Es ist vor Olympischen Spielen eine Tradition, dass die Olympische Fackel von Griechenland ins Land des Austragungsortes von Menschen getragen wird, die sich verdient gemacht haben. Einige lassen sich das was kosten, andere werden nominiert, weil ihr Leben einzigartig war und ist und man ihnen deswegen diese Ehre antragen möchte. So war es auch in den Wochen vor den Sommerspielen in Paris. In Saint-Etienne wurde diese Ehre (und hier stimmt diese oft zu sehr strapazierte Phrase nun wirklich einmal) Melanie Berger-Volle zuteil. Nicht, weil ihre Enkelin 1996 als Turnerin teilnahm. Auch nicht, weil sie mit einhundertzwei Jahren die älteste Fackelträgerin sein wird. Nein, es ist das eindrucksvolle, lange Zeit von Ängsten belastete Leben, ihr unermüdlicher Kampf gegen Faschismus und ihr niemals ermüdender Kampfgeist (der bis heute in Gesprächen aus all ihren Poren hervortritt).
Melanie Berger musste ihr Österreich fluchartig verlassen, weil sie offen gegen die Einverleibung Österreichs eintrat und vehement gegen das Naziregime propagierte. Über Belgien gelangte sie nach Südfrankreich. Jahre lebte sie im Untergrund. Immer auf der Hut, immer mit der Angst im Nacken entdeckt zu werden. In Montauban, rund 50 Kilometer Luftlinie nördlich von Toulouse kam sie unter. Entdeckt zu werden bedeutete in ihrem Fall automatisch Lager und den sicheren Tod. Sie wurde entdeckt, kurz nach Weihnachten im Jahr 1942. Sie kam ins Lager. Sie entkam ihm aber auch. Abenteuerlich, aber vom Erfolg gekrönt.
Nach dem Krieg ging die Odyssee weiter. Ein richtiges Zuhause, eine echte Heimat musste sie lange suchen und fand sie schließlich wieder in Frankreich. Spiegel-Autor Nils Klawitter wurde auf ihre Geschichte aufmerksam, traf auf eine Frau, deren Energie ihn einfach in den Bann zog. Aus dem Fünf-Seiten-Artikel wurde ein Buch, dieses Buch.
Die unverblümte Wahrheit immer noch so präsent und klar wiedergeben zu können beeindruckte nicht nur den Autor. Über Jahrzehnte hinweg allen Widrigkeiten Widerstand leistend, hat Melanie Berger Fotos aus ihrer frühen Kindheit bewahren können. Bis heute geht sie in Schulen und berichtet, was ihr widerfahren ist. Sie ist eine der letzten Überlebenden des Widerstandes – egal welchen Namen dieser nun trug. Ihr Engagement ist bis zum heutigen Tag ungebrochen. Wer sie trifft, steht einer Frau gegenüber die zeitlos ist. Auch beim Olympischen Fackellauf fiel sie durch ihre positive Ausstrahlung auf. Es waren nur wenige Meter, die sie die Fackel trug, es war nur diese kleine Sache Widerstand – man muss nicht viel Brimborium um sich machen. Taten sprechen lassen – so verändert man die Welt.