Jeder weiß, wo er war als in New York die Flugzeuge ins World Trade Center krachten. Jeder weiß, wo er war als die Mauer fiel. Und ein sehr großer Teil weiß noch sehr genau, was er dachte als ihn die Nachricht vom Tod David Bowies erreichte. Unmöglich! Erst das neue Album, das das Blut einmal mehr zum Kochen bringt, und nun ist alles eingetreten, was er selbst prophezeit hatte? Wie weit kann ein Künstlerleben reichen? Was nun?
Bowie lebt! Er wird immer weiterleben! Sei es in den Shows von Sven Ratzke, die weltweit das Werk und Wirken von David Bowie einem geschmackvollen Publikum wach halten oder mit diesem Prachtband die Wandlungsfähigkeit eines Kunstfertigen und Geschäftstüchtigen nachhaltig konservieren.
„David Bowie Foto“ ist nicht mehr und vor allem nicht weniger als das, was der Titel verspricht und eben auch hält. Ein neunundsechzig Jahre und zwei Tage anhaltendes Leben für die und als Kunst. Rock, Funk, Soul, Triphop – Pop als Spielart des Seins. Ohne Bowie wäre die Kunstwelt eine andere. Oft wird behauptet, wenn es den Einen nicht gegeben hätte, wäre ein Anderer in die Presche gesprungen. Bowie hat keine Lücke gefüllt, er hat sie aufgetan und hat sich in ihr breit gemacht bis sie zu zerbersten drohte. Dann schlug er die nächste Kerbe ins jungfräuliche Fleisch der Kunst. Das blieb nicht ohne Folgen. Wer heute mit Extravaganz auf sich aufmerksam machen will, muss sich unweigerlich mit dem Vergleich mit Bowie gefallen lassen.
Bei einem derartig umfassenden Kunstwerk wie David Bowie ist es nicht verwunderlich, dass er selbst zum Kunstobjekt anderer Künstler wurde. Oft engagierte David Bowie Künstler, die ihn ins rechte Licht setzen sollten. Die Posen hatte er meist schon geübt, bevor der vor die Linse trat. Nachdenklich, ernst, verspielt, traurig, ironisch, doch immer ikonisch. Es muss ein Fest für jeden Fotografen gewesen sein, einmal David Bowie bei der Arbeit, bei der Selbstinszenierung beistehen zu dürfen. Modefotografen wie Norman Parkinson sind sicherlich Kummer mit den Models bekannt. Die Kunst besteht darin, die Unwegbarkeiten unsichtbar zu machen. Bowie in Szene zu setzen, muss sich dagegen anfühlen wie eine Straßenüberquerung an einem autofreien Sonntag. Ob gestellte Pose oder Schnappschuss bei einem Konzert: Würde es den Begriff „bella figura“ nicht schon geben, hätte Bowie auch dafür ein eingetragenes Markenzeichen für sich in Anspruch nehmen können.
Fotografie-Ikonen wie Greg Gorman schwärmten schon vor ihrer Zusammenarbeit mit Bowie von dem kreativen Genie. Die Aussicht den Thin White Duke und Ziggy Stardust samt realem Bowie vor die Linse zu bekommen, machte selbst ihn nervös, wie er in seiner Erinnerung an David Bowie einräumt.
Es gibt Fotobände, auch über David Bowie, die kurz nach seinem Tod marktschreierisch auf den Markt geworfen wurden, und als Almanach durchaus ihre Berechtigung haben. Doch sie werden nicht annähernd dem Mythos David Bowie gerecht. Mit diesem Buch gelingt es erstmals – immerhin hat es über fünf Jahre gedauert – Bowies Schlaglicht nicht in einem Schatten enden zu lassen, sondern ihm noch mehr Spotlight zu gewähren als er selbst schon ausstrahlt. Bowie ist Kunst, und Kunst ist Bowie. Wer jetzt schon die ersten Weihnachtsgeschenke besorgen möchte, hat Nummer Eins schon erledigt. Denn dieses Buch stellt man nicht einfach ins Regal „zu den anderen Büchern“. Man schlägt jeden Tag eine Seite auf und schwelgt in Erinnerungen.