Archiv der Kategorie: aus-erlesen ungewöhnlich

Auschwitz Häftling Nr. 2

Im Zuge der mittlerweile über Hand nehmenden True-Crime-Welle passiert es immer wieder, dass man für den einen oder anderen Verbrecher eine gewisse Art Sympathie entwickelt. So wie in den späten Achtzigern/Beginn der Neunziger der Kaufhaus-Erpresser Dagobert zum kleinen Helden aufstieg, der die Polizei ums andere mal foppte. Ein zweifelhafter Ruhm.

Im Falle des Berufsverbrechers (den Titel bekam er in den 30er Jahren, also Achtung! nazideutsch) Otto Küsel ist die Wandlung zum Helden allerdings nachvollziehbar. Drei Jahre saß er bereits im Konzentrationslager Sachsenhausen ein als er im mai 1940 nach Auschwitz deportiert wurde. Mit einem grünen Dreieck gekennzeichnet, das ihn als Berufsverbrecher kennzeichnete. Er war die Nummer Zwei. Was nicht auf seine Stellung hinwies, sondern lediglich die Reihenfolge der Erfassung betitelt. Er war ein so genannter Kapo. Er teilte Gefangene zum „Dienst“ ein. Er entschied, wer welche Arbeiten zu verrichten hatte. Gefangene, die über Gefangene entscheiden, wer zur Arbeit noch taugt und wer … naja, man weiß um die „Alternative“…

Doch Otto Küsel war schon immer ein widerspenstiger Zeitgenosse. Politik interessierte ihn nicht besonders. Der eigene Vorteil war ihm näher. Das und die realistische Einschätzung der allgemeinen Lage war für viele seiner Mithäftlinge ein Segen. Denn Otto Küsel durfte entscheiden, wer arbeitet, und wer davon verschont wurde. Ja, verschont, denn Arbeit in Auschwitz waren mit Qualen, Pein, Prügel und dem sicheren Tod durch ein weithin sichtbares Band verbunden.

Otto Küsel gelang so gar die Flucht aus dem Massenvernichtungslager. Durch Verrat kamen ihm die Häscher jedoch wieder auf die Spur und abermals lautete die Adresse Auschwitz. Block Elf. Der berüchtigte Todesblock. Durch Amnestie des neuen Lagerleiters entging er dem sicheren Tod. Letzte Station seiner körperlichen Leidensgeschichte war Flossenbürg in der Oberpfalz. Auf dem Todesmarsch kamen die Alliierten noch rechtzeitig, um ihn vor dem geplanten Tod zu retten. Er blieb in der Gegend, nach heimatliche Berlin hatte für ihn jeglichen Reiz verloren, heiratete und gründete eine Familie. Mit denjenigen, die ihm ihr Leben verdankten, stand er bis ins hohe Alter in Kontakt. Er wurde von ihnen nicht vergessen. Dennoch ist seine Geschichte in Deutschland kaum bis gar nicht bekannt.

Sebastian Christ folgte jahrelang den Spuren des hierzulande unbekannten Helden von Auschwitz. Diese Biographie ist ein Mahnmal gegen das Vergessen. Immer wieder wurde angeregt sein Leben und das von vielen Anderen nicht auf dem noch zu erledigenden Aktenberg abzulegen. Der ehemalige polnische Außenminister Władysław Bartoszewski erwähnte ihn in seinen Erinnerungen an seine Zeit in Auschwitz. Von deutscher Seite kam nichts. Nur wer intensiv recherchiert, stößt irgendwann unweigerlich auf seinen Namen. Ab sofort ist Otto Küsel nicht mehr nur Auschwitz Häftling Nr. 2!

Der Zauber des Berges

Der Titel ist zweifellos keine weitere Schnulze, die mit zweitklassigen Schauspielerin vor romantischer Kulisse irgendwann einmal verfilmt wird. Wobei die Romantik die Triebfeder dieses Buches, dieser Geschichte ist. Es ist die Geschichte von Willem Jan Holsboer. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war er Kaufmann in London. Erfolgreicher Banker. Mit einem ausgeprägten Sinn für Problemlösungen. Seine Frau Margaret wurde zur Kur in die Schweiz geschickt. Die Reisestrapazen waren derart anstrengend, dass Willem stündlich mit einer Verschlechterung ihrer Situation rechnen musste. Dieser verdammte Berg. Da, in Davos. Mit der Kutsche hier her zu fahren – das ist doch nicht normal! Wie sollen die Patienten so gesunden?! Irgendwann würde er eine Eisenbahnlinie hier bauen lassen – das Geld hatte er ja. Nun … es blieb nicht bei der Eisenbahn. Es kam noch ein Sanatorium hinzu. Und so wie damals, wenige Jahre zuvor, er das Textilgeschäft ankurbeln wollte, indem er Schauspieler eines renommierten Londoner Theaters mit seinen – feinsten – Stoffen ausstaffieren wollte, sollte ein weiteres Stück Kultur seinen Ruhm mehren.

Das klappte nicht ganz. Der Berg, um den es geht, liegt schon wegen des Titels auf der Hand: Der Zauberberg. Es ist sozusagen das Prequel, die Vorgeschichte zu einem der berühmtesten Romane. Thomas Mann kurbelte unbewusst den Kurtourismus in dem kleinen Bergdorf Davos, auf der Schatzalp, in den Bergen an. Und Willem Jan Holsboer bereitete ihm wahrhaft den Weg. Ob Thomas Mann den geschäftstüchtigen Finanzier kannte?

Daniela Holboer – ihr Mann ist der Urenkel eben dieses Visionärs – ist Literaturwissenschaftlerin. Als sie die Geschichte von Willem Jan Holsboer hörte, wusste sie zwei Dinge. Der Mann, der ihr diese Geschichte erzählt, ist ihr Mann. Und Zweitens muss sie die Geschichte von Willem erzählen. „Der Zauber des Berges“ ist das Ergebnis jahrelanger Recherchen.

Im Jahr 2024 feiert man auch mit zahlreichen Büchern das hundertste Jubiläum des „Zauberberges“ von Thomas Mann. Neue Erkenntnisse, Dachbodenfunde, neue Sichtweisen und –achsen sollen neue Schlaglichter auf den Jahrhundertroman werfen. Und meistens gelingt das auch. Daniela Holsboer gelingt es den Startschuss des Zauberberg-Universums um einige Jahre, Jahrzehnte auf der Zeitachse nach vor zu verlegen. Weniger nachdenklich, weniger überbordend, weniger Kommas als bei Thomas Mann. Doch mit akribischer Detailversessenheit schafft sie einen neuen Anfang des echten Zauberbergs.

Sonny Boy

Seit über einem halben Jahrhundert rätselt die Filmwelt wer, wenn nicht dieser eine Al Pacino könnte diese Rolle sonst noch formatfüllend spielen. Und seitdem lautet die Antwort: Niemand!

Kaum vorzustellen, dass dieser Leinwandgigant einmal die Hosen voll hatte und daran zweifelte, dass der eingeschlagene Weg Schauspieler zu werden eine Sackgasse sei. Marlon Brando, James Dean und Montgomery Clift – deren Talent konnte er einordnen. Aber als Dustin Hofmann in „Die Reifeprüfung“ ins Kino kam, war der junge Al Pacino eingeschüchtert. Zu diesem Zeitpunkt ist die Revolution in Hollywood im vollen Gange. Der Umbruch ist state of the art. Und Al Pacino aus der South Bronx, den seine Mutter von im Alter von drei Jahren mit ins Kino nahm, quält sich durch den Schauspielunterricht. Sein Lehrer ist schockiert wegen seiner Darstellungen im Unterricht. Kommilitonen sind begeistert. Wem soll er mehr Beachtung schenken?

Die Geschichte lehrt den Zuschauer, Regisseure und Produzenten, dass das Gelernte nur einen Teil des Schauspielers ausmacht. Als Schauspieler muss man selbst seinen Weg finden. Und sich finden lassen. Wer die Probeaufnahmen zu „Der Pate“ mit Diane Keaton gesehen hat, ist verblüfft. Dieses Milchgesicht soll einmal der rigoroseste Gangster der Filmgeschichte werden? Ja! Und niemand sonst hätte es so darstellen können.

Kurze Zeit später ist dieses Milchgesicht ein desillusionierter Cop mit Rauschebart, der der Korruption in den eigenen Reihen bedingungslos den Kampf ansagt. Dann ist er ein Bankräuber, der seinem Freund mit der erhofften Beute eine Geschlechtsumwandlung bezahlen will. Alles von nur einem Menschen verkörpert. Und wiederum die niederschmetternde Erkenntnis: Das kann nur einer spielen – Al Pacino!

Den Namen Sonny Boy bekam der kleine Al von seiner Mutter. Angelehnt an einen Schlager der Zeit. „Sonny Boy“ ist (s)eine Reminiszenz an (s)ein Leben, dass mit stotterndem Motor begann, doch mit Rasanz eine Fortsetzung fand, die niemand erahnen konnte. Er setzte sich gegen scheinbar unbesiegbare Heroen der Leinwand durch, stieg binnen weniger Jahre zu einem gottgleichen Titanen auf und verschwand immer wieder mal gern in der Versenkung, um seine eigenen Projekte in die Tat umzusetzen.

Ohne großartig Schlaglichter zu setzen blickt in diesem Buch ein Mann auf sein Leben zurück, dass einzigartig ist. Ruhig und besonnen, mit der Milde und der Weisheit des Alters, reist Al Pacino mit dem Leser durch mehr als ein halbes Jahrhundert Lebens- und Filmgeschichte. Anekdotenreich und mit dem Willen alles zu erzählen. Für Fans das lang ersehnte Glück, für Biographieleser eine Offenbarung.

Bitteres Blau – Neapel und seine Gesichter

Neapel sehen und … immer wieder zurückkommen, sich neu verlieben, das Kribbeln spüren. Maike Albath macht noch viel mehr. Sie saugt die Stadt auf, sie läuft sich von ihr aufsaugen. Sie trifft die, die schon lange nicht mehr da sind und die, die niemals von hier weggehen werden. Sie sieht Angst, aber auch die Hoffnung. Hoffnung worauf? Dass das Image der Stadt einmal ein anderes sein wird? Niemals! Der Charme der Stadt – ein von Teufeln bewohntes Paradies, wie Benedetto Croce sagte – baut auf den Anachronismus von Gut und Böse, von rau und sanft, von Verkommenheit und unendlicher Schönheit.

Wer einmal im Dezember-Nieselregen durch dunkle, enge Straßen ging, erlebt eine rohe Schönheit. Funktionalität stellen die Napoletaner selbst her. Und wenn man dann am Abend auf dem Bett liegt und den Tag Revue passieren lässt, wird einem bewusst, dass das Image der gefährlichen Stadt eben zu einem großen Teil ein Image ist. Ein Postkartenmotiv mit shabby chic. Und mit einer Seele, die keine Ruhe kennt.

Im Quartieri spagnoli ist der Fußball zuhause. Alle paar Ecken werden die Reviere mit Graffiti markiert. Jede Fanvereinigung (und es sind mehr als nu Fans vom SSC Napoli) schaut in seinem Abschnitt nach dem Rechten. Neuankömmlinge werden beobacht, gemustert und eingeschätzt. Nach ein paar Sichtungen weiß man hier aber auch Bescheid, wer wo und vielleicht auch wie lange in der Stadt weilen wird. Unangenehm ist es nur für denjenigen, der vor allem Fremden Angst hat. Alle Anderen werden willkommen geheißen.

Maike Albath schreitet über schwülstige Treppenaufgänge aber auch auf dem unebenen Pflaster der Stadt. Stimmengewirr versiegt nur bei Fußballspielen. Während der WM 2022 war es selbst am Markt an der Muro Maradona – einem Freiluftgelände, auf dem nur mit Devotionalien von Diego Armando Maradona gehandelt wird – muxmäuschenstill. Doch sofort nach Abpfiff kehrte das gewohnte Leben wieder zurück. Binnen Sekunden heulten Mopedmotoren, sprachen alle durcheinander, wurde jeder Spielzug noch einmal durchexerziert, war Napoli wieder Napoli. Der scudetto, die italienische Meisterschaft vom SSC wurde tagelang gefeiert. Kleinere und größere Betriebe waren tagelang geschlossen.

Mit Maike Albath eine italienische Stadt zu erkunden (sie war schon Reisebegleiterin in Rom, Turin und Palermo – ist eine Offenbarung. Durch Gassen, über Plätze, in Bars, auf offener Straße spricht sie mit Menschen, die Napoli ein Gesicht geben. Teuflisch gut – himmlisch verführerisch.

Wien und der Tod

Die lebenswerteste Stadt der Welt und der Tod – wie geht das zusammen? Bedingt das Eine das Andere? So hoch sollte man den Zusammenhang nun doch nicht hängen. Ja, Wien darf sich seit Jahren als die Stadt mit der höchsten Lebensqualität bezeichnen. Das liegt an dem offensichtlichen, stets verfügbaren kulturellen Angebot. Und dazu gehört nun mal in der Donaumetropole auch der Tod. Spätestens, wenn man nach Simmering fährt: Zum Zentralfriedhof. Letzte Ruhestätte für so manchen Promi, für die Lebenden ist der (uneingeschränkte) Zugang verboten. Ein Paradies zum Schlendern. Das haben wir es wieder: Das Jenseits gehört dann doch irgendwie zur Stadt dazu.

Peter Ahorner nimmt dem leidigen Thema Tod die Schwere in seinem kleinen schwarzen Büchlein. Anekdoten pflastern des Lesers Weg in die ewige Sehnsucht nach … Wien. Kein Angst, hier wird niemand vorzeitig „vom Banernen“ geholt. „A eckn muss ma a net mochn“. Und schon gar nicht !“a bankl reißen“. Diese Synonyme voller Poesie sind nur ein kleiner Spiegel des Umgangs der Wiener mit dem Tod.

Und heimtückisch ist dieses Büchlein auch nicht. Man weiß worum es geht, wird trotzdem überrascht, was man alles über den Tod in Wien herausfinden kann. Die Habsburger ließen sich gern mehrmals beerdigen. Nicht, um den Hinterbliebenen endlose Feierlichkeiten zu bescheren. Nein, ihre Körperteile wurden an verschiedenen Orten begraben, ausgestellt, verwahrt. Echter Besitzanspruch.

Wer Wien tiefergehend kennenlernen will, muss öfter mal Treppen hinabsteigen. Von der Kapuzinergruft bis hin zum Zentralen zu ebener Erde, breitet sich der Weg in die Ewigkeit vor dem Interessierten aus. So mancher lässt beim Kontemplativrundgang im Ohr Wolfgang Ambros erklingen („Es lebe der Zentralfriedhof“) – wer Lokalkolorit braucht, blättert in diesem Büchlein. Doch Vorsicht! An mancher Stelle kann man sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen.

Klein – schwarz – morbide – unterhaltsam: Die heilige Vierfaltigkeit des Todes in Wien trägt schwarz und hat ein Lesebändchen. Passt in jedes Reisegepäck und sorgt für vergnügliche wie informative Augenblicke. Kurz und knapp – so soll es sein. Das letzte Kapitel zum Thema ist mit diesem Buch geschrieben.

Cellini – Ein Leben im Furor

Wäre Benvenuto Cellini heute ein Superstar? Ein über alle Maßen erfolgreicher content creator, der mit allerlei Krimskrams auf sich aufmerksam machen würde? Er müsste es nicht! Denn er war ein begnadeter Goldschmied und Bildhauer. Seine Werke stehen im Louvre, in den Uffizien. Und sein Leben bietet Stoff gleich für mehrere Staffeln einer Serie. Nun war es die Gnade der frühen Geburt, dass er vom Social-Media-Hype verschont blieb – er wurde am 3. November 1500 geboren #cellini1500. Wäre auch ein guter Name für seine eigene Duftmarke.

Und von denen hatte er einige gesetzt. Mit 13 begann er eine Lehre zum Goldschmied. Die meisten seiner Follower versuchen heutzutage ihre mangelnde Hygiene mit angesagten Mittelchen zu kaschieren. Im Alter von 23 wird er wegen Sodomie verurteilt, also Sex mit etwas anderem, was keine Frau ist. So war das damals. Und außerdem hat er sich ganz ordentlich mit einem Mitglied einer anderen Goldschmiedefamilie geprügelt. Er flieht. Nach Rom. Dort spielt er auch im Orchester von Papst Clemens VII. die Flöte. Und bekommt erste Aufträge vom Stellvertreter Gottes auf Erden. Im Alter von 30 wird er zum Mörder – der Papst vergibt ihm.

Na, ist das genug Stoff für eine spannungsgeladene Biographie? Oh ja. Und es bleibt nicht dabei. Immer wieder muss Cellini fliehen. Roma, Mantua, Florenz, Pisa, Siena, Neapel, Frankreich. Immer wieder findet er sofort Anschluss. Erhält Aufträge der Machthaber. Viele seiner Arbeiten gehen verloren, werden vermutlich eingeschmolzen. Doch das, was erhalten bleibt, „Perseus“, „Nymphe von Fontainbleu“ und die „Saliera“, lässt noch heute jeden Besucher innehalten. Die Detailversessenheit ist wegweisend, prachtvoll, atemberaubend.

Andreas Beyer nimmt sich die erhaltenen Seiten der Vita von Cellini – er diktierte fleißig seine Leben einem Gehilfen – und bringt sie in eine moderne Form. Oberflächlich wird die Renaissance von einer Handvoll Künstlern bestimmt, wie Michelangelo und da Vinci. Cellini ist fast in Vergessenheit geraten. Wer will schon einem Mörder frönen?! Einem mehrfachen Mörder.

Was ist er nun, dieser Cellini? Genie, Wahnsinniger, Getriebener, Unbelehrbarer, Freigeist? Wohl eine zum großen Teil ungesunde Mischung aus allem. Von ganz oben protegiert, vom Leben ausgespuckt, von der Muse verschlungen. Dieses Buch ist ein Höllenbrand, der sich in Hirn brennt, und niemals gelöscht werden kann.

Dresden – Bomforzionös!

Es gibt unzählige Möglichkeiten sich an Dresden zu erinnern, die Stadt sich in seine Gedanken zurückzuholen. Aktuell ist es wohl oft der Einsturz der Carolabrücke und dem darauffolgenden Aktionismus Brücken sanieren zu müssen. Viele bekommen einfach nicht (und das ist gut so!) die verheerende Bombennacht vom 13. Februar 1945 aus dem Kopf. Andere erfreuen sich, dass das Trümmerfeld der Frauenkirche einem Augenschmaus gewichen ist. Wer an Weihnachten Dresden besuchte, wird den Striezelmarkt nicht aus dem Sinn und aus der Nase bekommen. Und wer durch die Galerien streifte, ist immer noch erschlagen von der Pracht der Alten Meister. Und erst die Ruhepausen an der Elbe. Die Streifzüge durch die Parks…

Una Giesecke ist Stadtbilderklärerin, Tourguide, durch ihre Stadt. Sie kennt alle Geschichten. Weiß wer wann wo was gemacht hat. Sie vereint all die erwähnten Erinnerungen und Eindrücke in sich und kann sich immer noch daran erfreuen. Das wird sich auch nie ändern. Das spürt man im Handumdrehen, blättert man auch nur ein bisschen durch dieses kleine Büchlein.

Anekdoten, große Geschichte, Offensichtliches und Verborgenes, Plakatives und Vergessenes – das, was nur selten bis gar nicht im Reisehandbuch steht, wird hier zur breiten Bühne für jedermann. Man kann schon fast sagen, dass man nach dem Buch – und dem logischen anschließenden Besuch in Elbflorenz – man sich durchaus als Experte bezeichnen darf. Una Giesecke lässt Zeitzeugen zu Wort kommen. Menschen die beispielsweise die Bombennacht überlebt und fotografiert haben. Stille Helden, deren Wirken heute Standard ist. Sie zeigt ein Dresden, das für jeden offen ist. Auch wenn so mancher montags die Welt vom Gegenteil überzeugen will…

Wer Dresden besucht, braucht Hilfe, um nichts zu verpassen. Ein Reisehandbuch ist da ein sicherer Begleiter. Doch der Blick hinter die Fassaden ist meist nur ein gut gemeinter Ratschlag. In diesem Buch brechen die Mauern ihr Schweigen und platzen mit der Energie der aufgestauten Stille in die staunenden Massen hinein. Da bleibt kein Ort unerwähnt, der die Stadt charakterisiert. Wissenschaftler wie Manfred von Ardenne – Ich glotz TV wäre heute immer noch nur ein Lied von Nina Hagen, nicht mehr!. Wer kennt noch Ursula Bergander? Die, die jetzt ihre Hand heben, sind zum größten Teil sicher Geburtshelferinnen. Diese Ursula führte bis 1972 fast zwanzigtausend Frauen mit der schmerzarmen natürlichen Geburt in den Stand der Mutter. Eine weitere bärenstarke Frau aus Dresden war Uschi Blütchen. Sie war weltweit (!) die einzige Dompteuse von Eisbären. Die Liste könnte man unendlich fortsetzen. Dank dieses Buches.

Gera – Von Fettguschen und Brummuchsen

Das Territorium der DDR war in Bezirke eingeteilt. Von Rostock im Norden, Autokennzeichen begannen immer mit einem A, bis Suhl im Süden, O klebte hier an den Trabbis und Wartburgs, von Dresden bis Magdeburg in Ost und West. Die größten Städte waren die Hauptstädte und Namensgeber der Bezirke. Die kannte wirklich jeder. Nach der Wende verschwanden die Namen aus en Köpfen. Sie wurden nicht mehr erwähnt, sofern man keine verwandtschaftlichen Beziehungen dorthin hatte. Auch in den überregionalen, landesweiten Medien kamen manche Städte einfach nicht mehr vor. Wer hat in den 90ern von Gera gesprochen? Die Stadt war wie vom Erdboden verschluckt. Zugegeben, das ist ein drastische Übertreibung, denn die Stadt existieret ja weiterhin und tut es bis heute. Aber als Ausflugsziel- gar als Urlaubsziel steht Gera garantiert nicht unter den Top 100. Das kann sich aber ändern. Es wird sich ändern.

Zum Beispiel ist die Stadt mit dem gleichnamigen Fluss auch die Geburtsstadt des Malers Otto Dix. Der wurde vor 1891 (Achtung Jubiläum!) in Untermhaus, einem Stadtteil von Gera geboren. Und das wird nun im großen Stil gefeiert. Etwas außerhalb der Stadt kann man durch das prächtige Tal der Weißen Elster auf Erkundungstour gehen oder radeln. Auch wenn hier das Adelsgeschlecht der Reußen seinen Ursprung hat, so kann die Stadt nicht recht mit diesem Erbe wuchern. Einer der letzten Sprösslinge – selbst aus dem Familienverbund ausgetreten – nahm und nimmt für sich in Anspruch Deutscher Regent sein zu wollen, zu müssen (?). Er ist allerdings der einzige – der Großteil der männlichen Vorfahren hießen und heißen übrigens Heinrich, was Ahnenforschern die Farbe aus den Haaren treibt – der Deutschland nichts Gutes will. Seine Vorfahren waren progressiver.

Autor Uwe Lehmann ist der Typ Kenner, dem man gebannt lauscht, dem man das Geschriebene sofort ins eigene Hirn übertragen lässt. Gera ist auf einem guten Weg seine Vergessenheit abzulegen. Und wer in die zufriedenen Fettguschen schaut, weiß, dass das aus gutem Grund passiert. Denn die Brummuchsen verstummen langsam – zu viel verbales Lokalkolorit? Dann ist dieses Buch Pflichtlektüre!

Hier wurde schon immer Geschichte geschrieben, seit Jahrhunderten. Nur hat das kaum einer außerhalb bemerkt. Und wenn doch, dann nur selten. Hat man vor Jahren den Namen nur von der Autobahnabfahrt gekannt, so ist man heute bei einem Tagesausflug gut beschäftigt, will man so viel wie möglich erleben. Und bald schon muss man in Gera übernachten, da das Erkundungspensum sonst nicht gestemmt werden kann. Und dieses Buch wird ein treuer Begleiter sein, wenn man die Anekdoten und Geschichte der Stadt kennen will.

Die Couch

Es gehört zu den nachhaltigsten Störungen im Tagesablauf, wenn der nächtliche Schlaf unterbrochen wird. So würde es Linus sicher niemals ausdrücken, dennoch schreckt er des Nachts durch ein grelles Licht aus seinem Bett hoch. Draußen ist ein Ufo gelandet! Ja, tatsächlich ein Ufo. Und vier unheimliche Gestalten – Roboter – steigen aus. Neugierig wie Linus nun mal ist, geht er mutig auf sie zu, das Raumschiff ist ja auch eher winzig als furchteinflößend groß.

Die Erdneulinge brabbeln drauf los. Linus versteht kein Wort. Doch die Roboter sind vorbereitet. Ein kurzer Dreh am Knopf und schon können Linus und die Roboter miteinander reden. Sie wollen die Erde erobern und als Versorgungszentrale nutzen. Das Wort kennt Linus noch nicht… Was erobern ist, das weiß er. Es könnte gefährlich werden. Doch Linus lässt sich davon nicht abschrecken. Er will die Roboter besänftigen.

Er schlägt vor ihnen Pudding zu kochen. Schokoladenpudding. Ihn jedenfalls macht er immer glücklich. Und wer weiß, vielleicht klappt das ja auch mit der Vier-Roboter-Armee aus dem All?! Sie sollen es sich erstmal auf der Couch gemütlich machen. Couch? Gemütlich machen? Schlafen? Die Roboter sind überfordert. Ausruhen und warten, sitzen – das kennen sie nicht. Doch wer erstmal auf der Couch von Linus sitzt, kommt dem Geheimnis des süßen Nichtstuns schnell auf die Spur…

Matthias Kröner schafft mit wenigen Worten ein Universum, in das man sich gern und schnell hineinziehen lässt. Wie geschaffen für Leseanfänger. Die Illustrationen von Jan Sasse lassen keinen Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der Worte. Auch als Erwachsener hat man daran seinen Spaß. Auch wenn in trainierten Gehirn der Großen sofort Assoziationen zur Gegenwart aufpoppen. In einer idealen Welt gibt es keine Eindringlinge. Die kann man aber mit Schokopudding in die Schranken weisen. Und wenn der der Frieden mit der (unfreiwilligen) Abgabe einer Couch wiederhergestellt werden kann, ist das Opfer durchaus zu verkraften. Knallbunt, auf den Punkt, ideal, um sich auf der heimischen Couch in das vielleicht erste Buch zu vertiefen und in dieser fantastischen Welt zu versinken.

Alles Sisi

Dieses Buch kommt eindeutig zu spät! Dutzende, nein, hunderte, wenn nicht so gar tausende Bücher wurden über Elisabeth geschrieben. Ihr Tod ist legendär, ihr Leben noch heute Vorbild für Generationen von Frauen. Und dennoch wird dieses Buch Beachtung finden. Es ist vielleicht sogar das Buch, das jeder zuerst in die Hand nehmen sollte, interessiert man sich ernsthaft mit der sagenhaften Kaiserin.

Wenn es Ende Februar wieder heißt „Alles Walzer“, wird so mancher auch der Sisi gedenken. Also „Alles Sisi“. Jeder Biographie der Kaiserin ist eine Zeittafel angehängt. Unzählige Bilder zieren die unfassbare Menge an gedruckten Seiten. Doch das sind nicht mehr als Daten und Fakten, die man beim Vor- und Zurückblättern einatmet – und meist auch gleich wieder vergisst. Es sei denn, man bereitet sich auf eine Quizshow vor.

Verena Edinger bringt endlich Ordnung in den Wust an Lebensdaten der Kaiserin. Die Farbgestaltung ist sicher auch kein Zufall. Alles in zarten Lila- und Rosatönen gehalten. Oder besser gesagt in Veilchenblau. Eine, wenn nicht sogar die Lieblingsfarbe der Kaiserin. In Neapel, wo Sisi eine gewisse Zeit verbrachte, kann man noch an originaler Stelle, unweit des Teatro San Carlo, genau dieses Eis nach Originalrezept genießen. Fensterplatz inklusive, das verstärkt den Sisi-Effekt. Das Rezept dazu gibt’s im Buch. Ebenso die genaue Aufschlüsselung des Energiegehalts anderer Leibspeisen der figurbewussten Kaiserin.

Viel Zahlenwerk. Aber auch eine ansprechende Aufbereitung. Es reicht nicht einfach nur zu sagen, wann Sisi wo war. Das sind Fakten, die man beim Kaffeekränzchen zum Besten geben kann. Das Verhältnis der Verweildauer zur Lebenszeit sprengt manchmal den Rahmen der Vorstellungskraft. Der arme Gatte. Nur ein paar Prozent ihres Lebens durfte er mit ihr verbringen. Bei ihr war es wohl reziprok…

Es ist ein Fest sich durch das Leben in Zahlen der Kaiserin von Österreich Ungarn zu wühlen. Vor, zurück, eine Seite zwischen den Finger einklemmen, um noch mehr Sisi aufnehmen zu können. Dieses Buch liest man nicht wie einen Krimi – Seite für Seite. Hier blättert man herum, nicht gedankenverloren, sondern hochkonzentriert und wissbegierig. Und neugierig, was auf der nächsten Seite lauert.

Es ist das Eine zu erfahren, wer was wann getan hat. Doch die Grafiken in diesem Buch stellen prompt Zusammenhänge her und dar, die man nur als eingefleischter Profi ermitteln kann. Nun wird jeder Nostalgie-Royalist zum Experten. Wenn er es möchte. Von der Bahre bis zum Mythos, von der Reise-Süchtigen bis hin zum Musical-Star, von der Getriebenen zum Opfer eines Anarchisten – Alles Sisi, alles in einem Buch, alles auf einen Blick!