Ich traf Hitler!

Darf oder soll man über den Titel – bevor man auch nur einen Blick hineingeworfen hat – Witze machen? „GuTen MoRRgen, Frau Journalistin!“, „Guten Morgen, Herr … “. Als Dorothy Thompson Adolf Hitler traf, war der noch nicht Kanzler. Es waren noch vierzehn Monate bis zu seiner schlussendlichen Machtergreifung. Wenige Monate vor seiner „Wahl“ erschien dieses Buch. Ende August 1934 muss Dorothy Thompson Deutschland binnen vierundzwanzig Stunden verlassen, weil sie mit einer Frau zusammenlebt, der Schriftstellerin und Bildhauerin Christa Winsloe. Wie schon Ende der Zwanzigerjahre als sie in Russland die Unterdrückung der Religionsfreiheit und die stete Anwesenheit der Geheimpolizei ans Licht brachte, wurde sie nun zur unermüdlichen Kämpferin gegen Faschismus. Ihre Einschätzung, dass Er niemals Kanzler werden könnte, war ihre größte Niederlage. Wie kam sie zu dieser Fehleinschätzung?

Berlin, Wilhelmplatz 3-5, Hotel Kaiserhof. Heute Mohrenstraße, Höhe Zietenplatz. Ein gut gelaunter … nee, nee, nee so fangen wir erst gar nicht an. So war es auch nicht!

Schon seit dem missglückten Putsch mit Ludendorff versucht Dorothy Thompson ihn zu interviewen. Die Prozentzahlen seiner Partei bei Wahlen stiegen ständig an. Für Thompson bestand vor dem Interview kein Zweifel dem nächsten Reichskanzler gegenüber zu sitzen. Er verspätet sich um eine Stund. Und schon nach weniger als einer Minute mutmaßt (für sich, im Verborgenen) die Journalistin, dass ihr nicht der nächste Kanzler gegenüber sitzt. Rhetorisch sicher und gewiefter Redner, aber Kanzler? Dafür reicht es nicht. Sie wird ihre Meinung nicht ändern im Verlauf des Gesprächs. Wie ein Berserker reitet Er die Propagandawelle. Spricht zu ihr, der einzelnen Frau wie zu einer jubelnden Masse aus tausenden Fanatikern. Innerlich ist sie sehr müde. Äußerlich ist sie wach. Sie lebt in dem Land, das bald schon von diesem Kleinbürger regiert und in den Abgrund gestürzt werden soll.

Nachdem sie Deutschland verlassen musste, half sie emigrierten Künstlern wie Bertolt Brecht und Thomas Mann in den USA Fuß zu fassen. Auch dank ihrer Freundschaft zu Eleanor Roosevelt, der First Lady. Sie war sich bewusst, dass die Feder stets stärker als das Schwert sein muss. Wohingegen ER meinte, dass Bilder mehr vermitteln und bewirken als seitenlange Texte – eben ein Kleinbürger!

Es sind die beim Lesen unentwegt auftauchenden Bilder der Gegenwart, die dieses Buch so besonders machen. Und so aktuell. Jeder kurze Blick in Interviews mit ihm ähnelnden Parteifunktionären zeigt die Unfähigkeit und Perfidität dieser Gestalten. Er hatte es schließlich geschafft. Die ihm Nacheifernden werden seit Erscheinen von „Ich traf Hitler“ immer noch entlarvt. Man muss nur lesen!