Der kleine Dichter und der Duft

Kennen Sie auch solche Menschen, die in ihren Statusmeldungen die schönsten Orte besuchen und das dann alles mit einem „Herrlich!“ abtun? Die haben sich einen kleinen oder großen Traum erfüllt, wollen ihn mit der Welt teilen und dann kommt nur ein belangloses Adjektiv daher, das die Emotionen nicht einmal annähernd einfangen kann. Bei einem Dichter nennt man das dann Schreibblockade – das doppelte B darin versinnbildlicht dieses Gedankenstottern wohl am bbbbesten.

Der kleine Dichter in diesem Buch wird wahrlich von der Muse geküsst. Auch er will unbedingt ein Gedicht schreiben. Da kommt ihm eine kleine Wolke gerade recht. Sie steigt ihm in die Nase und … siehe da … die Gedanken schießen ihm direkt in die Schreibfeder. Gerüche, Erinnerungen oder gang rational ausgedrückt sinnliche Reize ergießen sich im Schwall auf das Papier. Der Geruch eines nassen Hundes, die duftenden Haare eines Mädchens, der überreizende Krawall der Stadt mit all seinen Nebenerscheinungen und und und.

Ja, das ist ein Kinderbuch über die Plagen eines Dichters. Wundervolle Zeichnungen und die präzisen Zeilen machen es aber auch zu einem wundervollen Lesebuch für Erwachsene. Bereits auf den Umschlagseiten nimmt die Reizüberflutung ihren Lauf. Erdbeeren, ein Koffer, noch mehr Erdbeeren, Stiefel, und wieder Erdbeeren stehen wild durcheinander gewürfelt Spalier, um der Phantasie auf die Sprünge zu helfen.

Und wenn man nach dem Genuss dieses Buches das Leserlebnis mit der Welt teilen will: „Herrlich“ kann dann nur noch der Beginn einer poetischen Beziehung zu Büchern bedeuten…

Das steinerne Herz

Geschichtsroadtrip mal anders. Mal ganz anders. Eigentlich nicht mal ein richtiger Roadtrip. Und Geschichte? Die gibt’s hier in Hülle und Fülle. Das Besondere daran ist – allen voran – der Autor: Arno Schmidt. Für Viele ist es ein steiniger Weg sich in seinen Werken zurechtzufinden. „Das steinerne Herz“ bildet da keine Ausnahme.

Ein bundesrepublikanischer Roman wird dem Leser vorgesetzt. Einer, der sowohl Hüben wie Drüben spielt. Walter Eggers erzählt eine wahrhaft erfundene Geschichte. Er sammelt, nicht einfach so, sondern ganz spezielle Dinge. Staatshandbücher aus dem Königreich Hannover. Schon allein das muss man erstmal sacken lassen. Staatshandbücher. Er ist ein Besessener. Die Jagd allein genügt ihm nicht.

In Ost-Berlin – das gab es in den 50ern schon bzw. noch – verschlägt es ihn in die Staatsbibliothek. Ein El Dorado für einen Sammler wie ihn. Und Eggers’ Finger werden immer länger. Und länger. Bei all dem Jagdfieber behält er immer noch den Blick für das, was ihn umgibt.

Der Krieg ist aus. Das Land ist in ständiger Bewegung. Abbruch, Umbruch, Aufbruch – die Brüche im Leben der Menschen treten offen zutage. Hier wie Da. Eggers ist nicht auf den Mund gefallen. Er weiß sich anzupassen, auch sprachlich. Und für jeden, der sich in dieses Buch hineinversetzt – die durchaus eigenwillige Art jeden Satz mit einem kursiven Zitat zu beginnen, muss man erstmal erkennen und akzeptieren – tun sich Geschichten auf, die man selbst erlebt oder von der Vorgängergeneration überliefert bekommen hat. Lustig ist hier gar nichts. Zum Schmunzeln an mancher Stelle schon. Schonungslos ehrlich und ohne ein Feigenblatt vor sich zu halten, räubert Arno Schmidt in West und Ost herum. So sehr, dass bei Erscheinen das Buch stellenweise „entschärft“ wurde, d.h. Passagen wurden gekürzt oder gar weggelassen. Die Moral ist ein scharfer Angsthase.

Heute liest es sich wie „durfte man das damals schon sagen?“ – nö, durfte man nicht. Und deswegen ist dieses steinerne Herz so wertvoll. Es ist gerade mal ein reichliches halbes Jahrhundert her und doch so nah. Arno Schmidts Grenzgang zu folgen, ist verzwickt, offenbarenswert und in jeder Hinsicht einzigartig.

Metamorphosen 63 – Ohne Dich, Hellas – Griechenland

Wie weit reicht das eigene Geschichtserinnerungsvermögen zurück? Bis in die 50er? Ins Mittelalter? Noch weiter zurück, bis an den Beginn unserer Zeitrechnung? Noch weiter? Und wer kommt einem da alles in den Sinn? Pythagoras? Mit dem wurden angeblich Generation von Schülern gequält (obwohl der im angedichtete Satz doch ganz einfach ist…).

Ganz so weit reicht Ausgabe Nummer 63 der Metamorphosen nun doch nicht zurück. Weit zurück jedoch, um Griechenland nicht nur als das Land zu erkennen, das dem Staatsbankrott nur mit Hilfe von … ach, lassen wir das! Griechenlands Vermächtnis ist bis heute sicht- und spürbar. Ohne konkrete Beweise kann man sicher behaupten, das 80 Prozent von allem, was uns umgibt auf die „Alten Griechen“ zurückzuführen ist. Nachzulesen bei so ziemlich jedem Philosophen, den man nur allzu gern zitiert.

Hier nun die Erben, die Neuerfinder, die Granden der Gegenwart bzw. jüngeren Vergangenheit. Mikis Theodorakis – Moment, der hat doch den Taktstock geschwungen? Richtig, aber auch Gedichte geschrieben. Und was in seinem Schädel so vor sich ging – ein paradiesischer Garten. So benennt er es so freizügig. Strandlektüre, nicht ganz so leichter Stoff fürs Café am Nachmittag, Reisezeitvertreib in sengender Hitze, Hirnfutter für tatsächlich mal verregnete Nachmittage – die Bandbreite an Möglichkeiten in diesem Buch zu lesen ist unendlich.

Und wenn man sich für das gesamte Heft, über 120 Seiten Literatur vom Meere, aus den Bergen, aus Städten und Dörfern, durchgelesen hat, weiß man auch, welche Bücher man als nächste lesen muss. „Ohne Dich, Hellas“ wird es ziemlich dunkel (das Wortspiel musste sein) im Oberstübchen. Anregende Zeilen, die zum Weiterlesen verleiten und Griechenland noch schöner erscheinen lassen.

Metamorphosen 62 – Il bel paese – Italien

Ich packe meinen Koffer: Ich nehme mit Kosmetikartikel, Wechselklamotten und ein Buch. Ein Buch, das mir mehr über das Land verrät, das mich fesselt, das Lust auf mehr macht. Doch welches? Italienreisende haben die Qual der Wahl. So reichhaltig das Angebot an Literatur, auch und vor allem hierzulande. Einen Klassiker von Boccaccio, oder doch etwas Modernes fürs Hirn von Pasolini, etwas aus der Ginzburg-Dynastie, etwas Spannendes aus einer Krimireihe … ach, die Auswahl ist schier unendlich.

Die Lösung ist ganz einfach: Hier. Metamorphosen. Band 62. Die Literaturzeitschrift für alle, die nicht genug bekommen können, denen das Neueste nicht neuest genug ist und für alle, die Inspiration brauchen. Für den Kurztrip reicht das Magazin aus. Für den längeren Aufenthalt ist es der aperitivo.

Und natürlich darf auch hier Boccaccio nicht fehlen. Ursula Menzer lustwandelt mit dem unfehlbaren Lustvermittler. Gabriele d’Annunzio – streitbar und in seinen Gedichten ein fast unschlagbarer Romantiker. Und auch zu Pasolini wird man in der Italienausgabe der Metamorphosen fündig.

Für alle anderen gilt: Italien ohne Literatur ist wie Pasta senza sugo. Ist möglich, aber … geschmacklos, farblos, freudlos. „Das schöne Land“ heißt der Titel von Ausgabe 62 in Deutsche übersetzt. Und Schönheit findet man auf jeder der 160 Seiten. Besonders, wenn man die Gedichte in Rein- und übersetzter Form sich oder anderen leise – wer’s mag und vor allem kann auch gern laut – vorliest.

Kinder des Radiums

Joe Dunthorne wurde gebeten eine Biographie zu schreiben. Über seinen Urgroßvater, einen Juden, der aus Deutschland fliehen konnte. Und der schon verstorben war. Dessen Tochter, Dunthornes Oma, war kein sprudelnder Quell der Erkenntnis. Vielmehr war sie ein Buch mit sieben Siegeln. Für einen Autor Ansporn weiterzuforschen. Aber es ist seine Familie. Die will man nicht verprellen! Die Zeit verging, auch die Oma starb. Doch der Drang die Familiengeschichte aufzuschreiben, war nicht abgeklungen. Im Gegenteil!

Dunthorne beginnt seine Familienreise mit eine gehörigen Portion Phantasie. Er stellt sich vor wie die Familie nach der Flucht die Olympischen Spiele 1936 in Berlin nutzt, um noch einmal ins eigene Heim in Oranienburg bei Berlin zurückzukehren. In die eigenen vier Wände einzubrechen. Dies und Das, vor allem Wertvolles vor den gierigen Händen der Nazis zu retten. Das Geld wird mit vollen Händen ausgegeben. Eine Geige, eine Kamera – nichts ist zu teuer, um es in transportable Sachen zu verwandeln. Denn das Geld hätte man ihnen – als Juden, als geflüchtete Juden – garantiert an der Grenze wieder abgenommen. Doch so war es nicht! Den Einbruch gab es nicht. Die Geige und die Leica schon.

Ebenso die Episode wie Siegfried Merzbacher, Joe Dunthornes Uropa eine bahnbrechende Erfindung machte. Ihn plagten Zahnschmerzen. Als Chemiker hatte er vom Radium und dessen heilender Wirkung gehört. Dass dem nicht ist, hatte man erst später herausgefunden. Ein bisschen Radium-226 ins Zahnfleisch gespritzt, und nach wenigen Tagen (die unappetitlichen Details erliest man sich besser selber im Buch) trat die Heilung ein.

Sein Arbeitgeber die Auergesellschaft beauftragte ihn mit der Entwicklung weiterer Produkte, die mit der Wirkung des Radiums „eine bessere Welt erschaffen“ können. Mitte der 20er Jahre kam Doramad auf den Markt. Zahnpasta mit Radium, die so ziemlich jeden Schädling im Mundraum wirkungslos machten. Hurra, nie mehr Zahnarzt! Naja, so einfach war es dann doch nicht. Bis heute müssen wir alle einmal im Jahr dorthin. Dass die Forschung mit Radium für die Kriegstreiber einen willkommenen Nebeneffekt hatte, war Siegfried Merzbacher nicht sofort bewusst. Pflichtbewusst hingegen ging er seiner Arbeit nach – was ihm schlussendlich einen relativ geordneten Fluchtweg aus Deutschland heraus bescherte.

Joe Dunthorne gräbt weiter in der Familiengeschichte und stößt immer wieder auf Schweigen und allerlei Geheimnisse. Fakten, die ihm seine Vorfahren in einem anderen Licht erscheinen lassen – nicht hell, nicht leuchtend, und schon gar nicht heroisch. Sein Buch „Kinder des Radiums“ ist noch lange nicht abgeschlossen, so lange nicht bis alle Zweifel aus dem Weg geräumt sind. Was niemals passieren wird. Die bis hierhin gesammelten Fakten sind ein lesenswertes, spannendes Kapitel Familien- aber vor allem deutscher Geschichte.

Korsika

Napoleon hat die Insel verlassen, weil … er Größeres vorhatte. Was kann es Größeres geben als diese Insel mit all ihren Facetten kennenzulernen?! Näher an Italien, Frankreich zugehörig (was jeder echte Korse natürlich ablehnt) und von der Sonne verwöhnt. Bastia, Ajaccio und vielleicht noch Calvi sind die bekanntesten Orte. Und sonst? Wer war noch nicht dort, weiß aber noch ein bisschen mehr?

Marcus X. Schmid war dort. Er kennt sich aus. Und ist der beste Reiseführer über die Insel. Mitten im Inselleben bis hin zu verwunschenen Orten – er kennt sie alle, die geheimen Orte, die besten Aussichten, die ruhigsten Plätze zum Verweilen.

Wer Korsika besuchen will, weil er schon immer dorthin wollte, dem fällt es schwer sich zu entscheiden. Ein klar gegliederter Reiseband ist nun wichtiger als man es sich selbst eingestehen will. Denn nichts ist nerviger als im Urlaub permanent in seinem Reisebuch hin- und herzublättern, um genau das zu finden, was man eben noch gelesen hatte. Jedes Kapitel beginnt mit einem Spoileralarm: Was, Wo, Wann … das Warum? erschließt sich von ganz allein.

Warum soll man also im Hinterland von Sagone in den Ort Muna reisen? Da wohnt kaum noch jemand! Und alle reden vom Dorf der Banditen. Genau deswegen! Langsam kommt wieder Leben ins Dorf, das 1960 noch hundert Einwohner zählte. Heute sind die Nachfahren wieder vor Ort, um es für den geneigten Touristen wieder herzurichten. Es ist ja alles da. Exzellente Bausubstanz und sogar eine Kirche mich funktionierendem „Glöcklein“ wie Marcus X. Schmid so liebevoll in einem der zahlreichen gelb unterlegten Kästen anpreist. Mehr Abenteuer geht nicht.

Wilde Bergformationen, idyllische Strände, lebendige Städte – Korsika muss sich nicht neu erfinden. Hier war schon immer alles so. Geschichte allerorten – kaum ein Reiseband enthält so viele Anekdoten wie dieser hier. Immer wieder wird man zum Innehalten eingeladen. Was gibt es Schöneres als von einem erhabenen Punkt in die Unendlichkeit schauen zu können. Hier gibt es keinen Grund sich klein zu fühlen. Glück – das empfindet man hier. Wenn man die richtigen Orte kennt, die eben dieses versprechen.

Die Abbildungen im Buch sind der farbenprächtige Beweis, dass die Entscheidung Korsika auf die Urlaubsliste zu setzen die richtige Wahl war. Ein erstes grobes Durchblättern lässt die Vorfreude steigen. Und wenn man sich erst einmal ins Buch vertieft hat, ist jede Minute bis zum Abflug eine Qual. Das Warten lohnt sich aber zu mehr als 100%.

Madeira und Porto Santo

Madeira kann getrost als Traumziel erachtete werden. Die Insel ist auch der Einstieg ins Weltreisen. Weit weg von zuhause – Flugzeiten von fast fünf bis acht Stunden) – und doch nicht allzu fremd. Aber selbst bei längerem Nachdenken fallen Einem nicht viele Fakten zu Madeira ein. Der Name Madeira ist Vielen bekannt, und doch weiß man so wenig.

Ray Hartung versucht auf über 250 Seiten mit geballtem Wissen entgegenzuwirken, und schafft es scheinbar spielerisch. Die Insel auf eigene Faust zu erkunden, gehört zum Reisen wie das Salz in der Suppe. Und Madeira bietet sich förmlich an es selbst einmal zu versuchen individuell zu reisen: Berge und das Meer direkt davor, eine kulinarische Hochburg vor den Küsten Afrikas, Florareichtum, der hierzulande nur mit Eintrittsgeld zu erkunden ist und das Besondere leben hier in erwartungsvollem Einklang.

Vor über zweihundert Jahren entdeckten die Engländer die Insel als Zufluchtspunkt für die schönsten Tage im Jahr. Seither reisen jedes Jahr mehr Besucher auf die Insel des ewigen Frühlings. Nichts für All-Inclusivler! Hier ist der Reisende selbst gefordert. Und mit diesem Buch im Reisegepäck ist er auf alle Fälle auf der sicheren Seite, wenn es darum geht nichts zu verpassen.

Erster Anlaufpunkt für die meisten ist Funchal, die Hauptstadt Madeiras. Hier pulsiert das Leben, hier stellt sich Madeira vor. Modern und traditionsbewusst zugleich kommt der Gast in die richtige Stimmung, probiert Espetada de carne oder Espada com banana. So frisch gestärkt (mit Ochsenfleisch und schwarzem Degenfisch) kann man nun die Insel erforschen. Die beiliegende Karte und die abgedruckten Pläne oder die gratis zum Download GPS-Daten machen es einem einfach sich zurechtzufinden: Bis auf die höchsten Gipfel, vorbei an den beeindruckendsten Tälern, mit den schönsten Aussichtspunkten der Insel und mit unvergesslichen Ausblicken auf den unendlichen Ozean. Apropos Meerblick: Seit ein paar Jahren kann man vom Cabo Girão von einem so genannten Skywalk über die fast sechshundert Meter hohe Klippe in den bedrohlichen und faszinierenden Abgrund schauen.

Auch die kleine Schwesterinsel Porto Santo hat ihre Reize. Hier geht es im Allgemeinen etwas gemächlicher zu. Man ist hier unter sich. Die Insel ist bedeutend kleiner als Madeira, doch nicht weniger attraktiv. Tagesausflüglern werden die Rundfahrten empfohlen, wer länger bleibt kann sich mit Bergtouren und Tauchgängen und allem, was dazwischen liegt die Zeit mehr als gehaltvoll vertreiben.

Madeira ist eine feststehende Größe im Reiseplan eines jeden Reisenden. Und mit diesem Reisebuch ist man bestens ausgestattet. Die klare Gliederung, die ausgeklügelten Ausflugs- und Einkehrtipps, die detaillierten Erkundungstouren, die zahlreichen Karten und der kleine Sprachführer am Ende des Buches lassen den Madeira-Aufenthalt noch lange in Erinnerung behalten.

Für mich soll’s rote Rosen regnen

Wenn man sich durch die TV-Landschaft zappt und den Promis beim gezwungenen Zum-Deppen-Machen zuschaut, beschleicht einem ein beklommenes Gefühl, wenn später von Stars die Rede ist. Das sind keine Stars!, die sich da gegenseitig ihre nicht vorhandenen Deutschkenntnisse und Umgangsformen an den Kopf knallen. Würde Hildegard Knef sich heute in einem geriatrischen Promi-Format so zur Schau stellen?! Nein, sie hätte es auch als Spiegel-Covergirl niemals getan. Auch nicht nachdem ihr im Life-Magazin vier Seiten gewidmet wurden. Und als ihr Nippelgate Deutschlands Moralhüter erzürnte schon gleich gar nicht. Sie wusste, was sie kann. Sie brauchte keine gekünstelte Publicity.

Kurz nach Weihnachten dieses Jahres (2025) würde sie ihren Hundertsten feiern können. Sie – der erste große Star des daniederliegenden Deutschlands, das so viel Schuld auf sich geladen hatte. „Die Mörder sind unter uns“ war nicht einfach nur ein Kassenschlager – es war eine Abrechnung. Auch von Regisseur Wolfgang Staudte, der schon in braunen Zeiten sich ausmalte wie es denn sein wird, wenn er nach der Dunkelheit den Widersachern noch einmal begegnen wird. Und mittendrin die Knef. Damals noch ohne Artikel. Aber schon mit der Absicht Karriere zu machen. Durchbeißen konnte sie sich. Musste sie auch. Als die Mutter wieder zurück in Hildegards Geburtstadt Ulm ging und Hildegard nicht mit wollte. Berlin – das war ihr Ziel … vorerst. Doch schon im Januar 1948, bei der Premiere von „Film ohne Titel“, den die Knef so sehr liebte, war damit Schluss. Sie fehlte bei der Premiere – entschuldigt. Der Flieger nach Amerika hob nicht ohne sie ab.

Broadway und die große Leinwand waren alsbald ihre Bretter, die die Welt bedeuten. Der Weg nach Oben schien endlos. Vergessen die Kinderkrankheiten, die ihr Leben bis dato erschwerten. Und singen konnte sie auch noch. Was will man mehr?! Gesundheit, würde sie wohl heute sagen. Das Leben der Knef war ein dauerndes Auf und Ab. Ging es bergab, dann bis zum Tiefpunkt. Ging es bergauf, dann bis auf die höchsten Spitzen.

Und heute? Es gibt eine ganze Generation, die noch nie von Hildegard Knef gehört hat. Eine Generation, die gänzlich ohne echte Stars aufwachsen muss. Nur Pseudo-In-Die-Kamera-Rülpser, deren Worte niemals aufgeschrieben werden sollten. Ach wat wär det schön, wenn die Knef ihren Senf dazu abgeben könnte! Alle spitzzüngigen Giftspritzen würden eingeschüchtert in ihr Nest zurückkehren und ihre Berufswahl noch einmal überdenken. Für die, die mit der Schmach der Unkenntnis über die Knef nicht leben können, ist Christian Schröders Buch ein Erweckungserlebnis. Und führt wohl auch dazu das eigene Anspruchsdenken, was einen Star ausmacht, zu überdenken. Kunst ohne die Knef ist in Deutschland undenkbar. Man muss es suchen, doch man wird fündig. In Theatern, auf großen und kleinen Bühnen, in Nischen, auf der Straße, in Dokus, in Mediatheken. Man muss sich nur trauen. Hildegard Knef wird niemals so ganz gehen – gut so!

Hitlers Fotograf Heinrich Hoffmann

Der Name eignet sich erstaugenblicklich wohl nicht zum Star-Tum. Heinrich war zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts ein mehr als gebräuchlicher Name. Und Hoffmanns (mit all ihren Schreibvarianten) gab es auch wie Sand am Meer. Aber ist Heinrich Hoffmann deswegen einer unter vielen? Ganz im Gegenteil. Wahrscheinlich kennen ihn mehr Leute als er selbst vermuten würde … würde heute noch leben. Sein Werk ist millionenfach gesehen worden. Seine Fertigkeit, sein Ehrgeiz, seine Attitüde waren sein Kapital.

Heinrich Hoffmann war Hitlers Fotograf. Niemand kam ihm so nah wie er. Wo immer der Schnauzbart auftrat – Hoffmann war nicht weit. Immer die Kamera im Anschlag. Nur die Kamera. Doch war Hoffman wirklich nur der Fotograf, dessen Werk geschickt als Propaganda benutzt wurde? Mitnichten. Er profitierte selbst am meisten von seiner Arbeit.

Schon früh war Hoffmann von den Ideen der Nationalsozialisten angetan. Nicht nur aus unternehmerischem Kalkül, sondern aus tief verwurzelter Überzeugung. Er war kein Nachsprecher, der bereitwillig Propaganda verbreitete. Er musste nicht agitierte werden. Er war Nazi. Einer der ersten Stunde. Und er war ehrgeizig.

Als enger Vertrauter – und das war er zweifelsfrei – genoss der Privilegien wie kaum ein anderer. Das füllte nicht nur sein Herz, sondern vor allem auch seinen Geldbeutel. Der kleine Fotograf stieg schnell zum erfolgreichen Verleger auf. Sein Bilder, seine Rechte, seine Konten. Sein Aufstieg war steiler als so mancher rechter Arm in der dunkelsten Zeit Deutschlands, Europas und der Welt. Er war ein echter Influencer.

Sebastian Peters hat unzählige Stunde damit zugebracht Archive zu durchstöbern, Bildmaterial zu sichten, Schriften zu analysieren. Auf über sechshundert Seiten entstand so die erste umfangreiche Biographie einer der einflussreichsten und mehr oder weniger unbekannten Persönlichkeiten des Dritten Reiches.

Bis heute prägen Hoffmanns Bilder unser Bild von Nazideutschland. Ein Perspektivwechsel ist durch dieses Buch erstmalig möglich. Jede Einstellung, alles, was gezeigt wird und vor allem, was nicht gezeigt wird, war und ist Inszenierung von Hoffmanns Hand und Auge. Dessen muss man sich stets bewusst sein. Schnappschüsse gab es nicht. Und wenn doch, dann kann man es fast schon nicht mehr glauben. Aufarbeitung ist Schwerstarbeit. Und wenn heute Diktatoren medial auftauchen, stellt man sich immer wieder die Frage: „Soll das so sein?“. Es ist ein Anfang sich den Anfängen in den Weg zu stellen. Sebastian Peters’ Buch über Heinrich Hoffmann ist mehr als nur eine Biographie, es ist ein Wegweiser Propaganda die Masken herunterzureißen und die Dürftigkeit des Banalen bloßzustellen.

Das Alibi

Namenlos, erfolglos, gefühllos – ganz schön was los in Barcelona. Der aus Mexiko stammende anfangs noch namenlose (!) Erzähler erzählt von seiner Frau, der Brasilianerin, ebenfalls namenlos. Und dem Halbwüchsigen und dem Mädchen. Ebenfalls namen… was sonst. Eine Unvernunftehe ist es. Um hier bleiben zu können, nach dem Studium. Dass er Schriftsteller ist, verheimlicht er allzu gern. Zu groß die Angst vor der Blamage.

Schreibkurse gibt er allerdings sehr gern. Wenn denn jemand kommt, um sich inspirieren zu lassen. Ein Ecuadorianer kreuzt seinen Weg. Eine bretonische Friseurin verliert einen Finger – sie ist also quasi fingerlos. Und wie zaubert man daraus nun ein Alibi?

Die Antwort erliest man sich als Leser am besten selbst. Jedwede Erwartung, jede Leseerfahrung muss man dabei aber außen vorlassen. Denn Juan Pablo Villalobos gelingt mit scheinbaren Unnötigkeiten eine Szenerie zu kreieren, die an Eigenwilligkeit nicht zu überbieten ist. Seitenlang ergießt er sich in scheinbar belanglosen Gesprächen, die erst am Ende des – letztendlich doch viel zu kurzen – Buches ein stimmiges Gesamtbild ergeben. Jeder noch bedeutungslose Satz, der bisher das Hirn des Lesers verwirrte, lugt mit einem verschmitzten Lächeln um die Ecke als wolle kundtun: „habe ich es Dir nicht gesagt?!“.

Es ist eine Kunst als Belanglosen (scheinbar) Bedeutungsvolles (in echt!) zu Papier zu bringen. Und erst ganz kurz vorm Schluss wird klar, der der sonderliche Schreiberling ist. Unbekannt ist er nun wirklich nicht. Warum die Handelnden ihr Los der Namenlosigkeit so duldsam ertragen, wird schnell klar: Sie wollen einfach nicht im neuen Buch des Autors erscheinen. Die Kids sind eh nicht erpicht darauf in den Zeilen aufzutauchen. Was, wenn sie jemand erkennt? Wie peinlich! Sie werden ihr blaues – in diesem Fall ihr ROTES – Wunder erleben. Und alle leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage?

Nun ja, ein Märchen ist „Das Alibi“ nicht. Aber mindestens genauso nachhaltig.