Archiv der Kategorie: Caribooks

Karibik Meer

Fantomas gegen die multinationalen Vampire

Alles hat einmal ein Anfang. Diese Sammlung von Geschichten aus und über Lateinamerika war das erste Buch, das im Septime-Verlag erschien. Das war 2009. Und gleich im ersten Buch treten Stimmen auf, die bis heute nicht verhallt sind.

Ebenso einen Anfang stellten die Russell-Tribunale dar. In den 60er Jahren wurden – unabhängig von staatlichen Organen – Verbrechen im Vietnamkrieg untersucht. Eine juristische Aufarbeitung war leider nicht bis kaum möglich. Das zweite Russell-Tribunal untersuchte die systematische Missachtung von Völkerrechts- und Menschenrechten in Südamerika unter der Berücksichtigung finanzieller Interessen der USA. Einer der Vizepräsidenten war unter anderem Gabriel García Márquez, kolumbianischer Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 1982. Mitglied des Tribunals war der Schriftsteller Julio Cortázar. Der titelgebenden Geschichte steht eine Hommage des Máquez’ für den argentinischen Schriftsteller Cortázar voran. Die Ereignisse dieses Tribunals und die Empfindungen des Autors sind die Grundlage für die fantastische Geschichte mit dem Superschurken, der in diesem Fall mit weißer Maske in die Fußstapfen Robin Hoods tritt.

Dieser Geschichtenband unter anderem mit Werken von Roberto Bolaño und Guadalupe Santa Cruz aus Chile, Guillermo Cabrera Infante aus Kuba und dem Mexikaner Juan Villoro zeigt eine Vielfalt an Literatur. Es sind nicht einfach nur Appetithäppchen, die man mit einem Bissen verschlingt, es sind kunstvolle Preziosen, die niemals ihren Glanz verlieren werden. Sie zeigen einen Kontinent, der stets in Bewegung ist und der nicht minder stets im Fokus fremder Mächte stand. Ob nun die Diktatoren Pinochet und Peron oder die scheinbaren Heilsbringer wie Fidel Castro – das Leid wurde niemals gemindert, das Gegenteil war meist der Fall.

Kraftvoll, poetisch, verborgen, offen dringen die Worte ins Hirn des Lesers, der „es schon immer wusste“ oder mit offenem Mund über so manches literarische Wunder staunt.

Die einleitenden Texte stellen den Autor kurz vor – das sind Appetithäppchen, die man sich in so manchem Buch wünscht. So werden Zusammenhänge offen gelegt und erzeugen die richtige Stimmung für die Handlung.

Eine Violine für Adrien

Adrien will Geigespielen lernen. Nicht, weil sein Mutter das so will. Er will es. Ein Konzert bei Monsieur Benjamin ist dafür ausschlaggebend. Und Monsieur Benjamin gibt auch Unterricht. Einzige Bedingung: Er muss Noten lesen können. Das kann er, hat er in der Schule gelernt. Von der ersten Sekunde an ist Adrien fasziniert vom Klang des Instruments und von Monsieur Benjamin. Adrien ist der Beste in der Klasse. Daran ändern auch nichts die Sticheleien und einmal auch eine tätlicher Angriff zweier Mitschüler. Letzterer zieht weite Kreise. Denn die Delinquenten bzw. ihre Eltern hetzen die gefürchteten Tonton macoute auf die Mutter. Im Haïti der 70er Jahre als Papa Doc das Land im Würgegriff hielt und seinen Sohn Baby Doc auf sein kommendes Amt vorbereitete, leider keine Seltenheit. Auch hier kann Monsieur Benjamin mit Tat zur Seite stehen. Er kennt den verantwortlichen Offizier. Und der wiederum weiß, dass Monsieur Benjamin ein geachteter Mann ist, der Haïti in der Welt gut aussehen lässt … und außerdem mit Papa Doc seit Kindertagen befreundet ist.

Doch die Stunden bei Monsieur Benjamin sind zeitlich begrenzt. Will Adrien weiterspielen, braucht er eine eigene Geige. Mama kann sich das Instrument nicht leisten. Und Papa ist erst recht keine Hilfe, da er für weitere Frauen aus seiner Vergangenheit aufkommen  muss. Adrien will unbedingt weiter Geige spielen. Und sich das Geld selbst verdienen. Ein aussichtsloses Unterfangen. Da kommt ein Mann des Weges und macht ihm ein Angebot …

Gary Victor schreibt mit der Virtuosität eines Meisters. Korruption, Abhängigkeit, Bespitzelung, Armut, Hoffnungslosigkeit und zwischendrin der Zauber der Musik. Eine Sinfonie in dunkelstem Moll, die sich in die höchsten Höhen des Dur hinaufschwingt. Was macht man, wenn ein Traum an einem seidenen Faden hängt, der zu reißen droht sobald man ihn berührt? Soll man mit dem Teufel paktieren, um das große Ganze genießen zu können? Der kleine Junge Adrien kann die Tragweite des Angebotes nicht abschätzen. Er hat einen Traum, den er sich und für seine Mama erfüllen will. Außerdem will er Monsieur Benjamin nicht enttäuschen. Die Zwickmühle schnürt ihm die Kehle zu.

Ab der ersten Seite, ja eigentlich schon mit den ersten Buchstaben dieses Buches, umgarnt Gary Victor den Leser mit zauberhaften Akkorden, die in Melodien aufgehen, die man nie mehr missen möchte. Verträumte Harmonien werden durch schellende Paukenschläge durchbrochen, um anschließend sanft den Leser wieder in Hoffnung zu packen. Gary Victor dirigiert sein Werk selbstsicher und gekonnt – standing ovations garantiert.

1000 places to see before You die

Im Leben gibt es unzählige Listen, die man erstellt. An die meisten hält man sich, wie den Einkaufszettel. Andere hingegen dienen – so meint man – der eigenen Beruhigung etwas zumindest in Planung zu haben. Meist gehen diese Listen irgendwann den Weg in den Abfall. Und dann wiederum gibt es Listen, die sind so dick, weil gehaltvoll, die werden niemals ihre Anziehungskraft verlieren. Bucketlist nennt man das.

Und so eine liegt in diesem Fall einmal mehr vor. Tausend Orte, die man besuchen muss bevor man es nicht mehr kann. Unmöglich? Schon möglich. Aber genauso möglich ist es tausend Orte zu bereisen. Doch wo anfangen? Hier kommt dieses Monster an Ideen, Ratgebern, Tipps, Tritten in den Allerwertesten ins Spiel. Von nun an gibt es keine Ausreden mehr! Der Anfang ist gemacht. Und der erste Schritt ist bekanntlich der erste von vielen, die noch folgen werden. Und wenn man schon mal angefangen hat…

… dann auf zum Lac d’Annecy oder nach Riga. Am besten mit einem Abstecher zu den Stränden Goas in Indien oder Sanibel und Captiva vor Florida. Oder der größten Sandinsel der Welt, Fraser Island in Australien. Zu ruhig? Dann hilft eine Shopping- oder Sightseeingtour über die quirligen Märkte von Saigon.

Man muss das Buch nur in die Hand nehmen und ein wenig darin blättern. Und schon hat man Reisefieber. Und eine Reisefibel auf dem Schoß. Klar gegliedert nach Kontinenten und Ländern. Ganz Mutige nehmen diesen Schmöker als festen Reiseplan – viel Spaß beim Urlaubsantrag ausfüllen: „Chef ich bin dann mal weg. Wenn ich das Buch abgearbeitet habe, komme ich wieder. Bis in … Jahren!“. Die Vorstellung ist doch schon sehr verlockend.

Ein Sinnes-Overkill ist garantiert. Berge, Täler, Strände, Stadtzentren, Architektur, Naturwunder, über und unter Wasser, Aussichtspunkte, Absteige wie Kletterpartien – wer hier nicht fündig wird, der hat entweder schon alles gesehen (was fast unmöglich scheint) oder will einfach nicht. Man kann dieses – nein, man sollte – dieses Buch als niemals versiegende Inspirationsquelle sich regelmäßig aus dem Regal nehmen. Reisen bildet. Lesen macht Appetit. Bei 1220 Seiten kann man sich niemals satt sehen und inspirieren lassen. Es gibt immer wieder Neues zu entdecken. Heute hier, morgen da. Der Sehnsucht einfach mal Futter geben. Sich selbst austesten, was alles möglich sein kann. Schon allein dafür lohnt sich ein Blick in diesen Schmöker.

Wie die einarmige Schwester das Haus fegt

Es braucht nur wenig, um das Leben zu ändern. Lala weiß das. Und trotzdem ergibt sie sich ihrem Schicksal. Immer nur Vorwürfe. Ihr ganzes, junges Leben lang. Und dabei ist Lala eine gebildete Frau. Immer höflich. Ihre Großmutter, die Lala Wilma nennt, nicht Großmutter, Oma oder Nana, bemängelt nicht, dass Lala keine karibische Schönheit ist. Das ist – in den Augen Wilmas – der einzige Vorteil der jungen Frau. Denn so kommt sie nicht auf dumme Gedanken. Denn wer dumme Gedanken hat, tut bald auch dumme Dinge. So wie in der Legende vom einarmigen Mädchen. Die konnte sich auch nicht beherrschen und griff in den Tunnel, vor dem man sie ihr ganzes Leben lang warnte. Und … ab war der halbe linke Arm. Wie soll sie denn nun das Haus fegen – so eine Reaktion von der eigenen Familie. Das vergisst man doch fast den Schmerz und den Verlust…

Lala hat noch beide Arme, ihren Verstand und ein Baby. Doch bevor das zur Welt kam, überfielen Lala plötzlich unheimliche Schmerzen. So stark, dass sie an der Tür der Nachbarn klopfte. Nicht stark genug den Schuss nicht zu hören. Ebenso nicht stark genug, um zu erkennen, dass Adan, Lalas Mann, mit einer Waffe aus dem Haus kommt. Was ist passiert? Adan hat doch nicht etwa … nein, das nicht. Aber…

Im Krankenhaus sitzt sie nun mit Adan im Wartebereich. Dass ihr niemand helfen kann, nimmt sie teilnahmslos zur Kenntnis. Im Baxter’s Hospital ist sowieso nichts wie es in einem normalen Krankenhaus sein soll. Toilettenpapier auf er Toilette, Hilfe bei Komplikationen – nicht hier. Die Schwestern reagieren nur, wenn man zu viel und vor allem zu laut schreit vor Schmerzen.

Lalas Leben wird von nun an eine anderes sein. Ja, sie ist jetzt Mutter (wenn auch nicht lange). Und sie kennt ein Geheimnis. Eines, das Adan nicht schmecken wird. Der brutale Kerl ist das genaue Gegenteil eines fürsorglichen Gatten. Er passt aber in Lalas Leben, in dem sie immer nur Schlechtes erfahren hat. Jetzt wird der Spieß umgedreht. Nur gut, dass sie nicht auf den Kopf gefallen ist…

Cherie Jones präsentiert eine Karibik, die man in keinem Reiseprospekt findet. Hart, roh, und so gar nicht traumhaft romantisch. Ihre Karibik, Barbados, ist schmutzig, brutal, verkommen und trostlos. Aber es ist auch eine Karibik des Auf- und Umbruchs. Lala wird ihr Leben verändern. Auch wenn der Auslöser nun wahrlich kein freudiges Ereignis ist. Ihr Wissen um den Mord wird ihr die Augen und so manche Tür öffnen…

Guatemala leuchtet

Guatemala ist sicher nicht das Reiseland Nummer Eins, in das man einfach mal so reist. Ab in die Öffis zum Flughafen und mit einem Last-Minute-Ticket – nein, wenn man Guatemala bereist breitet man sich vor. Lässt sich aber noch genug geistigen Spielraum, um den zu erwartenden Eindrücke- Flash genug Raum einzuräumen.

Susanne Hartmann studierte Ethnologie, Volkskunde und Indologie. Und die Maya, ihre Kultur, ihre Geschichte und vor allem ihre Gegenwart sind mehr als nur ein Steckenpferd. In ihren Reiseerzählungen „Guatemala leuchtet“ berichtet sie von ihren zahlreichen Reisen. Und dabei ertappt man sich – als Leser – selbst dabei dem eigenen Forscherdrang schnellstmöglich nachgeben zu wollen. Die Hingabe, mit der sie von ihren Abenteuern erzählt, ist mitreißend. Das beginnt bei einem Einbruch in der Nacht, um auf einem archäologischen Feld, einer Tempelanlage den Sonnenuntergang und den Mondschein so zu erleben wie es die Mayas sicher schon vor Jahrhunderten selbst taten. Und es endet noch lange nicht, wenn blutrünstiges Flattergetier die Unterkunft mit Leben erfüllt.

Auf ihren Reisen hat sie viele dieser Tempelanlagen gesehen. Sie hat sich intensiv mit den Inschriften beschäftigt und sie entschlüsselt. Sie wohnte bei Menschen, die die Tradition der Mayas als selbstverständlich in ihrem Alltag lebten. Der Begriff Studienzweck spielte dabei eine bedeutende Rolle. Die Leidenschaft diesem Studienzweck zu folgen, ist jedoch die Grundlage all ihrer Reisen nach Guatemala.

Susanne Hartmann hat aber auch die aktuellen Probleme im Auge. Wo beispielsweise einst zahllose Generationen im Fluss badeten, der Fluss Lebensgrundlage war, ist heute mehr nur noch ein giftiges Gewässer anzutreffen. Giftig-Gelbe brühe, die auch schon so manche Leiche mit sich trug. Ebenso spielt die Gewalt in dem lateinamerikanischen Land eine nicht zu unterschätzende Rolle. Entführungen und Erpressungen und Mord sind allgegenwärtig. Auch das muss sie in ihre Beobachtungen/Forschungen einfließen lassen.

„Guatemala leuchtet“ nicht nur nach Susanne Hartmanns Einschätzungen immer noch. Das ist der Hoffnungsschimmer am Horizont ihrer Reiseimpressionen. Man muss nur die Augen offen halten, um ein Land zu erkennen, das derart reichhaltige Kulturgüter wie selbstverständlich erhält. Doch die Selbstverständlichkeit bekommt immer mehr Risse. Auch darüber berichtet die Autorin mit derselben Kraft und Hingabe wie zuvor von den „schönen Dingen des Lebens“. Dieses Buch ist mehr als nur eine Reisebeschreibung eines fernen Landes. Es ist das Abbild eines Landes, einer Kultur, die schon immer im Wandel war. Doch immer schneller rücken die dunklen Wolken der Zerstörung dieser Kultur auf die Pelle.

Der magische Pfad

Es gibt Bücher, die rufen unweigerlich Erinnerungen hervor. Und mit ihnen kommen die Fragen. Wann hat man eigentlich das erste Mal etwas über Haïti gehört? War es bei Graham Greene, der in „Die Stunde der Komödianten“ die Diktatur von Papa Doc demaskierte und der Weltöffentlichkeit präsentierte? Oder war die erste Berührung mit haïtianischer Kultur doch der James-Bond-Streifen „Leben und sterben lassen“, als am Beginn des Films eine Totenprozession bedächtig durch die Straßen von New Orleans zog, und nach einem Anschlag plötzlich die Stimmung kippte und der Zug sich in eine Party verwandelte? Oder hörte man von dem karibischen Land doch erst als vor einigen Jahren ein verheerender Orkan das Land in Schutt und Asche legte, die bis heute noch das Land übersät?

Gary Victor vereint in seinen Büchern sowohl die grauenhafte Zeit der Diktatur, aber auch die Verwüstungen des Hurrikans. Und eine ganz besondere Rolle spielt in seinem Werk die tief verwurzelte Kultur des Totenkults. Was bei Onlinewarenhäusern mit billig produzierten Voodoo-Puppen in schwindelerregendem Kitsch endet, trifft in seinen Büchern auf fruchtbaren Boden.

Persée Persifal – ein Name wie Donnerhall – gehört zu denen, die das Charaktermerkmal gerecht zurecht mit Stolz tragen dürften, wenn man es ihnen anheften könnte. Das ruft Neider, und vor allem diejenigen auf den Plan, die etwas zu verbergen haben und denen Persée Persifal gehörig auf die Füße tritt. Er wird vergiftet.

Und nun beginnt eine Reise wie sie nur in dem gebeutelten karibischen Land vonstatten gehen kann. Denn nicht wie unseren Vorstellungen wird der Leichnam beerdigt, die Trauergemeinde trauert … und das Kapitel ist geschlossen, steht Persée am Anfang einer beschwerlichen Reise in ein neues Reich. Er droht zum Zombie zu werden. An dieser Stelle muss man alles Gehörte und Gesehene, vor allem das klischeehafte Gelesene (Untote, Werwölfe, Vampire, und was sonst noch zu einem kitschigen Roman des Genre dazu gehört) über Bord werfen und sich ganz auf Gary Victor verlassen.

Es wird ein Seelentrip, den man so schnell nicht vergisst. Es gibt nur einen Weg, den Persée Persifal beschreiten kann. Eine steiniger Weg, der jedoch am Ende ein wahrhaft elysisches Ende haben kann. Immer wieder ertappt man sich beim Lesen dabei, dass man Mühe hat Realität und Mythos nicht so einfach auseinanderhalten kann. Das ist es aber, was die Faszination des Buches ausmacht. Eine Kultur, die fremd ist, versteht man nicht auf Anhieb. Man muss ihr Zeit geben sich zu entfalten. Dann offenbart sie sich in ihrer gesamten Vielfalt. Die Erkenntnis steht auch am Ende dieses Buches.

Banana Bottom

Wer oder was ist Banana Bottom? Die Frage muss lauten: Wo ist Banana Bottom? Antwort: Jamaika. Dorthin kehrt – im Jahr 1910 – Bita Plant zurück. Von wo kehrt sie zurück? England. Warum kehrt sie zurück? Ihre Zeiheltern, Malcolm und Priscilla Craig hatten ihr die Chance gegeben Bildung zu erhalten. Etwas, was ihr ansonsten auf der Karibikinsel verwehrt geblieben wäre.

Bitas Kindheit war keine fröhliche Kindheit. In jungen Jahren wurden sie missbraucht. Der soziale Aufstieg ist nur eine hohle Phrase, der in Bitas Leben nicht einmal ansatzweise in Beteracht gekommen wäre. Doch die Craigs lassen sich von ihrer Menschlichkeit leiten, nicht von scheinbaren Gesetzmäßigkeiten. Nur weil jemand keine Chance hat, soll man ihm jedwede Möglichkeit wegnehmen? Nein, so sind sie nicht, so denken sie nicht und – vor allem anderen – so handeln sie nicht!

Bita Plant ist also back to the roots. Irgendwann einmal wird sie die Mission der Craig übernehmen und fortführen (an der Seite ihres Mannes, was zur damaligen Zeit hinter ihm stehend, bedeutet). Doch Bita ist nicht einfach nur zurückgekommen, um zu heiraten und dann Gottes Werk in die Tat umzusetzen. Sie ist Jamaikanerin. Das konnte auch die Ausbildung in der Alten Welt nicht verändern. Das Herz mag Hier wie Da am selben Platz schlagen, doch das Fieber, das man Leben nennt, kann keine Pille – hieße sie nun Religion, Menschlichkeit, Planbarkeit – senken. Bitas Zukunft hat einen Namen: Herald Newton Day. Auch er ein Gewächs aus Craig’schem Hause. Malcolm hatte ihn lange beobachtet und wusste schon lange, dass, wenn Bita zurückkommt nach Banana Bottom sie und Herald die Idealbesetzung für die Fortführung der Mission sind. Zwei so wohl geratene und wohl erzogene Menschen – Liebe entwickelt sich. Man muss sie nur anstupsen. Und Anstupse und Anstupser gibt es seit Bitas Rückkehr mehr als Sand am karibischen Strand.

Bita ist glücklich wieder hier zu sein. Sie ist dankbar für die Chancen, die ihr die Craigs boten. Nun kann sie endlich leben. Dort, wo sie zuhause ist, mit dem Geschenk unzähliger Chancen. Sie kann frei sein. Auch wenn das den Craigs so gar nicht in den Plan passt, den sie für ihren Zögling Bita haben.

Bita wird allmählich klar, dass Dankbarkeit nicht automatisch zu Abhängigkeit führen darf. Herald ist nicht der Mann ihrer Träume, und schon gar nicht ist er der Mann, mit dem sie den Rest ihres neuen Lebens verbringen wird. Doch wie soll sie alles unter einen Hut bringen, ohne dabei Menschen vor den Kopf zu stoßen? Unerwartete Hilfe bekommt sie unfreiwillig ausgerechnet von dem Mann, der sich durchaus ein Leben mit Bita vorstellen kann…

Claude McKay treibt die Handlung ohne Erbarmen voran. Die Gründe für jeden Einzelnen das zu tun, was er tut, lässt er niemals im Dunkeln. Hier liegt die ungeheure Spannung, die dem Buch zu Grunde liegt.

Wie Staub im Wind

Ja, man kann sagen, dass Adela und Marcos sich vielleicht nicht gesucht haben, aber auf alle Fälle haben sie sich gefunden. Ihre Wurzeln liegen in Kuba. Adela kam als kleines Kind in die USA, Marcos erst vor Kurzem. Adelas Mutter floh von der Insel und hat sich im Washington State ein neues Leben aufgebaut. Ihre Wurzeln, ihre kubanische Vergangenheit ist nichts mehr als das, aus, vorbei, Vergangenheit. Marcos hingegen lebt seine Wurzeln. In Hialeah – Adelas Mutter ist gelinde gesagt wenig begeistert, dass ihre Tochter gerade dort wohnt, wo Kuba allgegenwärtiger ist als auf der Karibikinsel – haben sich die Exil-Kubaner eine Zuflucht geschaffen, in der sie ihren Träumen einen Hauch von Realität verleihen können. Doch das traute Zusammensein von Adela und Marcos wird auf eine harte Probe gestellt. Zum Einen ist Adelas Mutter wenig begeistert von diesem Marcos Chaple. Zum Anderen erkennt Adela auf einem Foto bei Marcos Menschen, die ihr näher sind, als sie es sich vorstellen konnte. Da ist eine Frau mit dickem Bauch. Es ist niemand Geringeres als ihre Mutter. Und der dicke Bauch … ist sie selbst!

Was Adela zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen kann, ist, dass ihre Mutter zu einer Clique gehörte, die man den Clan nannte. Das war in den 80ern. Man las, diskutierte, plante eine rosige Zukunft. Es war ein im wahrsten Sinne des Wortes erlesener Kreis. Aufstiegschancen innerhalb der Möglichkeiten waren realistisch. Ebenso so realistisch war die Streitkultur des Clans.

Als Ende der 80er in Europa ein Umsturz vollzogen wurde, der die ganze Welt umschlang, geriet die kleine heile Welt des Clans auf Kuba ins Wanken. Erworbene bzw. erhoffte Doktorwürden wurden nicht mehr anerkannt bzw. man durfte sie nicht abschließen, weil es im fernen (Ost-) Deutschland nun andere Probleme zu bewältigen gab als Kubanern ein Diplom angedeihen zu lassen. Und der kubanische Sicherheitsapparat bekommt langsam kalte Füße ob der veränderten Weltlage…

Der Clan zerbricht. Jahre später wird der Clan wider zusammengeführt. Durch ein Foto, dass die Zeiten überdauert hat. Das darüber gewachsene Gras mehr konservierte hingegen mehr die Abbildungen als dass sie verblassten. Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man. Manchmal aber ist die Zeit ein geduldiger Genosse, der nur sich selbst hat.

Ganz behutsam baut Leonardo Padura seine Geschichte auf. Mit jedem gehauchten Stoß ins Horn der Geschichte spürt man schon den kommenden Paukenschlag. Und dieser wird unweigerlich den Leser bis ins Mark erschüttern.

Köstliches und Kostbares

Wenn man auf drei Kontinenten zu Hause ist, wird die Beantwortung der Frage nach der Heimat zu einem Hindernislauf. Die Wurzeln sind unleugbar. Maryse Condé ist auf Guadeloupe geboren, lebte in Afrika, Frankreich und lehrte in den USA. Schon im Vorwort wird klar. Heimat ist dort, wo der Herd steht. Schon als Kind stromerte sie in der Küche herum und vermengte allerlei Zutaten zu einer leckeren Mahlzeit. Ihre Geschwister und ihre Eltern waren erstaunt. Das Hauspersonal ging der Kleinen zur Hand.

Die Leidenschaft zum Kochen, zum Bewirten und zum Essen war ihr in die Wiege gelegt worden. Früchte und Fleisch, Reis, deftige Soßen waren die ersten Beigaben zum Glücklichsein. Dieses Glücklichsein hat sie auf ihren Reisen und ihren Aufenthalten in der Ferne bewahrt. Immer gab es irgendwo ein afrikanisches Restaurant oder eine karibische Gruppe, die ihr die Heimat für einen Moment, für einen Abend zurückholte. Wenn Liebe durch den Magen geht, ist Maryse Condé eine geliebte Frau. 2018 wurde ihr der alternative Literaturnobelpreis verliehen. Auch eine Art Liebe zu zeigen.

Es gibt viele Romane, deren Helden sich durch ein reichhaltiges Menü der Sorgen des Alltags entledigen. Ob Camilleris Montalbano, Brunetti in Venedig oder Aurelio Zen, der in seiner Karriere in ganz Italien nicht nur Fälle löste, sondern auch die regionalen Küchen kennenlernen durfte, sie alle wurden am Kochtopf der Heimat ein Stück näher gebracht.

Dieses sehr persönliche Buch ist die konsequente Fortsetzung der Lebensgeschichte von Maryse Condé, die den Leser schon in „Victoire“ so facettenreich ihr Leben offenbarte. Sie würzt ihre Gedanken mit einer ordentlichen Portion Wucht an Worten. Man riecht die Zutaten förmlich, wenn sie in Erinnerungen schwelgt. Abgerundet wird jedes Kapitel mit der Zutat, ohne die jedes Gericht nur fad schmeckt: Liebe.

Ob nun Agouti-Ragout mit Bitterspinat, Garnelen, Zackenbarsch, Mafé, Flankoko (ohne Rum!, den wollte sie schon als Kind hinzugeben) – hier schmeckt einfach alles. Das einzige, was hier verwässert ist, ist der kiololo, ein mehr als dünner Kaffee wie man ihn in der kreolischen Küche oft findet. Ansonsten ist jedes Kapitel, jede Seite, jeder Absatz ein köstlicher und kostbarer Gruß aus der Küche der Erinnerungen.

Die Zauberflöte

In fast jeder Firma gibt es Einen, der sich seinen Posten mit Mitteln erschlichen hat, die Anderen Grund zur Spekulation geben. Unvermögen und Duckmäusertum, gepaart mit Angst – eine gefährliche Mischung.

Dieuseul Lapénuri ist so einer. Aber Angst muss man vor ihm nicht haben. Er ist der Prügelknabe für seinen alten Herren. Seine Frau Anodine verachtet ihn, den Schlappschwanz. Und dennoch hat er es geschafft, dass ihn der Präsident von Haïti zum Minister für moralische und staatsbürgerliche Werte ernennt. Ja, die Familie seiner Frau verkehrt in den höchsten Kreisen. Den Präsidenten halten sie für unfähig, umschmeicheln ihn und seine Entourage jedoch kräftig. Auch, dass die Gemeinde samt Pfarrer ordentlich die Werbetrommel rührte, damit er den Ministerposten bekommt, spielt sicher eine gewisse Rolle. Nur Dieuseul, der Name bedeutet Gott allein, weiß welches Geheimnis hinter seiner Ernennung steckt. Wenn er doch nur gerissener wäre, könnte er die Situation noch viel mehr ausnutzen. Als er noch ein kleiner Beamter im Finanzministerium war – auch hier hatte er nicht viel dazu beitragen müssen, den Job zu erhalten – hatte er gelegentliche amouröse Abenteuer mit den weiblichen Büroangestellten.

Nur bei Rita biss er regelmäßig auf Granit. Sie machte ihm unmissverständlich klar, dass ihr Frauen lieber sind als Männer. Wohl auch deswegen versteht er sich bis heute mit ihr besser als mit den anderen.

Nun ist er Minister, soll die Korruption mit den Werten des Landes bekämpfen, was nach der Ansicht eines jeden, der das Land kennt, ein Widerspruch in sich ist. Rita wünscht ihm Kraft, insgeheim weiß sie, dass er nur scheitern kann. Sein Vater weiß ganz genau, dass sein Junge scheitern wird. So stürzt Dieuseul Lapénuri in das größte Abenteuer seines Lebens.

Und das hält auch gleich einen ganz dicken Brocken für den Frischling parat. Der Innenminister reicht ihm ein Dosier weiter, in dem es um das Festi Masi geht. Eine Kampagne der schwul-lesbischen Vereinigung Haïtis. Ein heikles Thema in einem Land, in dem Religion eine derart große Rolle spielt. Unterstützung bekommt er dennoch von oberster Stelle. Denn der Präsident scheint ein persönliches Interesse an dem Thema zu haben. Und Dieuseul Lapénuri weiß auch warum… Dass andere das auch wissen, weiß er allerdings nicht!

Gary Victor zaubert einmal mehr eine Gesellschaftsskizze aufs Papier, die dem Leser zum Einen das unbekannte Haïti zeigt, zum Anderen einen unbändigen Lesespaß bereitet. Ich weiß was, was Du nicht weißt. Dafür weiß ich nicht, was Du alles weißt. Das Wechselspiel zwischen Wissen und Macht wird durch Gary Victor auf ein höheres Niveau gehoben.