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Endstation Hoffnung

Eines steht von vorn herein fest: Das Cover und schon beim ersten Überfliegen des Kapitelverzeichnisses gibt es keinen Zweifel mehr, dass einem beim Lesen ab und an, hier und da der Atem stocken wird. Leb wohl, du trautes Heim – Im Viehwagen – Endstation Auschwitz. Der Untertitel „Der ultimative Roman über den Holocaust“ ist nicht nur der reißerische Aufrüttler, es wird grausam, es wird schonungslos – aber auch hoffnungsvoll.

Isaia Maylaender als blauäugig zu betiteln träfe nicht einmal ansatzweise den Kern. Seine Eltern werden als Juden nach Auschwitz deportiert. Anfangs begegnet der Vater allem noch mit einem gewissen Spott – seine Scherze lassen einem das Blut in den Adern gefrieren. Isaia, Professor für Geschichte in Italien, ist da – in seinen Augen – realistischer. Er weiß, dass die SS Arbeiter braucht. Er als junger Mann eine Arbeitskraft darstellt, die unbedingt erhalten werden muss. Ein Kollege spricht ihn an. Kurz ist der Plausch über die „guten, alten Zeiten als…“, denn die Realität ist unerbitterlich. Professor Bergamo hat einen Weg gefunden hier zu leben, nicht nur zu überleben, wie er sagt. Er hat sich mit den Gegebenheiten ab-und für sich einen Weg gefunden, die Zeit zu überstehen … meint er.

Das ist Isaias Ausgangspunkt für eine hoffnungsvolle Zukunft. Er hat schon fast aufgegeben seine Eltern noch einmal zu sehen. Auch seine Liebe wird er wohl nicht noch einmal sehen. So wie sich Isaia das Lagerleben vorgestellt hat, scheint es auch zu werden. Ein perfider, fast schon perverser Funken Hoffnung. Der sich bald schon in ein loderndes Feuer verwandeln soll. Und zwar in dem Moment als man ihm anträgt die Biographie eines Hauptsturmführers zu schreiben. Natürlich soll es ein heroisches Werk werden. Isaia macht sich an die Arbeit. Ablenkung in positiver wie negativer Hinsicht verschafft ihm die Frau des „Helden seiner Arbeit“. Die hat ein Auge auf den willfährigen Professor geworfen. Doch auch sie verfolgt eigene Ziele.

Isaia sieht wie Menschen gebrochen werden wie sie sich verwandeln ohne dabei Schuld auf sich zu laden. Er sieht Lebewesen, die sich verwandeln und dabei unendlich viel Schuld auf sich laden. Er sieht wie roh Menschen gemacht werden. Er sieht wie roh sich Menschen verhalten, wenn man sie lässt. Er selbst kämpft jeden Tag, jede Stunde sich selbst treu bleiben zu können. Ein Kampf, der täglich schwerer wird…

Andrea Frediani lässt Isaia Maylaender am schlimmsten Ort der Welt eine Bibliothek errichten. Dort, wo Überleben wie eine Seifenblase der einzige Regenbogen im düstersten Grau der Hoffnungslosigkeit schwach schimmert. Wie soll man Hoffnung am hoffnungslosesten Ort der Welt in Worte fassen? Die Antwort liefert eindrucksvoll Andreas Frediani. Schlicht, stringent und nicht verhandelbar schafft er Raum für einen Helden, der diese Rolle niemals für sich in Anspruch nehmen würde. Aber er weiß auch, dass er in seiner prädestinierten Position mehr bewirken kann als die meisten in Auschwitz. Dieses Bewusstsein lässt ihn sich selbst fast verleugnen.

Auschwitz Häftling Nr. 2

Im Zuge der mittlerweile über Hand nehmenden True-Crime-Welle passiert es immer wieder, dass man für den einen oder anderen Verbrecher eine gewisse Art Sympathie entwickelt. So wie in den späten Achtzigern/Beginn der Neunziger der Kaufhaus-Erpresser Dagobert zum kleinen Helden aufstieg, der die Polizei ums andere mal foppte. Ein zweifelhafter Ruhm.

Im Falle des Berufsverbrechers (den Titel bekam er in den 30er Jahren, also Achtung! nazideutsch) Otto Küsel ist die Wandlung zum Helden allerdings nachvollziehbar. Drei Jahre saß er bereits im Konzentrationslager Sachsenhausen ein als er im mai 1940 nach Auschwitz deportiert wurde. Mit einem grünen Dreieck gekennzeichnet, das ihn als Berufsverbrecher kennzeichnete. Er war die Nummer Zwei. Was nicht auf seine Stellung hinwies, sondern lediglich die Reihenfolge der Erfassung betitelt. Er war ein so genannter Kapo. Er teilte Gefangene zum „Dienst“ ein. Er entschied, wer welche Arbeiten zu verrichten hatte. Gefangene, die über Gefangene entscheiden, wer zur Arbeit noch taugt und wer … naja, man weiß um die „Alternative“…

Doch Otto Küsel war schon immer ein widerspenstiger Zeitgenosse. Politik interessierte ihn nicht besonders. Der eigene Vorteil war ihm näher. Das und die realistische Einschätzung der allgemeinen Lage war für viele seiner Mithäftlinge ein Segen. Denn Otto Küsel durfte entscheiden, wer arbeitet, und wer davon verschont wurde. Ja, verschont, denn Arbeit in Auschwitz waren mit Qualen, Pein, Prügel und dem sicheren Tod durch ein weithin sichtbares Band verbunden.

Otto Küsel gelang so gar die Flucht aus dem Massenvernichtungslager. Durch Verrat kamen ihm die Häscher jedoch wieder auf die Spur und abermals lautete die Adresse Auschwitz. Block Elf. Der berüchtigte Todesblock. Durch Amnestie des neuen Lagerleiters entging er dem sicheren Tod. Letzte Station seiner körperlichen Leidensgeschichte war Flossenbürg in der Oberpfalz. Auf dem Todesmarsch kamen die Alliierten noch rechtzeitig, um ihn vor dem geplanten Tod zu retten. Er blieb in der Gegend, nach heimatliche Berlin hatte für ihn jeglichen Reiz verloren, heiratete und gründete eine Familie. Mit denjenigen, die ihm ihr Leben verdankten, stand er bis ins hohe Alter in Kontakt. Er wurde von ihnen nicht vergessen. Dennoch ist seine Geschichte in Deutschland kaum bis gar nicht bekannt.

Sebastian Christ folgte jahrelang den Spuren des hierzulande unbekannten Helden von Auschwitz. Diese Biographie ist ein Mahnmal gegen das Vergessen. Immer wieder wurde angeregt sein Leben und das von vielen Anderen nicht auf dem noch zu erledigenden Aktenberg abzulegen. Der ehemalige polnische Außenminister Władysław Bartoszewski erwähnte ihn in seinen Erinnerungen an seine Zeit in Auschwitz. Von deutscher Seite kam nichts. Nur wer intensiv recherchiert, stößt irgendwann unweigerlich auf seinen Namen. Ab sofort ist Otto Küsel nicht mehr nur Auschwitz Häftling Nr. 2!

Die Nacht der Physiker

Wenn im Herbst eines jeden Jahres die Nobelpreise vergeben werden, sorgt das immer (noch) für Aufsehen. Und das obwohl kaum jemand die Preisträger und ihre Verdienste kennt, geschweige denn versteht.

Man könnte sich diesem Buch auch mit der Diskussion um die Erbschaftssteuer in Deutschland nähern. Ein zähes Ringen um Deutungshoheit und Schutz der eigenen Wählerschaft machen es unmöglich etwas Substanzielles zu erkennen. Doch diese Diskussion tritt im Zusammenhang mit diesem Buch in den Hintergrund.

Die Namen von Weizsäcker, Hahn, Heisenberg sind vielen sicher geläufig. Auch dass sie mit der schrecklichsten Waffe, die man Menschen in die Hand geben kann in einem Atemzug genannt werden, ist hinlänglich bekannt. Ebenso die Tatsache, dass diese Namen sich der Tragweite ihrer Entdeckungen ab einem gewissen Zeitpunkt durchaus bewusst waren.

Richard von Schirach – und hier kommt unterbewusst die Erbschaftssteuer im übertragenen Sinne ins Spiel – ist die Zerrissenheit zwischen Tun und Verantwortung wohl bekannt. Sein Vater war Reichsjugendführer.

Die alliierten Amerikaner nehmen kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges die Elite der deutschen Atomphysiker fest und verhören sie präzise dokumentiert auf einem englischen Landsitz. Das dauert nicht nur ein paar Stunden oder Tage. Es dauert Wochen, Monate.

Die Angeklagten – auch wenn es rechtlich zuerst einmal Zeugen und wissenschaftlich und kriegsbedeutend vor allem wichtige Informationsbringer sind – stehen vor dem Scherbenhaufen ihres Lebens. Es sind schlaue Leute. Sie sind wissbegierig. Die meisten erfolgreich. Sie sitzen auf dem Thron der Wissenschaft, weil man ihren Ideen Glauben schenkte. Und ein perfides System nutzte diese wissenschaftliche Energie aus, und staffierte sie mit Privilegien aus, von denen sie nie zu träumen wagten. Die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten. Für die einen nicht schnell und effektiv genug – Diktatoren und ihre Handlanger sind niemals geduldig. Für die Anderen, die Mahner ist das Tempo immer noch zu hoch. Was, wenn Nazideutschland tatsächlich zuerst der Bau einer Atombombe gelänge? Nicht auszudenken welch unermessliches Leid hereinbrechen würde.

Andere machen das Spiel und erbringen schlussendlich den Beweis wie verheerend ein Atombombenabwurf sein kann. Und welche lang sichtbaren Folgen das hat. Hier kommt ein weiteres Mal das Erbe ins Spiel. „Die Nacht der Physiker“ ist im Regal der Sachbücher das Thriller-Non-Plus-Ultra. Von Schirach muss keine Biographien kunstvoll miteinander verweben. Sie sind es bereits. Aber es geling ihm Zerrissenheit, taktisches Kalkül, Forscherdrang, Menschlichkeit und Reue in Einklang zu bringen, so dass man sich wünscht, dass dieses Buch niemals enden würde.

Sonny Boy

Seit über einem halben Jahrhundert rätselt die Filmwelt wer, wenn nicht dieser eine Al Pacino könnte diese Rolle sonst noch formatfüllend spielen. Und seitdem lautet die Antwort: Niemand!

Kaum vorzustellen, dass dieser Leinwandgigant einmal die Hosen voll hatte und daran zweifelte, dass der eingeschlagene Weg Schauspieler zu werden eine Sackgasse sei. Marlon Brando, James Dean und Montgomery Clift – deren Talent konnte er einordnen. Aber als Dustin Hofmann in „Die Reifeprüfung“ ins Kino kam, war der junge Al Pacino eingeschüchtert. Zu diesem Zeitpunkt ist die Revolution in Hollywood im vollen Gange. Der Umbruch ist state of the art. Und Al Pacino aus der South Bronx, den seine Mutter von im Alter von drei Jahren mit ins Kino nahm, quält sich durch den Schauspielunterricht. Sein Lehrer ist schockiert wegen seiner Darstellungen im Unterricht. Kommilitonen sind begeistert. Wem soll er mehr Beachtung schenken?

Die Geschichte lehrt den Zuschauer, Regisseure und Produzenten, dass das Gelernte nur einen Teil des Schauspielers ausmacht. Als Schauspieler muss man selbst seinen Weg finden. Und sich finden lassen. Wer die Probeaufnahmen zu „Der Pate“ mit Diane Keaton gesehen hat, ist verblüfft. Dieses Milchgesicht soll einmal der rigoroseste Gangster der Filmgeschichte werden? Ja! Und niemand sonst hätte es so darstellen können.

Kurze Zeit später ist dieses Milchgesicht ein desillusionierter Cop mit Rauschebart, der der Korruption in den eigenen Reihen bedingungslos den Kampf ansagt. Dann ist er ein Bankräuber, der seinem Freund mit der erhofften Beute eine Geschlechtsumwandlung bezahlen will. Alles von nur einem Menschen verkörpert. Und wiederum die niederschmetternde Erkenntnis: Das kann nur einer spielen – Al Pacino!

Den Namen Sonny Boy bekam der kleine Al von seiner Mutter. Angelehnt an einen Schlager der Zeit. „Sonny Boy“ ist (s)eine Reminiszenz an (s)ein Leben, dass mit stotterndem Motor begann, doch mit Rasanz eine Fortsetzung fand, die niemand erahnen konnte. Er setzte sich gegen scheinbar unbesiegbare Heroen der Leinwand durch, stieg binnen weniger Jahre zu einem gottgleichen Titanen auf und verschwand immer wieder mal gern in der Versenkung, um seine eigenen Projekte in die Tat umzusetzen.

Ohne großartig Schlaglichter zu setzen blickt in diesem Buch ein Mann auf sein Leben zurück, dass einzigartig ist. Ruhig und besonnen, mit der Milde und der Weisheit des Alters, reist Al Pacino mit dem Leser durch mehr als ein halbes Jahrhundert Lebens- und Filmgeschichte. Anekdotenreich und mit dem Willen alles zu erzählen. Für Fans das lang ersehnte Glück, für Biographieleser eine Offenbarung.

Bitteres Blau – Neapel und seine Gesichter

Neapel sehen und … immer wieder zurückkommen, sich neu verlieben, das Kribbeln spüren. Maike Albath macht noch viel mehr. Sie saugt die Stadt auf, sie läuft sich von ihr aufsaugen. Sie trifft die, die schon lange nicht mehr da sind und die, die niemals von hier weggehen werden. Sie sieht Angst, aber auch die Hoffnung. Hoffnung worauf? Dass das Image der Stadt einmal ein anderes sein wird? Niemals! Der Charme der Stadt – ein von Teufeln bewohntes Paradies, wie Benedetto Croce sagte – baut auf den Anachronismus von Gut und Böse, von rau und sanft, von Verkommenheit und unendlicher Schönheit.

Wer einmal im Dezember-Nieselregen durch dunkle, enge Straßen ging, erlebt eine rohe Schönheit. Funktionalität stellen die Napoletaner selbst her. Und wenn man dann am Abend auf dem Bett liegt und den Tag Revue passieren lässt, wird einem bewusst, dass das Image der gefährlichen Stadt eben zu einem großen Teil ein Image ist. Ein Postkartenmotiv mit shabby chic. Und mit einer Seele, die keine Ruhe kennt.

Im Quartieri spagnoli ist der Fußball zuhause. Alle paar Ecken werden die Reviere mit Graffiti markiert. Jede Fanvereinigung (und es sind mehr als nu Fans vom SSC Napoli) schaut in seinem Abschnitt nach dem Rechten. Neuankömmlinge werden beobacht, gemustert und eingeschätzt. Nach ein paar Sichtungen weiß man hier aber auch Bescheid, wer wo und vielleicht auch wie lange in der Stadt weilen wird. Unangenehm ist es nur für denjenigen, der vor allem Fremden Angst hat. Alle Anderen werden willkommen geheißen.

Maike Albath schreitet über schwülstige Treppenaufgänge aber auch auf dem unebenen Pflaster der Stadt. Stimmengewirr versiegt nur bei Fußballspielen. Während der WM 2022 war es selbst am Markt an der Muro Maradona – einem Freiluftgelände, auf dem nur mit Devotionalien von Diego Armando Maradona gehandelt wird – muxmäuschenstill. Doch sofort nach Abpfiff kehrte das gewohnte Leben wieder zurück. Binnen Sekunden heulten Mopedmotoren, sprachen alle durcheinander, wurde jeder Spielzug noch einmal durchexerziert, war Napoli wieder Napoli. Der scudetto, die italienische Meisterschaft vom SSC wurde tagelang gefeiert. Kleinere und größere Betriebe waren tagelang geschlossen.

Mit Maike Albath eine italienische Stadt zu erkunden (sie war schon Reisebegleiterin in Rom, Turin und Palermo – ist eine Offenbarung. Durch Gassen, über Plätze, in Bars, auf offener Straße spricht sie mit Menschen, die Napoli ein Gesicht geben. Teuflisch gut – himmlisch verführerisch.

Cellini – Ein Leben im Furor

Wäre Benvenuto Cellini heute ein Superstar? Ein über alle Maßen erfolgreicher content creator, der mit allerlei Krimskrams auf sich aufmerksam machen würde? Er müsste es nicht! Denn er war ein begnadeter Goldschmied und Bildhauer. Seine Werke stehen im Louvre, in den Uffizien. Und sein Leben bietet Stoff gleich für mehrere Staffeln einer Serie. Nun war es die Gnade der frühen Geburt, dass er vom Social-Media-Hype verschont blieb – er wurde am 3. November 1500 geboren #cellini1500. Wäre auch ein guter Name für seine eigene Duftmarke.

Und von denen hatte er einige gesetzt. Mit 13 begann er eine Lehre zum Goldschmied. Die meisten seiner Follower versuchen heutzutage ihre mangelnde Hygiene mit angesagten Mittelchen zu kaschieren. Im Alter von 23 wird er wegen Sodomie verurteilt, also Sex mit etwas anderem, was keine Frau ist. So war das damals. Und außerdem hat er sich ganz ordentlich mit einem Mitglied einer anderen Goldschmiedefamilie geprügelt. Er flieht. Nach Rom. Dort spielt er auch im Orchester von Papst Clemens VII. die Flöte. Und bekommt erste Aufträge vom Stellvertreter Gottes auf Erden. Im Alter von 30 wird er zum Mörder – der Papst vergibt ihm.

Na, ist das genug Stoff für eine spannungsgeladene Biographie? Oh ja. Und es bleibt nicht dabei. Immer wieder muss Cellini fliehen. Roma, Mantua, Florenz, Pisa, Siena, Neapel, Frankreich. Immer wieder findet er sofort Anschluss. Erhält Aufträge der Machthaber. Viele seiner Arbeiten gehen verloren, werden vermutlich eingeschmolzen. Doch das, was erhalten bleibt, „Perseus“, „Nymphe von Fontainbleu“ und die „Saliera“, lässt noch heute jeden Besucher innehalten. Die Detailversessenheit ist wegweisend, prachtvoll, atemberaubend.

Andreas Beyer nimmt sich die erhaltenen Seiten der Vita von Cellini – er diktierte fleißig seine Leben einem Gehilfen – und bringt sie in eine moderne Form. Oberflächlich wird die Renaissance von einer Handvoll Künstlern bestimmt, wie Michelangelo und da Vinci. Cellini ist fast in Vergessenheit geraten. Wer will schon einem Mörder frönen?! Einem mehrfachen Mörder.

Was ist er nun, dieser Cellini? Genie, Wahnsinniger, Getriebener, Unbelehrbarer, Freigeist? Wohl eine zum großen Teil ungesunde Mischung aus allem. Von ganz oben protegiert, vom Leben ausgespuckt, von der Muse verschlungen. Dieses Buch ist ein Höllenbrand, der sich in Hirn brennt, und niemals gelöscht werden kann.

Baskenland

Der Name Baskenland ist nun wirklich keine unbekannte Region – dem Namen nach. Aber mal ehrlich, wer kann außer San Sebastián und Bilbao noch weitere Städte und Regionen aufzählen?! Und dass sich das Baskenland bis nach Frankreich ist auch nicht jedem bekannt. Bis vor ein paar Jahrzehnten war es die Region mit Terroranschlägen der ETA. Da fuhr man nicht hin. Und man verpasste damals schon eine Menge.

Eine Rundreise durch das Baskenland ist so vielfältig, dass man diesen Trip als kleine Weltreise bezeichnen könnte. Die Frage nach „Meer oder Berge?“ stellt sich hier nicht. Denn es gibt – und hier geht – beides. Pyrenäen und Atlantik küssen sich hier auf besondere Weise.

Jens Wiegand führt in seinem Baskenland-Reisebuch den Leser durch eine Region, die mit ihren Reizen verführt. Ob nun das besucheranziehende Spektakel des Stierrennens in Pamplona – ja, Pamplona liegt im Baskenland – oder kulinarische Eroberungen in San Sebastián oder das Guggenheim-Museum in Bilbao, das Baskenland besitzt nicht nur auf den ersten Blick eine ungeheure Anziehungskraft.

Doch es sind nicht nur die offensichtlichen Highlights, die echte Magnete sind. Man muss sie ab jetzt nicht einmal mehr suchen, sie sind alle (!) in diesem Buch beschrieben. Aufschlagen, lesen, reisen! So und nicht anders wird es in Zukunft ablaufen, wenn im Familienkreis der nächste Urlaub besprochen wird.

Normalerweise sind Hauptstädte immer die ersten Anlaufpunkte für Fremde. Im Baskenland ist das nicht nur ein bisschen anders. Erstens: Wer kennt die Hauptstadt des Baskenlandes? Es ist Victoria-Gasteiz. Mh. Und liegt in der Region Araba. Mh. Nie gehört? Ist nicht schlimm. Von allen Regionen des Baskenlandes ist Araba diejenige mit den wenigsten Besuchern. Wer also Ruhe sucht, sich ursprüngliche Landschaften auf eigene Faust erkunden will – der ist hier richtig! Und wird aufs Vorzüglichste verwöhnt. Zum Beispiel mit einem hier angebauten Rioja. Auch der ist ein baskisches Produkt!

Apropos Produkt. Baskenmützen. Kennt jeder, steht nicht jedem. Aber wer sich eine Baskenmütze zulegen möchte, der sollte nach Txapela fragen. So heißt das weltweit bekannte Accessoire. Und Manufakturen gibt es in vielen Orten auf dem Weg. Ebenso wird man immer wieder auf Sportarten treffen, die hier noch vielerorts betrieben werden, außerhalb des Baskenlandes aber kaum Zuschauer anziehen. Pilota ist sicherlich die bekannteste Sportart. Mit einem aus Stroh geflochtenen bananenartigen Handschuhe wird eine Hartgummikugel über ein Spielfeld geschleudert. Mit irrsinniger Geschwindigkeit. Das gegnerische Team muss den zurückprallenden Ball fangen und darf nun selbst die Kugel mit Caracho dem Gegner zurückspielen. Wird auch in Florida gespielt, aber die traditionelle Variante stammt von hier. Und hier wird sie auch in ihrer ursprünglichen Form fast schon zelebriert.

Tradition und Moderne, Meer und Berge, versteckte Landschaften und überlaufene Großstädte mit immensem kulturellen Angebot – das ist das Baskenland. Wer es bereist, kommt an diesem Reiseband nicht vorbei!

San Sebastián & Bilbao

Als Zwillingsstädte kann man diese beiden nun wirklich nicht bezeichnen. Aber sie sind wahrscheinlich für die meisten der Grund in den Norden Spaniens zu reisen. Bilbao, die einstige Industriemetropole, die noch vor wenigen Jahrzehnten ein grauer Fleck inmitten grüner Landschaft war. Und San Sebastián die elegante Stadt am Meer, die Feinschmecker das Herz höher schlagen lässt.

Während Bilbao durch den Billigflieger-Boom der Vergangenheit an den Rand der Belastbarkeit getrieben wurde, hat sich San Sebastián, oder Donostia auf Baskisch, einen Hauch Exklusivität erhalten können. Zum ersten Mal sind diese beiden Städte in einem Reiseband vereint, der sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die deutlichen Unterschiede herausarbeitet. Für diejenigen, die sich nicht entscheiden können, keine Hilfe – denn beide Städte muss man besuchen. Ob nun auf einer Reise nacheinander oder mit zeitlichem Abstand – auch diese Entscheidung kann dieser Reiseband nicht abnehmen. Aber ansonsten wird hier jede noch offene Frage ausführlich und umfassend beantwortet. Selbst die Fragen, die man sich niemals gestellt hat…

Beide Städte sind Großstädte, die ihre Größe zu verstecken wissen indem sie kleine lauschige Plätze für den Besucher parat halten, die die Einzigartigkeit unterstreichen. Man muss nur wissen, wo man sie findet. Da greift Autorin Petra Sparrer energisch ein. Ohne die Exklusivität in Frage zu stellen, leitet sie den Leser und Besucher durch die Pracht der beiden Städte. Und wem das noch nicht reicht, den nimmt sie an die Hand, um mit ihm die Umgebung zu erkunden.

San Sebastián ist über alle Grenzen hinweg als Feinschmecker-Hochburg bekannt. Drei-Sterne-Restaurants en masse und Kochclubs, die mittlerweile auch Frauen aufnehmen, sind eine Offenbarung. Mancherorts ist man als Gast gern eingeladen mitzukochen, mitzuschwatzen und mitzuessen.

Bilbaos Herz schlägt am Guggenheim-Museum. Der imposante Bau von Frank O. Gehry lässt so manchen Kopf in Schräglage halten. Doch die Stadt besteht nicht nur aus silberner zeitloser Architektur. Wer durch die Altstadt schlendert, wird überwältigt von der Üppigkeit der Arkaden und Gassen. Dabei überseiht man gern mal etwas. Wäre doch schlimm, wenn man ausgerechnet den Nikolaus nur um ein paar Straßenecken verpasst, oder?!

Ob nun im Doppelpack oder als Einzelreise – beide Städte bringen jeden Besucher zum Träumen und Schwelgen. Es war an der Zeit diesen Ikonen in Spaniens Norden einen Reiseband zu widmen, der nun wirklich keine Frage unbeantwortet lässt.

Dresden – Bomforzionös!

Es gibt unzählige Möglichkeiten sich an Dresden zu erinnern, die Stadt sich in seine Gedanken zurückzuholen. Aktuell ist es wohl oft der Einsturz der Carolabrücke und dem darauffolgenden Aktionismus Brücken sanieren zu müssen. Viele bekommen einfach nicht (und das ist gut so!) die verheerende Bombennacht vom 13. Februar 1945 aus dem Kopf. Andere erfreuen sich, dass das Trümmerfeld der Frauenkirche einem Augenschmaus gewichen ist. Wer an Weihnachten Dresden besuchte, wird den Striezelmarkt nicht aus dem Sinn und aus der Nase bekommen. Und wer durch die Galerien streifte, ist immer noch erschlagen von der Pracht der Alten Meister. Und erst die Ruhepausen an der Elbe. Die Streifzüge durch die Parks…

Una Giesecke ist Stadtbilderklärerin, Tourguide, durch ihre Stadt. Sie kennt alle Geschichten. Weiß wer wann wo was gemacht hat. Sie vereint all die erwähnten Erinnerungen und Eindrücke in sich und kann sich immer noch daran erfreuen. Das wird sich auch nie ändern. Das spürt man im Handumdrehen, blättert man auch nur ein bisschen durch dieses kleine Büchlein.

Anekdoten, große Geschichte, Offensichtliches und Verborgenes, Plakatives und Vergessenes – das, was nur selten bis gar nicht im Reisehandbuch steht, wird hier zur breiten Bühne für jedermann. Man kann schon fast sagen, dass man nach dem Buch – und dem logischen anschließenden Besuch in Elbflorenz – man sich durchaus als Experte bezeichnen darf. Una Giesecke lässt Zeitzeugen zu Wort kommen. Menschen die beispielsweise die Bombennacht überlebt und fotografiert haben. Stille Helden, deren Wirken heute Standard ist. Sie zeigt ein Dresden, das für jeden offen ist. Auch wenn so mancher montags die Welt vom Gegenteil überzeugen will…

Wer Dresden besucht, braucht Hilfe, um nichts zu verpassen. Ein Reisehandbuch ist da ein sicherer Begleiter. Doch der Blick hinter die Fassaden ist meist nur ein gut gemeinter Ratschlag. In diesem Buch brechen die Mauern ihr Schweigen und platzen mit der Energie der aufgestauten Stille in die staunenden Massen hinein. Da bleibt kein Ort unerwähnt, der die Stadt charakterisiert. Wissenschaftler wie Manfred von Ardenne – Ich glotz TV wäre heute immer noch nur ein Lied von Nina Hagen, nicht mehr!. Wer kennt noch Ursula Bergander? Die, die jetzt ihre Hand heben, sind zum größten Teil sicher Geburtshelferinnen. Diese Ursula führte bis 1972 fast zwanzigtausend Frauen mit der schmerzarmen natürlichen Geburt in den Stand der Mutter. Eine weitere bärenstarke Frau aus Dresden war Uschi Blütchen. Sie war weltweit (!) die einzige Dompteuse von Eisbären. Die Liste könnte man unendlich fortsetzen. Dank dieses Buches.

Gera – Von Fettguschen und Brummuchsen

Das Territorium der DDR war in Bezirke eingeteilt. Von Rostock im Norden, Autokennzeichen begannen immer mit einem A, bis Suhl im Süden, O klebte hier an den Trabbis und Wartburgs, von Dresden bis Magdeburg in Ost und West. Die größten Städte waren die Hauptstädte und Namensgeber der Bezirke. Die kannte wirklich jeder. Nach der Wende verschwanden die Namen aus en Köpfen. Sie wurden nicht mehr erwähnt, sofern man keine verwandtschaftlichen Beziehungen dorthin hatte. Auch in den überregionalen, landesweiten Medien kamen manche Städte einfach nicht mehr vor. Wer hat in den 90ern von Gera gesprochen? Die Stadt war wie vom Erdboden verschluckt. Zugegeben, das ist ein drastische Übertreibung, denn die Stadt existieret ja weiterhin und tut es bis heute. Aber als Ausflugsziel- gar als Urlaubsziel steht Gera garantiert nicht unter den Top 100. Das kann sich aber ändern. Es wird sich ändern.

Zum Beispiel ist die Stadt mit dem gleichnamigen Fluss auch die Geburtsstadt des Malers Otto Dix. Der wurde vor 1891 (Achtung Jubiläum!) in Untermhaus, einem Stadtteil von Gera geboren. Und das wird nun im großen Stil gefeiert. Etwas außerhalb der Stadt kann man durch das prächtige Tal der Weißen Elster auf Erkundungstour gehen oder radeln. Auch wenn hier das Adelsgeschlecht der Reußen seinen Ursprung hat, so kann die Stadt nicht recht mit diesem Erbe wuchern. Einer der letzten Sprösslinge – selbst aus dem Familienverbund ausgetreten – nahm und nimmt für sich in Anspruch Deutscher Regent sein zu wollen, zu müssen (?). Er ist allerdings der einzige – der Großteil der männlichen Vorfahren hießen und heißen übrigens Heinrich, was Ahnenforschern die Farbe aus den Haaren treibt – der Deutschland nichts Gutes will. Seine Vorfahren waren progressiver.

Autor Uwe Lehmann ist der Typ Kenner, dem man gebannt lauscht, dem man das Geschriebene sofort ins eigene Hirn übertragen lässt. Gera ist auf einem guten Weg seine Vergessenheit abzulegen. Und wer in die zufriedenen Fettguschen schaut, weiß, dass das aus gutem Grund passiert. Denn die Brummuchsen verstummen langsam – zu viel verbales Lokalkolorit? Dann ist dieses Buch Pflichtlektüre!

Hier wurde schon immer Geschichte geschrieben, seit Jahrhunderten. Nur hat das kaum einer außerhalb bemerkt. Und wenn doch, dann nur selten. Hat man vor Jahren den Namen nur von der Autobahnabfahrt gekannt, so ist man heute bei einem Tagesausflug gut beschäftigt, will man so viel wie möglich erleben. Und bald schon muss man in Gera übernachten, da das Erkundungspensum sonst nicht gestemmt werden kann. Und dieses Buch wird ein treuer Begleiter sein, wenn man die Anekdoten und Geschichte der Stadt kennen will.