbigen Kasten auf Seite 69 gelesen hat.

Wer erst einmal wissen möchte, wo man im Tessin erstklassig (was sonst?!) speist (ohne sich dabei auf das gängige „na überall“ zu verlassen), nächtigt oder dem Portemonnaie eine gehörige Blitzdiät verpasst, blättert im Nu zu den farbigen Seiten am Ende des Buches, die auch im selten geschlossenen Zustand des Buches leicht zu finden sind. Hier sind alle (!) Infos dazu übersichtlich aufgelistet. Und wer Bücher für antiquiert hält und lieber mit dem Smartphone sich seine Infos vor Augen hält, der wird erfreut sein, dass alle Infos auch in der gleichzeitig erschienen App zur Verfügung stehen.

Josses Tal

Das Leben hat Josef in den Arm genommen. Allerdings nicht, um ihn zu liebkosen, sondern gewaltig im Schwitzkasten zu halten. Der Erzeuger – spurlos verschwunden. Die Mutter – eine gebrochene Frau. Der Großvater – ein desillusionierter Dickschädel, dem alles gegen den Strich geht. Und der seinem Enkel mehr Prügel verpasst, bevor die Spuren der vorangehenden Zucht verklungen sind. Nur bei Wilhelm, dem Nachbarsjungen, da kann der Junge Josef aufblühen. Er kümmert sich um Kaninchen, kann mit dem Verkauf ein „kleines vermögen“ anhäufen. Und er lernt, was Rassen sind, wie man sich gegen den undeutschen Geist wappnet, dass man einer Fahne folgen muss. Das hat ihm Wilhelm beigebracht.

Es ist die erste Hälfte der Dreißigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Hier wächst Josef, später Josse auf. Die Tatsache, dass er ohne Papa aufwachsen muss, lässt die Liebe des Großvaters zu seinem Enkel erstarren. Die braune Brut hat ihre Saat gesetzt, die Wurzeln sind teils fest im Boden verankert. Und mittendrin der unschuldige, nach Halt suchende Josef.

Und Josef ist begeistert! Nicht, weil ihm die niederträchtige Gehirnwäsche in die Karten spielt. Nein, er ist hocherfreut endlich als Mensch, als Junge, als Freund wahrgenommen zu werden. Als er die Perfidität dieses Treibens bemerkt, ist es zu spät.

Jahrzehnte später sitzt Helene im Zug nach Norwegen. Sie will zu Josse. Eben diesem Josse, der vor Jahren in Schlesien geboren wurde. Sie sind verwandt. Nach langen Recherchen – sie fand eine ihr rätselhafte Postkarte in der Familienchronik – will sie nun persönlich erfahren, warum Josef verschwand und nun in der Einsamkeit Norwegens ein nicht minder einsames Leben führt. Und was hat er mit dem Tod von Else, Helens Urgroßmutter zu tun?

Angelika Rehse geht einem Phänomen auf die Spur, das in vielen Familien immer noch totgeschwiegen wird. Dem Phänomen des Totschweigens an sich. Es gibt sicher unzählige Familiengeheimnisse, die bildstark in Filmen auf die Leinwand gebracht werden. Dafür müssen Unklarheiten mit dem Mittel der Fiktion dem Zuschauer dargebracht werden. Mit dem Resultat, dass Geschichten nicht immer mit Geschichte gleichzusetzen sind. In „Josses Tal“ ist die Ausgangslage ähnlich. Fakten sind vorhanden, der Fortgang der Geschichte ist spekulativ. Doch Angelika Rehse muss nicht mit verzerrten Bildern den Betrachter fesseln. Ihre Magie entfaltet sich in den Worten von ganz allein. Denn Worte sind feste Bestandteile unseres Denkens. Sie haben wie fast alles im Leben zwei Seiten. In diesem Fall siegt die gute über die böse Seite. Im Fall von Josse ist es schwieriger ein endgültiges Urteil zu fällen…

Das schwarze Trikot

Es ist jedes Jahr ein ganz besonders Schauspiel: Die Tour de France. Und ihre Skandale. Kurz bevor jeder in den Sommerurlaub verschwindet, rasen anfangs noch knapp zweihundert Radprofis auf profillosen schmalen Reifen die waghalsigen Abfahrten hinunter. Spektakuläre Kameraaufnahmen machen Lust auf die schönste Zeit des Jahres … und die Frage wen wird es dieses Mal erwischen? Der Drogensumpf Tour de France ist nicht wegzureden. Dafür sind die Skandale der Vergangenheit zu frisch und zu nachhaltig. Und die Recherchen mutiger Journalisten sind glaubhaft, und deswegen erschreckend. Und dennoch ist es ein Ereignis, das man sich anschaut.

In Jorge Zepeda Pattersons „Das schwarze Trikot“ geht es um die Frage wen es erwischt. Aber nicht darum, wer sich beim Doping auf die Finger klopfen lässt, sondern um die essentielle Frage von Leben und Tod. Denn im Fahrerfeld ist einer, der mit allen Mitteln versucht, sich das gelbe Trikot unter den Nagel zu reißen. Nun könnte man meinen, dass es ausreicht einfach abzuwarten bis nur noch einer übrig bleibt, der ist dann der Täter. Aber das wäre ja langweilig!

„Herr Moreau!“, so beginnt die aufregende Jagd nach dem Täter. Moreau ist Radprofi, Franzose, aufgewachsen in den Bergen von Medellin, Kolumbien. Er ist der Erzähler dieses Krimis. Der, der ihn anspricht ist ein Kommissar. Und so liest sich der Zwischenstand der Tour nach dem ersten Drittel fast schon wie eine Todesliste.

Im Vorfeld der Grand Tour sind einige potentielle Favoriten unter seltsamen Umständen um ihre Teilnahme gebracht worden. Ein Unfall, eine Überfall, eine Vergiftung und … wie sollte es anders sein … Dopinganschuldigungen. Da ist es nur verständlich, dass der momentan Führende, Teamkollege und Freund von Moreau ins Fadenkreuz des Attentäters und somit auch der Ermittler gerät. Und Moreau? Der soll undercover ermitteln? Oui! Ganz klar. Doch wie, wenn man „nebenbei“ noch das härteste Radrennen der Welt bestreiten soll, dem Teamkollegen und Freund die nötige Unterstützung geben will? Und irgendwie selbst sogar Chancen hat sich den größten Traum des Lebens erfüllen zu können. Nein, einfach ist anders. Und es wird immer schwieriger, je näher die letzte Etappe, die Triumphfahrt auf der Champs-Élysée rückt…

Das Gelbe Trikot ist das prestigeträchtigste Trikot der Radsportwelt, vielleicht sogar der gesamten Sportwelt. Das Schwarze wird einem genauso übergestreift, aber das will doch keiner haben. Denn es wird das Letzte sein, das einem verliehen wird. Mit Fachwissen über die Tour de France und einem feinen Gespür für Spannung kreiert der mexikanische Investigativ-Journalist Jorge Zepeda Patterson einen Sportkrimi, der Krimifans und Radsportenthusiasten gleichermaßen in seinen Bann zieht.

Das kalte Herz

Ein armer Hilfsarbeiter aus der Holzbranche will seiner Angebeteten ein Leben bieten, das sie verdient. Aber das Portemonnaie ist leer. Wie von Geisterhand bekommt Peter Munk, der arme Hilfsarbeiter ein Angebot, das er nicht ausschlagen kann. Wenn er die Lebensfreude aus seinem Leben streicht, wird sein Geldbeutel immer prall gefüllt sein. Passt doch, denkt er sich. Passt nicht, wir der bald schon feststellen. Die Geschichte ist bekannt, sie gehört zum deutschen Literaturerbe wie kaum ein anderes Märchen. Wilhelm Hauff  schuf mit „Das kalte Herz“ eines der düstersten Märchen überhaupt. Und immer an den Feiertagen überbieten sich die Fernsehsender mit der Ausstrahlung der Verfilmungen – Erwin Geschonneck als Holländer-Michel ist immer noch das Maß aller Dinge.

Und nun kommt neuer Schwung in die Reihe der Veröffentlichungen dieses beklemmenden Werkes.

Der 8grad-Verlag aus dem Schwarzwald, also mittendrin wo sich Peter Munk und der Holländer-Michel treffen, wo rauschende Feste gefeiert werden, wo das Drama seinen Lauf nimmt und nicht minder dramatisch enden wird, gibt dem Märchen den verdienten Rahmen. Soll heißen: Derart kunstvoll und kompakt wurde „Das kalte Herz“ noch nicht veröffentlicht. Knapp zweihundert Jahre ist diese Geschichte schon alt. Es geht wie immer ums Geld. Wers hat ist auch nicht glücklicher als diejenigen, die keins haben. Doch Wilhelm Hauff lässt seinen Protagonisten lange zappeln. Ihm fällt nicht auf welch Unheil über ihn hereinbricht.

Für die künstlerische Gestaltung des Buches ist Christian Sobeck verantwortlich. Nach dem Umblättern muss man noch einmal blättern. Besser gesagt die Seiten noch einmal aufschlagen. Klingt komisch, ist aber nicht anders möglich, wenn man der Geschichte folgen will. Das sind die angekündigten Zickzackbögen.

Die zarte Strichführung der Bilder ist so beeindruckend, dass man darüber hinaus die Worte fast vergessen könnte. Fast. Denn nur im Zusammenspiel von Buchstaben und Abbildungen ergibt sich das komplexe Bild des kalten Herzens.

Ruhrgebiet Abenteuer

Er boch um die Ecke, weil dort oben seine Freunde hausen. Essen ist fertig Hattingen sie ihm gesagt. Das gehört dort in den Mund. Und so duiste er an der Burg vorbei, brachte noch schnell den Mülheim und hätte dabei Gladbeck vergessen sein Gebet in der Gelsenkirchen zu verrichten. So manches Autokorrekturprogramm sprüht bei diesen Sätzen in allen Regenbogenfarben. Hörrma, Regenbogenfarben – der Pott steckt voller Überraschungen.

Und das beginnt schon beim Cover. Da ist die Zeche Zollverein zu sehen. Heute ein Industriedenkmal erster Klasse. Und wie heißt die Autorin? Renate Zöller. Die kommt zwar nicht direkt von hier wech, hat aber nach eigenem Bekunden schon früh Kohlenstaub geatmet. Ergo die Idealbesetzung für dieses Abenteuerbuch über eine Region, die zwar oft schon beschrieben wurde, und dabei immer noch Geheimnisse in sich birgt. Noch!

Da das Ruhrgebiet nicht gerade reichhaltig mit hohen Gebirgszügen gesegnet ist, hat man sich wohl gedacht, man müsse sich etwas ins Wohnzimmer – im Pott macht man es sich gern gemütlich im Wohnzimmer – stellt, wo man sich den Wind um die Nase wehen lassen kann. Da man aber auch gewitzt ist, blieb es nicht bei der Nase. Den Wind am ganzen Körper spüren. Ach, was heißt hier Wind?! Einen Sturm, einen Orkan. Zum Abheben. In Bottrop kann man das so genannte Indoor Skydiving am eigenen Leib erleben. Wer schon mal auf der Autobahn bei 180 Sachen – by the way: Das ist auf den Autobahnen im Pott nur gaaaanz selten zu erleben, da der Verkehr sich sehr oft im Schneckentempo vorwärts (immerhin!) bewegt – den Kopf aus dem Fenster gehalten hat, kann sich in etwa vorstellen, wie es sich anfühlt. Man wird in einen Anzug gesteckt, Brille auf – Sicherheit wird Groß geschrieben – und ab geht es in die vertikale Röhre. Und dann gibt es Kassalla von Unten! Man wird zwar nicht aus den Latschen gehauen, verliert jedoch ganz schnell die Bodenhaftung.

Noch mehr Höhenluft gefällig? Phönixplatz am Hüttenmann in Dortmund-Hörde. Muss man allerdings anmelden. Und was gibt es hier? Wenn man so will die Zugspitze (besser wohl keine Bayernvergleiche – wird sind in der Heimat der gelben Wand, also besser der Mount Everest) des Potts. Neudeutsch Skywalk. 99 Stufen ruff, und schon erlebt man Industrieromantik auf höchstem Niveau. Das alte Hüttenwerk dient heute unter anderem als Aussichtspunkt, der zu jeder Tagesstunde unglaubliche Eindrücke erlebbar macht.

Das Ruhrgebiet ist eine Region, in der wirklich jeder auf seine Kosten kommt. Paddeln auf Seen und Flüssen, bestens ausgeschilderte Radwanderwege, Städtetouren, die auch schöne Seiten der Industrieregion zeigen, viel Grün, viel Stahl, viel Beton – aber auch unglaubliche Erlebnisse. Und das, was man nicht auf den ersten blick erkennt, hat Renate Zöller mit beschwingter Feder in dieses Buch geschrieben. Nahbar, echt und ohne klischeehafte Patina der Vergangenheit.