Das Glück auf Erden

Von wegen „Das Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde“! Wenn schon Rücken, dann zwischen zwei Buchrücken. Auch wer sich augenverdrehenden Pferdeschwärmerein bisher verschlossen hat, bekommt nun beim Lesen dieser Reportage-Kollektion feuchte Augen. Denn keine Wendy-Phantasien werden hier befriedigt, sondern die Sehnsucht nach dem Neuen, dem weit Entfernten, der Freiheit die Welt auf traditionelle Weise erkunden zu können.

Stefan Schomann reist durch die Welt. Nicht hoch zu Ross. Doch reist er da hin, wo man es noch tut. Pferde haben seit Menschengedenken eine bedeutende Rolle gespielt. Die Reiterarmeen der Perser, als Nutztiere, um in unwegsamem Gelände ihren Herren die Arbeit abzunehmen odereinfach nur als Fortbewegungsmittel. In manchen Regionen der Erde besitzen Pferde einen höheren Wert als die kostbarsten Juwelen. Von Marokko über Südtirol, Südafrika bis Portugal. Vom Balkan bis in die mongolische Steppe. Von Dülmen bis ins Limousin. So abwechslungsreich die Welt, so vielschichtig die Liebe zu den zahmen, mal wilden, doch immer eleganten Vierbeinern.

„Das Glück auf Erden“ ist mehr als nur ein bloßer Buchtitel, um Assoziationen bei Lese zu wecken. Es handelt tatsächlich vom Glück auf Erden, das für viele nunmal auf den Rücken der Pferde zu finden ist. Keine Jubelarien wie erhaben man sich fühlt über die Köpfe hinweg die Welt erkunden zu können. Es sind journalistische Glanztaten, weil der Autor sämtliche Klischees außen vor lässt und das beschreibt, was er sieht, was ihm erzählt wird. Es kommt ein bisschen Lagerfeuerstimmung auf, wenn von der Eleganz geschwärmt wird, wenn der wahre Pferdeflüsterer aus dem Nähkästchen plaudert, wenn die Weite der Landschaft so greifbar vor einem erscheint, dass man das Pferdegetrappel unterm Gesäß spürt, ohne dabei im Sattel zu sitzen.

Das Buch ist kein Ponyhof, genauso wie das Leben. Aber es könnte so einfach sein, sich die Welt im Trab, im Galopp oder einer anderen Gangart eigen zu machen. Es muss was Wunderbares sein einen Meter über den Anderen zu sich selbst zu finden. Westernromantik auf einem erhöhten Niveau!

Das Badezimmer

Verrückte Zeiten, verrückte Typen – es gab sie immer, es gibt sie immer noch, und es wird sie immer geben. Die Einen sind unfassbar kreativ und produktiv, Andere trotzen dem Älterwerden mit klischeehaftem Jugendwahn. Und dann gibt es die wirklich abgedrehten Typen: Sie steigen in eine Badewanne … und kommen einfach nicht mehr heraus – eindeutig die angenehmsten schrägen Vögel, die unsere Welt und die Literatur zu bieten haben.

So unvermittelt der namenlose Erzähler – eines der Erkennungszeichen von Autor Jean-Philippe Toussaint – in angenehm warmes Nass steigt, so unvermittelt nimmt er postwendend auch wieder am trockenen Alltag teil. Anfangs scheinen die fehlenden Gedankenbrücken zu fehlen. Doch schon bald hat man sich mit dem Badeannenkapitän angefreundet. Sprunghaft ist anders. Vielmehr ist man Teil eines Lebens, das man selbst so nicht leben könnte. Es zu beobachten ist viel interessanter. Wie, wann, was zustande kommt, darf und muss man außeracht lassen (können).

Die titelgebende Badewannensession geht dem Leser ans Zwerchfell. Freunde kommen vorbei und berichten vom Regen. Wasser ist nun wirklich das Einzige, das den Badenden überhaupt nicht interessiert. Es umgibt ihn und seinen Körper vollends. Auch die Mama kommt vorbei. So wie es Mütter nun mal tun, wenn ihre Zöglinge Unfug treiben. Doch statt endloser Tiraden, ist die Welt im und um das Badezimmer herum in Ordnung.

Edmondsson – ein außergewöhnlicher Name für eine Frau – sieht dem Treiben ihres Gatten teilnahmslos, ratlos, aber auch verständnisvoll, oft auch abwesend zu. Dennoch reduziert sie ihre Arbeitszeit, um bei ihm zu sein. Eine echt verrückte Beziehung!

Als der Badewannenhorizont schlussendlich doch ausreichend erforscht ist, das eigene Leben analysiert, die Welt um ihn herum in von ihm gelenkten Bahnen die selbigen zieht, beschließt er ein wenig Unordnung wieder in sein Leben zu lassen. Er verlässt das, was er sich in den gekachelten vier Wänden gerade aufgebaut hat.

Jean-Philippe Toussaint brillierte in seinem Erstling mit der Essenz der ihm zur Verfügung stehenden Sprache. Detektivisch sucht man nach Überflüssigen. Keine Chance! Als Leser wird man zum Weberknecht der Gedanken eines Mannes, der Verrücktes tut, den man jedoch niemals auch nur annähernd als verrückt bezeichnen könnte, wolle man ernst genommen werden. Er ist verrückt, im reinsten Sinne des Wortes: Ver-Rückt.

Rätsel

Oft spricht man bei einer Biographie über ein außergewöhnliches Leben. Feldherren, die mit List und Tücke Tausende in die Schlacht – und den sicheren Tod – schickten. Gewiefte Wissenschaftler, die mit Beharrlichkeit ihrer Idee folgten. Oder Schauspieler, die mit ihrem Wirken die Massen begeisterten. Und dann gibt es Biographien, die wirklich außergewöhnlich sind. Wie die von James Humphrey Morris. Er begleitete Sir Edmond Hilary auf den Mount Everest, zumindest einen großen Teil seines Weges. Doch das ist nicht das Außergewöhnliche. Nein, es ist die Wandlung, die dieser Mann durchmachte, der heute als Jan Morris mit ihrer Frau Elizabeth in Wales lebt. Ja, mit IHRER Frau. Denn aus James Humphrey wurde Jan. Aus dem Mann James Humphrey wurde die Frau Jan.

Es ist ihr bis heute ein Rätsel woher die Neigung kam. Ein Rätsel, das sie gern lösen möchte. Aber dessen Nichtlösung ihr um nichts in der Welt den Weg, den sie einschlug, verhageln könnte. Schon in frühester Kindheit, unter dem Klavier sitzend, wurde James klar, dass es ihm besser tun würde als Mädchen durch die Welt streifen zu können. Im Militärdienst strengte er sich wohl deshalb mehr an als andere, um seinem Geschlecht gerechter zu werden als man es verlangte. Kein übertriebender Ehrgeiz, aber immer eine Portion mehr Engagement in der Hand.

Als Journalist bei Guardian und später bei der Times konnte er sich frei entfalten, beruflich. Er sah die Welt, traf Menschen, nahm an ihren Schicksalen teil. Und er fand die Liebe seines Lebens: Elizabeth. Sie wusste von Anfang an, was in James vor ging. Ein Problem? Kaum, und wenn, nur anfangs.

Im seinen Vierzigern reifte der endgültige Entschluss, dass der Zwiespalt zwischen administrativen und gefühltem Geschlecht nicht mehr hinnehmbar sei. Die Geschlechtsangleichung musste vorgenommen werden, nicht als physischer Akt, sondern als Glücksbringer im weitesten Sinne. Doch dazu musste die Ehe geschieden werden. Schließlich war es in den 70ern in Großbritannien – wie überall auf der Welt – nicht möglich als Frau eine Frau oder als Mann einen Mann zu heiraten. Casablanca war der Ort, der alles verändern sollte. Hier wurde der chirurgische Eingriff vorgenommen. Auch beim Leser stellt sich nach vielen Seiten emotionaler, doch oft auch pragmatischer Gedankengänge, eine emotionale Erlösung ein. Der Schreibstil wird frischer, lebendiger – das Glück der Autorin ist greifbar wie zuvor der ständige Zweifel.

Jan Morris gebührt ein Riesendank dem Publikum eine ehrliche und wirkliche Biographie vorzusetzen. Man taucht ein in eine Welt, die man immer nur von außen betrachten kann, wenn man sich denn überhaupt darauf einlassen will. Einfühlsam, einprägsam, einzigartig.

Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer

Im Laufe eines Lebens sammelt sich in einer Wohnung so allerlei an, dass man einst zusammengetragen hat, um sich einmal deren Herkunft zu noch einmal herbeiführen zu können. Urlaubserinnerungen nennen das die meisten. Das reicht vom Kühlschrankmagneten über kitschige Figuren bis hin zu kleinen Malereien, die nun zeitlebens die Wände schmücken. Achtlos geht man an ihnen vorbei. Doch wären sie nicht da, würde man sie schmerzlich vermissen.

Xavier de Maistre musste Ende des 18. Jahrhunderts nach einem illegalen Duell einmal 42 Tage in Hausarrest verbringen. Für ihn keine Strafe, vielmehr endlich die Möglichkeit sein Habitat zu sichten und im Kopf zu ordnen. Karl-Markus Gauß tut es ihm mehr als zweihundert Jahre später gleich. Er muss nicht das Haus hüten, weder aus gesundheitlichen Gründen noch aus der aus der Mode gekommenen Duell-Bagatelle. Sein Salzburger Domizil ist das, was ihn ausmacht. Oder ist das Domizil ein Spiegelbild seiner selbst? Wie auch immer: Die Reise über die Quadratmeter, durch die Bücherregale, an den Wänden vorbei ist eine Reise durch sein Leben, durch Europa und seine Geschichte.

Karl-Markus Gauß ist Schriftsteller und seine Bibliothek ist enorm. Tausende Bände zieren die Wände und sein Können. Er hat sie nicht alle gelesen, musste sogar aussortieren, weil er sich eingestehen musste, dass es ihm unmöglich sein werde jedes Werk lesen zu können. Verzweiflung? Nicht im Geringsten! Denn die Erinnerungen wie er in ihren Besitz gelangte, reichen vollkommen aus, um selbst Seiten in einem Buch zu füllen.

Dieses Buch ist der Rückblick auf ein Leben, das sich immer noch in einer Aufwärtsbewegung befindet. Den Höhepunkt zwar vor Augen, doch die Entspannung in weiter Ferne. Er berichtet vom familiären Hotel in Meran, von Freunden, die ihm zur Seite standen, von Dingen, die ihm um nichts in  der Welt abzukaufen seien. Und der Leser? Er muss nicht mal anklopfen oder die Klingel betätigen, um im Gauß’schen Wissensschatz kramen zu dürfen. Wie in einem lebendigen Museum schreitet er durch die heiligen Hallen des Wissens und der Vergangenheit, steckt hier und da seine Nase, die ihn eigentlich nichts angehen (der Zimmerherr passt schon auf, dass nichts nach außen dringt, was besser indoor bleibt), blättert in Erinnerungen, die nie so ganz verblassen werden.

So eine Biographie sucht man vergebens auf dem Büchermarkt. Ein einzigartiges Lesevergnügen, dass die Neugier weckt und im Seitentakt befriedigt.

Mainfranken

 

www.michael-mueller-verlag.de, 336 Seiten, 17,90€, ISBN 978-3-95654-369-2

In den meisten Regionen Deutschlands erkennt man schon am Namen, was einen erwartet. Hier hat das Marketing die Deutungshoheit übernommen. Aber Mainfranken? Der Begriff ist den wenigsten bekannt. Zu Unrecht, denn der Bogen, den die großen Touristenströme um diese Ecke Frankens machen, lässt die Region wachsen und unberührt erstrahlen. Autor Hans-Peter Siebenhaar gibt dem Landstrich zwischen Hessen und Bamberg nun bereits zum sechsten Mal ein Gesicht, dem man gern begegnet und mit einem Lächeln gegenübertritt.

Würzburg, Aschaffenburg, Schweinfurt, Steigerwald sind sicherlich die Eckpunkte, die aufhorchen lassen. Mehr als ein „Schon mal gehört“ sind sie die Leuchttürme Mainfrankens. Orte wie Dettelbach beispielsweise hingegen muss man schon finden wollen. Was sich allerdings lohnt. Wallfahrtskirche und Rathaus sind die architektonischen Blickfänge, die kredenzten Gaumenfreuden verstärken die Richtigkeit der Entscheidung für den 7.000-Einwohnerort.

Dass Mainfranken schon in der Geschichte eine Region war, in der man sich gern niederließ und wirkte, zeigen unter anderem auch die farbig unterlegten Infokästen. Tilman Riemenschneider oder auch der Schriftsteller Leonhard Frank lebten und wirkten in Würzburg. Doch spätestens beim Spessart wird auch der letzte Zweifler überzeugt sich intensiver mit Mainfranken auseinander zu setzen. Räuber findet man hier nicht mehr, schon gar nicht singende Raufgesellen. Doch im dichten, dunklen Wald lässt es sich auch ganz angenehm gruseln. Geografisch ist man hier schon im Mainviereck. Wo andere mit Dreiecken aufwarten, legt man hier noch eine Ecke drauf…

„Mainfranken“ entwickelt sich im Laufe des Lesens – ein Reiseband, der durchaus dazu einlädt das Buch wie einen Roman Seite für Seite zu lesen – zu einer Region, die man gern als „Mein Franken“ bezeichnen möchte. So anschaulich und empathisch wurde selten eine Region beschrieben. Dieser Band ist eine kontinuierliche Größe im Bücherregal eines jeden Reiselustigen, der mit aller gegebener Vorsicht, auf Erkundungstour geht.

Hans-Jörg Siebenhaar gelingt mit seinem Wissen und der Liebe zu Mainfranken ein Reiseband mit enormem Detailwissen, gepaart mit uneingeschränkter Nutzbarkeit. Den Beginn eines jeden Kapitels leiten so genannte Lotsenseiten ein. Das heißt, das was wichtig ist, wird kurz dargestellt, und die Seitenangabe ermöglicht den schnellstmöglichen Zugriff. In Sachen Handhabung eine Eins mit Sternchen. Inhaltlich ist dieser Reiseband über Mainfranken unschlagbar!

Der Teufel in der Schublade

Dichtersruh – ein Name wie Donnerhall. Hier zwischen den Giganten der Alpen liegt dieser kleine Ort. Sogar Goethe kehrte hier einst ein als er auf dem Weg gen Italien war. Noch immer ist der Streit, wo er denn nun abgestiegen war, nicht entschieden. Die Möglichkeit, dass er in keinem der heute ansässigen Unterkünften Rast machte, wird mit Konsequenz hinfort gewischt. Außerdem hat der deutsche Dichterfürst ein weiteres Erbe hinterlassen: So ziemlich jeder im Ort, der des Schreibens mächtig ist – was auf jeden zutrifft – fühlt sich berufen zum Schreiben. Klar, wenn Goethe hier war, muss das ja irgendwie abgefärbt haben…

Und so schreibt man das nieder, was sonst nur der Pfarrer zu hören bekommt. Eines Tages – bitte niemals den Goethe und schon gar nicht sein (Haupt)Werk außeracht lassen! – verschlägt es den Verleger Bernhard Fuchs, Dr. Fuchs, in das mehr oder weniger verschlafene Örtchen. Bei solch geballter literarischer Vielfalt muss man hier zumindest absteigen. So wie Goethe. Die Idee von einem Literaturpreis reift schneller als die Fallwinde das Tal erreichen können. Kantonsweit soll der Wettbewerb ausgeschrieben werden. Doch lieber wäre es allen, wenn er innerorts vergeben werden könnte. Auch wenn das den Zwist unter den Schreiberlingen vergrößern würde.

Ein Preisgeld gibt es auch schon. Nicht kleckernde zehntausend Franken winken dem Gewinner. Das Geld ist auch schon auf dem Weg. Versichert der Verleger. Die Bank ist eher eine kleine Bank, unbekannt. Aber das Geld ist unterwegs. Genau wie die Autoren des Ortes. Sie bedrängen den Verleger ihre Texte zu lesen, zu verlegen, preiszukrönen.

Naja es kommt alles anders als erwartet. Der Bürgermeister hat einen Unfall, ein Fuchs ist ihm vors Auto gelaufen. Ein echter Fuchs, nicht Doktor Fuchs. Der Pfarrer stirbt, sein Nachfolger, der sich oft mit Fuchs, also dem Verleger traf, muss nun alles regeln. Als dann auch noch ein Knall das Tal erhellt, bricht für so manchen die heile Welt entzwei.

Ich möcht‘ wissen was die Welt im Innersten zusammenhält. Mephisto hilf! Da hat Goethe was angerichtet! Das setzt er vor zweihundert Jahren das Gericht in die Welt, dass der Teufel immer noch sein Unwesen treibt. Und dass man den Gehörnten nicht auf den ersten Blick erkennt. Und nun steht der Leibhaftige in Dichtersruh seinen Schäfchen gegenüber? Ein köstlicher Spaß mit Schnitzeljagdcharakter. Denn die Geschichte wird aus allerlei Blickwinkeln erzählt. Mit jedem neuen Kapitel muss man sich einnorden auf den jeweiligen Erzähler. Ein teuflischer Plan des Autors!

Fränkische Schweiz

Hier bläst man nicht das Alphorn, hier rollt man das R so schön wie nirgendwo auf der Welt. Hier rauchen nicht nur die Schornsteine, hier raucht‘s auch im Braukessel. Und Rrrricharrrd Wagnerrrr wird hier nicht als Volksdichter verehrt, sondern als der Komponist, der Bayreuth (wieder ein R), der der Stadt einen anhaltenden Besucherstrom beschert.

Doch Spaß beiseite, Franken, die Fränkische Schweiz ist eine Region, in der man getrost zu jeder Jahres-, Tag- und Nachtzeit sich erholen kann. Kaum ein anderer Landstrich ist so gut zu erreichen. Die Berge sind für jedermann zu erklimmen. Die Küche ist für Groß und Klein ein Wohlgenuss. Und trotzdem gibt es noch Ecken, die den Massen verborgen bleiben. Das ist auch gut so. Dennoch wagen Hans-Peter Siebenhaar und Michael Müller den Versuch diese aufzustöbern und dem geneigten Publikum zu präsentieren. Das Ergebnis sind über dreihundert Seiten Fränkische Schweiz, die schon beim Durchblättern Lust auf Schäufele, Rauchbier, Äktschn, tiefes Luftholen – kurzum: Urlaub machen.

Die sechs Kapitel können unterschiedlicher nicht sein. Da ist Bamberg am westlichen Rand der Fränkischen Schweiz, das sich mit seiner prächtigen Architektur nicht verstecken muss. Forchheim und das Walberla hingegen sind schon eher was für Eingeweihte. Ob von Oben als Gleitschirmflieger oder als Erdbuddler mit archäologischer Präzision – wenn eine Region ein Komplettpaket anbieten kann, dann ja wohl hier. Und das gleich um die Ecke. Egal, ob nun ein Virus die Welt in Atem hält oder nicht, muss man hier mindestens einmal im Leben gewesen sein. Noch ein bisschen Geschichte gefällig? 10-19 lautet das Erfolgsgeheimnis des Tales der Wiesent. Zehn Burgen und Schlösser plus neunzehn Mühlen. Solch eine Einleitung gibt es in jedem Kapitel. Kurz und knapp wird Appetit gemacht, was auf einen wartet. Auf den Folgeseiten werden diese Thesen nicht nur erhärtet, sie werden derart anschaulich dargestellt, dass man gar nicht mehr umhin kann als weiterzulesen und den nächsten Urlaub herbeizusehnen.

Als Reisebuchverlag aus Franken gehört es sich auch einen Reiseband im Programm zu haben. Und der Chef packt selbst mit an. Als Autor kulinarischer Unikate („Do schmeckts!“, Teil Eins und Zwei) weiß er wie der Leser nicht nur an den Tisch, sondern in seine Region lockt. Hans-Peter Siebenhaar weiß wie man dorthin kommt. Links und Rechts der zahlreichen beschriebenen Weg finden die beiden Autoren das, was als unverwechselbar die Fränkische Schweiz auszeichnet. Mit kleinen Anekdoten und unterhaltsamen Beiwissen in farbig abgesetzten Kästen, erleichtern sie jedem Reisebuchleser die Lektüre. Da passiert es auch schon mal, dass man mitten im Schwelgen an Franken plötzlich in der Türkei landet. Wie das geht? Besuchen Sie Hollfeld, lesen Sie vorher diesen Reiseband und das entsprechende Kapitel.

Im Fallen lernt die Feder fliegen

Von einer Reise vom Regen in die Traufe zu sprechen, würde dem Schicksal Aidas nicht gerecht werden. Ihre Eltern flohen vor dem Kriege zwischen Iran und Irak in den feindlichen Iran (wo sie in einem Flüchtlingslager geboren wurde) bis sie ihre Reise schlussendlich in der Schweiz in ruhigere Bahnen gelenkt wurde. Sie wuchs hier mit ihrer älteren Schwester auf. Fast schon war die Schweiz so etwas wie Heimat. Fast, denn das ewige Nachhängen des alten Lebens im Irak, was ihre Eltern, besonders ihren Vater, umtreibt, belastet den Alltag.

Der Vater kann und will sich nicht eingliedern. Zu fremd das gastfreundliche Land, das sie aufnahm, aber nach und nach auch Integrationserfolge sehen will. Die Eltern wollen zurück. Denn der Krieg ist vorüber. Die Diktatur Geschichte. Dass dem nicht so ist, davor verschließen sie gedankentreu die Augen. Was soll Aida machen? Sie ist zu klein, um allein in einem letztendlich doch fremden Land zu bleiben. Und außerdem gehört ein Kind zu seinen Eltern!

Vater bestimmt, Mutter folgt, die Kinder haben keine Wahl. Der Irak soll ihnen eine neue Heimat werden. Doch die neue Heimat ist alles andere. Als ihre Schwester unter die Haube soll, ob sie will oder nicht, kreisen die Gedanken nur noch um Eines: Flucht. Wieder einmal. Wieder einmal in die Schweiz.

Doch auch hier wird Aida nicht so glücklich wie sie es in einer richtigen Heimat wäre. Niemand da, dem sie sich anvertrauen kann. Es sind nicht die materiellen Dinge, die sie eine Heimat vermissen lassen. Gespräche, freie Gedanken sprühen in ihrem Kopf herum- Sie beginnt sie aufzuschreiben.

Usama Al Shahmani zündet ein Feuerwerk der leisen Gefühle. Die Aida, die er schuf, reift zu einer Persönlichkeit heran, die so unnahbar ist wie eine Feder im Wind. Sie selbst ist immerwährend auf der Suche. Nach sich, nach Heimat, nach Verbindungen. Sie findet sie nur, wenn sie ihr Leben niederschreibt. Auch ihr Freund dringt nicht vollends zu ihr durch. Aber er ist die Stütze, die sie braucht. Ein erster Pfeiler in einem heimatlichen Boden. In selbigen gerammt vom Schicksal. Unerschütterlich.

Aidas Leben beginnt sich wieder zu drehen. Doch es geht dieses Mal nicht darum, eine Bewegung anzuhalten oder umzukehren, sondern den Weg beizubehalten und mit Würde und Freude beschreiten zu können. Ein endgültiger Zieleinlauf ist nicht absehbar, doch nach den zahlreichen Kurvenläufen, ist die Zielgrade sichtbar.

Ein wunderbar poetischer Roman, der jegliche Klischees einer Flucht außen vor lässt. Was Flucht mit Menschen macht, wird mit sensiblen Worten und nie gekannter Sprachgewalt dargestellt.

Spaghetti al pomodoro

Sie sind die Universalwaffe, wenn der Nachwuchs bei Tische wieder einmal den Aufstand probt: Spaghetti. Mit Tomatensauce hat man die Schlacht automatisch schon gewonnen. Rund um den Erdball sind die dünnen Fäden – ob nun aus Eiern oder Hartweizen hergestellt – der Renner auf den Tellern. Sie waren immer da, sind es bis heute und werden es auch immer bleiben. Den Ruf als globales Mahl wird ihnen keiner streitig machen können. Auch wenn so genannte Fernsehköche (ist das überhaupt ein Ausbildungsberuf? Und wenn ja wie hat er sich im „Spiegel der Zeit“ mit der Erfindung der Flachbildschirme entwickelt?) in so genannten „Kochsendungen für Männer“ den Burger als Synonym für Fleisch als Allheilmittel des lukullischen Aha-Erlebnisses propagieren.

Massimo Montanari taucht hinab in die Tiefen der Geschichte dieses Gerichtes. Woher kommen denn nun eigentlich die Nudeln, die die Welt beherrschen? China? Weil Marco Polo, ein Italiener, eigentlich Venezianer, was zu seiner Zeit noch einen bedeutenden Unterschied ausmachte, im Osten herumschipperte und sie angeblich einschleppte? No. Nudeln wurden schon immer irgendwo auf der Welt hergestellt, wo Weizen angebaut wurde. Die Methode des Trocknens, um sie haltbar zu machen, war ebenso verbreitet, die das Wissen darum, dass, wenn sie in Wasser gekocht werden, sie nicht nur schmackhaft, sondern vor allem auch nahrhaft sind. Auch dem Mythos al dente rückt Montanari auf den Pelz. Stundenlang sollen sie vor Jahrhunderten gekocht worden sein. Nix mit cinque minuti und ab an die Wand klatschen.

Doch zu Pasta gehört – der Titel des Buches verrät es ja bereits – auch eine Sauce. Aus Tomaten. Bringt Farbe ins Spiel. Und Geschmack. Zucker und Zimt waren eine Zeitlang die bevorzugten Zugaben – wenn man das heute Kindern erzählt, ist das Thema gesunde Ernährung auch durch.

Die Tomate kam mit den rückkehrenden Eroberern Amerikas über Spanien auf den Apennin. Selbst die Medici ließen sich mit den roten Früchten, immer noch als Zierde eines jeden Gartens oder generell als Schmuckstück gehandelt, beschenken. Nach und nach wurden dem weißen Teig und der roten Sauce Zutat um Zutat beigefügt. Pfeffer und Käse haben sich bis heute gehalten.

Nun ist es nicht so, dass mit dem Genuss des Buches der Genuss der Pasta im Allgemeinen und der Spaghetti al pomodoro im Speziellen beeinträchtigt wird. So viel Einfluss hat auch der belesene Autor nicht. Doch wenn es bei Tisch darum geht ein bisschen über das Essen zu philosophieren, hat man ein Pfund in der Hand, im Mund, aber garantiert im Kopf, mit dem man wuchern kann. Einfach mal die Worte „lakhsha“ und „risnatu“ in die Runde werfen. Wenn man Glück hat, kann sich unter dem Eindruck des Erstaunens die eine oder andere Nudel mehr vom Teller des Gegenübers klauen. Na, das ist es doch wert, oder?!

Sturm über Hamburg

Kuriere haben es ab und zu mit wirklich sonderbaren Auftraggebern zu tun. Das ist heute fast schon Normalität, im Jahr 1848 darf sich ein junger Mann, der als Kurier auch nicht offen wundern, warum er mitten in der Nacht einen Kupferstich bei einem Kunden abliefern soll. Doch er wird seinen Auftrag nicht vollenden können. Oder doch? Bald schon findet man seine Leiche im Alsterfleet der Hansestadt Hamburg. Titus Heißig von der Polizei fällt nun die ehrenvolle Aufgabe zu dem Toten – soweit möglich – Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Hilfe bekommt er von unerwarteter Seite: Moritz Forck. Gerade mal zwei Jahrzehnt auf dieser Welt, ein Frischling im Handelsgeschäft im Hamburger Hafen. Und doch schon sein zweiter Fall. Autor Jürgen Rath betätigt sich ein weiteres Mal als Arbeitsbeschaffer.

Es ist vor allem die detaillierte Beschreibung der Umstände in dieser Zeit, die „Sturm über Hamburg“ so nachhaltig im Gedächtnis bleibt. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war Europa einem echten Umsturz ausgeliefert. Überall Revolution (fast überall), die Arbeiter streikten, die Arbeitsbedingungen, die Willkür der Staatsmacht, die wackelnde Macht des Adels etc.

Moritz Forck ist nicht mehr der Stift, der für jedermann den Dreck wegräumen muss. Das erledigen nun seine Nachfolger. Er ist sozusagen Azubi im zweiten Lehrjahr. Und zwar – um in der Sprache der Gegenwart zu bleiben – in der Logistikbranche. Wareneingang, Warenausgang – solche Sachen halt. Inklusive Buchhaltung. Wobei hier sein Aufgabenfeld mehr in der Vorbereitung der eigentlichen Arbeit liegt. Wer in seinem Bücherregal vorwiegend Krimis der Gegenwart liest, kommt schnell zu dem Entschluss, dass Telekommunikation für die heutigen Ermittlungen unerlässlich ist. Doch damals, vor mehr als anderthalb Jahrhunderten, war maximal eine Trillerpfeife zur Hand, um behördliche Hilfe herbeizu-, naja „trällern“. Mehr war nicht drin!

Jürgen Raths historischer Kriminalroman ist ein spannender Krimi aus einer spannenden Zeit, der vor allem durch sein hintergrundwissen lebendig wird. Die Hafencity Hamburg, wie sie sich heute gern nennt, war seit jeher ein Ort, in dem Geschichten entstanden, sie bis heute gern erzählt werden. Hier wurde die Welt nicht nur am Laufen gehalten, hier gab man ihr Schwung. So wie Moritz Forck den Ermittlungen im Fall des toten Kuriers Schwung gibt. Er ist kein Naseweis mit altklugen Sprüchen, sondern den Berufsspürnasen immer eine Nasenlänge voraus.