Archiv der Kategorie: Urlaubslektüre

Bilderbuch einer Nacht

Der Titel würde auch gut zu einem der zahlreichen Singer/Songwriter passen, der in seinem eigenen Taumel durch die Stadt irrlichtert und versucht seinem Weltschmerz mit jammernder Stimme Gehör zu verschaffen. Er wird scheitern, schon allein deswegen, weil er denkt, dass ihm der Albumtitel zu allererst eingefallen sei. Nein, Erik-Ernst Schwabach war schneller. Und heller. Und einfallsreicher. Nicht so verweichlicht. Und schon gar nicht wimmernd.

In „Bilderbuch einer Nacht“ streift die Menschheit durch eben selbige. Sie sind einholen – ein wunderbar altmodischer Begriff, der so manchem Singer/Songwriter (da sind sie wieder!) abhanden gekommen ist – sie flitzen nach dem Omnibus, sie hecheln nach Liebe, wollen sich den Wanst voll schlagen, sind Getriebene und hetzende Meute zugleich. Alles ganz normal! Normale Menschen, die dem Leben einen Moment abknüpfen wollen, um ihm ihren Stempel aufzudrücken. Alles so wunderbar altmodisch. Ein Hut ist hier ein Hut, nicht modische Accessoire, um sich einer Clique angehörig zu präsentieren. Sie alle tragen nicht die Klampfe als Wehklang über der Schulter. Die Nacht ist zum leben da. Bedürfnisse und Bedarf verschwimmen im Laternenbrei wie Tag und Nacht.

Ernst-Erik Schwabach wurde mit dem goldenen Löffel im Mund geboren. Alter Bankiersadel. Die jüdischen Wurzeln wurden von seinen Vorfahren aus verständlichen Gründen abgelegt. Auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts galt es sich seiner Religion zumindest in Acht zu nehmen. Schwabach war nun protestantisch. Mit dem Geld der Familie kaufte er sich bei Verlagen ein. Unter anderem bei Kurt Wolff in Leipzig. Er gab eine literarische Zeitschrift heraus. Er förderte Autoren und Künstler wie zum Beispiel Else Lasker-Schüler. Im Familienschloss Märzdorf las Heinrich Mann aus seinem „Untertan“ bevor er veröffentlicht wurde. Und Erik-Ernst Schwabach schrieb selbst. In der Kunstszene Deutschlands hatte der Name Schwabach einen wohlklingenden (und für viele überlebenswichtigen) Ruf. Und dennoch kennt man ihn heutzutage kaum noch.

Die Inflationszeit fraß die Reserven auf. Der aufkommende und später regierende Nationalsozialismus gaben ihm den Rest. Schwabach emigrierte nach England. Das Einkommen war im Vergleich zu den Jahren vor der Geldentwertung weniger als ein Tropfen aus dem (verdammt) heißen Stein. Dieses Buch erschiene trotzdem. Auf Polnisch. Im Exil erhielt Erik-Ernst noch eine Ausgabe, die er allerdings nicht verstehen konnte. Polnisch war nicht seine Muttersprache. Wenige Tage/Wochen später verstarb er. Von seinem Werk ist nur wenig erhalten. Von diesem Buch sind es nur eine leicht zählbare Anzahl Exemplare, die kaum noch einzusehen sind. Und so dauerte es tatsächlich fast neunzig Jahre bis „Bilderbuch einer Nacht“ endlich auf Deutsch erscheinen kann. Immer noch lesbar, erlebbar, nachvollziehbar und beeindruckend wie am ersten Tag.

In der Tiefe des Tigris schläft ein Lied

Zürich – Tel Aviv und zurück: und schon ist das Leben von Gadi nicht mehr dasselbe. Drei Jahrzehnte haben sich Vater und Sohn nicht mehr gesehen, jetzt liegt Gadis Vater im Sterben. Tamar, sein Schwester hat ihn eindringlich darum gebeten doch zu kommen. Es ist wichtig, für Vater. Auch wenn es für eine persönliche Aussöhnung zu spät ist.

Das Testament des Vaters ist für ihn, Gadi, den Sohn eines irakischen Judens, der seine Heimat verlassen musste, eine Erbe, das er anfangs nicht annehmen möchte. Denn Zakai Mieche möchte, dass sein Asche teils in Jerusalem, teils am Tigris vergraben bzw. am Tigris verstreut werden soll. Schwester Tamar kann nicht in den Irak fliegen. Nicht mit dem Pass, nicht als Frau. Unfassbar möchte man schreien – wir sind nicht im finstersten Mittelalter, sondern in der Gegenwart.

Auf dem Heimflug blättert Gadi im Tagebuch seines Vaters. Alsbald ist er in eine Welt hineingezogen, die er nicht zu kennen glaubte. Eine Welt, die nicht die seine sei. Eine Welt, die zu seiner Welt wird. Er liest über den Aufstieg des Vaters als Textilunternehmer, von seiner Hoffnung in einem freien Irak unter der Herrschaft von Faisal I., der jede Ausübung jeglicher Religion als Schatz und nicht als Bedrohung sieht. Bis der braune Terror aus sein Vaterland in den Würgegriff nimmt. Arabische Übersetzungen von Hitlers Machwerk „Mein Kampf“ übersäen das Land. Der Hass auf Juden dringt schrittweise in den Alltag ein. Demagogen übernehmen die ideele Führung, sofort nach Faisals Tod. Die Spekulationen darüber sind bis heute nicht verklungen.

Palästina, Israel war nun die neue Heimat von Zakai Mieche. Hier zog er seien Kinder groß, hier zerstritt er sich mit seinem Sohn. Für Gadi beginnt die größte Umwälzung in seinem Leben…

Usama al-Shahmani lädt ein zum Konzert der großen Gefühle. Ein leises Lied, zarte Melodien, rasante Rhythmenwechsel – jedes Kapitel ein Paukenschlag. Identitätsfindung oder –bestätigung oder –ausbildung sind mit Emotionen verbunden. Mal sind sie unendlich wertvoll und erzeugen ein Gefühlsrauschen – im Falle von Gadi wird ein Großteil seines Lebens ordentlich auf den Kopf gestellt. Die Frage, ob er in den Aufzeichnungen (weiter-) lesen soll, stellt sich ihm nur kurz – ein Freund, ebenfalls mit irakischen Wurzeln, macht ihm unmissverständlich klar, dass es keinen Grund gibt es nicht zu tun. Und Gadis wilde Fahrt kommt nu erst richtig in Schwung…

Der Engel von Rom

Da steht er nun, Jack Rigel aus Omaha, Nebraska, Sohn einer alleinerziehenden Katholikin. Mitten in Rom. Dieser jahrtausendalten Stadt, dieser junge Kerl aus einem Land, in dem alles, was älter als fünfzig Jahre ist wie eine Antiquität angesehen wird. Priester soll er werden, damit die Familie wieder gut dasteht. Autor will er werden, weil … ja, weil, der neue Jack Rigel mit dem alten Jack Rigel nichts mehr zu tun haben will. Aber ohne Italienischkenntnisse kommt man in Italien nicht weit. Schon gar nicht als überambitionierter, völlig vom eigenen (eingeredeten) Anspruch überforderter Jüngling, der eigentlich immer noch seiner großen Liebe Clarissa nachhängt.

Jack studiert brav Latein. Eines Tages wird er auf eine Menschenansammlung aufmerksam. Er schlängelt sich durch die Massen und traut seinen Augen nicht. In einem ristorante sitzt Angelina Amadio. Eine von ihm vergötterte Schauspielerin. Und er platzt mitten in eine Szene. Huch, hier wird gedreht?! Jack lässt aber auch wirklich keine Fettnäpfchen aus! Mitten harschen Worten wird er aus der Szene geholt. Von niemand geringerem als Sam – auch den kennt Jack. Aus einer Fernsehserie. Nicht minder erfolglos als die Karriere von Angelina Amadio, die alle nur den Engel von Rom nennen. Das rührt noch aus einer Zeit als sie mal so was wie eine echte Berühmtheit war.

Ronnie Tower – so der Rollenname von Sam – ist erfreut Jack zu sehen. Denn er könnte dem Schauspieler helfen sich bei Angelina zu entschuldigen. Ronnie/Sam spricht nämlich kein Italienisch. Noch weniger als Jack. Für Jack ist es die einmalige Gelegenheit der Frau nahezukommen, die ihm schlaflose Nächte bereitete. Deal. Jack entschuldigt sich. Angelina ist mehr als verwirrt. Und mit einem Mal sind Jack und Ronnie/Sam dickste Freunde.

Es sind schon eigenartige Zufälle, die Jack Rigel den Weg ebnen werden, den er so viele Jahre lang geträumt hat einzuschlagen. Er trifft die Frau seiner Teenager-Träume. Ein echter Engel, die sogar den Spitznamen Engel trägt. Doch der wahre Engel ist ihm kurz zuvor begegnet. Nur hat Jack es wieder einmal verpasst ihn zu erkennen. Erst später, Jahre später wird er sich dessen bewusst.

Jess Walter rauscht durch das Leben des Unglücksraben Jack, und man ist live dabei, wenn er unbewusst die ersten Wendeschritte unternimmt. Niemals ist man in unsicheren Gefilden. Das wird schon gut gehen. Es wird gut gehen. So viel ist sicher! Was als „Beiwerk“ mit dranhängt, das wird jeden überraschen.

Der Lauf der Dinge

Siebenhunderteinundsechzig Tage. So lange dauerte es nach eigenem Bekunden des Autors bis „Der Lauf der Dinge“ fertig war. Andrea Camilleri war da schon Autor, unter anderem fürs Fernsehen. Doch ein Buch, einen Roman hatte er noch nicht veröffentlicht. Das sollte auch noch dauern.

„Der Lauf der Dinge“ nimmt vieles vorweg, was in den folgenden Jahren das literarische Werk Andrea Camilleris bestimmen wird. Die Liebe zu Sizilien und vor allem den Sizilianern. Ihre Eigenheiten – die viel beschworene Omerta, das Gesetz des Schweigens. Oder ihre unerbitterliche Zuneigung zu dem, was sie lieben – Menschen, ihrem Stil, ihrer Tradition. Nicht immer verständlich, doch unabdingbar will man alles verstehen (was eh nicht möglich ist…).

Da steht der Maresciallo schwitzend in seinem Büro. Die Hitze treibt ihm den letzten Lebenssaft aus den Poren. Da erscheint ein Bauer und bereichtet vom Fund einer Leiche. „Normalerweise“ würden jetzt Heerscharen von Ermittlern ausrücken, den Tatort absperren, Spuren sichern, nach Zeugen suchen. Hier läuft das alles ein bisschen anders. Der Bauer wird in den Schwitzkasten genommen. Sinnbildlich – warm ist es eh schon genug! Kennt er wirklich nicht den Namen des Toten? Oder steht er gar in einer engeren Beziehung zu dem Opfer? Was sich im Laufe daraus entwickelt – die Rückblenden sind ein Füllhorn an Erklärungen – benötigt ein besonderes Gespür für Geschichten. Unversehens ist man in einem Dickicht aus dienlichen Phrasen, gestammelten Eingeständnissen und einer undurchsichtigen Geschichte gefangen. Immer tiefer reitet man sich ins literarische Glück und findet es auch noch grandios sich selbst in den Fallstricken der Geschichte zu verfangen. Schließlich liest man einen Camilleri. Den allerersten Camilleri!

Andrea Camilleri ist 2019 verstorben. 2025 jährt sich sein 100. Geburtstag. Sucht man nach den Werken Camilleris findet man „Der Lauf der Dinge“ nur nach langer Suche. Oft – zu oft – werden nur die Montalbano-Krimis in ihrer zeitlichen Abfolge aufgelistet. Doch der wirklich erste Roman – kein Montalbano, obwohl ein Krimi – taucht bisher nur auf ausgesuchten Expertenseiten auf. Das ändert sich ab sofort!

Dieses kleine Büchlein in dem markanten Rot – ein untrübliches Zeichen für Qualität – setzt endlich einen Anfangspunkt ins Werk (ins Deutsche übersetzte Werk) von Andrea Camilleri. Ein Fundstück nicht nur für Fans, sondern für alle, die guter Literatur mit offenem Geiste entgegengehen.

See You Later

Wer hat noch Erinnerungen an die Coronazeit? Alles stand still, Freunde treffen war unmöglich, Maskenpflicht, Zugangsbeschränkungen im Supermarkt. So wird man noch in Jahren darüber sprechen. Für einige war es eine furchtbare Zeit, für einige Andere eine annehmbare Zeit und für einige Wenige war es halt so – kann man nicht ändern – aber Einschränkungen? – Nö!

Hill Topp House, Seniorenresidenz. Auch hier wird Corona bald schon über die Bewohner und Mitarbeiter hereinbrechen. Hier ist alles durchorganisiert. Der wöchentliche Sherry, der Ausflug zum Flamingo (nicht fragen, einfach hinnehmen – göttlicher Humor wie es nur einem Alan Bennett gelingen kann) – die Routine lässt jede Sekunde kontrolliert (to control, engl. – steuern) verrinnen.

Doch die Bewohner wissen sich zu helfen, sich den Normen und Regeln entgegenzustellen. Aber sie wissen auch, dass wer sich nicht an die Regeln hält, Low Moor blüht. Low Moor ist das Gegenteil von Hill Topp House. Das ist keine Residenz, es ist … low. Und so neckt man sich hier und da. Füllt die Zeit mit Puzzles. Einer ist so keck, dass man immer auf der Hut sein muss, dass er nicht – mehr oder weniger plötzlich – die Hose runter lässt. Die Erinnerungen an ihr aktives Leben sind gemeinsames Gesprächsthema. Auch wenn die Erinnerungslücken mit reichlich Phantasie gefüllt werden (müssen).

Und es ist ein Kommen und Gehen. Alan Bennett schreibt mit rührender Ironie und Respekt über eine kleine Gruppe von Menschen, deren Aktionsradius mit allerlei „Annehmlichkeiten“ reguliert ist. Zu behaupten sie lebten in ihrer eigenen Welt, würde am Ziel vorbeigehen. Obwohl es faktisch so ist. Als das Virus das Land, den Kontinent, die Welt erfasst, sind sie insgeheim froh so abgeschottet leben zu dürfen. Sie wissen, dass es anderswo nicht so sicher sein kann.

Das angeschlossene Tagebuch des Autors ist real, und weit weniger ironisch. Auch Alan Bennett machte sich Gedanken wie das Virus die Welt, seine und die da draußen, verändert. Homeoffice, wenn möglich. Doch, wo es nicht möglich war, übernahm die Ohnmacht die Leitung. „See You Later“ ist keine Abrechnung mit fragwürdigen Entscheidungen von ratlosen Entscheidungsträgern. Es ist im ersten Teil, dem, der Hill Topp House als Spielwiese hat, eine zuckersüße Betrachtung. Im zweiten Teil, dem Tagebuch des Autors kehrt eine Zeit zurück, die nur dem Namen nach noch irgendwie präsent scheint. Und so lange man sich später noch sehen konnte, war in der Nachbetrachtung alles … tja, was war es denn nun?!

Die böse Saat

Dieses Kind will niemand um sich haben! Ein Satz, den man erstmal wirken lassen muss. Es ist wohl das Schlimmste, was man über ein Kind sagen kann. Niemand will es um sich haben. Rhoda Penmark ist – das eigentlich lassen wir jetzt mal beiseite – klassisch wohlerzogen und ordnungsliebend. Fragezeichen türmen sich auf. Wieso will sie denn nun niemand um sich haben?! Denn sie manipuliert, nicht offensichtlich oder gar brüllend wie die meisten Kinder. Ob nun für ihr Leben gern oder aus einem anderen Antrieb heraus, ist nicht klar. Sie will etwas – sie bekommt es. Die geborene Anführerin. Sollte man meinen. Doch sie nutzt ihre Macht anders. Ganz anders!

Christine Penmark hat den härtesten Job der Welt. Denn sie ist Rhodas Mama. Auf der einen Seite ist sie die stolze Mama von Rhoda, die trotz ihres Kindesalters schon so einige allein tun kann wozu andere in Jahren noch nicht in der Lage sind. Andererseits… nun, Christine ist ihre Mutter. Sie kennt ihr Kind, in- und auswendig. Doch so manches kann und (später) will sie nicht wahrhaben. Es gibt nur wenige Personen, die Rhoda wirklich in die Seele schauen können. Oder zumindest denken, dass sie es können. Denn Rhoda ist vielschichtig. Und entschlossen…

In der Schule wurde Rhoda die nur ihr allein zustehende Medaille für die größten Fortschritte verwehrt. So sieht es das kleine Mädchen. Claude Daigle hat sie bekommen. Das ist ungerecht. Als der junge bei einem Schulausflug ums Leben kommt und alles (!) auf Rhoda als Täterin hinweist, bricht für Christine eine Welt zusammen. Doch Rhoda ist sich keiner Schuld bewusst. Sie hat schlüssige Erklärungen, warum die momentane Situation so ist wie sie ist. Für sie ist alles ganz logisch. Bei Christine kullern die Tränen wie Sturzbäche. Was ist mit ihrem kleinen Mädchen? Es gab ja schon einmal einen ähnlichen Vorfall. Doch damals glaubte sie Rhoda, dem Menschen, den sie so bedingungslos liebt. Christine zieht das Leid von Claudes Eltern und die Unwissenheit um Rhodas Benehmen in eine Krise für die es keine Rettung zu geben scheint. Denn Rhoda ist natürlich gerissen und noch lange nicht am Ende…

William March wählt als Hauptprotagonistin und Übeltäterin ein Kind, ein Mädchen. Aus gutem Hause. Sie kann sich gewählt ausdrücken. Sie ist schlau, wissbegierig, begabt. Mit einer abgrundtief schwarzen Seele. In ihrer Umgebung wurden schon Menschen zu Siegmund Freud geschickt, denen sonst nicht zu helfen war. Rhoda ist nicht zu helfen. Jedwede Ermahnung an das Gute im Menschen, an soziale Normen dringen bei ihr maximal bis in die oberste Hautschicht ein. Darunter ein Panzer aus Teflon. Als der Roman Mitte der 50er Jahre erschien, war er echtes Pionierwerk. Ein Kind als Mörder – das gab’s noch nicht. Ist die Grausamkeit genetisch bedingt (vererbt?!) oder schuf die Umgebung das Monster aus ihrer Mitte? Forschungen belegen mittlerweile, dass es keine genetische Grausamkeit gibt, die weitergegeben wird. Was bleibt, ist ein packender Thriller, der einen nicht mehr loslässt. Über die Machtlosigkeit, die Raffinesse, die Kaltblütigkeit und die Trauer können wir heute nur noch staunen. Und uns unserer Gänsehaut erfreuen.

Schottland meine Sehnsucht

Statt Bikini windfeste Kleidung. Statt Sonnebrille Regenschirm. Statt leichtem Schuhwerk robuste Klamotten. Das ist Schottland! Oh, so viel Klischee. Aber ein bisschen Wahrheit liegt schon darin. Viel mehr Wahrheit liegt in der Behauptung, dass Nicola de Paoli Schottland ins Herz geschlossen hat. Unzählige Male reiste sie in die High- und Lowlands, besuchte die Metropolen Edinburgh (und weiß ganz bestimmt wie man den Namen der Stadt richtig ausspricht) und Glasgow und wanderte über die windumtosten Inseln. Und nun macht sie einen riesigen Appetit es ihr gleichzutun.

Diese Reisebeschreibung ist ein echtes Juwel, wenn man absolut keine Ahnung hat wohin der nächste Urlaub gehen soll, man aber schon immer einen Funken Schottland-Liebe in sich trug. Meterhoch lodert nun das Feuer der Leidenschaft für den Norden der britischen Insel. Mit einer selten erlebten Selbstverständlichkeit berichtet sie vom rauen Charme der Bewohner Edinburghs, die niemanden so schnell an sich heran lassen. Oder aber vom Glasgow Kiss. Vorsicht – der wirkt nachhaltig…!

Es ist das Wissen um Geschichte und Kultur, die diese Rundreise schon beim Lesen zu einem Erlebnis machen. Nicht zu viele Fakten, mehr die weithin sichtbaren Auswirkungen von dem, was einmal war und noch immer sichtbar ist. Ohne erhobenen Zeigefinger – Eroberungen macht man immer noch mit sich selbst aus, das hebt den Aha-Effekt – stromert sie durch enge Gassen, über saftige Landschaften und entdeckt das, was man nur mit Ruhe und Aufmerksamkeit sieht.

Nach reichlich 130 Seiten ist man schlauer, aber nicht übersättigt – vielmehr sehnsüchtig nervös auf die eigenen Abenteuer. Dabei sollte man dann dieses Buch ruhigen Gewissens im Gepäck haben. Was gibt es schöneres als seine eigenen Erlebnisse mit jemand anderem zu teilen. Nur das hier der Andere „nur“ in Buchform anwesend ist.

Offensichtliches wie die großen Städte stehen im Wechsel mit den Kleinoden wie Inverness. Hier lässt sie sich treiben. Eine Stadt, die weniger bekannt ist, was schon nach wenigen Schritten einem als traurig vorkommen muss. Denn hier ist Schottland noch Schottland. Während in der Princes Street in Edinburgh die großen Einkaufstempel, die auch hierzulande das Stadtbild teils verschandeln, die Sicht einengen, glänzt Inverness (noch) durch rustikales Schottentum. Und wer meint, dass Schottland das Land des unaussprechlichen und schwer zu verstehenden Englischs sei, dem sei geraten, dass er nicht ganz unrecht hat, dennoch genau darin der erste Schritt in eine neue Welt liegen kann, die gar nicht so weit entfernt ist. Schon gar nicht mit diesem Buch in der Hand.

Algarve

Was gibt es Schöneres als in den Süden zu düsen, um der schönsten Zeit des Jahres die Krone aufzusetzen? Ehrlich, das ist keine rhetorische Frage, was ist noch schöner als in den Süden zu reisen? In den Süden des Südens zu reisen, natürlich! Also auf nach Vila Real de Santo António und dann weiter nach Tavira, Loulé, Lagos (nein, nicht Nigeria, obwohl das ja auch im Süden liegt), ans Cabo de Sagres, eine Abstecher nach Arrifana bis man endlich in Odeceixe angekommen ist. Eine hübsche Rundreise, bei der man allerlei gesehen hat und … beim bloßen Lesen erstmal ins Grübeln kommt, wo man eigentlich ist. Erst mit dem Hauptort Faro wird so manchem klar, dass es sich um die Algarve handelt, den Süden Portugals. Dort, wo Europa in den Atlantik plumpst. Hohe Wellen schlagen einem ins Gesicht, der Wind nicht minder und bläht die Segel der Surfer auf – die Algarve aber nur auf Wind zu beschränken, wäre fatal.

Denn hier wird das Paradies greifbar. Man muss es suchen, es lässt sich finden – einfacher wird’s mit diesem Reiseband. Die Suche fällt erstaunlich kurz aus, um dem Augenschmaus Algarve nahe zu kommen. Ja, in Faro kann man was erleben, kurze Wege, endlose Strände, ausgeklügelte Infrastruktur – Katalogidylle zum Anbeißen.

Zum Reinbeißen, sich in die Algarve vertiefen – das kann man nur, wenn man sich ganz individuell auf das Abenteuer Algarve einlassen kann. Ein Schritt nach rechts hier, ein Sprung in die andere Richtung da. Und schon ist man zum Beispiel in Alte. Ein malerisches Dorf, wie Autor und Verlagschef Michael Müller es eindruckvoll beschreibt. Reichlich 2000 Menschen leben hier (noch). Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts waren es fast viermal so viele. „Das weiße Dorf“ wird mehr und mehr zum beliebten Ausflugsziel. Und so kommen die Einwohner wieder zurück – sich beeilen, bevor der Geheimtipp zum „ultimativen Geheimtipp“ mit nicht minder ultimativer Insta-Like-Garantie wird, wird fast schon zur Pflicht.

Wer die Algarve nur dem Namen nach kennt, und sich nun ein Bild vor Ort machen will, braucht Hilfestellung. Denn sonst ist man am Pool in Faro gefangen und macht sich hinterher Vorwürfe, wenn man nicht über den Beckenrand geschaut hat. So handlich das Buch ist, so exzellent ist es auch aufgebaut. Die klare Struktur macht das Suchen („ich hatte doch vorhin was gesehen … wo war das denn?!“ oder „Wo muss ich hin? Was kann ich erleben?“) zum Kinderspiel. Der kleine Sprachführer am Ende als Teil des essenziellen Grundwissens über Land und Leute sowie die schier unendliche Zahl an Besuchsmöglichkeiten für jeden Geschmack, lassen nur den einen Schluss zu: Algarve ohne dieses Buch ist möglich, aber … sinnlos vielleicht nicht. Dennoch wird es mit dem Buch in der Hand und der Leidenschaft im Herzen ein ganz besonderer Urlaub. Das ist garantiert!

Die Ferien

Keru und Nate haben es wie kaum ein anders Pärchen verdient sich endlich mal zu erholen. Sie arbeiten in einem fort. Das Leben in New York will schließlich finanziert sein. Cape Cod soll es sein. Keru hat sich monatelang damit beschäftigt, wo es denn für beide am erholsamsten sein wird. Bei aller Liebe zum Urlaub – aber der Aufwand, den sie betreibt, ist übertrieben. Zumindest so lange bis feststeht, dass beide vorhaben ihre Eltern dazu zu holen. Nacheinander, versteht sich. Denn Keru und Nate und ihre dazugehörigen Eltern zusammen – dagegen ist eine Atombombe ein laues Grillfeuer.

Keru ist Unternehmensberaterin. Nate ist Biologieprofessor und forscht über Fruchtfliegen. Keru ist im Alter von Sechs mit ihren Eltern aus China in die USA gekommen. Nate stammt aus den Bergen, einem kleine Ort – seine Eltern bezeichnen sich heute noch als white trash. Wohl mehr, um behaupten zu können, sie gehören einer Gruppe an.

Zuerst sollen Kerus Eltern kommen. Sie würden niemals in einem Bett schlafen, in dem schon eine andere Person die Nacht verbrachte. Keru putzt das Feriendomizil wie eine Wahnsinnige. Was witzig klingt, ist purer Ernst. Das wird klar, als Kerus Eltern eintreffen. Wie ein Inspektor begutachten sie das Anwesen. Keru ist innerlich dem Zusammenbruch näher als einer echten Erholung.

Nates Eltern, die Nachfolger im Gästezimmer sind da etwas entspannter. Doch auch sie haben ihre Macken. Die Eltern als Gradmesser für den eigenen Erfolg. Nate hat da eindeutig die Nase vorn. Keru lässt sich immer noch von ihren Eltern runterziehen. Nate kann da überhaupt nichts machen. Man kann schon fast meinen, dass er tatenlos zusieht wie Keru in einen Abgrund schlittert. Aber so ist nunmal ihr Leben. Sie leben miteinander nebeneinander her. Emotionale Zuneigung äußert sich nur in auf Frieden bedachter Bestätigung des Anderen. Und immer schön political correct. Was sind das nur für Menschen, die Beziehungen haben – Heinz Rudolf Kunze hätte an diesem Pärchen seine reinste (Schreib-) Freude.

Was gehört für ihre beiden Eltern zur Vollendung des Glücks ihrer Kinder? Kinder! Was sonst. Dann würden vielleicht auch die eigenen Nörgeleien aufhören?! Nate ist inzwischen derart abgestumpft, dass er gar nicht bemerkt wie Keru sich selbst in einen Wahn treibt, der unumkehrbar scheinit…

Weike Wang macht sich nicht lustig über die drei Paare, die durch die frucht ihrer Lenden mehr gemeinsam haben als sie es selbst erkennen können. Mit viel Wortwitz und unaufhaltbarem Voranschreiten schickt sie Keru und Nate in die Hölle. Ihre Eltern sind – in ihren eigenen Augen – nur die Hüter eines Planes, den sie sich für ihren Nachwuchs wünschen. Dass Keru und Nate eigene Pläne haben, interessiert hier niemanden. Grausame Einblicke in ein Familienkonstrukt, das nur dort gedeihen kann, wo die Realität mit viel Sand in den Augen wahrgenommen wird. Make family great again, möchte man ihnen zurufen. Doch die vielen Kopfverdreher lauern schon hinter der nächsten Kreuzung, um die Parole zum eigenen Nutzen umzukehren. Dystopisch? Vielleicht. Auf alle Fälle komisch und der Hit des Lesesommers!

Kärnten

Wer in Kärnten von Grenzerfahrungen spricht, hat sich einiges vorgenommen. Die Nähe zu Italien und Slowenien prägen schon immer diesen Landstrich, dieses Bundesland. Die größte und Hauptstadt ist Klagenfurth. Celovec, so der Name auf Slowenisch, begegnet einem allerorten. Hier wächst man zweisprachig auf. Viele sogar dreisprachig, weil das Italienische ebenso nicht wegzudenken ist. Und jedes Jahr im Frühsommer wird’s dann wieder deutscher, wenn die Tage der deutschsprachigen Literatur stattfinden. Das Literaturfestival für den deutschsprachigen Raum.

Bleiben wir noch ein wenig in Klagenfurth / Celovec, am Wörthersee und den unglaublichen Ausblicken in die Karawanken. Wer hier urlaubt, der sucht nicht zwingend die Action mit Gebrüll, der will tief einatmen, Natur erleben – und ab und an darf auch das Blut in Wallung geraten. Von fast jedem Punkt in Klagenfurth hat man grandiose Aussichten. Nach Oben und in der Horizontalen. Und wenn einem etwas die Sicht versperrt, dann ist auch das ein Augenschmaus.

Für ambitionierte Wanderer und Kletterer ist der Nationalpark Hohe Tauern das Traumziel schlechthin. Alles überragend der Großglockner. Aus dreitausend Meter Höhe ins Tal, in die Täler schauen ist hier nicht die ewig zu suchende Attraktion – hier ist das der Normzustand.

Sabine Becht und Sven Talaron machen nicht nur mit zahlreichen Bildern von Jausen und idyllischen Ausblicken Appetit auf diese Gegend, es sind die unzählbaren Tipps, die diesen Reiseband so nützlich machen. Wer also seinen Urlaub in Kärnten verbringen will, aber keine Ahnung hat, was ihn erwarten kann, der wird sich schon ein paar Tage mit diesem Buch beschäftigen können. Und dann hat er die Qual der Wahl. Fest steht jedoch, dass er bestens vorbereitet in den Westen Österreichs reisen wird.

Detailreiche Karten, unterhaltsame und informative Kästen, in denen man hinter die Kulissen schaut und klar gegliederte Kapitel sind das Pfund, mit dem dieses Buch wuchern kann, und alle anderen Reisebände verblassen lässt. Überall lauern in diesem Buch Tipps, kleine Infokästen, Wegweiser, Ortkennungen, deren Klang vertraut ist. Doch, dass das alles hier in Kärnten liegt, ist vielleicht nicht immer jedem bekannt. Es ist immer alles nur einen Katzensprung voneinander entfernt. Das erleichtert die Planung erheblich. Doch wo sind die besten Routen? Wo die eindrucksvollsten Aussichtspunkt? Und wo die besten Ratsplätze? Lesen hilft dabei enorm, sich Kärnten nachhaltig im Kopf zu behalten.