Wie kann man sich einem Thema heutzutage allgemeinverständlich nähern, dessen Wurzeln weit zurückliegen, das heute noch Früchte trägt – aber eben nur bei einer bestimmten Klientel? Es geht um die Klassik, die klassische Musik. Einem Großteil der Bevölkerung ein Buch mit sieben Siegeln. Der Rest ist entweder borniert und lässt nichts, was danach kam, gelten oder lässt sich von den Popmelodien von anno dazumal in der Werbung dazu hinreißen sich als gebildet, weil Klassikmusik hörend, zu bezeichnen. Denn damals … ja, damals war alles noch handgemacht, echte Musik eben. Aber bei Weitem nicht von jedermann geliebt oder gar geachtet. Vielmehr wurden Beethoven, Schönberg, Brahms, Bruckner, Verdi, Wagner, Mahler und Strauss, der Richard, geächtet. Und wenn nicht sie persönlich, dann ihre Werke.
Wenn am Samstagabend die Glotze stundenlang das dillethantische „Bühnentun“ durch ein einziges Talent-Highlight Vergessen gemacht wird, steigen die Zuschauerquoten und jeder Zuseher wird zum Kunstexperten, weil er der Expertenmeinung das „mega“ unreflektiert abnimmt und nachplappert. Doch wie war das denn vor zweihundert oder hundert Jahren? Ein Skandal wurde tatsächlich auf der Bühne dargeboten, von Künstlern erbracht, die wahrhaft Neues wagten. Der Beweggrund stand im Vordergrund. Nichts liegt Thomas Leibnitz, dem Autor dieses Buches, ferner als Skandale und Verrisse an den Bühnenrand zu treiben, um dem Treiben von damals einmal mehr Feuer zu geben. Die, die sich ohnehin für Klassik interessieren, liefert er faktenreich und ausführlich Hintergrundwissen. Diejenigen, die sich noch nie für Klassik interessierten, ködert er mit dem Titel – vielleicht kommt der Eine oder Andere doch noch zu dem Entschluss, dass Klassik doch nicht so „old school“ ist wie vermutet. Wer jedoch irgendwie noch zwischen „Ach nee“ und „irgendwie bin ich schon daran interessiert, aber…“ schwankt, kommt auf alle Fälle auf seine Kosten. Denn Thomas Leibnitz lässt nicht die Fachleute mit all ihrer Eloquenz und ihrem Fachwissen auftreten, sondern verleiht der zuweilen Schwere die gewisse Eleganz und Leichtigkeit, die der Klassik durchaus zu Eigen gemacht werden kann. Es müssen nicht immer blitzende Nippel sein, um Aufmerksamkeit zu erregen…
„Viel Geschrei, wenig Wolle“ – so wurde Verdis „Sizilianische Vesper“ verrissen. Öd und dürr und wahrhaft trostlos urteilte man über Brahms. Und Beethovens Spätwerk war in den Augen bzw. Ohren (was bei Beethoven nicht eines gewissen Witzes entbehrt) von Ernst Woldemar „abschreckend, geschmacklos und entsetzlich“. Ob es damals schon so was wie einen Shitstorm gegeben hat? Heute würden postwendend tausend Beethoven-Follower dem Kritiker die Klinge an den Hals drücken – verbal und anonym, natürlich.
„Verrisse“ lässt keinen Zweifel aufkommen, dass Musik und Geschmack oft eine unheilige Allianz eingehen. Das war so, das ist so und wird es auch immer bleiben. Die Macht des Wortes ist bis heute ungebrochen. Und genau so sollte man auch dieses Buch annehmen. Acht Musiker – die eingangs Erwähnten – waren Geachtete und Geächtete in einer Person. Wer sich von harter Kritik treffen ließ, in dem zerbrach etwas. Wer unbeeindruckt die Kritiker machen ließ, musste sich nicht minder um den Verlust der Zuhörer sorgen. Was das Buch heute noch interessant und lesbar macht, ist die uneitle Sichtweise des Autors zu den teils heftigen Verrissen der damaligen Zeit. Starke Worte verlieren niemals ihre Wirkung.