Die Deutschen sind immer noch Reiseweltmeister. Wann immer es Zeit und Geldbeutel zulassen, sind wir gern bereit unsere Euros Händlern, Reiseveranstaltern, Restaurants gegen Service zu überlassen. Wir erkunden die Welt in Frankreich, Ägypten, den USA, Fernost, der Türkei oder Italien.
Wenn wir schon bei oder in Italien sind: Stellen Sie sich vor, Sie hätten jeden Tag zwei neue Gäste. Egal, ob werktags oder sonntags, ob feiertags oder langes Wochenende. Und die stapfen 24 Stunden am Tag durch ihre heimischen Gefilde. Fassen da was an, nehmen dort ein Souvenir. Einzig allein, dass sie bei Ihnen zuhause mehr Geld lassen als anderswo, lässt sie die Situation halbwegs erträglich erscheinen. Und mehr als erscheinen ist es nicht. Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr dasselbe Prozedere. Venedig hat sich in sein Schicksal ergeben. Die Stadt lebt mit und vor allem von den Touristen. Neuerdings können die sogar vom Frühstückstisch aufstehen und direkt, ohne großes Palaver Markusplatz und Dogenpalast erobern. Tonnenweise Tennissocken, den Kopf hoch erhoben gen Selfie-Stick toben sie gemächlich durch die Stadt, die immer noch vom Ruf als romantische Stadt lebt. Sieht so Romantik aus? Was passiert mit dem historischen Erbe, über das die Lagunenstadt zweifelsohne verfügt?
Salvatore Settis sieht Venedig exemplarisch für den Ausverlauf der Kultur. Wenn Touristen aus ihrem wohlverdienten Urlaub zurückkehren und nicht mehr Bilder zeigen, sondern ihre Schnäppchen präsentieren oder meinen, dass zwei Stunden vollkommen ausreichen, um die Kloake Venedig über Gebühr mit ihrer Anwesenheit beehrte haben, dann kann man nicht mehr von einem Kulturerlebnis sprechen. Salvatore Settis beklagt, ja klagt schon fast an, den Ausverkauf der Städte.
Dabei beginnt alles schon uns vor der Haustür. Eine Häuserzeile – vielleicht Jahrhunderte alt – muss Neuem weichen. Wer aufmerksam die Stadtentwicklung egal wo auf der Welt verfolgt hat, weiß schon, welche Läden da als nächstes stehen werden. Eine eigene Identität weicht Konformität. Und dann ist es wirklich egal, ob der Pappbecher mit dem brühend heißen Kaffee, der in Sydney genauso schmeckt wie in Castrop-Rauxel, nun zwischen altehrwürdigen Gemäuern geschlürft wird oder an einem Stehtisch.
„Wenn Venedig stirbt“ – bleiben wir bei der Frage. Dann gibt es anfangs ein Riesengeschrei, doch schon kurze Zeit später werden andere Städte, die jetzt schon in den Startlöchern sitzen, versuchen dessen Platz einzunehmen. Ein kulturelles Erbe ist dann nur noch im Museum zu besichtigen. Und das hat, um überhaupt den Hauch einer Überlebenschance zu haben, einen Museumsshop. Was sollen wir nun machen? Venedig links liegen lassen? Es ignorieren? Nur damit die Venezianer sich in Ruhe mal wieder auf ihr Erbe besinnen können und sich ein neues Marketingkonzept ausdenken. Da ist es schon wieder: Marketing. Neue Märkte erschließen. Es gibt keine endgültige Antwort. Aber Salvatore Settis ist endlich einer, der die richtigen Fragen stellt.