Eine Violine für Adrien

Adrien will Geigespielen lernen. Nicht, weil sein Mutter das so will. Er will es. Ein Konzert bei Monsieur Benjamin ist dafür ausschlaggebend. Und Monsieur Benjamin gibt auch Unterricht. Einzige Bedingung: Er muss Noten lesen können. Das kann er, hat er in der Schule gelernt. Von der ersten Sekunde an ist Adrien fasziniert vom Klang des Instruments und von Monsieur Benjamin. Adrien ist der Beste in der Klasse. Daran ändern auch nichts die Sticheleien und einmal auch eine tätlicher Angriff zweier Mitschüler. Letzterer zieht weite Kreise. Denn die Delinquenten bzw. ihre Eltern hetzen die gefürchteten Tonton macoute auf die Mutter. Im Haïti der 70er Jahre als Papa Doc das Land im Würgegriff hielt und seinen Sohn Baby Doc auf sein kommendes Amt vorbereitete, leider keine Seltenheit. Auch hier kann Monsieur Benjamin mit Tat zur Seite stehen. Er kennt den verantwortlichen Offizier. Und der wiederum weiß, dass Monsieur Benjamin ein geachteter Mann ist, der Haïti in der Welt gut aussehen lässt … und außerdem mit Papa Doc seit Kindertagen befreundet ist.

Doch die Stunden bei Monsieur Benjamin sind zeitlich begrenzt. Will Adrien weiterspielen, braucht er eine eigene Geige. Mama kann sich das Instrument nicht leisten. Und Papa ist erst recht keine Hilfe, da er für weitere Frauen aus seiner Vergangenheit aufkommen  muss. Adrien will unbedingt weiter Geige spielen. Und sich das Geld selbst verdienen. Ein aussichtsloses Unterfangen. Da kommt ein Mann des Weges und macht ihm ein Angebot …

Gary Victor schreibt mit der Virtuosität eines Meisters. Korruption, Abhängigkeit, Bespitzelung, Armut, Hoffnungslosigkeit und zwischendrin der Zauber der Musik. Eine Sinfonie in dunkelstem Moll, die sich in die höchsten Höhen des Dur hinaufschwingt. Was macht man, wenn ein Traum an einem seidenen Faden hängt, der zu reißen droht sobald man ihn berührt? Soll man mit dem Teufel paktieren, um das große Ganze genießen zu können? Der kleine Junge Adrien kann die Tragweite des Angebotes nicht abschätzen. Er hat einen Traum, den er sich und für seine Mama erfüllen will. Außerdem will er Monsieur Benjamin nicht enttäuschen. Die Zwickmühle schnürt ihm die Kehle zu.

Ab der ersten Seite, ja eigentlich schon mit den ersten Buchstaben dieses Buches, umgarnt Gary Victor den Leser mit zauberhaften Akkorden, die in Melodien aufgehen, die man nie mehr missen möchte. Verträumte Harmonien werden durch schellende Paukenschläge durchbrochen, um anschließend sanft den Leser wieder in Hoffnung zu packen. Gary Victor dirigiert sein Werk selbstsicher und gekonnt – standing ovations garantiert.