Kurz nach der Wende gab es weltweit keine andere Stadt, der man einen Boom andichtete, der dann auch tatsächlich geschah, als Berlin. Noch nie wurde ein Nationalgefühl, ohne dumpfe Misstöne im Nachgang so sehr vom Image einer Stadt abhängig gemacht wie das der Deutschen mit ihrer Hauptstadt. So manche Berühmtheit ließ vorsichtshalber mal einen Koffer hier stehen, andere packten Wahrzeichen in ein silbrig schimmerndes Gewand. Das Zentrum wurde komplett umgekrempelt. Berlin hat sich jemausert. Zu einer echten Metropole, die im Konzert der großen Namen wie Paris, New York und London immer öfter den Takt angibt. Die Reiseführer überschlagen sich mit Highlights, Geheimtipps und Hotspots, die man gesehen haben muss.
Bernd Ingmar Gutberlet geht bei seinem Reiseführer einen anderen Weg. Er geht rückwärts. In der Zeit. Bis ins Jahr 1910. Damals war Berlin ähnlich attraktiv und erhaben wie heute, nur eben anders. Seine Reisewoche führt den Spaziergänger, Wissbegierigen und Forscher ein ganzes Jahrhundert zurück, an die Plätze, die Geschichte (für uns) schrieben und für die Zeitreisenden schreiben werden.
Vieles ist heute noch bekannt, der Hackesche Markt zum Beispiel oder bald wieder bekannt wie das Schloss. Es wird auf alle Fälle eine Reise, die Altes wieder hervorholt und Neues erstrahlen lässt. Wer Berlin als Tagesausflügler kennt, wird schnell bemerken, das „janz Berlin“ nicht nur „eene Wolke iss“, sondern voller Geschichte(n) steckt, die es wert sind erzählt und entdeckt zu werden. Und er wird merken, dass Berlin doch eine gewaltige Ansammlung von Dörfern ist. Charlottenburg war nämlich einst (für den Reisenden im Moment) die reichste Stadt Preußens.
Im Anschluss an die sieben Tagesspaziergänge (mit Bus und Bahn oder Taxi war es 1910 nicht weit her) folgt – wie in jedem guten Reiseführer ein kleiner Sprachexkurs. Ein bonfortionöser Lese- und Reisespaß, der Knast macht auf mehr und dem Zeitreisenden beim Bummeln durch den Kiez keine Chance gibt die Zeit zu verbumfiedeln.
Und das Beste an den historischen Spaziergängen ist, dass man nicht bei Starbucks einkehren oder bei H&M shoppen muss. Hier geht es ausschließlich nur um ein touristisches Vergnügen wie anno dazumal. Reisen ohne Konsumterror, ohne den Zwang ein originelles Mitbringsel erstehen zu müssen. Die Reise an sich ist das Mitbringsel.