Archiv der Kategorie: Reiseimpressionen

Reise mit einer Eselin durch die Cevennen

Guck mal, ein Esel. Ach wie niedlich, die Augen, die Ohren. Ach wie süß! Nachdem die unweigerliche Verzückung vorüber ist, richtet sich das Augenmerk des Lesers auf die folgenden beschriebenen Seiten dieses Reiseberichtes von Robert Louis Stevenson. Genau der Robert Louis Stevenson, der mit der Schatzinsel. Im Herbst 1878 macht er sich auf über 200 Kilometer durch und über die Cevennen zu wandern. Zwölf Tage für 200 Kilometer – sportlich. Und jetzt versetzen wir uns in die Gegenwart. Wir wollen wie Stevenson durchs Gebirge wandern und Ruhe und Einsamkeit finden. Und finden was? Endlose Schlangen von Wohnmobilen, deren Fahrer fast schon pastoral von Freiheit murmeln und die sich ebenso endlos statt um das Leeren ihrer Chemikalientanks kümmern lieber mit einem Wagenrad über dem Abgrund erst einmal erleichtern statt die Aussicht zu genießen. Navi mit emotionsloser Stimme weisen den Weg. Und hoffentlich gibt’s auf dem nächsten Campingplatz ein vernünftiges WLAN, dass man bloß nicht das eigene Datenvolumen verbrauchen muss. Und hoffentlich spricht man die eigene Sprache dort. Und bitte, lieber Fahrergott, lass es sauber sein! Das sind Sorgen?!

Stevenson hat sich wie so viele das Reiseziel bzw. die Reiseroute sorgsam ausgewählt. Er lässt sich sogar einen Schlafsacke nähen. Auf ihn zugeschnitten und nicht aus einem Material, dass vor ein oder zwei Leben noch eine Getränkeflasche war. Alles aus natürlichen Materialien. Gab ja nichts anderes!

Stevensons Reisemobil (eigentlich nur der Kofferraum oder die Gepäckablage) ist Modestine. Eine Eselin. Weiblich. Esel. Alles klar?! Störrisch, eigenwillig. Und dennoch ist Stevenson dem Begriff der Freiheit, der Definition von Freisein näher als alles Vierradmobilisten, die meinen ihren ökologischen Fußabdruck allein nur durch das Vermeiden von Flugmeilen im erträglichen Rahmen halten zu können. Denn Stevenson trifft hier kaum Menschen. Er kann unbeachtet wild campen. Dreimal tut er dies. Einmal nächtigt er im Kloster. Schweigegelübde inklusive. Schwer für einen, der als brillanter Geschichtenerzähler gilt. Und immer dabei, wenn auch nicht immer erwähnt: Modestine.

„Reise mit einer Eselin durch die Cevennen“ ist der vergnüglichste Reisebericht des Jahres. Wenn auch schon etwas in die Jahre gekommen, so ist es ein unerbitterliches Vergnügen einem gewieften Fahrten(be)schreiber durch den Süden Frankreichs zu folgen. Amüsant, lehrreich, hilfreich, aber vor allem unterhaltsam. Ganz ohne Powerbank, Social media account, Sattelitenunterstützung, Vorausbuchung und sonstigem Schnickschnack, der der Freiheit das Ureigenste nimmt: Sich selbst. Immer wider, immer noch lesbar und fast schon unverzichtbar in einer Zeit, in der man sich gern jeder Last entledigen möchte, weil man meint es genau so tun zu müssen.

Schottland meine Sehnsucht

Statt Bikini windfeste Kleidung. Statt Sonnebrille Regenschirm. Statt leichtem Schuhwerk robuste Klamotten. Das ist Schottland! Oh, so viel Klischee. Aber ein bisschen Wahrheit liegt schon darin. Viel mehr Wahrheit liegt in der Behauptung, dass Nicola de Paoli Schottland ins Herz geschlossen hat. Unzählige Male reiste sie in die High- und Lowlands, besuchte die Metropolen Edinburgh (und weiß ganz bestimmt wie man den Namen der Stadt richtig ausspricht) und Glasgow und wanderte über die windumtosten Inseln. Und nun macht sie einen riesigen Appetit es ihr gleichzutun.

Diese Reisebeschreibung ist ein echtes Juwel, wenn man absolut keine Ahnung hat wohin der nächste Urlaub gehen soll, man aber schon immer einen Funken Schottland-Liebe in sich trug. Meterhoch lodert nun das Feuer der Leidenschaft für den Norden der britischen Insel. Mit einer selten erlebten Selbstverständlichkeit berichtet sie vom rauen Charme der Bewohner Edinburghs, die niemanden so schnell an sich heran lassen. Oder aber vom Glasgow Kiss. Vorsicht – der wirkt nachhaltig…!

Es ist das Wissen um Geschichte und Kultur, die diese Rundreise schon beim Lesen zu einem Erlebnis machen. Nicht zu viele Fakten, mehr die weithin sichtbaren Auswirkungen von dem, was einmal war und noch immer sichtbar ist. Ohne erhobenen Zeigefinger – Eroberungen macht man immer noch mit sich selbst aus, das hebt den Aha-Effekt – stromert sie durch enge Gassen, über saftige Landschaften und entdeckt das, was man nur mit Ruhe und Aufmerksamkeit sieht.

Nach reichlich 130 Seiten ist man schlauer, aber nicht übersättigt – vielmehr sehnsüchtig nervös auf die eigenen Abenteuer. Dabei sollte man dann dieses Buch ruhigen Gewissens im Gepäck haben. Was gibt es schöneres als seine eigenen Erlebnisse mit jemand anderem zu teilen. Nur das hier der Andere „nur“ in Buchform anwesend ist.

Offensichtliches wie die großen Städte stehen im Wechsel mit den Kleinoden wie Inverness. Hier lässt sie sich treiben. Eine Stadt, die weniger bekannt ist, was schon nach wenigen Schritten einem als traurig vorkommen muss. Denn hier ist Schottland noch Schottland. Während in der Princes Street in Edinburgh die großen Einkaufstempel, die auch hierzulande das Stadtbild teils verschandeln, die Sicht einengen, glänzt Inverness (noch) durch rustikales Schottentum. Und wer meint, dass Schottland das Land des unaussprechlichen und schwer zu verstehenden Englischs sei, dem sei geraten, dass er nicht ganz unrecht hat, dennoch genau darin der erste Schritt in eine neue Welt liegen kann, die gar nicht so weit entfernt ist. Schon gar nicht mit diesem Buch in der Hand.

Latinoamericana

Nicaragua, Venezuela, Peru, Kolumbien, dazu Mexikaner und Kubaner – diese Reise kann man nicht buchen. So eine Reise entsteht im Kopf und folgt dem Herzen. Marko Pogačar vereint beides. Kopf und Herz, fasst sich letztes und reist wohin es ihn verschlägt. Was „Latinoamericana“ von anderen Reiseberichten unterscheidet sind die Begegnungen mit Menschen, die vielleicht nicht exemplarisch für ihr Land sind, sondern ihre Verbundenheit mit der Stadt, in der sie leben. Keine glücksselige Beschreibung von Freiheit und unsäglichen Ausführungen und Aufzählungen von Begrifflichkeiten. Leben im Hier und Jetzt.

Marko Pogačar begegnet ihnen auf Augenhöhe. Ihm ist bewusst, dass er ein privilegierter Reisender ist. Farbige Fensterläden, Warteschlangen an Eisständen, kurze Wortwechsel und immer wieder das Auge schweifen lassen – so entstehen unvergessliche Momente für den Autor.

Als Leser ist man da eigentlich außen vor. Mal neidisch, mal staunend, doch immer interessiert folgt man Pogačars Ausführungen. Zurückschauen gehört für den 1984 in Kroatien geborenen Autor dazu. Er hat in jungen Jahren Krieg erlebt. Ein Schicksal, das er mit vielen, denen er begegnet, teilt. Doch ihm gelingt es immer wieder genau diese Gemeinsamkeit auszublenden – das Leben ist hart genug. Da muss man nicht zusätzlich Öl ins Feuer gießen.

Es sind einhundert Seiten, die einen ganzen Kontinent so darstellen wie er ist. Bunt, hart, zart, rebellisch, neugierig. Den Gaumen verwöhnt, die Sinne berauscht, das Augen überlaufend kämpft Marko Pogačar den schönsten Kampf seines Lebens. Reisen und davon erzählen – das, was viele versuchen, gelingt ihm spielerisch und bescheiden. Als Zusatzlektüre im Handgepäck ist dieses Buch niemals die falsche Wahl.

Das besondere Blau

Es gibt sicherlich nichts viele Abende in geselliger Runde, in denen jemand seine Erzählungen seiner letzten Rumänienreise zum Besten gibt. Sollte man aber das Glück haben und Katharina Joanowitsch sitzt mit am Tisch, dann sollte man ihr lauschen. Wer dieses Glück nicht hat dem sei diese Reiserzählung ans Herz gelegt.

Einmal quer durch das Land, dessen Ausmaße durchaus als Skizze eines Fisches anzusehen sind. So macht die Reiseleiterin Alexandra ihr Publikum neugierig. Mals ist man im Bauch dieses Fisches, mal klettert man über die Rückenflosse. Dort, wo übrigens auch das Kloster Voronet steht. Kaum bekannt. Und das ist wirklich eine Wissenslücke! Die Außenfassade ist wundervoll bemalt. Mit einem besonderen Blau. Und das schon seit einem halben Jahrtausend. Ohne, dass jemand nochmal den Pinsel schwingen musste, um dieses besondere Blau zu erhalten. Ein Rätsel auf alle Fälle. Ein Wunder … naja, es ist schließlich ein Kloster!

Schon zu Beginn der Reise wird der Reichtum Rumäniens sichtbar. Die Hauptstadt Bucharest – wunderschöne Anekdote wie Michael Jackson die Konzertbesucher mit „Hello Budapest“ begrüßte – besticht durch einen gewaltigen Marmorklotz. Haus des Volkes hatte ihn Ceaucescu, um Weihnachten 1989 hingerichteter Ex-Diktator des Landes, genannt. Haus – von wegen. Es ist das schwerste Gebäude der Welt. Tausende Tonnen Marmor, alles aus eigenem Abbau. Das entfleucht so manchem der Spruch, dass nur Diktatoren zu so etwas in der Lage seien. Mag sein. Aber die Kehrseite bedeutet auch acht Jahre lang Drei-Schicht-System für Tausende Arbeiter. Imposant, das sicherlich, aber die Hintergründe sind doch mehr als denkwürdig.

Walachei und Transsylvanien – Rumänien ist ohne diese Begriffe nicht denkbar. Auch lässt hat die Autorin ihren besonderen Blick schweifen. Seite für Seite lernt man in diesen Reiseberichten ein Land kennen, das die meisten nicht auf der Reiseliste haben. Mit sicherem Gespür für die richtigen Worte und einer ordentlichen Portion Nüchternheit – es gibt viel Ablenkung in diesem Rumänien der Gegenwart – reist man mit Katharina Joanowitsch durch wilde Gegenden, steigt auf Gipfel, die das Auge weit blicken lassen, durchquert weniger ansprechende Gewerbegebiete, die aber nun mal auch dazu gehören – wie überall – und lässt sich treiben. Denn nur so macht Reisen wirklich Sinn.

Dresden – Bomforzionös!

Es gibt unzählige Möglichkeiten sich an Dresden zu erinnern, die Stadt sich in seine Gedanken zurückzuholen. Aktuell ist es wohl oft der Einsturz der Carolabrücke und dem darauffolgenden Aktionismus Brücken sanieren zu müssen. Viele bekommen einfach nicht (und das ist gut so!) die verheerende Bombennacht vom 13. Februar 1945 aus dem Kopf. Andere erfreuen sich, dass das Trümmerfeld der Frauenkirche einem Augenschmaus gewichen ist. Wer an Weihnachten Dresden besuchte, wird den Striezelmarkt nicht aus dem Sinn und aus der Nase bekommen. Und wer durch die Galerien streifte, ist immer noch erschlagen von der Pracht der Alten Meister. Und erst die Ruhepausen an der Elbe. Die Streifzüge durch die Parks…

Una Giesecke ist Stadtbilderklärerin, Tourguide, durch ihre Stadt. Sie kennt alle Geschichten. Weiß wer wann wo was gemacht hat. Sie vereint all die erwähnten Erinnerungen und Eindrücke in sich und kann sich immer noch daran erfreuen. Das wird sich auch nie ändern. Das spürt man im Handumdrehen, blättert man auch nur ein bisschen durch dieses kleine Büchlein.

Anekdoten, große Geschichte, Offensichtliches und Verborgenes, Plakatives und Vergessenes – das, was nur selten bis gar nicht im Reisehandbuch steht, wird hier zur breiten Bühne für jedermann. Man kann schon fast sagen, dass man nach dem Buch – und dem logischen anschließenden Besuch in Elbflorenz – man sich durchaus als Experte bezeichnen darf. Una Giesecke lässt Zeitzeugen zu Wort kommen. Menschen die beispielsweise die Bombennacht überlebt und fotografiert haben. Stille Helden, deren Wirken heute Standard ist. Sie zeigt ein Dresden, das für jeden offen ist. Auch wenn so mancher montags die Welt vom Gegenteil überzeugen will…

Wer Dresden besucht, braucht Hilfe, um nichts zu verpassen. Ein Reisehandbuch ist da ein sicherer Begleiter. Doch der Blick hinter die Fassaden ist meist nur ein gut gemeinter Ratschlag. In diesem Buch brechen die Mauern ihr Schweigen und platzen mit der Energie der aufgestauten Stille in die staunenden Massen hinein. Da bleibt kein Ort unerwähnt, der die Stadt charakterisiert. Wissenschaftler wie Manfred von Ardenne – Ich glotz TV wäre heute immer noch nur ein Lied von Nina Hagen, nicht mehr!. Wer kennt noch Ursula Bergander? Die, die jetzt ihre Hand heben, sind zum größten Teil sicher Geburtshelferinnen. Diese Ursula führte bis 1972 fast zwanzigtausend Frauen mit der schmerzarmen natürlichen Geburt in den Stand der Mutter. Eine weitere bärenstarke Frau aus Dresden war Uschi Blütchen. Sie war weltweit (!) die einzige Dompteuse von Eisbären. Die Liste könnte man unendlich fortsetzen. Dank dieses Buches.

Gera – Von Fettguschen und Brummuchsen

Das Territorium der DDR war in Bezirke eingeteilt. Von Rostock im Norden, Autokennzeichen begannen immer mit einem A, bis Suhl im Süden, O klebte hier an den Trabbis und Wartburgs, von Dresden bis Magdeburg in Ost und West. Die größten Städte waren die Hauptstädte und Namensgeber der Bezirke. Die kannte wirklich jeder. Nach der Wende verschwanden die Namen aus en Köpfen. Sie wurden nicht mehr erwähnt, sofern man keine verwandtschaftlichen Beziehungen dorthin hatte. Auch in den überregionalen, landesweiten Medien kamen manche Städte einfach nicht mehr vor. Wer hat in den 90ern von Gera gesprochen? Die Stadt war wie vom Erdboden verschluckt. Zugegeben, das ist ein drastische Übertreibung, denn die Stadt existieret ja weiterhin und tut es bis heute. Aber als Ausflugsziel- gar als Urlaubsziel steht Gera garantiert nicht unter den Top 100. Das kann sich aber ändern. Es wird sich ändern.

Zum Beispiel ist die Stadt mit dem gleichnamigen Fluss auch die Geburtsstadt des Malers Otto Dix. Der wurde vor 1891 (Achtung Jubiläum!) in Untermhaus, einem Stadtteil von Gera geboren. Und das wird nun im großen Stil gefeiert. Etwas außerhalb der Stadt kann man durch das prächtige Tal der Weißen Elster auf Erkundungstour gehen oder radeln. Auch wenn hier das Adelsgeschlecht der Reußen seinen Ursprung hat, so kann die Stadt nicht recht mit diesem Erbe wuchern. Einer der letzten Sprösslinge – selbst aus dem Familienverbund ausgetreten – nahm und nimmt für sich in Anspruch Deutscher Regent sein zu wollen, zu müssen (?). Er ist allerdings der einzige – der Großteil der männlichen Vorfahren hießen und heißen übrigens Heinrich, was Ahnenforschern die Farbe aus den Haaren treibt – der Deutschland nichts Gutes will. Seine Vorfahren waren progressiver.

Autor Uwe Lehmann ist der Typ Kenner, dem man gebannt lauscht, dem man das Geschriebene sofort ins eigene Hirn übertragen lässt. Gera ist auf einem guten Weg seine Vergessenheit abzulegen. Und wer in die zufriedenen Fettguschen schaut, weiß, dass das aus gutem Grund passiert. Denn die Brummuchsen verstummen langsam – zu viel verbales Lokalkolorit? Dann ist dieses Buch Pflichtlektüre!

Hier wurde schon immer Geschichte geschrieben, seit Jahrhunderten. Nur hat das kaum einer außerhalb bemerkt. Und wenn doch, dann nur selten. Hat man vor Jahren den Namen nur von der Autobahnabfahrt gekannt, so ist man heute bei einem Tagesausflug gut beschäftigt, will man so viel wie möglich erleben. Und bald schon muss man in Gera übernachten, da das Erkundungspensum sonst nicht gestemmt werden kann. Und dieses Buch wird ein treuer Begleiter sein, wenn man die Anekdoten und Geschichte der Stadt kennen will.

Along the road

Um es vorweg zu nehmen: Alles, was Aldous Huxley bereits vor einhundert Jahren besuchte, was ihm passierte, kann man heute auch noch so erleben. Nur eben nicht so abgeschieden, so individuell, so neuartig.

Würde Huxleys heute noch reisen und darüber schreiben, würde sein Instagram-Account überquellen und übereifrige Reise-Influencer würden sich überbieten noch schönere, eindrucksvollere – bessere? – Fotos ins Netz zu stellen. Und das alles nur, um dem alten Meister zu zeigen, dass sie ihm schon in jungen Jahren das Wasser reichen können. Huxley benutzt

Aber keine Filter – und schon ist die ganze Illusion dahin…

Also doch Aldous Huxley folgen! Mit ihm und leichtem Gepäck in Italien einer Prozession folgen. Ohne nerviges Gedränge von Desinteressierten, die nur darauf warten das eine, ultimative Foto zu schießen. Das sind genau diejenigen, denen Huxley am Beginn des Buches eine Breitseite verpasst. Reisen, um sich einer Schicht zugehörig zu fühlen, die nicht die eigene ist. Es ist Huxleys Liga, in die man versucht einzudringen, wenn man den x-ten Eisladen in bella italia „mit dem besten Eis der Welt“ postet. Huxley sind diese Freuden nicht fremd. Auch er sucht – vielleicht nicht nach dem besten Eis der Welt. Jedoch nach den einmaligen Erlebnissen, die er dann gern mit seinen Lesern teilt.

Einhundert Jahre ist es her, dass dieses Buch zum ersten Mal erschien. Es dauerte fast eben diese einhundert Jahre bis es auf Deutsch erscheint. Umso erfüllender ist es zu lesen, dass sich im Grunde fast nichts verändert hat, wenn man reisen will. Die Neugier war, ist und bleibt die Antriebsfeder eines jeden Abenteuers. Der Palio in Siena ist aber heutzutage ein Spektakel, das dermaßen viele Touristen anzieht, dass das eigentliche Ereignis nur schwer zu genießen ist. Huxley hingegen konnte sich – wenn auch mitten in den Massen der meist Einheimischen – mit der Tradition eingehender beschäftigen.

Wer bei Huxley und Reisen an seine Drogenerfahrungen denkt und meint „Along the road“ ist ein weiteres Werk in eine bunte Welt einzutauchen, liegt erst einmal falsch. Die einzige Realitätsveränderung führt er durch eine Brille herbei. Und selbst dieser kleine Kunstgriff kann heute immer noch für eine andere Sicht auf Landschaften hilfreich sein.

Der sterile Untertitel „Aufzeichnungen eines Reisenden“ konkurriert mit dem Inhalt auf jeder Seite, in jeder Zeile. Diese Reiseeindrücke gehören in jedes Reisegepäck. Nicht nur, um zu schauen, was sich in den vergangenen einhundert Jahren verändert hat. Nein, es erdet den Abenteurer und gibt den Blick für das einzig Wahre frei.

Leo Daly & James Joyce – Eine literarische Irlandreise

Überall auf der Welt gibt es Orte, die etwas Magisches in sich tragen. Schnell hat man dann den Begriff „Lieblingsort“ zur Hand. Immer wieder zieht es einen an diesen Ort. Es sind Häuserschluchten, weite Ausblicke, architektonische Blitzlichter oder im besten Fall Menschen, die eine Sehnsucht kreieren, die einen selbst fest im Klammergriff halten. Doch irgendwann hat man alles mindestens einmal gesehen. Bei den meisten verschwimmt der „Lieblingsort“ hinter dem Vorhang der Sättigung. Und dann?

Chris Inken Soppa zieht diesen Vorhang weit zurück und wandert durch Dublin. Im Handgepäck James Joyce und Leo Daly, an ihrer Hand Ralf Staiger. Der ist Illustrator und die beiden Erstgenannten literarische Ikone Irlands und einer seiner größten Fans.

In Erinnerungshappen schlendert Chris Inken Soppa durch Dublin, das sie kannte und kennt. Sie erkennt die Veränderungen. Leo Daly schlenderte auch durch Dublin, auf den Spuren seines Vorbildes James Joyce. Er forschte zu dem irischen Überliteraten. Und James Joyce selbst? Er war Dublin. Wo heute die Billigflieger-Globetrotter den Euro dreimal umdrehen, um typisch irisches Flair zu erleben – oder zumindest das, was ihnen suggeriert wird – war einmal wirklich irisches Flair, das nicht durch einen Algorithmus kreiert wurde. Tief traurig, überbordend lebensfroh. Hart und liebevoll zugleich. Rustikal verspielt. Musikalisch weltoffen.

Zwei Neugierige auf den Spuren eines Mannes, der auf den Spuren einer Legende Dublin immer wieder neu entdeckte. In Dublin gibt es unzählige Guides, die Wissbegierige und solche, die sich dafür halten, auf den Spuren von Leopold Bloom, James Joyce’ legendärem Wanderer durch die Stadt, an Orte führen, die man leicht selbst herausfinden kann, wenn man intensiv liest.

Chris Inken Soppa und Ralf Staiger entdecken Dublin für sich immer wieder neu. Ihre sehr persönlichen Eindrücke sind aber nicht nur Tagebucheinträge, die man zukünftig als Erinnerungsstütze gebraucht. Nein, selbst wer Dublin kennt, wird hier Neues entdecken. Joyce-Jünger werden mit Kopfnicken einer erneuten Stippvisite dieser entgegenfiebern. Und wer bisher zögerte Dublin auf Joyce’ Spuren zu erkunden, bekommt hier den entscheidenden Kick. Irland, Dublin, Joyce und Daly – von nun an eine vierfältige Symbiose, die fest im Reiseplan steht.

Die Gärten des Alkinoos

Reisen bildet, auch wenn das ab und zu mit einem oberlehrerhaften Fingerzeig verbunden ist. Doch was ist schlimmer? Sich von einem erfahrenen Reisenden einen wirklich exponierten Aussichtspunkt zeigen zu lassen oder sich im Nachhinein eingestehen zu müssen, dass die hundert Meter und das zweimalige Abbiegen – das man abgelehnt hat – vielleicht doch besser gewesen wären als die Cola in der schäbigen Bar an der befahrenen Hauptstraße?

Odysseus war einer der ersten, der die Welt bereiste. Und dessen Abenteuer aufgeschrieben wurden. Seitdem hangeln sich Autoren aus aller Herren Länder an diesem Beispiel entlang und führen ihren Zeigefinger über die Landkarten der Erde. Wolfgang Geisthövel verbindet die Antike mit der modernen Zeit. Er folgt historischen Routen in der Gegenwart. Ja, sie sind noch da, die Hinweise. Und wenn man die Texte von Vergil und Homer intensiv liest, findet man die Orte fast so genau wie ein modernes Navi.

Was waren das noch für Zeiten als man den Zedernduft noch allerorts wahrnehmen konnte. Keine Rauchschwaden mit überzogenem Apfel-Zimt-und-was-weiß-ich-sonst-noch-Duft. Hügellandschaften, deren Bewohner den Reisenden im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf verdrehten. Orte, die dem Reisenden mehr als ein „krass“ entlockten.

Apulien, Kalabrien, Kampanien, Sizilien, Korsika, Sardinien, Griechenland – nicht nur Sonnenanbeter werden bei der bloßen Erwähnung dieser Ziele unruhig und packen in Gedanken schon mal ihr Reisegepäck. In dieses Reisegepäck gehört so ganz nebenbei auch dieses Buch.

Denn wer sich nicht gern durch die oft rätselhaften Texte der alten Meister durchwühlen und durch die allzu lockeren Interpretationen ohne Ortsangaben sich nicht stressen lassen will, wird mit diesem Buch in der Hand – und da gehört es hin – eine Odyssee mit happy end erleben.

Es ist ein Erlebnis zu lesen, dass man in Taormina, Giardini-Naxos nicht zwangsläufig in Badeschlappen, schon am frühen morgen völlig erschöpft auf dem Bordstein sitzend auf den nächsten Bus warten muss. Und dass Palermo nicht nur aus lärmenden Märkten besteht, sondern auch Ruheoasen hatte, die man heutzutage zwar suchen muss, die aber schon Goethe kannte. Und vor allem seine Wegweiser bis heute weisend sind…

Es sind Bücher wie dieses, die Reisen in eine besondere Zeit verwandeln. Dort, wo schon viele waren, müssen nicht immer noch viele sein. Und wenn doch, hält man inne, blättert ein wenig durch die Seiten und lässt den Lärm der Moderne um sich herum im Rausch und Rauch der Worte aufsteigen.

Morgens um Sechs bei Haubentaucher und Co.

Das Wasser ist blau. Bei Christoph Stölzl ist es bleigrau. Wenn der Nebel sich am Morgen lichtet, ist es ein weißer Ball, der über die Baumkronen steigt. Und der Autobahnlärm ist eine Technik-Brandung. So mancher Flaneur möchte die ihn umgebende Stimmung gern so poetisch in Worte fassen können. Christoph Stölzl tut es einfach.

Er studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Soziologie, war Museumsdirektor und schließlich in Berlin Kultur- und Wissenschaftssenator, anschließend Vizepräsident des Abgeordnetenhauses. Und Kolumnist bei der Berliner Morgenpost. Für die schrieb er diese Texte, die in diesem Best Of die geballte Ladung Berlin-Zu-Fuß beinhalten. Klingt ziemlich statisch. Ist es aber überhaupt nicht. Denn Flanieren will gelernt sein. Flanieren heißt heute auch gern mal entschleunigen – ein fürchterliches Wort, nimmt man Victor Klemperers LTI als Maßstab für Wortschöpfungen zur Hand. Nein, Flanieren heißt innehalten ohne still zu stehen. Flanieren heißt auch genau beobachten. Und den Dingen eine Stimme zu geben.

Berlin bietet sich zum Flanieren geradezu an. An jeder Ecke – und hat man gerade mal keine Ecke zur Hand, dann eben alle Nase lang – jibt et wat zu staunen.

Das kann der Flohmarkt in Neukölln sein, wo die Errungenschaften aller Dachböden der Stadt auf dem Trottoir ausgebreitet werden, wo klingende Münze und babylonisches Sprachgewirr eine Sinfonie ergeben. Oder aber auch der Spaziergang durch die edle Fasanenstraße – blendet man die fest verankerten Baugerüste mal aus, könnte man sich fast wie in Paris fühlen. Und man plumpst in eben diese Pariser Welt. Zwei Damen erscheinen plötzlich in dieser Szene. Zweifelsfrei noch vor Corona. Denn sie halten keinen Abstand, weder zwischen sich noch zum Betrachter. Ja, Betrachter. Denn die beiden Damen sind doch recht zweidimensional – ok, sie sind auf einem Bild des Expressionisten Georg Tappert verewigt. Ganz ungeniert darf man sich ihnen nähern, sie ausgiebig betrachten. Aber! Nicht anfassen!

Zweitausendfünfhundert Zeichen ist die Maßgabe gewesen für diese Flanierstücke aus der kenntnisreichen Feder Christoph Stölzls. Das liest sich wie ein Metropolenrausch, dessen Kopfschmerz der lieblichste Schmerz der Großstadt ist. Kein Schädelbrummen am nächsten Morgen, vielmehr ein Dröhnen, das nach mehr verlangt. Mehr Flanieren, mehr Citylight, mehr Tiefe in einer Stadt, die ihre Oberfläche selbst verkommen lässt und das auch noch schick findet.