Das Vaterland

An Weihnachten vor dem grauen Winterwetter fliehen. Sich in der Sonne des Südens erholen … ach, es ist ein Traum. Je näher jedoch die Rückkehr rückt, umso trüber verfinstert sich die Stimmung. Wenn man jedoch länger, viel länger, so um die drei Monate weg von zu Hause ist, steigert sich die Vorfreude auf die Heimkehr. Endlich wieder was Vertrautes sehen zu können. Vertraute Düfte, vertraute Menschen, vertrautes Umfeld.

Für die Besatzung der Kulm, einem Dampfschiff, wird die Rückkehr ein echtes Abenteuer. Ein wild zusammen gewürfelter Haufen, der in den heimatlichen Hafen einfährt. Der schroffe Ton auf See ist nicht jedermanns Sache. Da fallen auch schon mal Worte, die verletzen. Zumal, wenn das Abfahrtsdatum der 26. Dezember 1932 ist. Und das Schiff am 28. März 1933 in Hamburg festmacht.

Es hat sich viel verändert. Der Schnauzbart ist nun doch an die Macht gekommen. Für einige an Bord (und bald an Land) ein Segen, ein Hoffnungsschimmer. Für viele jedoch die größte Katastrophe ihres Lebens. Kaum etwas ist so wie es vor einigen Wochen noch war. Juden dürfen öffentlich angepöbelt, verprügelt, ausgegrenzt und gescholten werden. Die allgemeine Stimmung ist aggressiv. Man muss aufpassen, was man sagt. Jeder könnte ein Spitzel mit Beziehungen sein. Willkürliche Brutalität ist salonfähig geworden. Die Prügeleien zwischen Betrunkenen auf der Reeperbahn sind dagegen Kinderkram. Echte Matrosen scheuen einen ehrlichen Kampf nicht. Doch das, was jetzt vor sich geht, ist für viele ein Rund-Um-Die-Uhr-Kampf ums Überleben.

Heinz Liepman verließ im Juni 1933 Deutschland. Er wurde verfolgt, seine Bücher verbrannt. Er hegt keinen Groll. Er bedauert nicht. Er erhebt seine Stimme. Aus scheinbar sicherer Entfernung.

„Das Vaterland“ ist einer der ersten Exilromane. Nur kurze Zeit nach der Machtergreifung der Nazis ist dieses Pamphlet, wie er es nennt, erschienen. Alles echt, alles wahr, alles genauso passiert. Nichts hinzugefügt, nichts beschönt. Nur in der Reihenfolge der Dramaturgie des Lesen angepasst.

Fast hundert Jahre sind seit Erscheinen des Buches vergangen. Der aufkommende Nationalismus im Schulterschluss mit Militarismus und Faschismus ist untersucht und dennoch sind die Anfänge in den Augen vieler nur Geschichte von damals. Die Parallelen zur Gegenwart sind frappant. Nein, offensichtlich. Immer öfter muss man den Finger auf die Lippen legen, um nicht anzuecken oder gar Schlimmeres zu erleiden. Gleichzeitig jedoch sind Aussagen, die seit jeher – schon immer – als verpönt galten oder es zumindest sollten, fast schon in den Alltagsslang übergegangen. Klar sichtbare Hinweise werden als Gedanken von Spinnern abgetan. Und so dürfen verbotene Gesten fast ohne Sühne publiziert werden. Wohin das führt, wird auch in diesem Buch eindrücklich beschrieben. Eines steht fest. Heinz Liepman war sicher kein Visionär. Doch dieses, sein Buch ist stellenweise so aktuell wie nie!