Sehnsucht kann man nach Vielem haben. Nach den Kochkünsten der Oma, nach Geborgenheit, nach fernen Ländern. Oder auch vergangenen Zeiten. Den Orten, die man als Kind auskundschaftete. Orten, die man nie gesehen hat, und so wohl auch nie mehr erleben kann. Den Wienern sagt man einen ausgeprägten Hang zur Sehnsucht nach. Todessehnsucht – dieses Wort wird häufig benutzt. Aber eben auch nach dem alten Wien. Sehnsucht nach k. und k., nach Geschichte und Geschichten. Helga Maria Wolf gießt mit ihrem Buch noch Öl ins Feuer der Leidenschaften. Denn Wien ist und bleibt eine Stadt, die man gesehen haben muss. Sie beeindruckt durch ihre Präsenz, die weit in der Weltgeschichte zurückreicht. Kaum auszumalen, wie sich die Stadt präsentieren würde, könnte man sie wie vor hundert oder zweihundert Jahren erkunden.
Mit jedem (Fort-)Schritt wurde die Sehnsucht nach dem Alten, den Traditionen größer – das liegt wohl in der Natur des Menschen. Im ersten Teil führt die Autorin den Leser wohlformuliert in die Mitte des 18. Jahrhunderts. Barocke Pracht und Perspektiven nennt sie eines der ersten Kapitel – da ist jedem klar, dass Wien von jeher Sehnsucht verhieß und sich dem Fortschritt nicht verschloss. Wie eine gefräßige Raupe arbeitet sich der Leser durch die Lektüre. Historische Abbildungen zeigen ein exaktes Bild der Donaumetropole.
Nach dem ersten Viertel werden die ganz großen Geschütze aufgefahren: Eindrucksvolle Bilder mit knappen Texten zeichnen die Entwicklung der mondänen Siedlung am Fluss zu einer modernen Metropole nach. Daumenkino für die ganz großen Momente. Immer wieder weiß Helga Maria Wolf Anekdoten zu erzählen. So Geschichte kann schon mal langweilig werden. Nicht in diesem Buch!
Im Gegenteil: Das Buch beiseitelegen, fällt schwer. Denn mit jeder Seite wächst die Sehnsucht sich zu einer ausgewachsenen Sehsucht aus. Sehsucht nach dem aktuellen Wien. Und sicherlich wächst dann auch die Sehnsucht nach dem alten Wien…