Die Liste der Seefahrer Englands bzw. des britischen Empires enthält eine Menge berühmter und berüchtigter Namen. Sir Francis Drake, der geadelte Pirat zum Beispiel. Oder auch William Bligh, der 1962 in alle Ewigkeit auf Zelluloid gebannter Tyrann der Südsee, der nur von einem Helden gestoppt werden konnte, nämlich Marlon Brando. Ha, denkste! Bligh war sicherlich kein zahmer Stubentiger. Aber tyrannisch? Ein ewig Peitsche schwingender Choleriker? Jann M. Witt hat sich den scheinbar komplett erkundeten Charakter noch einmal vorgenommen und Erstaunliches zu Tage gefördert.
William Bligh wuchs nicht gerade mit dem goldenen Löffel im Mund auf. Dennoch: Als Sohn eines Zolloffiziers waren ihm einige Wege auf der Karriereleiter frei zum Erklimmen. Schon damals, Mitte des 18. Jahrhunderts wurde genau Buch geführt. Und so kommt es, dass er, wenn man sich allein nur auf die Zahlen und Aufzeichnungen verlässt, mit sieben Jahren schon auf den Planken, die für ihn einmal die Welt bedeuten sollten, stand. Jann Witt ist aber nicht so zahlengläubig, und schenkt diesen Aufzeichnungen wenig Beachtung – es machte sich halt gut im Lebenslauf, wenn man schon ein paar Jahre Seemannserfahrung aufweisen konnte, bevor man in See stach. Young Willy – nein, so respektlos wollen wir nicht sein – der junge William Bligh überzeugte schon früh mit mathematischer Begabung. Navigation im 18. Jahrhundert war vor allem ein Glücksspiel. Seine Berechnungen waren außerordentlich gut für die Zeit. Dennoch wurde er bei Beförderungen wegen mangelnder Förderer stets übergangen.
Als er unter James Cook, dem großen Entdecker zur See fährt, wittert er Morgenluft. Das könnte seine große Chance werden. Doch auch Cook streicht zu früh die Segel. Bligh muss weiterhin für seinen Ruhm kämpfen. Ein erster Schritt ist die Heirat mit der richtigen Frau. Sein Schweigervater öffnet dem jungen Offizier durch Geld und Einfluss so manche Tür. Bis Bligh eines Tages die „Bounty“ in die Hände bekommt.
Die Geschichte ist hinreichend bekannt. Die eigentliche Leistung, die im Film nicht so recht rüberkommt, ist die Tatsache, dass der gewiefte Seefuchs Bligh mit spärlichsten Mitteln sich und seine klein Crew sicher übers unendliche Meer manövrierte. Fletcher Christian, der Anführer der Meuterer, ist wohl der eigentliche Tyrann gewesen. Verarmter Adel und eine antiquierte, sture noblesse oblige sind eine gefährlich Mischung.
Jann M. Witt rückt die Welt der Seebären wieder gerade. Bereits nach einem Drittel des Buches weiß man mehr über Bligh als in 178 Minuten Zelluloid-Hollywood-Heldenwahn. Wem Trevor Howards Darstellung den Mund wässrig gemacht hat (Autor Jann M. Witt ging es jedenfalls so), der wird in diesem Buch oft eines Besseren belehrt, zumindest jedoch mit der ungeschönten Wahrheit konfrontiert. Mit diesem Buch geht kein Kinofan wie eine bleierne Ente unter.