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Piemont

Feinschmeckern läuft schon bei den Untertiteln das Wasser im Mund zusammen: Albi – mmmh Trüffel, Barolo – oh ja, schenken Sie gern noch einmal nach. Nur die Piemont-Kirsche – die sucht man vergebens. Die gibt’s nämlich gar nicht!

Das gibt’s doch nicht – wird man noch öfter sagen, blättert man sich voller Ungeduld durch den Reiseband. Man beginnt bei Land und Leuten, was in einem Trescher-Reisebuch auch bedeutet Persönlichkeiten ausführlich zu begegnen. Vom Schriftsteller Cesare Pavese über Umberto Tozzi bis hin zum Autor der heimlichen Hymne Italiens „Azzurro“ Paolo Conte. Alle stammen aus dem Piemont.

Und dann kommt das Kapitel, das einem die Reiselust ins Unermessliche steigern lässt: Küche. Cucina. Das ist im Piemont reichhaltig … in jeder Hinsicht. Bis auf eben die berühmten Piemont-Kirschen. Nüsse, Nudeln, Naschereien. Ein Füllhorn, ach was, eine ganze Armada an Füllhörnern präsentiert sich an jeder Ecke und verführt. Auch schon beim Lesen.

Natürlich nimmt Turin den meisten Platz im Buch ein. Ein Industriestadt, die vielen erst auf den zweiten Blick ihre Pracht vor Augen führt. Palazzi und breite Prachtstraßen zeugen von der Macht, die von hier ausging. Turin als Hauptstadt des Piemonts vereinnahmt den Besucher gnadenlos für sich. Die ehemaligen Hausherren, das Haus Savoyen ist weithin sichtbar durch die Prachtbauten immer noch nicht wegzudenken.

Saluzzo hingegen muss man schon suchen. Und vor allem besuchen. Denn hier herrscht hauptstädtisches Flair im Kleinen. Die Stadt hat immer noch das Potenzial Turin den Rang abzulaufen. Doch die Savoyer entschieden sich für Turin. Saluzzo ist ein Kleinod, das nur eineinhalb Stunden Zugfahrt entfernt südlich von Turin, den Besucher mit seinem Charme in Empfang nimmt.

Ob nun in luftigen Höhen im Aostatal wandern oder durch die Weinberge wandeln oder gar bis zum Lago Maggiore seinen Erholungsurlaub ausdehnen – mit diesem Piemont-Reiseband ist man bestens gerüstet ohne dabei auf angenehme Überraschungen verzichten zu müssen. Und dass Alba mehr als nur Trüffel zu bieten hat, dürfte so manchen Leser/Besucher verblüffen.

Wer Schatzsuchen liebt wird hier schnell fündig. Mondovi, Valle Grana, Langhe – allesamt keine Orte, die man sofort parat hat, wenn jemand das Piemont ins Spiel bringt. Doch wer diese Worte besucht hat, wird noch lange danach von seinen Erlebnissen zehren und andere mit seinen Erzählungen anstecken.

Der Engel von Rom

Da steht er nun, Jack Rigel aus Omaha, Nebraska, Sohn einer alleinerziehenden Katholikin. Mitten in Rom. Dieser jahrtausendalten Stadt, dieser junge Kerl aus einem Land, in dem alles, was älter als fünfzig Jahre ist wie eine Antiquität angesehen wird. Priester soll er werden, damit die Familie wieder gut dasteht. Autor will er werden, weil … ja, weil, der neue Jack Rigel mit dem alten Jack Rigel nichts mehr zu tun haben will. Aber ohne Italienischkenntnisse kommt man in Italien nicht weit. Schon gar nicht als überambitionierter, völlig vom eigenen (eingeredeten) Anspruch überforderter Jüngling, der eigentlich immer noch seiner großen Liebe Clarissa nachhängt.

Jack studiert brav Latein. Eines Tages wird er auf eine Menschenansammlung aufmerksam. Er schlängelt sich durch die Massen und traut seinen Augen nicht. In einem ristorante sitzt Angelina Amadio. Eine von ihm vergötterte Schauspielerin. Und er platzt mitten in eine Szene. Huch, hier wird gedreht?! Jack lässt aber auch wirklich keine Fettnäpfchen aus! Mitten harschen Worten wird er aus der Szene geholt. Von niemand geringerem als Sam – auch den kennt Jack. Aus einer Fernsehserie. Nicht minder erfolglos als die Karriere von Angelina Amadio, die alle nur den Engel von Rom nennen. Das rührt noch aus einer Zeit als sie mal so was wie eine echte Berühmtheit war.

Ronnie Tower – so der Rollenname von Sam – ist erfreut Jack zu sehen. Denn er könnte dem Schauspieler helfen sich bei Angelina zu entschuldigen. Ronnie/Sam spricht nämlich kein Italienisch. Noch weniger als Jack. Für Jack ist es die einmalige Gelegenheit der Frau nahezukommen, die ihm schlaflose Nächte bereitete. Deal. Jack entschuldigt sich. Angelina ist mehr als verwirrt. Und mit einem Mal sind Jack und Ronnie/Sam dickste Freunde.

Es sind schon eigenartige Zufälle, die Jack Rigel den Weg ebnen werden, den er so viele Jahre lang geträumt hat einzuschlagen. Er trifft die Frau seiner Teenager-Träume. Ein echter Engel, die sogar den Spitznamen Engel trägt. Doch der wahre Engel ist ihm kurz zuvor begegnet. Nur hat Jack es wieder einmal verpasst ihn zu erkennen. Erst später, Jahre später wird er sich dessen bewusst.

Jess Walter rauscht durch das Leben des Unglücksraben Jack, und man ist live dabei, wenn er unbewusst die ersten Wendeschritte unternimmt. Niemals ist man in unsicheren Gefilden. Das wird schon gut gehen. Es wird gut gehen. So viel ist sicher! Was als „Beiwerk“ mit dranhängt, das wird jeden überraschen.

Der Lauf der Dinge

Siebenhunderteinundsechzig Tage. So lange dauerte es nach eigenem Bekunden des Autors bis „Der Lauf der Dinge“ fertig war. Andrea Camilleri war da schon Autor, unter anderem fürs Fernsehen. Doch ein Buch, einen Roman hatte er noch nicht veröffentlicht. Das sollte auch noch dauern.

„Der Lauf der Dinge“ nimmt vieles vorweg, was in den folgenden Jahren das literarische Werk Andrea Camilleris bestimmen wird. Die Liebe zu Sizilien und vor allem den Sizilianern. Ihre Eigenheiten – die viel beschworene Omerta, das Gesetz des Schweigens. Oder ihre unerbitterliche Zuneigung zu dem, was sie lieben – Menschen, ihrem Stil, ihrer Tradition. Nicht immer verständlich, doch unabdingbar will man alles verstehen (was eh nicht möglich ist…).

Da steht der Maresciallo schwitzend in seinem Büro. Die Hitze treibt ihm den letzten Lebenssaft aus den Poren. Da erscheint ein Bauer und bereichtet vom Fund einer Leiche. „Normalerweise“ würden jetzt Heerscharen von Ermittlern ausrücken, den Tatort absperren, Spuren sichern, nach Zeugen suchen. Hier läuft das alles ein bisschen anders. Der Bauer wird in den Schwitzkasten genommen. Sinnbildlich – warm ist es eh schon genug! Kennt er wirklich nicht den Namen des Toten? Oder steht er gar in einer engeren Beziehung zu dem Opfer? Was sich im Laufe daraus entwickelt – die Rückblenden sind ein Füllhorn an Erklärungen – benötigt ein besonderes Gespür für Geschichten. Unversehens ist man in einem Dickicht aus dienlichen Phrasen, gestammelten Eingeständnissen und einer undurchsichtigen Geschichte gefangen. Immer tiefer reitet man sich ins literarische Glück und findet es auch noch grandios sich selbst in den Fallstricken der Geschichte zu verfangen. Schließlich liest man einen Camilleri. Den allerersten Camilleri!

Andrea Camilleri ist 2019 verstorben. 2025 jährt sich sein 100. Geburtstag. Sucht man nach den Werken Camilleris findet man „Der Lauf der Dinge“ nur nach langer Suche. Oft – zu oft – werden nur die Montalbano-Krimis in ihrer zeitlichen Abfolge aufgelistet. Doch der wirklich erste Roman – kein Montalbano, obwohl ein Krimi – taucht bisher nur auf ausgesuchten Expertenseiten auf. Das ändert sich ab sofort!

Dieses kleine Büchlein in dem markanten Rot – ein untrübliches Zeichen für Qualität – setzt endlich einen Anfangspunkt ins Werk (ins Deutsche übersetzte Werk) von Andrea Camilleri. Ein Fundstück nicht nur für Fans, sondern für alle, die guter Literatur mit offenem Geiste entgegengehen.

Kärnten

Wer in Kärnten von Grenzerfahrungen spricht, hat sich einiges vorgenommen. Die Nähe zu Italien und Slowenien prägen schon immer diesen Landstrich, dieses Bundesland. Die größte und Hauptstadt ist Klagenfurth. Celovec, so der Name auf Slowenisch, begegnet einem allerorten. Hier wächst man zweisprachig auf. Viele sogar dreisprachig, weil das Italienische ebenso nicht wegzudenken ist. Und jedes Jahr im Frühsommer wird’s dann wieder deutscher, wenn die Tage der deutschsprachigen Literatur stattfinden. Das Literaturfestival für den deutschsprachigen Raum.

Bleiben wir noch ein wenig in Klagenfurth / Celovec, am Wörthersee und den unglaublichen Ausblicken in die Karawanken. Wer hier urlaubt, der sucht nicht zwingend die Action mit Gebrüll, der will tief einatmen, Natur erleben – und ab und an darf auch das Blut in Wallung geraten. Von fast jedem Punkt in Klagenfurth hat man grandiose Aussichten. Nach Oben und in der Horizontalen. Und wenn einem etwas die Sicht versperrt, dann ist auch das ein Augenschmaus.

Für ambitionierte Wanderer und Kletterer ist der Nationalpark Hohe Tauern das Traumziel schlechthin. Alles überragend der Großglockner. Aus dreitausend Meter Höhe ins Tal, in die Täler schauen ist hier nicht die ewig zu suchende Attraktion – hier ist das der Normzustand.

Sabine Becht und Sven Talaron machen nicht nur mit zahlreichen Bildern von Jausen und idyllischen Ausblicken Appetit auf diese Gegend, es sind die unzählbaren Tipps, die diesen Reiseband so nützlich machen. Wer also seinen Urlaub in Kärnten verbringen will, aber keine Ahnung hat, was ihn erwarten kann, der wird sich schon ein paar Tage mit diesem Buch beschäftigen können. Und dann hat er die Qual der Wahl. Fest steht jedoch, dass er bestens vorbereitet in den Westen Österreichs reisen wird.

Detailreiche Karten, unterhaltsame und informative Kästen, in denen man hinter die Kulissen schaut und klar gegliederte Kapitel sind das Pfund, mit dem dieses Buch wuchern kann, und alle anderen Reisebände verblassen lässt. Überall lauern in diesem Buch Tipps, kleine Infokästen, Wegweiser, Ortkennungen, deren Klang vertraut ist. Doch, dass das alles hier in Kärnten liegt, ist vielleicht nicht immer jedem bekannt. Es ist immer alles nur einen Katzensprung voneinander entfernt. Das erleichtert die Planung erheblich. Doch wo sind die besten Routen? Wo die eindrucksvollsten Aussichtspunkt? Und wo die besten Ratsplätze? Lesen hilft dabei enorm, sich Kärnten nachhaltig im Kopf zu behalten.

Piemont mit Ausflügen ins Aosta-Tal

Wer ins Piemont reist, will sich berauschen. Die Fast-Millionenstadt Turin mit ihrer Mischung aus Industriemetropole und weitläufigen Plätzen, Boulevards und einem Füllhorn an Palästen und Stadtvillen auf der einen Seite. Andererseits aber auch wieder kleine idyllische Dörfer, die an Hängen, auf Spitzen und in Tälern dem Auge Wohlgefallen versprechen.

Kulinarisch befindet man sich hier in besten Händen. Kirschen und Nüsse kennt jedes Kind aus dem Süßwarenregal. Schlotziges Rissotto – auch das kommt von hier. Man muss nur ein wenig außerhalb der Städte sich in die Ruhe der Kleinstädte wagen und erlebt Italien, Piemont, von einer ganz besondern Seite. Manchmal ist der lack ein wenig abgeblättert. So wie in Vercelli. Noch immer sehenswert, nicht nur eine Durchgangsstation. Die große Zeit ist vorbei. Doch die Erinnerungen an vermeintlich „bessere Zeiten“ sind das Pfund, mit man hier wuchert. Wer hier studiert, tut das in altehrwürdigen Gebäuden. Wer lustwandelt, der tut das zwischen Mauern, die mehr mittlerweile mehr erzählen können als sie verbergen. Wer hier sich zu Tisch begibt, der bekommt die volle Wucht des Landes serviert.

Wem selbst das noch zu hektisch ist, der muss sich ins Valle Maira begeben. Hier bekommt der ausgelutschte Begriff von Ruhe und Erholung in seiner reinsten Form neue Nahrung. Hier ist es wild, ursprünglich. Was für Wanderfreunde und solche, die es werden wollen. Elva ist der wohlklingende Name des größten Ortes. Hier holt man sich den Schlüssel für die Kirche noch im der Locanda gegenüber ab.

Das angrenzende Aosta-Tal verlangt da schon ein bisschen mehr körperlichen Einsatz. Auf und Ab bedeutet hier wirklich Auf und Ab. Und das in Dimensionen, die den Gedanken an Fahrstühle zur Sehnsucht reifen lassen. Doch dann verpasst man einzigartige Aussichten – wo und welche, das steht alles in diesem Reisebuch.

Egal, ob aus ausgiebiger Shoppingtour durch Turin oder luxusbefreiter Wanderung mit stundenlanger Einsamkeit ohne dabei einer Menschenseele zu begegnen – das Piemont ist auf einer Skala von 1 bis 10 die definitive Zehn, will man das Komplettpaket der Erholung erfahren. Baden ist zwar nur in Seen möglich, da es keine piemontesische Küste gibt. Aber bei der Auswahl an Erkundungstouren ist das vernachlässigbar.

Sabine Becht und Sven Talaron merkt man die Reiselust und die Erkundungssucht mit jedem Abschnitt des Buches an. Umso erstaunlicher ist es, dass sie es schaffen alles (!) auf reichlich vierhundert Seiten unterbringen zu können.

Umbrien

Toscana, Abruzzen, Latium, Marken – und mittendrin Umbrien. Das Herz für jeden, der Italien nicht einzig allein als eine riesige Ansammlung an Badeorten versteht. Kein Meer, dafür berge und eine überbordende Anzahl an geschichtsträchtigen Orten. Assisi, die Stadt, die mit einem Namen – Franziskus – verbunden ist wie keine andere Stadt. Hier bebt auch öfter mal die Erde. Gubbio, die Stadt, die ihre Traditionen pflegt wie man es selten auf der Welt sieht. Und dann noch Perugia, die Hauptstadt Umbriens, die ihr historisches Stadtbild erhalten hat, so dass man sich Jahrhunderte zurückgesetzt fühlt, ohne dabei die Annehmlichkeiten des Fortschritts zu vermissen. Das ist Umbrien.

Marcus X. Schmid und Petra Regensburger kann, ja muss man vertrauen, wenn es sich um Reisebücher über Italien handelt. Gefühlt kennen die beiden hier jeden Grashalm, wissen wann und von wem er gesät wurde. Jeder angelegte Weg wird erst freigegeben, wenn die beiden vor Ort sind. So scheint es. Und wenn man sich bei der Planung der nächsten Reise intensiv mit dem Reiseband auseinandersetzt, wird schnell klar, dass das die Reise des Lebens wird. So umfangreich, so detailliert, so präzise beschriebene Routen findet man nirgends – außer eben hier.

Die Cascata delle Marmore ist der Beweis, dass künstliche Naturwunder schon immer in der Natur des Menschen lagen. Ja, hier kann es an manchen Tagen auch mal etwas voller werden, wenn man sich in der aufspitzenden Gischt des Wasserfalles bei Terni im Süden Umbriens etwas Abkühlung gönnt. Doch die meisten werden über ein „Oh“ nicht hinauskommen. In einem gelb unterlegten Kasten, die Infokästen mit Aha-Effekt-Garantie, haben die beiden Autoren den ultimativen Reisetipp um das dreistufige Naturwunder aus Menschenhand dargelegt. Links, rechts, bis zu einer Schranke – hier wird wirklich jeder Meter Fußweg erläutert, so dass Navigation mit Hilfsmittelchen unnötig wird. Auch als Reiseband in digitaler Form, was wie immer bei den Reisebüchern aus dem Michael-Müller-Verlag, eine Option ist.

Das Zusammenspiel von beeindruckenden Fotos und exzellent recherchierten Texten von Wanderungen, Rundgängen und Ausflügen halten das Blut des Touristen in Wallung. Abgelegene Orte bekommen den gleichen Platz wie die offensichtlichen Highlights, die je nach Jahreszeit einem niemals allein gehören. Es ist die Mischung aus Trubel und Einsamkeit, die Umbrien so einzigartig macht. Lustwandeln mit gleich zwei Autoren, die wissen, wo man hinschauen und wo man sich sehen lassen muss.

Trauben schwarz wie Blut

„Trauben schwarz wie Blut“ – das klingt doch vom Beginn an wie eine Geschichte, die man nicht im Vorbeigehen „zusammenschreibt“. Und dann die elegante Dame auf dem Cover, der durchdringende Blick, die noble Körperhaltung – wer da nicht Appetit bekommt zumindest einen ins Buch zu werfen, dem ist nicht zu helfen. Es kommt noch besser.

Casimiro Badalamenti lebt im Sizilien der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Cinisi ist seine neue Heimat geworden – oder soll man sagen, dass er hier Unterschlupf gefunden hat? – nachdem er Giardinello verlassen musste. Concetta nimmt den ehrgeizigen, doch grobschlächtigen Weinbergbesitzer bei sich auf. Auch ihre Reputation ist nicht die allerbeste. Bei gehen alle ein und aus, inklusive des Pfarrers, die Zuneigung suchen. Doch nun herrscht im Haus ein anderer Ton. Casimiro reißt den Haushaltsvorstand an sich. Kinder will er keine haben, viel mehr will er aufsteigen, ein ehrenwerter Mann sein. Ehrenwert – Sizilien: Alles klar?! Er muss einsehen, dass das Schicksal stärker ist als jeder erzwungener Wille. Casimiro wird Papa. Nicht ein-, nicht zwei-, mehrmals. Wer nun denkt, das der hartherzige Casimiro sich wandeln wird, kommt ziemlich schnell dahinter, dass das Gegenteil der Fall ist.

Die Zeit vergeht, Casimiro setzt alles daran ein geachteter Mann zu werden. Die Frucht seiner Lenden hat er abgegeben. Ja, abgegeben. Zu Menschen, die willige, nein, billige Arbeitskräfte benötigen. Und die in ihrer Verachtung die Kinder wie Dreck behandeln. Die Kinder von Casimiro Badalamenti – so poetisch der Name klingt, so widerlich ist sein Charakter. Auch die Rückkehr in seinen Weinberg, wo er exzellenten Wein anbaut, der für die Region ganz besonders ist. Die Trauben sind … schwarz … wie Blut.

Vier Kinder hat Casimiro gezeugt. Drei leben inzwischen wieder bei ihm. Darunter auch Nicola, sein Erstgeborener, der Stammhalter. Mit eigenem Kopf, wie der Vater. Doch Nicola steht seinem Erzeuger nicht wohlwollend gegenüber, um es ganz vorsichtig auszudrücken. An seiner Seite wird er bald schon Rosaria haben. Mit ihr soll das Glück vollkommen werden. Wird es auch. Für eine bestimmte, für beide viel zu kurze Zeit. Denn ihre Verbindung steht unter keinem guten Stern. Das merkt auch Casimiro schon bald. Es geht um seine Ehre!

Livia de Stefani – das ist die elegante Dame auf dem Cover – schreibt über ihre Heimat, die sie der Liebe wegen verließ. Aus Rom schreibt sie über ihre Heimat, die so roh und stellenweise brutal, ja unmenschlich dargestellt wird. Und das bereits 1953. Ihre Landsleute nahmen ihr ihre schonungslose Geschichte übel, so dass der Roman fast in Vergessenheit geriet. Die Strukturen, was heute gemeinhin und mit einem Handstreich als mafiös bezeichnet wird, der Sonneninsel Sizilien werden hier bis ins kleinste Glied der Gesellschaft dargestellt. Hier räkeln sich keine machthungrigen, angsteinflößenden Ehrenmänner im Sessel und beraten wortreich den nächsten Schlag gegen wen oder was auch immer. Hier ist ein Emporkömmling, der seiner eigenen Familie den Dolchstoß versetzt und es nicht bemerkt. Als die Schande zu präsent ist, wird er zum Wirbelwind seiner eigenen Perfidität. Die Ohnmacht und die den Menschen eigene Art mit dieser bedrohlichen Situation umzugehen, die detaillierte Beschreibung einer Gesellschaft, die stets am Abgrund taumelt – und die Tatsache, dass der Roman von einer Frau geschrieben wurde – machen „Trauben schwarz wie Blut“ zu einem Goldstück der Literatur.

Es gibt viele Mafiaromane. Viele erregen nur durch die Erwähnung des Wortes Mafia Aufsehen. Dann gibt es die tiefblickenden Einsichten wie beispielsweise die Bühne von Leonardo Sciascia. Und dann gibt es diesen Klassiker. Noch vor allen anderen hat Livia de Stefani, die selbst aus einer wohlhabenden sizilianischen Familie stammt, diese Art des Zusammenlebens (zu oft ist es ein Gegeneinander) beschrieben. Dieses Buch ist eine Wiederentdeckung, die viel zu lange verschollen war.

Das Verschwinden des Ettore Majorana

Da ist doch die ganze Stimmung verschwunden, wenn man weiß wie es ausgeht! Könnte man meinen. Denn „Das Verschwinden des Ettore Majorana“ ist historisch verbürgt – ein gutes Ende gab es nicht, gibt es nicht bis heute. Wenn „gutes Ende“ das Wiederfinden des besagten Ettore Majorana bedeutet.

Dieser Ettore Majorana wurde 1906 in Catania in Sizilien geboren. Als Kind wurden seine Fähigkeiten als herausragend der Familie präsentiert. Wo andere Kinder hübsch rausgeputzt ein Liedchen trällern, überraschte er mit mathematischen Höchstleistungen. Als Student arbeitete er mit Enrico Fermi in Rom und Werner Heisenberg in Leipzig zusammen, immerhin Physik-Nobelpreisträger der Jahre 1938 und 1933. In seiner Forschungsgruppe bei Fermi legten alle die Rechenschieber beiseite, wenn Majorana anwesend war. Allein dieses Bild des Einzelgängers macht die Suche nach ihm von vornherein sinnlos. Majorana wird selbst Professor, macht Entdeckungen, die er nicht veröffentlicht, verbietet anderen (auch Fermi!) darüber zu reden. Das kam unter anderem Heisenberg zugute.

Leonardo Sciascia begibt sich – nicht als Erster – auf die Suche nach dem verschwundenen Genie. Er stöbert Briefe auf, durchforstet Archive, interviewt Menschen, mit denen Majorana in Kontakt stand. Das waren nicht viele. Fest steht nur, dass Majorana mit dem Schiff nach Neapel gefahren ist. Dort, wo er als Professor arbeitete. Der Fall ging bis zum Duce. Der machte eine Aktennotiz, dass Majorana unbedingt gefunden werden muss. In einer Zeit, in der Atomforschung so eminent wichtig war, brauchte man jedes Genie. Aber vielleicht wollten die Genies ja gar nicht mit ihrer Forschung berühmt werden. Leó Szilárd kannte nachdem er erfahren hat, was er „anrichtete“ nur noch eines: Die Bombe verteufeln – koste es, was es wolle. Majorana ging den Weg in den Untergrund. Nicht, um zu kämpfen, sondern in Frieden zu leben.

Einmal wurde er in Venezuela gesehen. Doch dank der spärlichen Qualität der Fotografie wird man es wohl nie herausfinden. So beharrlich Majorana wissenschaftlich gearbeitet hat, so unnachgiebig forscht Sciascia nach Spuren über den Verbleib des Physikers. Er wird ihn nicht finden. Aber sein Theorien – Majorana sei im Kloster untergetaucht – führten zu heftigen Auseinandersetzungen. Aber Sciascia wäre nicht Leonardo Sciascia, wüsste er nicht damit umzugehen. So traurig die Tatsache ist, dass auch ein gewiefter (literarischer) Schnüffler wie Leonardo Sciascia den verschwundenen Ettore Majorana nicht aufstöbern kann, so eindrucksvoll ist es seinen Gedankengängen zu folgen. Solange man nicht die letzte Seite, den letzten Absatz, das letzte Wort – ja den letzten Buchstaben in sich aufgesaugt hat, besteht immer noch die Hoffnung, dass Majorana gefunden wird. Das kann nur Literatur!

Die zerbrechliche Zeit

Wiederholt sich hier etwa Geschichte? Es ist lange her, dass Amanda ihre Mutter in den Abruzzen besucht hat. Das kleine Dorf war ihr schon in Kindertagen zu klein. Mailand – da gehörte sie hin. Dort ist sie nun, lebt ihr Leben. Bis zu ihrer Rückkehr. Das geschulte Mutterauge, vor allem aber das Herz, erkennt, dass etwas nicht stimmt. Doch Lucia schweigt. Nimmt es stoisch hin, wenn ihr Amanda das Haus und das Leben auf den Kopf stellt. Denn Lucia kennt dieses Gefühl. Es war damals…

… als die beiden Schwestern Virginia und Tania aus dem Leben gerissen wurden. Auf dem Campingplatz, der von Osvaldo verwaltet wurde, und dem Grund, der Lucias Vater gehörte. Bestialisch ermordet und vergewaltigt. Mitten im Nirgendwo, in den Bergen am dente del lupo, am Wolfszahn, wurden sie aus dem Leben gerissen, das eigentlich ihnen gehören sollte.  Ihre beste Freundin Doralice war an diesem denkwürdigen Tag mit den Schwestern Virginia und Tania unterwegs. In den Bergen, wo man bei guter Sicht die kroatischen Inseln sehen konnte. Wo die Natur ihr prächtiges Spiel entfaltet. Wo die Hektik der Welt nur ein Gespinst ist.

Ein Schuss, noch ein Schuss, Schreie. Und das Dorf? Es findet sich zusammen. Die Carabinieri sind vor Ort. Blaulicht. Eine unerfahrene Staatsanwältin. Ein Verdächtiger. Ein Täter. Ein Urteil. Dem Recht wurde genüge getan. Gerechtigkeit sieht anders aus.

Donatella di Pietrantonio gleitet wie eine gute Fee über das Dorf und seine unheilvolle Geschichte. Sie blickt in die Herzen der Menschen und legt ihre Seele frei, ohne das sie frieren müssen. Gefühlvoll baut sie eine Kulisse auf, die jedem droht, der hinter die Kulissen schauen will. Lucia hat das alles hinter sich gelassen, noch immer lebt sie an dem Ort, der ihr ganzes Leben bestimmt. Hier ist sie geboren, hat die schlimmste Zeit – durch einen Zufall – überlebt, sie blieb hier und wird hier auch einmal ihr Ende finden. Mutlos? Nicht im Geringsten! Wahrscheinlich ist die Entscheidung hier zu bleiben die mutigste in ihrem Leben.

Nach und nach schält die Autorin eine Episode aus dem Herzen der Hauptakteurin heraus, die noch immer sichtbare Narben trägt. Es muckert unter der Haut. Doch Lucia hat gelernt damit zu leben. Sie hat einen hohen Preis bezahlt. Alles auf einmal, Ratenzahlung nicht möglich. Kunstvoll, stilistisch einwandfrei, vehement voranschreitend nimmt sie den Leser mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Anklagen zwecklos. Das Herz spricht, wenn es sprechen will. Und das tut es in „Die zerbrechliche Zeit“ mit sanfter Stimme, die Risse hinterlassen wird.

Nach Gefühl

Es ist jedes Jahr ein Riesenspektakel. Die erste große Rundreise auf dem Drahtesel durch ein Land. Der Anfang macht traditionsgemäß Italien. Als Radsportfan ist man seit Jahren immer wieder der Gefahr ausgesetzt aufs falsche Pferd zu setzen. Und so genießen viele neben dem eigentlichen Sport wahrscheinlich auch die Ansichten des womöglich nächsten Urlaubsziels.

Zwischen all den Steigungen und Abfahrten, den wilden Sprints und auch den erschreckenden Stürzen drängen immer wieder Fahrer in den Fokus, deren Namen man so schnell nicht vergessen wird. Und das nicht, weil sie Naschkatzen mit einer Vorliebe für nicht natürliche Substanzen sind!

Tom Dumoulin gehört sicher in diese Riege. Er war nicht der alle überstrahlende Radsportler, der mit einem Antritt ganze Ausreißergruppen in die Verzweiflung trieb. Er war bei Rennen stets präsent. Zuerst als Wasserträger, also einer, der zuallererst seinem Teamkapitän, dann den aussichtsreichsten Fahrern zur Seite stand. Man nannte ihn den Schmetterling, vlinder van Maastricht. Den Spitznamen mochte er nie. Mit gerade mal 32 Jahren hängte er den Fahrradhelm an den Nagel. Ein Sturz, bei dem er sich das Handgelenk brach und nicht an den Weltmeisterschaften teilnehmen konnte, war ausschlaggebend. An dieser Stelle könnte man jetzt mit Zahlen jonglieren: WM-Titel, Triumphe bei den großen Rundfahrten etc. Doch damit würde man ihm nicht gerecht werden.

Zusammen mit dem Journalisten Nando Boers spürt er im Nachgang noch einmal das Gefühl auf Radsportler zu sein. Er reist noch einmal an Orte, die ihm etwas bedeuten. Orte, an denen er sich das Trikot des Besten der Gesamtwertung überstreifen konnte. Orte, an denen er nach Wochen der Entbehrung bejubeln lassen konnte, weil er dieses Trikot über die abschließende Ziellinie getragen hat. Aber auch Orte, an denen entscheidende Zäsuren stattfanden.

Es sind nicht zwigend die Orte mit den Ziellinien wie Andorra-Ancalis, wo er zum ersten Mal eine Bergetappe bei der Tour de France gewann. Und was für eine Etappe! Oft sind es Streckenmarkierungen, wo er sich absetzte, wo er sich gut fühlte, so das Rennen durch und für ihn entschieden wurde.

Monza, Oropa, Bormio – klar, dass der Niederländer eine besondere Beziehung zu Italien hat. 2017 war das Jahr, in dem er im maglia rosa als Gesamtsieger wieder nach Hause fahren konnte. Die Wochen danach bzw. seine Beschreibung dieser Zeit gehören zu den Highlights in diesem Buch. Weil sie dem siegorientierten Sportler eine menschlich nachvollziehbare Note verleihen. Grillen, chillen, willentlich dem Rad die kalte Schulter zeigen.

Aber auch die (inzwischen) differenzierte Sichtweise auf den Zirkus und den Hype dieses Sports regen zum Nachdenken an. Die Mischung aus journalistischer Chronistenpflicht und eigenen Empfindungen, die immer noch präsent sind – mit Mitte Dreißig sind sie erfahrungsgemäß noch sehr frisch – macht „Nach Gefühl“ zu einer mitreißenden Biographie, die zu begeistern weiß.