Wassermilch & Spitzenwein

Alles begann so unbeschwert. Sieht man mal von der Aussicht auf ein kleines Verbot ab. Ein herrlicher Sommertag in Berlin. Andrea, ihre jüngere Schwester Gerta und Luise waren baden. Ausgelassene Stimmung unter den jungen Frauen. Ein Tanzlokal lässt die geforderte Heimgehzeit im Handumdrehen vergessen.

Kurze Zeit später: Andrea und Max sind nun ein Paar. Sie haben sich beim Tanzen kennengelernt. Sie hat sich höflich mit ihrem Namen vorgestellt. Anstand hat auch Max. Kein Holterdiepolter sich in eine Affäre stürzen. Dafür sind Sie und Er zu gut erzogen. Und bald stellt sich auch schon Nachwuchs ein. Irene. Irene Bindel. Die Autorin dieses Buches. Da ist die unbeschwerte Zeit auch schon bald vorbei. Max ist Jude. Die Machthaber sehen darin einen Grund ihn zu schikanieren. Plötzensee ist bald schon seine neue Adresse. Händchenhalten im Knast, Bemerkungen über die Haftbedingungen etc. … alles verboten. Sonst …

Das Sonst wird bald zur Realität. Auch als der Krieg zu Ende ist. Es gibt nur noch Mutter und Tochter. Den Vater gibt es nicht mehr. Eine Geschichte von vielen? Inhaltlich sicher Ja. Sprachlich ist diese Biographie ein Juwel. Denn Irene Bindel schafft es trotz der Bitterkeit ihrer Geschichte sich das Positive zu bewahren. Mit jeder Zeile spürt man das gewinnende Lächeln, das sie beim Schreiben ausstrahlt.

Die Sehnsucht nach dem Vater, nicht nach einer Vaterfigur, sondern ganz profan nach einem Vater treibt sie ihr Leben lang um. Auch als sie in Kanada lebt. Der Vater ist immer bei ihr. Aber niemals wirklich da. Kein Händchenhalten, nicht auf den Rücken krabbeln, mit ihm reden, Ratschläge bekommen. All das lernt sie nie kennen. Es gelingt ihr mit dieser Sehnsucht, mit diesem unerfüllbaren Wunsch zu leben.

Schlussendlich ist dieses Buch die Manifestation ihrer Sehnsucht. Es überrascht wie offen und ohne Scheu sie ihr Innenleben nach außen trägt. Ohne dabei Mitleid einzufordern. Oder gar Aufmerksamkeit erheischen zu wollen. Nein, Irene Bindel weiß um ihr Schicksal. Es macht dem einen oder anderen sicher Mut, der Gleiches oder Ähnliches zu verwinden hat. „Wassermilch & Spitzenwein“ lebt von der Zuversicht, dass Leben und leben lassen die Grundessenz für eigenes Vertrauen ist. Immer wieder muss man schlucken, liest man die Erinnerungsbruchstücke von Irenes Mutter von den Besuchen im Gefängnis. Dann wiederum erhellen die privaten Fotos dieses dunkle Kapitel. Eine echte Berg- und Talfahrt der Gefühle!