Einskommaneunmilliarden. So in einem Wort geschrieben ist es schon beeindruckend. 1 900 000 000 Kanadische Doller. So viel hat die Regierung des zweitgrößten Landes Autochthonen zugesprochen, die in der Vergangenheit in Internaten untergebracht wurden, wo ihnen ihr indigener Lebensstil vor allem wortwörtlich aus dem Leib geprügelt wurde. Völkermord nennt man das klangvoll und markant. Eine Entschuldigung (zusammen mit der Zusage auf Entschädigung) gab es erst vor ein paar Jahrzehnten. So weit so gut. Doch wie kommen die Berechtigten an ihr – nein, nicht an Gerechtigkeit! – zustehendes Recht? Oft sind ihre Namen aus den Archiven getilgt. Sie wissen nichts von Entschädigung, leben am Ende der Gesellschaft.
Die Anwältin Audrey Duval versucht die Maikan, die Wölfe, wie sie diskreditierend von Nonnen und Mönchen, die den Internaten vorstanden und ihrer Willkür freien Lauf ließen, genannt wurden, aufzuspüren.
Sie findet unter anderem Marie. Sie war eine von mehr als einhundertfünfzigtausend Kindern, die ihren Eltern, ihrer Heimat, ihrer Art zu leben entrissen wurden und in einem der weit über hundert Internate verschwanden. Ihre Sprachen duften sie nicht mehr sprechen. Bei Zuwiderhandlungen drohten Strafen, die nicht nur an Folter erinnern. Es war Folter! Marie ist Alkoholikerin. Das Leben hat sie ausgespuckt auf die Straßen der Provinz Quebec. Hier wird sie auch angespuckt. Der Teufel hat sich ihre Seele schon gesichert. Hoffnung fällt ihr nicht im Leben ein zu buchstabieren.
Michel Jeans Romane erzählen auf eindrucksvolle Art und Weise vom menschenverachtenden Umgang mit Autochtonen, von ihrer Kultur und ihrem harten Kampf ums Überleben. Wenn die Kultur verschwindet, verschwindet der Mensch. Wölfe können beißen. Doch die Maikans haben ihren Biss verloren. Alle Reißzähne wurden ihnen herausgerissen. Nur Audrey Duval kann ihnen teilweise einen Teil ihrer Würde, zumindest aber einen gehörigen teil ihres ihnen zustehenden rechts zurückgeben.
Immer wieder liest und hört man von Völkermord. Ein Wort, das schon so oft verwendet wird, dass man es kaum noch wahrnimmt. Egal, ob in aktuellen Kriegen oder in Reportagen über die Geschichte Europas, Asiens, Afrikas und Amerikas. Dass auch Kanada zu den Übeltätern gehört ist weitgehend unbekannt. Michel Jean ist in seinem Land ein Star. Auch und gerade wegen der Themen, die er in seinen Romanen anspricht. „Maikan“ gehört zu den wichtigsten Büchern, die man lesen muss, um menschliche Abgründe zu erkennen.