Wer Rom verschläft, hat die Welt nicht gesehen. Jahrein, jahraus reisen, ja pilgern Millionen von augendurstigen Touristen in die Ewige Stadt. Und alle sind mit Kameras – teils – bewaffnet. Und alle machen das Bild ihres Lebens! Doch nur ein verschwindend geringer Prozentsatz kann seine gepixelten Ergebnisse hinterher auch wirklich vorzeigen. Und noch weniger als Buch drucken lassen. Und zu denen gehört Bernd Rücker.
Selbst in einer Reihe wie City impressions von vagabond books sticht der Band über Rom nicht durch Quantität, sondern durch Qualität heraus. Sicher hätte Bernd Rücker auch ein Werk mit eintausend Seiten machen können. Doch er entschied sich für die „schmale Variante“ von dreihundert. Wie immer darf der Leser schon auf Anhieb einen Schlüssellochblick durch den Einband werfen. Die Silhouette der Stadt gibt den Blick frei auf ein Abenteuer.
Ein Bildband über Rom ist eine Herzensangelegenheit. Jede Sparte der Buchkunst kann mit einem Bildband aufwarten. Von der Archäologie über die Kunst bis hin zu Reiseführern – Rombücher verkaufen sich wie geschnitten Brot. Und ab und zu finden sich auch wahre Kleinode unter den Neuerscheinungen. Dieses Buch gehört nicht dazu, es ist ein Großod – wenn es denn dieses Wort überhaupt gibt. Mächtig die Ausmaße (325 mal 300 mm), beeindruckendes Gewicht (ca. drei Kilo) – doch das sind nur die oberflächlichen Merkmale. Wie in einer guten Beziehung geht es um die inneren Werte. Hier gibt es kein Gut oder Böse, kein Schwarz oder Weiß. Dieses Buch ist einzigartig (gut) in all seinen Schattierungen. Der Hell-Dunkel-Kontrast als Symbol des Unverfälschten. Keine Bonbonfarben, die den Blick trüben und die Konturen verwischen lassen. Licht und Schatten als Denkschrift des Details.
Und Details findet man bei jedem Durchblättern immer wieder aufs Neue. Ein Kinderlachen, graziler Alltag, pures Leben, eine Mauerspalte. Und auf jeder Seite die Aufforderung die kleinen grauen Zellen anzustrengen und sich selbst eine Geschichte auszudenken. Bernd Rücker tut dies auch und liefert wie beiläufig eine Geschichte gleich mit.
Zwei Männer – der Eine hätte sich nie zu träumen gewagt diese Stadt, Rom, je besuchen zu können. Der Andere will eigentlich weg, aus familiären Gründen, doch kann sich nicht lösen. Ihre Geschichten bilden den Rahmen um die oft doppelseitigen Bilder. Keine Stadtrundfahrt mit „Schauen Sie links, rechts sehen Sie …“ – nein es sind Spaziergänge, die den Alltag bestimmen und erst bei genauerem Hinsehen diesen zu einem Höhepunkt machen. So wie einst Tom Ripley als er in Rom den Halt suchte, den er brauchte, um sich seinen Häschern stellen zu können. Er durchstreifte schon nach wenigen Tagen die Stadt wie ein alter Hase. So ergeht es auch dem Betrachter dieses Buches.
Wer zum ersten Mal Rom besucht, findet kaum die Zeit den Alltag der Metropole einzufangen. Zu groß das Angebot an Geschichte – jede Ecke erzählt vom einstigen Ruhm des allmächtigen Römischen Reiches. Wer zum zweiten Mal nach Rom reist, holt nach, was er beim ersten Mal verpasst hat. Die ersten Eindrücke Roms bekommen langsam Konturen. Die City impressions Rom vermitteln sofort den Eindruck als kenne man die Stadt am Tiber schon seit Ewigkeiten. Gelato in historischer Kulisse. Espresso vorm Palazzo. Siesta dort, wo es sich einst der Adel gutgehen ließ. Grandezza auf höchstem Niveau für nicht minder höchste Ansprüche.
Bleibt noch die Frage offen, für wen dieses Buch gemacht ist. Für alle, denen Formensprache und Ästhetik nicht einerlei sind. Für alle, die Rom ins Herz geschlossen haben. Für alle, die Rom noch einmal – auch anders – erleben wollen. Für alle, die feststellen mussten, dass Rom doch mehr als Pantheon, Colosseum und Petersplatz ist. Für alle, die Rom nicht nur als Reiseziel betrachten, sondern als Fest für alle Sinne. Die City impressions Rom sind Augenschmaus und Herzschmerz zugleich. Das Auge erfreut sich aufregenden Perspektiven, expressionistischen Einstellungen und grandiosen Bildkompositionen. Das Herz blutet, weil der nächste Flieger gen Roma ohne es abhebt. Wenn es heißt, dass in Rom Licht und Schatten oft eng beieinanderliegen, so hat sich Bernd Rücker dies zu Herzen genommen. Er passt genau den Augenblick ab, in dem das Gut-Und-Böse-Spiel von Hell und Dunkel zur vollen Entfaltung kommt. Das ist der Augenblick, in dem er abdrückt und das Drama seinen Lauf nimmt… Der Leser darf dieses Drama beobachten. Ein Auf und Ab der Gefühle gibt es bei ihm nicht. Es dominiert das Auf.
Dieses Buch einfach nur anzuschauen, ist ein Fest. Doch es reicht nicht. Man muss Rom nun endlich selbst sehen, es schmecken, es in sich aufsaugen. Als Urlaubslektüre empfiehlt sich „Der talentierte Mr. Ripley“. Wer genau liest, erkennt den einen oder anderen Ort aus den City impressions wieder…
Wie immer sind die Bücher in zwei Sprachausgaben erhältlich – deutsch/englisch und französisch/spanisch. Auf der Suche nach dem besonderen Geschenk kommt man nur schwer an diesem Bildband vorbei.