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Reise mit einer Eselin durch die Cevennen

Guck mal, ein Esel. Ach wie niedlich, die Augen, die Ohren. Ach wie süß! Nachdem die unweigerliche Verzückung vorüber ist, richtet sich das Augenmerk des Lesers auf die folgenden beschriebenen Seiten dieses Reiseberichtes von Robert Louis Stevenson. Genau der Robert Louis Stevenson, der mit der Schatzinsel. Im Herbst 1878 macht er sich auf über 200 Kilometer durch und über die Cevennen zu wandern. Zwölf Tage für 200 Kilometer – sportlich. Und jetzt versetzen wir uns in die Gegenwart. Wir wollen wie Stevenson durchs Gebirge wandern und Ruhe und Einsamkeit finden. Und finden was? Endlose Schlangen von Wohnmobilen, deren Fahrer fast schon pastoral von Freiheit murmeln und die sich ebenso endlos statt um das Leeren ihrer Chemikalientanks kümmern lieber mit einem Wagenrad über dem Abgrund erst einmal erleichtern statt die Aussicht zu genießen. Navi mit emotionsloser Stimme weisen den Weg. Und hoffentlich gibt’s auf dem nächsten Campingplatz ein vernünftiges WLAN, dass man bloß nicht das eigene Datenvolumen verbrauchen muss. Und hoffentlich spricht man die eigene Sprache dort. Und bitte, lieber Fahrergott, lass es sauber sein! Das sind Sorgen?!

Stevenson hat sich wie so viele das Reiseziel bzw. die Reiseroute sorgsam ausgewählt. Er lässt sich sogar einen Schlafsacke nähen. Auf ihn zugeschnitten und nicht aus einem Material, dass vor ein oder zwei Leben noch eine Getränkeflasche war. Alles aus natürlichen Materialien. Gab ja nichts anderes!

Stevensons Reisemobil (eigentlich nur der Kofferraum oder die Gepäckablage) ist Modestine. Eine Eselin. Weiblich. Esel. Alles klar?! Störrisch, eigenwillig. Und dennoch ist Stevenson dem Begriff der Freiheit, der Definition von Freisein näher als alles Vierradmobilisten, die meinen ihren ökologischen Fußabdruck allein nur durch das Vermeiden von Flugmeilen im erträglichen Rahmen halten zu können. Denn Stevenson trifft hier kaum Menschen. Er kann unbeachtet wild campen. Dreimal tut er dies. Einmal nächtigt er im Kloster. Schweigegelübde inklusive. Schwer für einen, der als brillanter Geschichtenerzähler gilt. Und immer dabei, wenn auch nicht immer erwähnt: Modestine.

„Reise mit einer Eselin durch die Cevennen“ ist der vergnüglichste Reisebericht des Jahres. Wenn auch schon etwas in die Jahre gekommen, so ist es ein unerbitterliches Vergnügen einem gewieften Fahrten(be)schreiber durch den Süden Frankreichs zu folgen. Amüsant, lehrreich, hilfreich, aber vor allem unterhaltsam. Ganz ohne Powerbank, Social media account, Sattelitenunterstützung, Vorausbuchung und sonstigem Schnickschnack, der der Freiheit das Ureigenste nimmt: Sich selbst. Immer wider, immer noch lesbar und fast schon unverzichtbar in einer Zeit, in der man sich gern jeder Last entledigen möchte, weil man meint es genau so tun zu müssen.

Über die Brücken von Paris

Es ist unbestritten, dass Paris zu den Top 10 der Sehnsuchtsorte auf der Welt gilt. Das belegen allein schon die Besucherzahlen. Zum Anderen sind es aber auch die unzähligen Bücher, die über die Stadt geschrieben wurden und der Berg an Büchern, deren Handlung ohne Paris nur halb so interessant wäre.

Gernot Gad geht es sicherlich nicht anders – der gebürtige Berliner lebt in Paris. Nicht weil er muss, sondern weil er es will. Weil die Stadt ihn fasziniert. Es saugt die Stadt auf, atmet ihren Rhythmus ein und stromert mit wachem Auge von Links nach Rechts. Dabei quert er die Seine ein ums andere Mal. Es scheint schon fast logisch, dass er den Brücken, die ihn übers Wasser tragen, ein Denkmal setzen muss. Und was für eins!

Kaum eine romantische Szene kommt ohne die Brücken von Paris (am besten bei Nacht oder zumindest bei Anbruch der Nacht) aus. Das Lichtermeer ist schmeichelnd für das Auge. Mit Eiffelturm im Hintergrund – ebenfalls beleuchtet – und schon hat man das perfekte Erinnerungsbild für die Ewigkeit. Kitschig. Ein bisschen. Aber auch umwerfend beeindruckend. So muss Paris in der Erinnerung sein!

Ist der erste Rausch verklungen, drängen die ernsten Fakten nach vorn. Siebenunddreißig Brücken sind es die Paris die Trennung durch die Seine vergessen lassen. Pont Neuf ist wohl die bekannteste in einer zeit, in der das schnelle eindrucksvolle Foto mehr Wert besitzt als die nie verblassende Erinnerung an eine schöne Zeit. Juliette Binoche setzte im gleichnamigen Film dieser Brücke ein ewiges Denkmal. Filmgeschichte zum Anfassen bzw. zum darauf Herumlaufen. Diese Brücke allein für sich zu habe, ist unmöglich.

Aber da sind ja noch sechsunddreißig weitere Brücken. Und ihre Geschichte teilt Gernot Gad mit dem Leser. Hochzeitspaare an einer Brücke, die an den Krieg in der Wüste erinnert – wenig romantisch. Doch Monsieur Eiffels Vermächtnis im Hintergrund lässt all die Pein vergessen. Das Licht muss nur stimmen.

Pont Grenelle – dort, wo die Freiheitsstatue in kleinerer Ausführung steht – raunt man sich Legenden zu. Hier das Original, da die überlebensgroße Kopie. Von wegen. Umgekehrt ist es richtig. Hier wird Geschichte fasst schon greifbar. Besonders, wenn man sich das Gesicht der Dame auf der Brücke anschaut. Frédéric Auguste Bartholdi hat die Statue geschaffen. Das Gesicht war ihm wohl bekannt. Es ist das Gesicht seiner Mutter. Und eigentlich sollte sie schon Jahrzehnte vorher in der warmen Sonne Ägyptens stehen…

„Über die Brücken von Paris“ ist genau das Buch, das man braucht, kennt man die Stadt schon gut. Sind die Märkte wie der heimische Supermarkt, ist der Eiffelturm nicht mehr Objekt des stundenlangen Wartens auf überragende Aussichten, ist Montmartre nicht länger das verblassende Klischee des Paris von einst, sind die Modeläden in Le Châtelet nur Fassaden, die man gern noch im Augenwinkel wahrnimmt – dann wird es Zeit sich neue Ziele in Paris zu stecken. Von A bis A, von Aval bis Amont, das ist schon eine ordentliche Wegstrecke, die man da zurücklegen muss. Immer am Ufer entlang. Und in der Mitte des Weges ganz schön voll. Und doch nimmt man all das auf sich, um in Paris doch etwas zu erleben, was Andere niemals wahrnehmen werden – so lange sie nicht dieses Buch mindestens in der Hand halten – Paris ist ab sofort eine ganz andere Stadt!

Der Junge im Taxi

Die Beerdigung des Großvaters ist für Simon trauriger Anlass genug. Doch diesen Tag wird er niemals mehr im Leben vergessen. Es ist der Moment als er unvermittelt erfährt, dass Großvater einen Sohn gezeugt hat. Damals in Deutschland. Mit einer Deutschen. Und den er zurückgelassen hat. Damals in Deutschland. Simon lässt diese Geschichte nicht los. Er reist sofort los. Nach Deutschland. Ins Deutschland von heute.

Im ersten Kapitel von Sylvain Prudhommes „Der Junge im Taxi“ fühlt man sich an den Schulsport zurückerinnert. Weitsprung. Ein paar Meter zurückgehen, Anlauf nehmen und mit aller Kraft abspringen. Sylvain Prudhomme stellt sich an der Startlinie zum Fünftausendmeterlauf auf. Er läuft unbeirrt im Steigerungslauf einige Runden, um dann plötzlich abzubiegen, noch einmal Fahrt aufzunehmen und dann treffsicher den Absprungbalken zu nehmen und zu fliegen, zu fliegen, alle zu übertreffen. Und eine Punktlandung hinzulegen. Der Neue in der Familie – ein Deutscher – erzählt ihm vom verschwiegenen Sohn des Großvaters. M. ist sein Name. So mystisch und so weit entfernt wie nur irgendmöglich. Simon ist vor den Kopf gestoßen, und emotional derart berührt, dass er aus der Misere – schließlich hat man ihn systematisch aus diesem Familienkapitel ausgeschlossen, wenn selbst der „Neue“ in der Familie es weiß – eine Kraft schöpft, die ihn vielleicht verwundert, ihm sicher aber Antrieb verleiht, nach M. zu suchen. Er will am Bodensee allem auf den Grund gehen…

Simon ist ein gestandener Mann. Eigentlich dürfte ihn die Nachricht über den unsichtbaren Onkel nicht aus den Schuhen hauen. Und doch ist da etwas in ihm, das unaufhörlich arbeitet. Es pocht in seinem Herzen wie verrückt. Er muss M. nicht unbedingt finden, wobei das sicherlich die Krönung seiner Recherche wäre. Er will nur wissen, wie es M. ergangen ist. Ohne Vater aufzuwachsen. Als Kind eines Mannes, der jahrzehntelang als Erbfeind galt. Ein Gewinner des Krieges, der sich über das unterlegene (Weibs-?) Volk hermachte? Welche Auswirkungen hat dies alles auf sein Leben? Lebt er überhaupt noch?

Sylvain Prudhomme hat einen einzigartigen Stil entwickelt düsterste Kapitel im Leben eines Menschen eine poetische Note zu verleihen, alles in eine sanfte Sinfonie zu verwandeln. Fast vergisst man die traurige Geschichte von M. Man lauscht den Klängen der Worte aus der Feder des Autors – ja, man kann seine Worte hören, fühlen, manchmal sogar schmecken – und wiegt sanft den Kopf dazu im Takt seiner Melodien. Wieder einmal ein Meisterwerk, das man so schnell nicht vergessen kann. Als Urlaubslektüre (in Frankreich wie am Bodensee) ebenso perfekt wie für wissbegierige Historienleser.

Nach Gefühl

Es ist jedes Jahr ein Riesenspektakel. Die erste große Rundreise auf dem Drahtesel durch ein Land. Der Anfang macht traditionsgemäß Italien. Als Radsportfan ist man seit Jahren immer wieder der Gefahr ausgesetzt aufs falsche Pferd zu setzen. Und so genießen viele neben dem eigentlichen Sport wahrscheinlich auch die Ansichten des womöglich nächsten Urlaubsziels.

Zwischen all den Steigungen und Abfahrten, den wilden Sprints und auch den erschreckenden Stürzen drängen immer wieder Fahrer in den Fokus, deren Namen man so schnell nicht vergessen wird. Und das nicht, weil sie Naschkatzen mit einer Vorliebe für nicht natürliche Substanzen sind!

Tom Dumoulin gehört sicher in diese Riege. Er war nicht der alle überstrahlende Radsportler, der mit einem Antritt ganze Ausreißergruppen in die Verzweiflung trieb. Er war bei Rennen stets präsent. Zuerst als Wasserträger, also einer, der zuallererst seinem Teamkapitän, dann den aussichtsreichsten Fahrern zur Seite stand. Man nannte ihn den Schmetterling, vlinder van Maastricht. Den Spitznamen mochte er nie. Mit gerade mal 32 Jahren hängte er den Fahrradhelm an den Nagel. Ein Sturz, bei dem er sich das Handgelenk brach und nicht an den Weltmeisterschaften teilnehmen konnte, war ausschlaggebend. An dieser Stelle könnte man jetzt mit Zahlen jonglieren: WM-Titel, Triumphe bei den großen Rundfahrten etc. Doch damit würde man ihm nicht gerecht werden.

Zusammen mit dem Journalisten Nando Boers spürt er im Nachgang noch einmal das Gefühl auf Radsportler zu sein. Er reist noch einmal an Orte, die ihm etwas bedeuten. Orte, an denen er sich das Trikot des Besten der Gesamtwertung überstreifen konnte. Orte, an denen er nach Wochen der Entbehrung bejubeln lassen konnte, weil er dieses Trikot über die abschließende Ziellinie getragen hat. Aber auch Orte, an denen entscheidende Zäsuren stattfanden.

Es sind nicht zwigend die Orte mit den Ziellinien wie Andorra-Ancalis, wo er zum ersten Mal eine Bergetappe bei der Tour de France gewann. Und was für eine Etappe! Oft sind es Streckenmarkierungen, wo er sich absetzte, wo er sich gut fühlte, so das Rennen durch und für ihn entschieden wurde.

Monza, Oropa, Bormio – klar, dass der Niederländer eine besondere Beziehung zu Italien hat. 2017 war das Jahr, in dem er im maglia rosa als Gesamtsieger wieder nach Hause fahren konnte. Die Wochen danach bzw. seine Beschreibung dieser Zeit gehören zu den Highlights in diesem Buch. Weil sie dem siegorientierten Sportler eine menschlich nachvollziehbare Note verleihen. Grillen, chillen, willentlich dem Rad die kalte Schulter zeigen.

Aber auch die (inzwischen) differenzierte Sichtweise auf den Zirkus und den Hype dieses Sports regen zum Nachdenken an. Die Mischung aus journalistischer Chronistenpflicht und eigenen Empfindungen, die immer noch präsent sind – mit Mitte Dreißig sind sie erfahrungsgemäß noch sehr frisch – macht „Nach Gefühl“ zu einer mitreißenden Biographie, die zu begeistern weiß.

Die geheime Reise

Der Titel lässt so viel Freiraum zur Interpretation, dass man sich in seinem Phantasieuniversum verirren könnte. Ein junger Mann geht – irgendwann in den 40ern des vergangenen Jahrhunderts von Frankreich aus – auf Deutschlandreise. Nicht einfach so, es alles gut durch organisiert. Seine Mitreisenden sind nicht nur Mitstreiter, sie sind auch – vor allem aber verborgen – Objekte der Begierde. Und hier beginnt es sofort schwierig zu werden. 40er Jahre. Deutschland. Franzosen. Homosexualität. Organisierte Reise. Puh, klingt doch sehr phantastisch! Ist es aber nicht. Denn der geheimen Reise liegt eine echte Reise zugrunde.

Marcel Jouhandeau, der Autor und eindeutig der Held des Romans, wurde im Herbst 1941 eingeladen Deutschland zu besuchen. Goebbels war daran beteiligt, die Reisegruppe traf ihn. Natürlich waren die Autoren und Journalisten Auserwählte von Teufels Gnaden. Die eigentlichen Reisenotizen wurden nie veröffentlicht – bis heute. Was auch daran lag, dass die Mitreisenden nach 1945 kein gesteigertes Interesse an einer nachträglichen Veröffentlichung hatten. Kollaboration mit dem Feind wurde in Frankreich gründlich und nachhaltig betrieben. Die handschriftlichen Seiten von Marcel Jouhandeau sind in Archiven zugänglich.

Marcel Jouhandeau fiel zuvor des Öfteren durch antisemitische Schriften auf. Als die Einladung zur Deutschlandreise, Propagandafahrt in Feindesland – Paris, Frankreich war von den Deutschen besetzt – kam, sagte er zu. Und ihm fiel sofort einer der Organisatoren auf. Die Aufmerksamkeit lag auf beiden Seiten. Das sind die Fakten.

Die poetische, sinnliche, fast schon verklärende, jedoch stets intellektuelle Verarbeitung dieser Eindrücke bricht wie ein Wirbelsturm auf den Leser herein. Andeutungen (werden komplett im Anhang und zuvor schon im originalen carnet des Autors aufgelöst), Abkürzungen (nicht jeder soll sofort identifizierbar sein) und Verführungen (offensichtliche wie gut versteckte) spielen zusammen wie ein gut eingespieltes Orchester.

Verführungen im Zwischenmenschlichen kribbeln an Stellen, an den man sie erwartet, sogar einfordert. Wenn es aber kribbelt und man die Stellen nicht erreichen kann, um sich zu kratzen, sind sie nachhaltig und wirksamer als man sich selbst eingestehen kann und will. Marcel Jouhandeau ist sicherlich ein streitbarer Autor. Dass er zu dieser Reise eingeladen wurde, ist mehr als verdächtig. Dass er später von Schuld freigesprochen wurde, nimmt man als Außenstehender hin – der Zweifel bleibt. Ebenso die Wucht der Worte, die jeden in ihren Bann ziehen. Zwischen den Zeilen lesen macht hier Sinn. Poesie kann man sich nicht entziehen, der Realität muss man hier mit Stirnrunzeln selbige bieten.

Korsika

Napoleon hat die Insel verlassen, weil … er Größeres vorhatte. Was kann es Größeres geben als diese Insel mit all ihren Facetten kennenzulernen?! Näher an Italien, Frankreich zugehörig (was jeder echte Korse natürlich ablehnt) und von der Sonne verwöhnt. Bastia, Ajaccio und vielleicht noch Calvi sind die bekanntesten Orte. Und sonst? Wer war noch nicht dort, weiß aber noch ein bisschen mehr?

Marcus X. Schmid war dort. Er kennt sich aus. Und ist der beste Reiseführer über die Insel. Mitten im Inselleben bis hin zu verwunschenen Orten – er kennt sie alle, die geheimen Orte, die besten Aussichten, die ruhigsten Plätze zum Verweilen.

Wer Korsika besuchen will, weil er schon immer dorthin wollte, dem fällt es schwer sich zu entscheiden. Ein klar gegliederter Reiseband ist nun wichtiger als man es sich selbst eingestehen will. Denn nichts ist nerviger als im Urlaub permanent in seinem Reisebuch hin- und herzublättern, um genau das zu finden, was man eben noch gelesen hatte. Jedes Kapitel beginnt mit einem Spoileralarm: Was, Wo, Wann … das Warum? erschließt sich von ganz allein.

Warum soll man also im Hinterland von Sagone in den Ort Muna reisen? Da wohnt kaum noch jemand! Und alle reden vom Dorf der Banditen. Genau deswegen! Langsam kommt wieder Leben ins Dorf, das 1960 noch hundert Einwohner zählte. Heute sind die Nachfahren wieder vor Ort, um es für den geneigten Touristen wieder herzurichten. Es ist ja alles da. Exzellente Bausubstanz und sogar eine Kirche mich funktionierendem „Glöcklein“ wie Marcus X. Schmid so liebevoll in einem der zahlreichen gelb unterlegten Kästen anpreist. Mehr Abenteuer geht nicht.

Wilde Bergformationen, idyllische Strände, lebendige Städte – Korsika muss sich nicht neu erfinden. Hier war schon immer alles so. Geschichte allerorten – kaum ein Reiseband enthält so viele Anekdoten wie dieser hier. Immer wieder wird man zum Innehalten eingeladen. Was gibt es Schöneres als von einem erhabenen Punkt in die Unendlichkeit schauen zu können. Hier gibt es keinen Grund sich klein zu fühlen. Glück – das empfindet man hier. Wenn man die richtigen Orte kennt, die eben dieses versprechen.

Die Abbildungen im Buch sind der farbenprächtige Beweis, dass die Entscheidung Korsika auf die Urlaubsliste zu setzen die richtige Wahl war. Ein erstes grobes Durchblättern lässt die Vorfreude steigen. Und wenn man sich erst einmal ins Buch vertieft hat, ist jede Minute bis zum Abflug eine Qual. Das Warten lohnt sich aber zu mehr als 100%.

Vom Glück des Umziehens

Da steht man in Paris vor dem Palais Royal, Rue de Beaujolais 9. Ein imposantes Gebäude. Und? Fertig! Ein weiterer Punkt auf der Liste der zu besichtigenden Dinge abgehakt. Kann man machen, muss man aber nicht. Wer da wohl drin wohnt? Wer da wohl mal drin gewohnt hat? Was war da los? Ging hier die Post ab oder fand einer der Bewohner hier sogar seinen Frieden – und das in mehrfacher Hinsicht? Dann zückt man dieses kleine rosa Büchlein. Und blättert noch einmal darin. Ah, hier hat Colette gewohnt, die letzten sechzehn Jahre ihres Lebens verbracht. Hier schrieb sie mit einer eigens für sie angefertigten Schreibunterlage. Sie war am Ende ihres Lebens ans Bett gefesselt. Nur körperlich. Und dann liest man, dass dies hier ihre letzte Wohnung ihres rastlosen Pariser Lebens war. Station Elf.

Ihre erste Wohnung in Paris war vom Sommer 1893 bis zum Herbst 1896 in der Rue Jacob 28. Auf geht’s zur ersten Adresse. Mit dem Auto dauert es 16 min, zu Fuß nur unbedeutend länger. Und dann steht man in einer engen Straße, in der parkende Autos jedes Weiterkommen verhindern. Links und rechts Geschäfte. Man schaut nach oben … diesen Ausblick hat Colette nicht gehabt. Ist ja auch mehr als hundert Jahre her seitdem die berühmte Autorin hier lebte. Aber man versteht warum sie hier leben wollte. Mitten im Leben. Ein wenig Grün fehlt. Das hat Colette – vielleicht nicht hier, doch an anderer Stelle immer selbst in die Hand genommen. Balkone und Hauseingänge waren vor ihrem Gründrang nicht sicher.

Der Anhang dieses Büchleins ist für reisende Leser wie lesende Reisende eine Fundgrube. Manche Adresse sieht heute komplett anders aus – die ursprünglichen Häuser gibt es nicht mehr. Als ausgemachter Colette-Fan wird dieser Tag in Paris unvergessen bleiben.

Elf Wohnungen in der Stadt der Liebe. Elf Tapetenwechsel. Und wenn es mal nicht für den Umzug reichte, dann wurden Möbel gerückt. Umzug Null Punkt Fünf. Die kleinen Geschichten in den vier oder mehr Wänden – je erfolgreicher sie wurde desto größer die Appartements, die Anzahl der Räume und somit auch die der Wände – füllen jede Sehnsucht nach Paris mit noch mehr Sehnsucht. Durch die Detailgetreue sind ihre Stationen auch heute noch nachvollziehbar. Wer jedoch erwartet im Quartier des Ternes, dass sich an den Arc de Triomphe anschließt, Austern für neun Sous zu bekommen, wird herb enttäuscht werden. Und das nicht nur, weil es den Sous nicht mehr gibt…

Die Geschichten vom Zwang Neues zu erleben, sich von Liebgewonnen zu trennen, sich immer wieder ins Abenteuer zu stürzen, sind bis heute ein Leseschmaus. Wohl auch deswegen lesen sie sich bis heute (fast hundert Jahr später) immer noch flüssig und nachvollziehbar. Nicht nur für Paris- und Collete-Fans.

1000 places to see before You die

Im Leben gibt es unzählige Listen, die man erstellt. An die meisten hält man sich, wie den Einkaufszettel. Andere hingegen dienen – so meint man – der eigenen Beruhigung etwas zumindest in Planung zu haben. Meist gehen diese Listen irgendwann den Weg in den Abfall. Und dann wiederum gibt es Listen, die sind so dick, weil gehaltvoll, die werden niemals ihre Anziehungskraft verlieren. Bucketlist nennt man das.

Und so eine liegt in diesem Fall einmal mehr vor. Tausend Orte, die man besuchen muss bevor man es nicht mehr kann. Unmöglich? Schon möglich. Aber genauso möglich ist es tausend Orte zu bereisen. Doch wo anfangen? Hier kommt dieses Monster an Ideen, Ratgebern, Tipps, Tritten in den Allerwertesten ins Spiel. Von nun an gibt es keine Ausreden mehr! Der Anfang ist gemacht. Und der erste Schritt ist bekanntlich der erste von vielen, die noch folgen werden. Und wenn man schon mal angefangen hat…

… dann auf zum Lac d’Annecy oder nach Riga. Am besten mit einem Abstecher zu den Stränden Goas in Indien oder Sanibel und Captiva vor Florida. Oder der größten Sandinsel der Welt, Fraser Island in Australien. Zu ruhig? Dann hilft eine Shopping- oder Sightseeingtour über die quirligen Märkte von Saigon.

Man muss das Buch nur in die Hand nehmen und ein wenig darin blättern. Und schon hat man Reisefieber. Und eine Reisefibel auf dem Schoß. Klar gegliedert nach Kontinenten und Ländern. Ganz Mutige nehmen diesen Schmöker als festen Reiseplan – viel Spaß beim Urlaubsantrag ausfüllen: „Chef ich bin dann mal weg. Wenn ich das Buch abgearbeitet habe, komme ich wieder. Bis in … Jahren!“. Die Vorstellung ist doch schon sehr verlockend.

Ein Sinnes-Overkill ist garantiert. Berge, Täler, Strände, Stadtzentren, Architektur, Naturwunder, über und unter Wasser, Aussichtspunkte, Absteige wie Kletterpartien – wer hier nicht fündig wird, der hat entweder schon alles gesehen (was fast unmöglich scheint) oder will einfach nicht. Man kann dieses – nein, man sollte – dieses Buch als niemals versiegende Inspirationsquelle sich regelmäßig aus dem Regal nehmen. Reisen bildet. Lesen macht Appetit. Bei 1220 Seiten kann man sich niemals satt sehen und inspirieren lassen. Es gibt immer wieder Neues zu entdecken. Heute hier, morgen da. Der Sehnsucht einfach mal Futter geben. Sich selbst austesten, was alles möglich sein kann. Schon allein dafür lohnt sich ein Blick in diesen Schmöker.

Jean Sbogar

Was macht man als gescheiterter Herrscher über ein Riesenreich, wenn man von Gefolgsleuten und Gegnern ans andere Ende der Welt verbannt wurde? Sinniert man über das Leben? Schmiedet man Pläne für eine (neuerliche) Flucht und einen Angriffsplan zur (neuerlichen) Machtergreifung? Schleicht man herum und ergötzt man sich an den Naturschönheiten? Wahrscheinlich.

Doch wahrscheinlicher ist es, dass man sich der Literatur hingibt – Zeit hat man schließlich genug. Und dann fällt einem ein Werk in die einst lenkenden Hände, dass man einfach nicht mehr beiseitelegen kann. Ein Tag – ein Buch. Fertig ist die Legende. Wenn man Napoleon heißt. Und auf St. Helena die letzte Zeit seines Lebens verbringt.

Ist es ein Zufall, dass dem einstigen Herrscher Europas genau dieses Buch in die Hände fiel? Vielleicht. Dass es ihn in seinen Bann gezogen hat, ist dagegen kein Wunder. Eine Frau, ein Mann verlieben sich ineinander. Sie, Antonia, aus reichem Haus und er, Lithargo, ein wenig geheimnisvoll. Er macht wenig Worte. Doch, wenn er was sagt, dann das Richtige. Und trotzdem schweben zwischen den Beiden die Wolken des Zweifels. Denn Lithargo ist nicht nur Lithargo. Er ist auch Jean, Jean Sbogar. Von Beruf: Räuberhauptmann. Will der vielleicht nur an die Mitgift der zarten Antonia? Oder hat er ehrbare Gefühle für sie? Vollzieht er gar die Wandlung vom Saulus zum Paulus?

Charles Nodier gehört neben Victor Hugo und Honore de Balzac zu den Vätern der französischen Romantik. In „Jean Sbogar“ zog er einst Napoleon und bis heute – seit zweihundert Jahren begeistert er seine Leser – jeden, der das Buch in die Hand nimmt und erst nach der letzten Seite wieder ablegen kann. Pure Fiktion. So wunderschön gefühlvoll, kraftvoll und von bemerkenswerter Eleganz. Triest und Venedig sind allein schon wegen ihres Rufes prädestiniert für eine romantische Handlung. Doch Charles Nodier setzt dem Ganzen die Krone auf. Wer auf spannende Abenteuer mit mehr als einer Nuance Romantik steht, wird mit „Jean Sbogar“ ein wahres Inferno der besten Sorte erleben.

Berühmte Frauen der 50er und 60er Jahre

Liselotte Pulver – das Ambiente kann noch so trist sein, es dauert nicht lange bis die Stimmung ins knallbunte kippt.

Francoise Sagan – ikonischer Freigeist, der der eigenen Unnachgiebigkeit erlegen ist.

Niki de Saint Phalle – ihre Nanas werden alle Zeiten überleben und ihren Namen bekannt halten.

Brigitte Bardot – ewige Verlockung mit dramatischen Wendungen, die sich selbst nur schwer akzeptieren kann.

Maria Callas – von Ängsten geplagtes Einmal-Talent, deren Stimme nachfolgende Generationen ins Zittern geraten lässt.

Nur vier – durchaus die berühmtesten dieses Buches – Namen, Ikonen, Frauen einer Zeit, die nur auf dem Papier vergessen scheint. Stilistisch prägen die 50er und 60er Jahre noch heute das Erscheinungsbild von Städten und Menschen – Stil vergeht nicht.

Wie im Rausch blättert man durch dieses Buch und erfährt selbst über die, die man zu kennen glaubte, noch Neues und wundert sich, dass es einem als neu erscheint. Denn alles ist bekannt. Prinzessin Soraya, die erste Frau des letzten Schahs von Persien, war die Getriebene nach ihrer Scheidung von Mohammad Reza Pahlevi. Ruhe Stunden, Minuten, gar Sekunden kannte sie nicht. Irgendwo lauert immer eine Kamera. Und wenn nicht physisch, dann zumindest in den Gedanken der traurigen Prinzessin. Erst Jahrzehnte später wurden gesetzliche Vorlagen geschaffen, die die Privatsphäre derartig berühmter Menschen ein wenig besser schützen sollen. Ihr Verdienst.

Charlotte Ueckert hat sich Symbolfiguren der ersten Jahrzehnte nach dem Krieg herausgepickt und ihre ikonische Stellung und deren bis heute anhaltende Wirkung, herausgearbeitet. Herausgekommen ist mehr als nur eine bunter Blätterwald für all diejenigen, die „ach ja, die kenne ich noch … von damals“ mehr als nur eine Erinnerungslücke ansehen. Die Werke von Doris Lessing werden ihren Namen nie verblassen lassen. Ebenso das Werk von Niki de Saint Phalle. Die Aufführungen der Callas laufen in digitalisierter Aufbereitung noch heute in Kinos. Und die Bardot ist und bleibt das Sex-Symbol – ob sie es nun will oder nicht – ihrer Zeit. Sie alle sind auf irgendeine Art und Weise haltbar gewordene Erinnerungen. Doch meist sieht man nur ihre Hülle. Je mehr man in dieses Buch eintaucht, desto mehr gräbt man sich in das Leben der vorgestellten Frauen, die mehr waren als Beiwerk oder zweidimensionaler Augenschmaus für Jung und Alt, Mann und Frau. Ihr Tun hat mal mehr, mal weniger merklich Spuren hinterlassen, die niemand mehr verwischen kann. Dieses Buch hilft eindrucksvoll dabei diese Spuren zu erkennen.