Eines gleich vorweg: Wer das alles ernst nimmt, wird mit Schamesröte, Kopfschütteln und einer gehörigen Portion Wut den Roman beiseitelegen. Wer allerdings darin scharfsinnigen Humor, Wortwitz und Hintersinn erkennt, wird mit 100prozentiger Genugtuung den Tag verbringen.
Fanny Kajsman lebt in ihrem Stetl sehr schlecht als recht. Der Vater hat sie zur Schächterin ausgebildet. Vorsicht vor Frauen, die mit dem Messer umgehen könne, will man warnen. Nicht ohne Grund. Und wenn die Person – wie im Falle von Fanny – einen ausgeprägten Starrsinn in sich trägt, dann können diejenigen, die sich ihr den Weg stellen meinen zu müssen, nur noch beten.
Ihr Schwager hat sich aus dem Staub gemacht. Und Fannys Schwester sitzen lassen. Einfach so. Er ist nach Minsk abgehauen. Vom Schwarzen Meer in den kalten Norden – brrr, wegen des Klimas hat er bestimmt nicht diese Entscheidung getroffen. Wie gesagt, Fanny trägt ein ordentliche Portion Starrsinn und mittlerweile auch Wut in sich. Sie packt ihre sieben Sachen und macht sich auf den Schwager zu suchen. Nicht, um ihn zurückzuholen, sondern um Rache zu nehmen – Fannys Rache. Auf ihre eigene Art und Weise. Da wir uns im frühen 20. Jahrhundert befinden, gibt es nicht viele Möglichkeiten gen Minsk „zu reisen“. Linienflüge, feste Busverbindungen, per Anhalter etc. – das gab’s damals noch nicht. Und mit einem gigantischen Messer einfach mal so Grenzen überqueren – ha, das ging nur damals.
Unterwegs sammelt Fanny so allerlei Unrat auf. Einen stummen Fährmann – welch Symbolbild – und die liebe Verwandtschaft. Denn im Russland des frühen 20. Jahrhunderts waren Juden über ganz Europa verteilt. Klar, dass man hier und da immer wieder auf Cousinen und Cousins, Nichten und Neffen etc. trifft. Allesamt nicht gerade vorzeigbar. Günstlinge der Hölle, die geschickt ihre Fähigkeiten und ihre Chuzpe nutzten, um sich einen Vorteil zu verschaffen.
Fanny stapft beseelt von ihrem Vorhaben durch die Weite des russischen Reiches und nimmt keinerlei Rücksicht auf Verluste. Eine weibliche Heldin durch ein Land, das mit, um es vorsichtig auszudrücken, mehr als eine Handvoll Ressentiments gegenüber Juden hegt. Die resolute Art wie Fanny jedwedem Problem entgegentritt und mit dem riesigen Messer im Gepäck, lässt den Leser ein ums andere Mal vor Freude aufjaulen. Man selbst möchte ihr nicht begegnen, ihr bei ihren Begegnungen zuzuschauen, ist ein Fest. Manchmal tut es gut und ist es hilfreich einem Buch einen Stempel aufdrücken zu können. In diesem Fall ist das unmöglich. Das ganze Cover wäre dann voller Stempel. Großartig, witzig, böse, hintersinnig, brutal ehrlich, … die Rose und das Schwert auf dem Cover (keine Anlehnung an die sächsische Asterix-Ausgabe „De Rose und’s Schwärd“) sind mehr als schmückender Kaufanreiz. Wer „Fannys Rache“ nicht liest, dem entgeht eine wortgewaltige und intelligente Erfahrung, die die Gegenwart teils in einem anderen Licht erscheinen lässt.