Die meisten Menschen sehen Elend. Viele erkennen es. Ein paar weniger beschreiben es, und widerum noch weniger erheben ihre Stimme. Es ist nur ganz Wenigen vorbehalten wirklich etwas dagegen zu unternehmen. Und die, die Erfolg zu haben versprechen, werden unter Druck gesetzt. Eine ganz kleine Elite lässt sich davon nicht beeindrucken und nicht vom Weg abbringen.
Dick Marty war so einer. Ein Name wie aus einem Superhelden-Comic. Doch im realen Leben hat er das Elend in den illegalen Gefängnissen der CIA in Europa und die unfassbaren Greueltaten während des Balkankrieges aufgedeckt, die Schuldigen angeprangert und so letztendlich zu einer (leider nicht voll umfassenden) Lösung beigetragen. Staatsanwalt, Ständerat in der Schweiz, Mitglied der OSZE-Kommission für Menschenrechte, Europaratabgeordneter – die Liste seiner Funktionen, die auf seinen Visitenkarten stand, ist unendlich. Das organisierte Verbrechen war sein Spezialgebiet.
Als er mit Mitte Siebzig beschließt den mehr als verdienten Ruhestand zu genießen, nach einem Leben unter Dauerbeschuss seiner Widersacher, kann er den Grund des Anrufes sofort einordnen: „Balkan?“. Ja, neue Bedrohung aus dem altbekannten Tätigkeitsfeld. Und eine ernste Bedrohung. Lebensbedrohlich. Von nun an ist nichts mehr wie es war. Sichtbar umkreisen ihn Personenschützer. Ein unbeschwerter Spaziergang mit den Hunden im Wald – unmöglich. Immer ist einer da, der einen und die Umgebung beobachtet. Und das, weil „die Anderen“ mindestens das Gleiche tun.
Es sind die alten Seilschaften, die nach dem Zerfall Jugoslawiens ihre milliardenschweren Schäfchen ins Trockene brachten, und das sogar mit in dem sie Staaten schufen, die unter dem Schutz der USA in Teilschritten demokratische Strukturen. Diese Länder werden diktatorisch geführt, sind aber ein Bollwerk gegen den Machtbereich Russlands. Deswegen der geheime bis offene Schutz durch den großen Bruder von „überm Teich“.
Dick Marty ringt aber auch dieser Situation etwas Positivs ab. Er kann schreiben, seine Erinnerungen für die Nachwelt festhalten, seine Betrachtungen zu Papier bringen. Für „Furchtlose Wahrheiten“ muss man den potentiellen Angreifern nicht dankbar sein. Dick Marty hat nie ein Blatt vor den Mund genommen, sich mit Leuten angelegt, deren Existenz nur allzu gern verschwiegen wird. Dick Marty bekam so die Möglichkeit vielleicht noch intensiver in seinen Gedanken und Papieren zu kramen und mit diesem Buch einen Beleg für die Widerwärtigkeit der dunklen Seite der Politik vorzulegen. Spannend wie ein Krimi, mit Zitaten beispielsweise von Albert Camus verfeinert und mit der Akribie eines unerschrockenen Anklägers zur Höchstform gereift. Ein Muss für alle, die nach den Nachrichten noch weiter denken.