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In meinem Herzen alles Sieger

Es ist immer noch ein Ereignis – trotz aller Totsagungen wegen anhaltender Skandale – Sportlern bei einer Sportart zuzusehen, die man selbst schnell erlernen und fast ein ganzes Leben lang ausüben kann. Der Giro d’italia ist zusammen mit der Tour de France der Zuschauermagnet des Sommers. Sowohl vor Ort als auch von zuhause aus auf der Couch.

Fabio Genovesi hatte einen Kindheitstraum: Einmal am Giro teilnehmen. Das wurde nichts. Zumindest nicht als Aktiver. 2013 wurde sein Traum gewissermaßen wahr. Als Reporter durfte er die Radrundreise begleiten. „In meinem Herzen alles Sieger“ ist das Ergebnis nicht nur tiefgreifender Recherchen, sondern vor allem ein emotionales Herzstück, das diese Leidenschaft für ein Sportereignis, das nur einmal im Jahr für drei Wochen stattfindet, die Fans fesselt und zu Höchstleistungen der Schreibfeder anstachelt.

Natürlich geht es auch um Sieger und Besiegte in diesem Buch. Massensprints, deren Ergebnis eine ganze Etappe auf den Kopf stellen können. Oder Ausreißversuche, die manchmal gelingen und ein Hurra hervorrufen oder eben zum Scheitern verurteilt sind und nicht mehr als ein „Hab ich’s doch gesagt“ zurücklassen.

Der Reporter Genovesi macht das, was ein Radprofi während des Wettkampfes niemals machen darf. Er bricht zwar aus, aber nicht nach vorn, sondern nach links und rechts. Und da trifft er dann Menschen, die den Giro wirklich zu dem machen, was er ist: Ein Ereignis, das man nie mehr vergisst.

Ein chinesischer Reporter erzählt ihm wie schwierig es ist, in seinem Land ein Radrennen zu verfolgen. Überall Sicherheitskräfte. Als Fan muss man da sehr erfindungsreich sein. In der Nähe von Bari muss die Wegführung verlagert werden, weil die eigentliche Streck zu gefährlich für die Fahrer geworden ist. Zu glatt, weil am Tag zuvor ein fest gefeiert wurde und überall auf der Straße Wachs verteilt liegt.

Das Besondere an diesem Buch ist die Tatsache, dass die Reportagen alle schon im Corriere della Sera erschienen sind. ABER: Für dieses Buch hat Fabio Genovesi sie noch einmal (um-)geschrieben. Soviel Mühe muss man sich erst einmal machen. Und eines ist sicher: Wenn im Sommer der Giro wieder im Fernsehen übertragen wird, liegt die Fernbedienung außer Reichweite des Zuschauers. Dieses Buch hingegen in greifbarer Nähe.

Gedichtekalender 2023

„Das Weltall ist so groß, und Satelliten sind klein“, wow, welch Erkenntnis. Von Elon Musk. Passend in jeder TV-Morningshow. Und bis zum Köpfen des Frühstückseis wieder vergessen. Was das Jahr 2023 an überraschenden Erkenntnissen für uns parathält, kann keiner voraussagen. Aber was es vor Jahren, Jahrzehnten zu sagen gab, was im poetischen Gewand die Gemüter erhitzte, erwärmte, erregte – das kann man bis heute getrost an die Wand hängen. Und dann auch noch in Schönschrift!

Kurzum: Auch 2023 wird ein poetisches Jahr. Wenn man sich diesen Kalender als Wandschmuck, als Ideengeber, als Wochenlosungsanschlag (bitte nicht als Attentat verstehen) gönnt. Als Belohnung winkt ein guter Start in den Tag. Ein Jahr lang der Titel als Bonmot-Verkünder. Oder einfach nur die Erkenntnis, dass „damals“ noch Werte galten, die heute vielleicht in den Hintergrund gerückt sind.

Und das beginnt schon beim Titelblatt – am besten den Kalender gleich an Heiligabend, nach der Bescherung aufhängen! Kurt Tucholsky bringt die Glücksformel auf den Punkt: Es gibt niemanden, der alles hat. Das beruhigt oder kann als Ansporn angesehen werden. Doch Vorsicht! Tucholsky wusste zwar um diesen Zustand, es half ihm wenig. Kurz vor Weihnachten des Jahres 1935 nahm er sich im schwedischen Exil das Leben. Das, was er wirklich hatte, nutzte er, um sich davon zu machen…

Fröhlicher kommt das erste Aprilgedicht von Theodor Storm daher. Ihm verheißt der kommende Sonnenrausch Aufschwung, Wiederbelebung und Lebenskraft.

Und wenn im August die Sonne erbarmungslos auf uns hernieder scheint, ist es mit Heine gesprochen, nur der ewige Kreislauf von Sonnenauf- und untergang, der uns erheitert. Alles halb so schlimm, weil man es einfach nur hinnehmen kann.

Mit Feingefühl wurden die Gedichte den einzelnen Monaten und Jahreszeiten zugeordnet. Von Mörike über Fontane bis zu Rilke, um nur drei der bekannteren Namen zu nennen. Das Beeindruckendste ist wohl aber – vor allem für diejenigen, die nur ihrer Handschrift nach das Zeug zum Arzt gehabt hätten – der wahrhaft gelungene Schreibstil. Herausgeber Hubert Klöpfer kann man dazu nur gratulieren und sich bei ihm bedanken, dass dieser Kunst immer noch ein würdiger Rahmen eingeräumt wird. Dass man so ganz nebenbei auch noch den Tag ablesen kann, ist mehr als nur eine Randnotiz. Es ist halt ein Kalender. Aber einer, der auch ohne viel Farbenkleckserei die Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird.

Wie man lebt, so stirbt man

Émile Zola – und daran gibt es keinen Zweifel – würde heutzutage mit Pomp und Glamour beigesetzt werden. Sein Leben und Werk hingegen waren wenig glamourös, und schon gar nicht pompös. Ist der Titel des Buches also schon deswegen eine Irreführung? Nein! Er sorgt jedoch bis heute für Furore. Als politischer Journalist war er redegewandter Ankläger und Verfechter der Ideale der französischen Revolution, die nicht nur seiner Meinung nach mit immer öfter mit Füßen getreten wurden. In seinen Romanen bildete er das harte Leben derer ab, die die Maschinerie einer Gesellschaft am Laufen hielten. In der DDR wurde sein Werk als Initial des Arbeiterromans gepriesen.

Die fünf kurzen Geschichten in diesem Buch handeln nicht vorrangig vom Tod. Vielmehr sind es teils amüsante Betrachtungen derer, die einen Verlust zu betrauern haben. Dass sie nicht immer trauern, sondern mit „ganz alltäglichen Sorgen“ kämpfen, ist verständlich, aber manchmal eben auch ein Blick durchs Schlüsselloch der Anderen.

Wenn also eine Witwe ihre sorglosen drei Söhne ein letztes Mal mehr oder weniger auf die Probe stellt, treibt es dem Leser schon mal ein Lächeln ins Gesicht. Denn die Drei taten und tun sich nicht durch heroisches Handeln hervor. Das Erbe des Vaters haben sie im Handumdrehen durchgebracht, leben wieder bei der Mutter. Doch auch deren Tage sind gezählt. Ein neuerliches – zu verprassendes Erbe wie einst bei Papa – ist nicht zu erwarten. Vor der Ernte steht die Saat. Und die wird nicht einfach.

Es liegt Émile Zola fern nur über die zu berichten, denen es nicht nur auf dem Papier gut geht. Finanziell gesehen. Wie in der Geschichte über ein Paar, das bei fast Null begann. Durch harte Arbeit und Zielstrebigkeit, Entbehrungen und Verzicht füllte sich das Portemonnaie. Doch wir alle wissen, dass das letzte Hemd keine Taschen hat. Und so bleibt dann doch nur die Erkenntnis: „Wie man lebt, so stirbt man“.

Zum Einen ist Band Vier der Reihe Edition de Bagatelle, in der Kleinode der Großen von Damals eine neue Heimat finden, ein gefundenes Fressen für die, die im Kleinen das Große erkennen. Zum Anderen ist es eine Möglichkeit Altes im neuen Gewand zu präsentieren. Die kurzweiligen Geschichten bekommen durch die Handschrift von Vera Gereke, Studentin an der HAW Hamburg ein künstlerisches Gewand, das auch dem Autor sicherlich gefallen hätte. Die sparsame Verwendung von Schwarz, Weiß und orange spielen mit den Emotionen des Leser. Mal fast schon bedrohlich, mal liebevollen Frieden verheißend, sind die Abbildungen das kunstvolle Abziehbild der Texte Émile Zolas.

Landlust Kalender 2023

Es wird ein genussvolles Jahr, 2023. Wenn man den Verheißungen der zwölf Monatsblätter des neuen Landlust-Kalenders glauben darf. Ein opulentes Sammelsurium des Genusses! Prächtige Blütenstände, reichhaltige Körbe, die Mutter Naturs Gaben mit vollen Händen unters Volk wirft. Hier stört kein Motorlärm, die Luft ist rein, das Wetter wie es sein soll. Illusorisch? Hingebungsvoll möchte man den Zweiflern entgegenschmettern.

Die schöne, heile Welt ist noch lange nicht ad acta gelegt. Einen Monat lang, ein ganzes Jahr lang, füttert den Betrachter dieser Kalender mit dem Reichtum, der einen tagtäglich umgibt. Den man aber auch sehen will und nicht achtlos am Wegesrand stehen lässt. Kunstvolle Gebinde, ein appetitlicher Nachmittagstisch, der zum Verweilen einlädt, Winterimpressionen – das gesamte Füllhorn der Leidenschaft. Und sicherlich komplett regional angebaut.

Dieser Kalender macht Lust. Lust in die Natur zu gehen, die Augen zu öffnen, die Sinne zu schärfen, einen großen Schluck Lebensfreude zu sich zu nehmen. Immer wieder mal eine kleine Pause einlegen, das Kalenderblatt auf sich wirken zu lassen – auch der der Kalendertag noch nicht zu Ende ist. Denn den kann man bei all der Fülle an Eindrücken auch noch vom Blatt ablesen. Er erinnert einen immer daran, dass es nach dem letzten Tag des Monats immer weitergeht.

Und dann… wartet schon das nächste Bild, das erforscht werden will. Wer auf die mit der Natur oft einhergehende Entschleunigung hofft, wird bald schon eines Besseren belehrt. Denn die Neugier, was sich denn auf dem nächsten Kalenderblatt zeigen wird, steigert sich mit jedem Tag. Also Ruhe bewahren, vivere il momento … und dann ganz behutsam einen kleinen Blick auf das Morgen, den nächsten Monat riskieren. Enttäuschung? Ganz und gar nicht!

Der Billabongkönig

Drei kurze Fragen, die sogar Kinder um Handumdrehen beantworten können: 1. Wie nennt man den Chef in einem Reich? 2. Darf der alles bestimmen? 3. Kann man dagegen etwas unternehmen? Die Antworten lauten König, nö und ja. Bleibt nur noch die Frage, was ein Billabong ist. Das sind – in Australien – Seitenarme von Flüssen, meistens gibt es da noch Wasser, wenn ringsum alles ausgedörrt in der Gluthitze stöhnt. Und hier herrscht der König. Und da es in Australien keine Löwen gibt, den König der Tiere, übernimmt hier das Krokodil diesen Job. Im Falle dieses Buches heißt er Ben. Und Ben hat ein Problem. Seit dem letzten Raub- bzw. Fischzug steckt ihm eine Gräte quer rechts unten im Gebiss. Zwischen siebter und achter Stelle, wie er leicht gereizt dem Erzähler auf die Sprünge hilft. Und selbst ein König muss mal zum Zahndoktor. Auch hier gilt wieder: Das kennt jeder! Hier im Outback erledigt diese verantwortungsvolle Arbeit aber kein Weißkittel, sondern Kaukasius Grätenzieher II. Ihro Exzellenz von Stolzhausen-Stammberg. Ein Krokodilwächter, ein Vögel. Geschickt pickt er das zwischen den unzähligen Zähnen der Krokodile heraus, was da nicht hingehört. Und im Falle von Kaukasius hat Ben den Besten der Besten für sein Wehwehchen ausgesucht. Aber auch den Arrogantesten! Er weiß um seinen Ruf, und schwatzt Ben ein echt nachhaltiges Versprechen ab… Doch wenn das Maul schmerzt, wird selbst ein Krokodil weich.

Ben hat also eine Art Blankoscheck unterschrieben. Kaukasius hat einen Wunsch frei. Die Zeit vergeht. Ben regiert, wie es sich für einen König gehört. Nach und nach fällt ihm auf, dass die Krokodilwächter immer weniger werden. Sie verschwinden langsam aus dem Reich des Billabongs. Das ist ungewöhnlich. Denn sie müssen keine Angst vor den Krokodilen haben. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass Krokodilswächter nicht gefressen werden dürfen. Warum das an dieser Stelle noch einmal so explizit erwähnt wird, erschließt sich aus dem Wunsch Kaukasius’. Denn eines Tages fordert der die Erfüllung des unterschriebenen Vertrages „Ein Wunsch frei!“ von Ben ein. Ein paar tausend Kilometer entfernt ist ein weiterer Krokodilswächter. Und der stört Kaukasius. Ben soll ihn fressen! Was? Das geht doch gar nicht! Aber Wunschschulden sind Ehrenschulden – schon allein wegen solcher Gedankengänge und Formulierungen lohnt es sich dieses Buch zu lesen. Mehr sei an dieser Stelle zur Geschichte nicht verraten…

Während des so genannten Lockdowns haben sich viele Autoren und Künstler in Selbstmitleid aufgelöst. Manche fühlten sich berufen das erste Lockdownbuch zu schreiben – was aber auch zu keinem nennenswerten Ergebnis führte – und andere wiederum griffen die Chance beim Schopfe und machten das, was sie am besten können: Schreiben. Für Kinder. Für die eigenen, für alle anderen. Zwischen Hängemattenabmatten und Badewannenwonnen schuf Matthias Kröner das Kinderbuch, das die kommende Saison mit strahlenden Kinderaugen erhellen wird. Weit weg von zuhause, wo ein Möwenschiss die einzige Gefahr darstellt, siedelt er seine Geschichte an. Auch im Dschungel die Regeln für das Leben aufgestellt und deren Einhaltung überwacht. Dass das nicht immer ganz einfach ist, erleben wir tagein tagaus in den Nachrichten. Im Tierreich ist man da noch ein wenig unkonventioneller. Aber bei Weitem nicht uneffektiver.

Matthias Kröner verzichtet auf überbewusste Kindersprache und gibt den jungen Lesern (oder Zuhörern, die sich noch vorlesen lassen) genug Raum, um die Geschichte in eigenen Kosmos umsetzen zu können. Was bedeuten Freundschaft, Macht und Gemeinsinn? So manche Abhandlung von Pseudophilosophen (neben dem Berufsbild Fernsehkoch gibt es immer mehr Fernsehphilosophen) kann dagegen nicht ankommen. Man möchte schon nach einer Fortsetzung schreien…

Schlei

Bleiben wir realistisch: Wer weiß wo der, die, das Schlei liegt? Südlich des Harzes nimmt das Wissensniveau sicher deutlich ab. Zwischen Kappeln und dem Ort Schleswig schlängelt sich ein Fjord durch die Landschaft, und der heißt Schlei. Weiter im Norden ist Flensburg, südöstlich liegt Kiel. Nun wissen wir, wo wir sind. Der Grund, warum man hier urlauben sollte, ist immer noch verschleiert. Franz-Josef Krücker, Jutta Lietsch und Andreas Lorenz geben dem Leser nicht viel Zeit, um sich weiter zu wundern. Ab der ersten Seite – und eigentlich beginnt die reisende Lesung oder die erlesene Reise schon mit dem Einband – steigt die Vorfreude auf die nächste Seite und die Ferienzeit.

Wenn andernorts von Dorfidylle die Rede ist, sind Abenteuerlustige schon aus dem Rennen. Hier Oben im Norden, wo das Auge tatsächlich bis zum Horizont schauen kann – weiter geht physikalisch einfach nicht – sucht man nicht Ruhe, Abgeschiedenheit und Orte zum Tiefeinatmen. Man findet sie. Beim Radfahren, beim Spaziergang, beim Entspannen.

Wie wär’s mit einem Abstecher in die kleinste Stadt Deutschlands? Noch kleiner als der Vatikan. Arnis. Kein Schreibfehler, Arnis hat 300 Einwohner, und wenn man sich die Abbildungen anschaut, kann man das nicht glauben. Hier kann man mehr Zeit verbringen als es die puren Zahlen vermuten lassen. Vollendete Fachwerkhäuser machen einen Spaziergang zu einem Augenschmaus.

Wer ein bisschen mehr Nervenkitzel verträgt kann sich über den Brudermord auf der Schlei informieren. Nur so viel: Die Geschichte hat biblische Ausmaße und liegt mehr als 750 Jahre zurück.

Das Wikingerdorf Haithabu ist sicher der bekannteste Ort an der Schlei. Geschichte zum Anfassen und sehr gut erhaltene und restaurierte Hinterlassenschaften lassen die wilden gesellen von einst einmal mehr auferstehen.

So schleierhaft es erscheinen mag, das der Begriff Schlei nicht bekannter ist, so wichtiger ist es ihn endlich einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen. Am besten tut man das mit diesem Buch. Unermüdlich hat das Autorentrio alles, wirklich alles zusammengetragen, was wissens- und sehenswert ist. Hier steht jeder Satz an der richtigen Stelle, jedes Bild verspricht das, was man erleben kann, und die Karten erlauben es, dass man Navi und Smartphone beiseite legen kann.

Die Schlei muss sich nicht verstecken hinter großen Namen. Ihr Pfund ist die Exklusivität, die nur ein verborgener Schatz haben kann.

Der langsame Tod der Luciana B.

Wenn man sich zehn Jahre nicht gesehen hat, freut man sich auf das Wiedersehen, wenn man sich so gemocht hat wie der Erzähler in diesem Buch und seine ehemalige Assistentin Luciana. Sie half ihm als er wegen einer Handverletzung nicht selbst schreiben konnte. Der damals schon erfolgreiche Autor Kloster war verreist, und so hatte Luciana bei ihm einen Überbrückungsjob bis Kloster aus dem Urlaub zurückkehrte. Doch was nun in seiner Tür steht hat nichts mehr mit der Luciana von vor zehn Jahren zu tun. Die Lebensfreude ist nicht nur aus ihrem Gesicht, sondern aus ihrem gesamten Körper gewichen. Das hat einen Grund: Kloster!

Er hat ihr Leben zerstört und macht sich nun daran Luciana B. endgültig zu töten. Was war geschehen? Als Kloster aus dem Urlaub mit Frau und Tochter zurückkehrte, machte er ihr mehr als nur Avancen. Er bedrängte sie. Sie wies ihn ab. Verklagte ihn. Bekam Recht und eine „Entschädigung“. Zwischenzeitlich war Pauli, Klosters Tochter bei einem Unfall ums Leben gekommen. Er war ein gebrochener Mann. Doch erfolgreich wie nie zuvor. Er stand auf einmal in der Öffentlichkeit, genoss es scheinbar im Rampenlicht zu stehen. So kannte ihn Luciana nicht. Und weiter? Lucianas Freund – ertrunken. Während des Urlaubs am Meer. Dort hat sie auch Kloster wieder gesehen. Zufall? Lucianas Eltern – an einer Pilzvergiftung gestorben. Sie waren erfahrene Pilzsammler. Dass ausgerechnet ihnen ein Grüner Knollenblätterpilz ins Essen gerät, war eher unwahrscheinlich. Am Tag der Beerdigung sah Luciana ihn – Kloster –  wieder. Wahrscheinlich hat er nur das Grab seiner Tochter besucht.

Bis hierhin ist alles klar. Kloster hat irgendwie seine Finger im Spiel. Auch an dem Mord an Lucianas Bruder, der von einem geflohenen Lebenslänglichen bestialisch der Garaus gemacht wurde. Luciana bittet nun ihren alten Freund, den Schriftstellerkollegen des so berühmten Klosters, dem Erzähler ihr zu helfen. Das tut er gern. Offen und ehrlich tritt er Kloster gegenüber. Auffallend gut informiert ist dieser Kloster, muss er zugeben. Er durchschaut das Spiel. Und er hat seine eigene Version darüber, was in den vergangenen zehn Jahren passiert ist …

Was sich anfänglich nach einem glasklaren Fall anlässt, wandelt sich abrupt zu einem Vexierspiel, in dem der Leser aufpassen muss nicht dem Falschen auf den Leim zu gehen.  Nach und nach – ganz langsam, so wie es der Titel verspricht – wird jeder der beteiligten unweigerlich zum Verdächtigen. Jedes Wort wird als Ausrede wahrgenommen, so dass man schließlich kaum noch jemandem etwas glauben kann. Und genau das will Guillermo Martinéz! Und ganz ehrlich: So will es auch der Leser!

Von Venedig nach Syrakus

Ulrike Rauhs Reiseberichte sind immer eine besondere Art der Reiseberichte. Sie vermischt Realität und Fiktion so zauberhaft, dass es einem nicht auffällt, was Wahrheit, und was Fiktion ist. Und dann das Thema, die Reise! Von Verona im Norden bis ins südliche Sizilien nach Syrakus. Heureka möchte man rufen!

Und erst die Zwischenstationen. Bergamo, die pittoreske Schönheit im Schatten Mailands. Das ländliche Gubbio in Umbrien, das jeden Nostalgiker in seinen Bann zieht. Das stufenreiche Perugia mit seinem historischen Kulturgut. Und natürlich Roma, das in Ulrike Rauhs Erzählungen selbst einem Römer tränen in die Augen treibt. Sehnsucht, Dein Name ist Roma! Und Lecce, das nur so vor Historie strotzt und an jeder Ecke mit seinen Reizen prahlt. Das dunkle Napoli, das sich immer wieder herausputzt und Neugierige anlockt. Zu Recht! Und dann endlich, sicilia! Meeresrauschen, Glanz und weniger Glanz. Prunk und Alltag.

Ulrike Rauh schreibt keine Reiseanleitungen, die man Wort für Wort nachempfinden muss. Sie gibt kleine Appetithappen, die man mit Genuss herunterschlingt oder sich auf der Zunge zergehen lässt. Letzteres ist nachhaltiger. So wie ihre Bücher. Vielleicht erkennt man beim Bummeln durch die beschriebenen Orte das Eine oder Andere wieder. Und dann weiß man ganz genau, was hier passierte, wer hier residierte und seiner Kunst fröhnte. Denn Ulrike Rauh ist keine Touristin im herkömmlichen Sinne. Die studierte Germanistin kennt sich aus und weiß, warum Italien nur allzu gern als bella italia bezeichnet wird. Sie weiß wer, wann, wo, was tat und strebt mit Absicht, manchmal auch zufällig auf diese Orte zu.

Wie immer an ihrer Seite ein Mann, der ihr sein Italien zeigt. Sie lässt sich gern an die Hand nehmen. Und nimmt ihrerseits den Leser mit an die Hand und zeigt ihr Italien, dass sie gerade erst (einmal mehr) und / oder nicht zum ersten Mal kennenlernt. Als erfahrener Tourist oder als Italien-Neuling ist man verblüfft von der Vielfalt des Landes und staunt, was man immer noch nicht kennt.

Dieser Appetithappen unter den Reiseberichten besticht durch seine klare Linie und die mitreißenden leidenschaftlichen Worte. Ideal für ruhige Stunden auf einer Bank am Meer, am Fuße eines Berges, in einem ruhigen Park oder im Café.

Literarische Ostsee 2020

Für viele ist es der Inbegriff der Erholung: Am Strand ein Buch endlich mal in Ruhe und nachhaltig lesen zu können. Für einige ist ein noch höheres Gut am Meer ein Buch zu schreiben. An der malerischen Ostsee haben sich schon vor Jahrzehnten, ja sogar vor mehr als einem Jahrhundert die Dichter und Denker eingefunden, um Inspiration zu finden und diese dann zu Papier gebracht. Doch nicht nur Gerhart Hauptmann oder Thomas Mann, beide immerhin Literatur-Nobelpreisträger, auch Günter Grass lebte in Lübeck an der Ostsee – da muss was ganz besonderes in der Luft liegen – ließen sich eine Brise Salzwasser um die Nase wehen, während sie Großes schufen.

Vladmir Nabokov wuchs in Sankt Petersburg auf. Und das liegt bekanntlich an der Ostsee. Dort wurden die Grundlagen gelegt für zeitlose Romane wie „Lolita“. Seine Familie musste das östliche Baltikum verlassen, London, Berlin und Frankreich waren seine Exilorte. Leider allesamt meereslos.

Jules Verne hingegen verbindet man nicht sofort mit der Ostsee. Doch Professor Otto Lidenbrock, der Held der „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ hatte den Salzwassergeschmack im Munde als er zu seiner abenteuerlichen Reise aufbrach. Und ein weiterer – unbekannterer – Roman Jules Vernes spielt in einem Ostseestaat: „Ein Drama in Livland“.

Einmal kurz durch den Kalender geblättert und schon hat man die ganze Welt des Ostseeeinflusses versammelt. Im weiteren Verlauf des Jahres (ein Tag mehr, 2020 ist ein Schaltjahr) kommen einem immer wieder berühmte Namen unter, die an der Ostsee geboren wurden, ihre Romane dort spielen lassen oder an diesem Meer geschrieben wurden. Namen wie Karen Blixen aus Dänemark, deren Hauptwerk „Jenseits von Afrika“ wärme Wassertemperaturen nicht nur erahnen lässt. Oder Hans Fallada und Asta Nielsen, die auf Usedom im Sommerhaus Müller unter anderem den Ostseejünger Joachim Ringelnatz empfing.

Es ist ein bunter Reigen an prominenten und weniger bekannten Namen der Geschichte. Die Kreidefelsen auf Rügen sind ohne Caspar David Friedrich undenkbar. Siegfried Lenz und die Küste von Schleswig-Holstein bis Pommern bilden eine derart enge Verbindung, das man sich gar nicht getraut beide in zwei verschiedene Sätze zu bringen.

Alles in allem ein sehr bewegender Kalender. Alles in allem? Da war doch noch was? Ach ja, Simone de Beauvoir. Doch was hat die mit der Ostsee zu tun? In den 60er Jahren besucht sie immer wieder die Sowjetunion zusammen mit Jean-Paul Sartre. Der Abstecher nach Estland beeindruckte sie so sehr, dass sie im vierten Teil ihrer Memoiren mehr als überschwänglich davon berichtete. Und der hieß: „Alles in allem“. Joseph Roth, Rainer Maria Rilke, Franz Kafka – sie genossen die Sommerfrische in schäumender Gischt, ließen den feinen Sand durch die Zehen rinnen und verewigten so manche Stunde und so manchen Ort in ihren Werken. Selbst Albert Einstein (noch ein Nobelpreisträger) konnte hier seien müden Knochen wieder auf Trab bringen. Dieser Kalender hält die kleinen grauen Zellen – nein, Agatha Christie war nie an der Ostsee – ein Jahr lang ordentlich auf Trab und lässt die Seele für wenige Momente ein wenig baumeln.

Berliner Geschichte Kalender 2020

Berlin nicht als historisch bedeutsame Stadt anzuerkennen, zeugt von Unwissenheit. Hier wurden bedeutende Großen ihres Faches geboren, Weltgeschichte geschrieben, rauschende Feste gefeiert. Und jedes Mal war ein Fotograf oder Maler zur Stelle, der diese bedeutenden Ereignisse festhielt. Ihre geschaffenen Zeugnisse sind es, die Geschichte erlebbar machen. Und 2020 wird ein Jahr, in dem man jede Woche diese Geschichte(n) noch einmal fast schon hautnah in Erinnerung rufen wird.

Das Jahr beginnt mit einem nicht ganz so glanzvollen Jubiläum, dass die 70er Jahre einläutete. Der Franz-Klub wurde gegründet. Sagt nicht mehr vielen etwas, hallte aber noch lange nach. Kultur war auf dem Gelände der Schultheiss-Brauerei schon länger zuhause. Jetzt kamen Rock und Jazz hinzu. Regimekritik zwischen den Zeilen lockte die Musikfreunde wie Systemkritiker gleichermaßen an. Die Luftaufnahme aus dem Jahr 1977 zeigt die Schönhauser Allee aus einem Blickwinkel, den nicht viele genießen konnten und können.

Berlin hatte wie ganz Deutschland und Europa auch dunkle Zeit zu durchleben. Am 22. Februar 1935 kam das Aus für eines der bekanntesten Musikensembles seiner Zeit, den Comedian Harmonists. Das der Nachweis der arischen Herkunft nicht für alle Mitglieder zu erbringen war, wurde ihnen die Aufnahme in die Reichsmusikkammer verwehrt. Auf Deutsch: Auftrittsverbot! Das abgebildete Plakat sorgt heute noch (nach 85 Jahren) für große, leuchtende Augen.

Einen Massenauflauf gab es im Osten der Stadt am 19. April 1970, dem Jahr, in dem der Rock in die Kulturbrauerei einzog, an heutigen Platz der Vereinten Nationen, damals Leninplatz. Ein gigantischer Granitbrocken wurde aufgestellt. Der abgebildete hatte drei Tage später seinen hundertsten Geburtstag. Die Rede ist von Lenin. Sein „Mietvertrag“ dauerte allerdings nur reichlich zwei Jahrzehnte. 1991 wurde er geköpft, abgebaut und im Köpenicker Forst vergraben.

Von der ersten Litfasssäule (drei S!) über die Reichstagsverhüllung bis zur Geburt von Prinzessin Luise Ulrike von Preussen (muss mit zwei S auskommen, die Ärmste) ist man im Jahr 2020 bestens informiert und unterhalten über das, was Berlin bewegte. Erschütternd, propagandistisch, nachvollziehbar, so muss Geschichte gezeigt werden!