Wer heutzutage vermeintlich exotische Orte besucht, muss sich der Tatsache stellen, dass er nicht der Erste ist, der das Paradies entdeckt hat. Das ist der Wermutstropfen auf so manchem Spektakel. Vor Jahrhunderten noch, konnte man sich sicher sein eine unentdeckte Insel nach sich oder seinem Gönner benennen zu dürfen. Ein flüchtiger Blick in den Atlas beweist dies auf zigfache Weise.
Reisen waren im 17., 18. und 19. Jahrhundert noch echte Abenteuer, für echte Kerle. Die Rückkehrer, also eigentlich nur die Lenker und Denker dieser Reisen, wurden zu Vorträgen eingeladen und selbst von gekrönten Häuptern hofiert. Was sie mitbrachten von ihren Reisen ist heutzutage Alltag. Man denke nur an die Massen von Schokolade, die die Regale der Supermärkte füllen.
Sir Hans Sloane war so ein Entdecker, der sich um die – bleiben wir beim leckersten Beispiel für frühe Globalisierungsnachweise – Schokolade besondere Verdienste erwarb. Von 1687 bis 1689, vor mehr als dreihundert Jahren!, schipperte er gen Westen. Jamaika war nicht das vorrangige Ziel der Reise des Arztes mit irischen Wurzeln. Die Naturwissenschaften an sich hatten es ihm angetan. Die im Jahr seiner Geburt gegründete Royal Society „zur Verbreitung naturwissenschaftlichen Wissens“ förderte undorganisierte Fahrten in eben diese fremden, weil fernen Welten. Neugier und Wissensdurst, gepaart mit aggressiver Expansionspolitik, wovon die Forscher natürlich nichts wissen wollten, waren der Antrieb. Außer den Pflanzen, und oft auch Tieren brachten die Seefahrer und Forscher unendlich viele Zeichnungen mit, die der staunenden Menge wie der abgeschlagene Kopf des Teufels präsentiert wurden. Das Natural History Museum zu London könnte sich noch so sehr vergrößern, es würden immer noch nicht alle Exponate ausgestellt werden können. Die Archive quellen über vor Forschergeist und künstlerischer Ästhetik.
Dieser Prachtband ist nichts anderes als das „Best of the Best“ der zweidimensionalen Errungenschaften menschlicher Eroberungsgier und einmaligen Forscherdrang. Keine noch so moderne Kamera mit noch so vielen und detailgenauen Filtern kann die Einzigartigkeit der abgebildeten Objekte widergeben! Das Großformat ist die einzig sinngebende Maßeinheit für ein Buch dieser Ausdruckskraft. Jede Faser eines jeden Blattes, jedes noch so kleine „Blütenstäubchen“, jede Facette eines prächtigen Federkleides, ist den Gestaltern verborgen geblieben. Da kann keine Buntstiftkasten und keine 256 Millionen Farben anzeigende Bildersoftware mithalten. Mutter Natur ist und bleibt die einzig wahre Künstlerin. Die Schmetterlinge von Surinam sind durch Maria Sibylla Merians Zeichnungen einem vorher nie gekannten Publikum bekannt geworden. Die Fahrt der „Investigator“ von 1801 bis 1805 mit Matthew Flinders und Ferdinand Bauer an Bord hat die wohl schönsten Pflanzenzeichnungen überhaupt hervorgebracht. Die Küste Australiens wurde erstmals, wenn auch nur unzureichend kartographiert. Die Flora und Fauna war noch wenig erkundet und noch weniger dargestellt worden. Flinders und Bauer macht dem Unwissen ein Ende.
Wer unter anderem ihre detailreichen (doppelseitigen) Zeichnungen auf dem Schoß liegen hat, weiß um die Schönheit der Natur. Und um die Ausdruckskraft, die ein Buch entfalten kann, wenn es mit Liebe zum Detail und dem Drang nach Perfektion gestaltet wird. Hier trifft alles auf einmal zusammen!