Archiv der Kategorie: aus-erlesen USA

Hüte Dich vor der Frau

Jacy und Jed – so typisch amerikanisch wie Kaugummi und Cola. Ihr Trip zu Jeds Vater nach Michigan lässt ihn nachdenklich werden, sie, Jacy, ist voller Vorfreude. Endlich lernt sie Doktor Ash kennen. Sie will es so, er will es so. Noch bevor das Baby da ist. Jed legt seine Hand auf ihren Bauch. Jacy weiß, dass alles richtig ist, wie es ist. Doch dann – am Ende eines jeden Kapitels, manchmal auch mittendrin – dieser leise Zweifel, nur wenige Worte. Ah, es ist zum Haareraufen! Megan Abbott spielt mit dem Leser wie ein Kleinkind mit Murmeln. Diese kleinen Nadelstiche, die Frauen setzen, um …

Doktor Ash ist eine Offenbarung, findet Jacy. Freundlich, ruhig, besonnen, ein wenig unbeholfen in romantischen Dingen. Doch Jed ist ganz gut geraten – darin sind sich der Doc und Jacy einig. Der Ausflug hat sich gelohnt. Alles wird gut. In Eden gibt es kein Wider. So vergehen die Tage und die Nächte. Jeds Zärtlichkeiten, die Ruhe, die von Doktor Ash ausgeht – alles perfekt. Mars. Brandt die Haushälterin – ja, die kann Jacy nicht einschätzen. Die ist da, wenn sie d sein muss. Und weg, wenn sie man in Ruhe gelassen werden soll.

Den Familiengeschichten lauscht Jacy so konzentriert wie ein kleines Kind, das vor dem Weihnachtsbaum sitzt. Jeds Mom starb bei seiner Geburt. Was den Doc den Job an den Nagel hängen ließ. Umso herzlicher ist die Stimmung nun, wenn alle zusammen sind. Tags und bei Nacht.

Als plötzliche Blutungen bei Jacy einsetzen, ist es vorbei mit der Idylle. Die Luft schmeckt anders. Der See liegt nicht mehr so ruhig. Irgendwie ist die Stimmung gekippt. Mrs. Brandts unaufdringliche Art weicht einer mystischen, angsterfüllten Stimmung. Jacy fühlt sich mit einem Mal überhaupt nicht mehr geborgen. Die Holzhütte, die Doktor Ash so liebevoll, so geschmackvoll eingerichtet hat, erdrückt Jacy von Stunden zu Stunde mehr. Sind es anfangs nur kleine Wortfetzen, die Jacy aufhorchen lassen, sind es bald schon ganze Sätze, die Jacy an allem zweifeln lassen, was bisher als normal erschien. Die Warnungen der Mutter, Weisheiten aus dem Abfalleimer einer Enttäuschten, leuchten wie grelle Warnschilder am Highway des Lebens.

Megan Abbott lässt es einmal mehr krachen. Wie eine zärtliche Mutter nimmt sie den Leser an die Hand, um ihn dann mit teuflischer Vehemenz in den Abgrund zu stoßen. Bauchkribbeln wie in der Achterbahn ist da noch das angenehmste Gefühl. Die Palette an Abgründe ist schier unendlich beladen. Und immer fällt ein Stück herunter, mitten in den Schoß der ungläubigen Jacy. Wer ist hier noch frei von Lug und Trug? Wem kann man hier überhaupt noch trauen?

Pura Vida

Wer sich mit Geschichte auseinandersetzte, begegnet auf seiner Reise so manchem Revolutionär. Che Guevara gehört sicher zu den bekanntesten. Tito sagt dem Einen oder Anderen immer noch etwas. Aber William Walker? Who the f*** ist his guy?! Wahrscheinlich liegt es daran, dass in unserem Teil der Welt Lateinamerika nur als letztes Paradies für backpacker gilt und die Geschichte nur in ganz groben Zügen bekannt ist. Verdichtet man sein Blickfeld dann auch noch auf Nicaragua, wird’s eng mit dem Wissen um die Geschichte. So ziemlich die letzten Bilder aus dem Land hat man aus Rückblicken auf das Wendejahr 1989 als im Palast der Republik in Berlin Erich Honecker mit „befreundeten Staatsoberhäuptern“ den 40. Jahrestag der Gründung der DDR feierte. Da saß Daniel Ortega, Präsident Nicaraguas mit am Tisch. Zusammen mit Ceaucescu und anderen … kurzum mehrmals lebenslänglich – wenn man es satirisch betrachten möchte.

Patrick Deville hat sich in „Pura Vida“ nun dieses Land als Tummelplatz für seinen Roman ausgesucht. Als erfahrener, unfassbar umfangreich belesener Historiker ist ihm William Walker nicht unbekannt. Und nach der Lektüre dieses Buch ist er vielen Anderen ein fast schon vertrauter Revolutionär … mit einem fast schon logischen Schicksal.

Wir befinden uns in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Und William Walker hat mittlerweile Medizin studiert, lebte in Paris, studierte in Heidelberg. Als Junge aus Nashville/Tennessee wäre hundert Jahre später wahrscheinlich Rockstar geworden. Aber als Junge aus Nashville/Tennessee, der im Frühjahr 1824 das Licht der Welt erblickte, wurde er … Freibeuter. Anwalt war er auch noch. Lateinamerika sollte von weißen Nordamerikanern beherrscht werden. Protektion aus Washington war vorhanden.

Die große Stunde schlug 1855/56 als in Nicaragua Bürgerkrieg herrschte. Kriegs- und Herrschererfahrung hatte Walker da schon zur Genüge gesammelt. Mit einem Mal war William Walker, der Junge aus Nashville/Tennessee Präsident von Nicaragua. Doch der Ruhm stieg ihm zu Kopf. Die Widrigkeiten – in Form von in seinen Augen unerfüllbaren Forderungen seiner einstigen Beschützer aus Washington – machten ihm das Leben schwer. Die Regierung zerbrach – Walker war Freiwild. Honduras war sein Schicksal, dessen Regierung Vollstrecker. Walker wurde hingerichtet. Zugegeben eine sehr verknappte Zusammenfassung dieses einzigartigen Buches. Patrick Deville nimmt sich auf über dreihundert Seiten Zeit eine Sinfonie aus Hoffnung, Tatendrang und Illusion zu erschaffen. Ab der ersten Seite wähnt man sich am Ort des Geschehens. Deville zweifelt nicht – er gibt der Geschichte den Spielraum, den sie benötigt. Wo Fakten fehlen, spekuliert er nicht wahllos, sondern lässt die Umstände eine Welt erschaffen, die genau so gewesen sein muss. So wie das echte leben!

1000 places to see before You die

Im Leben gibt es unzählige Listen, die man erstellt. An die meisten hält man sich, wie den Einkaufszettel. Andere hingegen dienen – so meint man – der eigenen Beruhigung etwas zumindest in Planung zu haben. Meist gehen diese Listen irgendwann den Weg in den Abfall. Und dann wiederum gibt es Listen, die sind so dick, weil gehaltvoll, die werden niemals ihre Anziehungskraft verlieren. Bucketlist nennt man das.

Und so eine liegt in diesem Fall einmal mehr vor. Tausend Orte, die man besuchen muss bevor man es nicht mehr kann. Unmöglich? Schon möglich. Aber genauso möglich ist es tausend Orte zu bereisen. Doch wo anfangen? Hier kommt dieses Monster an Ideen, Ratgebern, Tipps, Tritten in den Allerwertesten ins Spiel. Von nun an gibt es keine Ausreden mehr! Der Anfang ist gemacht. Und der erste Schritt ist bekanntlich der erste von vielen, die noch folgen werden. Und wenn man schon mal angefangen hat…

… dann auf zum Lac d’Annecy oder nach Riga. Am besten mit einem Abstecher zu den Stränden Goas in Indien oder Sanibel und Captiva vor Florida. Oder der größten Sandinsel der Welt, Fraser Island in Australien. Zu ruhig? Dann hilft eine Shopping- oder Sightseeingtour über die quirligen Märkte von Saigon.

Man muss das Buch nur in die Hand nehmen und ein wenig darin blättern. Und schon hat man Reisefieber. Und eine Reisefibel auf dem Schoß. Klar gegliedert nach Kontinenten und Ländern. Ganz Mutige nehmen diesen Schmöker als festen Reiseplan – viel Spaß beim Urlaubsantrag ausfüllen: „Chef ich bin dann mal weg. Wenn ich das Buch abgearbeitet habe, komme ich wieder. Bis in … Jahren!“. Die Vorstellung ist doch schon sehr verlockend.

Ein Sinnes-Overkill ist garantiert. Berge, Täler, Strände, Stadtzentren, Architektur, Naturwunder, über und unter Wasser, Aussichtspunkte, Absteige wie Kletterpartien – wer hier nicht fündig wird, der hat entweder schon alles gesehen (was fast unmöglich scheint) oder will einfach nicht. Man kann dieses – nein, man sollte – dieses Buch als niemals versiegende Inspirationsquelle sich regelmäßig aus dem Regal nehmen. Reisen bildet. Lesen macht Appetit. Bei 1220 Seiten kann man sich niemals satt sehen und inspirieren lassen. Es gibt immer wieder Neues zu entdecken. Heute hier, morgen da. Der Sehnsucht einfach mal Futter geben. Sich selbst austesten, was alles möglich sein kann. Schon allein dafür lohnt sich ein Blick in diesen Schmöker.

Ladies‘ Lunch

Ruth, Bridget, Farah, Lotte und Bessie sind wie die funkelnden Diamanten, die ihre Finger zieren müssten. Sie alle haben einiges erlebt. Vertreibung, Verlust, Verheißung, aber auch das hohe Lied auf das Leben gesungen und selbiges genießen können. Und sie haben Lebenserfahrung. Wenn sie sich einmal im Monat zum Lunch treffen, sitzt da ein knappes halbes Jahrtausend an Lebenserfahrung am Tisch. Nicht immer sind sie zu fünft. Aber immer gibt es etwas zu bequatschen, zu tratschen – in der Regel folgen sie einem Thema. Ja, die fünf rüstigen Damen geben sich immer ein Thema vor, treffen sich bei einer der Damen und erzählen. Ganz ohne Hektik, ohne übertriebene Hast, voller Freude sich zu sehen. Die grauen Zellen funktionieren bestens.

Es sind Kurzgeschichten, die Lore Segal in „Ladies’ lunch“ (hier muss der Apostroph stehen!) so geistreich zu Papier gebracht hat. Sie ist eine Meisterin darin, das Offensichtliche so knapp wie möglich zu halten, das Interessante hervorzuheben und das Unwesentliche mit unsichtbaren Buchstaben im Raum verschwinden zu lassen. Das Quintett ist weit entfernt von einer Clique garstiger Alter, die nur die Vergangenheit glorifizieren.

Sie sind sich bewusst, dass jedes Zusammensein ein besonderer Anlass ist. Sie hatten und haben immer noch ihre Problemchen, untereinander, mit der Welt, mit der Pflegekraft … mit allem, was das Leben bereithält. Doch ihr loser Zusammenhalt ist der stärkste Kitt der Welt! Nichts und niemand kann sie trennen. Sie reden offen und ehrlich miteinander. Ihr Humor ist grenzenlos und einzigartig.

Kurzgeschichten zu schreiben ist eine Kunst. Exzellente Kurzgeschichten zu schreiben, ist ein Glücksgriff. Lore Segal – selbst im magischen Alter ihrer Protagonistinnen – ist der Glückspilz, der die Kunst der Kurzgeschichten zur Perfektion erhebt. Hier passieren keine sonderbaren Dinge, die im Film mit allerlei Effekten in Szene gesetzt werden. So wunderbar (oh je, Lore Segal mag dieses Wort nicht!) normal gleiten die Worte über die Augen zum Herzen des Lesers. Kleine Weisheiten, kuriose Abenteuer, liebevolle Erinnerungen – das sind die Zutaten dieser Geschichtensammlung. Vielleicht kennt der Eine oder Andere Damen mit ähnlich bewegter Geschichte und ihre Geschichten, aber sie werden niemals so eindrucksvoll in Szene gesetzt wie beim „Ladies’ lunch“!

Sonny Boy

Seit über einem halben Jahrhundert rätselt die Filmwelt wer, wenn nicht dieser eine Al Pacino könnte diese Rolle sonst noch formatfüllend spielen. Und seitdem lautet die Antwort: Niemand!

Kaum vorzustellen, dass dieser Leinwandgigant einmal die Hosen voll hatte und daran zweifelte, dass der eingeschlagene Weg Schauspieler zu werden eine Sackgasse sei. Marlon Brando, James Dean und Montgomery Clift – deren Talent konnte er einordnen. Aber als Dustin Hofmann in „Die Reifeprüfung“ ins Kino kam, war der junge Al Pacino eingeschüchtert. Zu diesem Zeitpunkt ist die Revolution in Hollywood im vollen Gange. Der Umbruch ist state of the art. Und Al Pacino aus der South Bronx, den seine Mutter von im Alter von drei Jahren mit ins Kino nahm, quält sich durch den Schauspielunterricht. Sein Lehrer ist schockiert wegen seiner Darstellungen im Unterricht. Kommilitonen sind begeistert. Wem soll er mehr Beachtung schenken?

Die Geschichte lehrt den Zuschauer, Regisseure und Produzenten, dass das Gelernte nur einen Teil des Schauspielers ausmacht. Als Schauspieler muss man selbst seinen Weg finden. Und sich finden lassen. Wer die Probeaufnahmen zu „Der Pate“ mit Diane Keaton gesehen hat, ist verblüfft. Dieses Milchgesicht soll einmal der rigoroseste Gangster der Filmgeschichte werden? Ja! Und niemand sonst hätte es so darstellen können.

Kurze Zeit später ist dieses Milchgesicht ein desillusionierter Cop mit Rauschebart, der der Korruption in den eigenen Reihen bedingungslos den Kampf ansagt. Dann ist er ein Bankräuber, der seinem Freund mit der erhofften Beute eine Geschlechtsumwandlung bezahlen will. Alles von nur einem Menschen verkörpert. Und wiederum die niederschmetternde Erkenntnis: Das kann nur einer spielen – Al Pacino!

Den Namen Sonny Boy bekam der kleine Al von seiner Mutter. Angelehnt an einen Schlager der Zeit. „Sonny Boy“ ist (s)eine Reminiszenz an (s)ein Leben, dass mit stotterndem Motor begann, doch mit Rasanz eine Fortsetzung fand, die niemand erahnen konnte. Er setzte sich gegen scheinbar unbesiegbare Heroen der Leinwand durch, stieg binnen weniger Jahre zu einem gottgleichen Titanen auf und verschwand immer wieder mal gern in der Versenkung, um seine eigenen Projekte in die Tat umzusetzen.

Ohne großartig Schlaglichter zu setzen blickt in diesem Buch ein Mann auf sein Leben zurück, dass einzigartig ist. Ruhig und besonnen, mit der Milde und der Weisheit des Alters, reist Al Pacino mit dem Leser durch mehr als ein halbes Jahrhundert Lebens- und Filmgeschichte. Anekdotenreich und mit dem Willen alles zu erzählen. Für Fans das lang ersehnte Glück, für Biographieleser eine Offenbarung.

Wage es nur!

Man muss ja nicht immer gleich das Schlimmste annehmen. Doch wenn die eigene kleine Welt ins Wanken gerät – und sei es nur im eigenen kleinen Hirn – muss man vorsichtshalber schon mal die Messer wetzen.

So sieht es zumindest Beth Cassidy. Sie ist die Top-Cheerleader an der Sutton Grove High. Auf der Pyramide aus eingefrorenem Lächeln, bunten glitzernden Pailletten und befreiendem Whooo-Rufen steht sie ganz oben. In jeder Hinsicht. Beth sagt, alle (!) Anderen kuschen. Besonders Addy, Addy Faddy. Sie ist Beth fast schon verfallen. Sie gibt ihr Halt – beim Cheerleading ist es umgekehrt…

Eine Tages steht Colette French auf der Matte. Die neue Trainerin der Cheerleader. Trillerpfeife und – das sieht man schon, das sehen alle – eine ausgebuffte Ex-Cheeleaderin. Und sie ist streng. Strenger als ihre Vorgängerin, die nun ihre Rolle als fürsorgliche Mutter ihrer Teenager-Tochter mit Mutterrolle wahrnimmt. Es geht richtig zur Sache. Militärischer Drill ist angesagt. Trödeleien gibt es nicht mehr. Und siehe da: Das Team wird besser, stärker, selbstbewusster. Nur Beth ist irgendwie so gar nicht begeistert von der Neuen. Beths Hauptrolle als unbestrittene number one wackelt gehörig.

Und dabei ist Colette French eigentlich gar nicht das alles fressende Monster. Sie ist professionell und liebenswert. Wer ihr die Harke vor die Füße wirft, dem tut sie nicht den Gefallen drauf zu treten und sich das Gesicht zu ruinieren. Doch Beth sieht das anders. Ganz anders. Sie muss was tun. Sie wird was tun.

Bis es soweit ist, wirft Autorin Megan Abbott ist ihr ganzes Können ihr die Waagschale, um dem Leser auf rund dreihundert Seiten die ganze Kunst der schleierhaften Spannung durch die Adern rauschen zu lassen. Man weiß, dass etwas passiert. Sogar was passiert ist klar – steht ja schließlich auf den ersten beiden Seiten. Wie es dazu kam, und was dieses ETWAS nun genau ist, das baut sich Kapitel für Kapitel, Seite für Seite, Absatz für Absatz langsam auf.

Der Ort ist so typisch Highschool-Amerika, dass es fast schon weh tut. Chocolate-Chip-Cookies, Wodka, Einkaufen am Honeycutt Drive, lässig über die Schulter hängende Collegejacken, Schmollmund – eine Setting wie in einem Teenagerfilm, der am Sonntagnachmittag die Sonne da draußen vergessen lässt. Doch hier brodelt es gewaltig im Kessel der Eitelkeiten. Das Blut spritzt erstmal nur als Galle, die die Zunge tröpfchenweise verlässt. Der bittere Geschmack bleibt jedoch haften. Und irgendwann … es bedarf nur eines kleinen Funken … wage es bloß nicht! Allein schon der Gedanke an Megan Abbotts nächsten Streich lässt die Hände zittern, die diesen noir in den Händen halten. By the way: Männer sind hier nur Staffage.

Ein Haus, ein Stuhl, ein Auto

Erst der Bauch, dann die Moral. So hat es Brecht formuliert. Ihm selbst waren ein behagliches Dach überm Kopf, ein bequemer Stuhl und ein rasanter fahrbarer Untersatz nicht unwichtig. Er wusste sein Geld gut anzulegen, in Immobilien. Da kam wohl der Schwabe in ihm durch…

Ursula Muscheler geht seinem Drang nach Gemütlichkeit, Behaglichkeit und Bequemlichkeit (im physischen Sinne) auf den Grund. Schon in Kindertagen konnte er sich in der elterlichen Wohnung austoben. Die Wohnung war groß genug. Als erfolgreicher Autor im Berlin der 20er Jahre schuf Helene Weigel in der Babelsberger Straße ein Heim zum Wohlfühlen, sein Atelier in der Spichernstraße war ein gemütlicher Ort der Kreativität.

„Ein Haus, ein Stuhl, ein Auto“ lässt Stationen Brechts noch einmal aufblitzen, dieses Mal aber mit dem Sucher der Architektur. Bertolt Brecht ließ sich gern von Designern beraten und sie ihm seine Behausung einrichten. Mogens Voltelen, dänischer Designer, schuf den einen Typ Stuhl, der Brecht lange Zeit begleitete. Heute ist er in der Berliner Chausseestraße 125, dem Brecht-Haus zu bestaunen.

Stil hatte er, der große Dichter, der dem Arbeiter ein Theater gab, und deren Nähe er nun wirklich nicht gerade suchte. Er war Künstler und als solcher wollte er auch alle Annehmlichkeiten genießen. Im Buch reist man mit Brecht noch einmal um die Welt. Während Brecht reisen bzw. fliehen musste, hat der Leser die Chance ganz freiwillig um den Erdball zu kreisen.

Es ist erstaunlich wie oft schon über den Einrichtungsstil Brechts berichtet wurde. Und warum so wenig bisher darüber geschrieben wurde.

Ursula Muscheler macht einen Rundgang durch die Wohnungen, Ateliers und Häuser Bertolt Brechts. Von Augsburg über Berlin, von Südfrankreich ins sonnige Kalifornien und wieder zurück nach Berlin und Skandinavien. Fast so rasant wie der Dichter selbst.

Ein Autonarr war er nicht. Aber wenn er Auto fuhr, dann sportlich. Manchmal übers Ziel hinausschießend. Und er wusste wie er sich ein Auto verdiente. Nur ein paar Zeilen, den Auto-Song, blanke Werbung und schon stand ein Steyr-Cabriolet XII, sein Traumwagen vor der Tür. Nichts Übertriebenes, aber ausreichend, um damit einen Unfall zu bauen, die Knautschzone ein weiteres mal herauszuheben und im Gegenzug ein XX-Modell zu bekommen. Der machte schon mehr her.

Es geht in diesem Buch nun aber nicht darum wie Bertolt Brecht sich seinen Lebensstil ergatterte. Man erhält einen derart umfassenden Einblick in die Lebenswelt eines der erfolgreichsten deutschen Dichter überhaupt. Und mal ehrlich: Der Blick durchs Schlüsselloch ist immer noch der Beste.

Primat des Überlebens

Jake Bishop hat die dunklen Zeiten und Seiten hinter sich gelassen. Den Knast will und wird er niemals wieder von innen sehen. Das hat er sich und seiner Frau Paris geschworen. Ein Friseursalon soll mehr als nur der materielle Beweis für seine Wandlung sein. Der american dream wird aber durch das Auftauchen seines einstigen Zellengenossen Walker auf den schmalen Grat der Vernunft geführt. Ein letztes Ding – das sei er ihm schuldig. Ein Juwelenraub soll es werden. Ein Desaster droht es zu werden. Denn im Hintergrund lauern weitaus größere Gefahren als Jake Bishop es sich hätte vorstellen können. So sieht der perfekte Plot eines perfekten Noir-Romans aus. Und Les Edgerton ist der ideale Schreibzeuge dieser story. Denn auch er saß zwei Jahre in Pendleton Reformatory ein. Er entkam den Versuchungen danach. Und er weiß welche Fallstricke „da draußen“ auf die stigmatisierten Ex-Knackis warten können…

Jake lässt sich breitschlagen und trifft sich mit Walker. Ein Treffen zweier Freunde nach vier Jahre der Stille ist es nicht gerade. In einer Bar entspinnt sich ein Gespräch, das von Entschlossenheit und Vorsicht geprägt ist. Jake ist fest entschlossen sich nicht von Walker einlullen zu lassen. Er vermutet richtig, dass sein Gegenüber ihn in etwas hineinziehen will, das ihm – Jake – ein für allemal aus dem Verkehr ziehen würde. Und Walker ist fest entschlossen nur die Karten aufzudecken, die er auch wirklich zeigen will. Die Wortwahl lässt keine Zweifel über. Hunderttausend für Jake, hunderttausend für Walker. Keine Alarmanlage. Alles ganz easy! Doch Jake bleibt hart. Bis … ja, bis Walker den Joker zückt, das Totschlagargument bringt.

Dass von nun an nichts mehr so ist wie es mal war, wie es sein soll, wie Jake sich seine Zukunft vorgestellt hat, ist sonnenklar. Der Weg ist das Ziel, besagt ein asiatisches Sprichwort. Doch dieser Weg ist so steinig und voller Fallen, dass sich Jake bald im falschen Film wähnt. Nichts ist mehr wie es einmal war. Außer vor vielen Jahren. Und da wanderte Jake zum ersten, später zum zweiten Mal ein. Das dritte Mal wäre dann das dritte und letzte Mal. Die Zukunft mit Paris und dem Friseursalon würde wie eine Seifenblase zerplatzen. Die knackigen Frotzeleien in der Bar sind nicht mehr nur blasse Erinnerungen an den Beginn der Wende im Jakes Leben. Sie sind reale Angstgebilde, die wie ein Presslufthammer an den Grundfesten von Jakes Leben knabbern wie ein Aasgeier am toten Leib eines erlegten Tiers. Es gibt immer einen Ausweg – so hat Jake es sich immer eingeredet. Doch dieses Mal scheinen die Zeichen die Umrisse von Pendleton ganz klar nachzuzeichnen. Der einfache Weg ist oft der Einfachste…

Der Malteser Falke

Es wäre ein Frevel all die wunderbaren Worte, die jemals zu diesem Klassiker geschrieben wurden, noch einen Satz (zum Inhalt) hinzuzufügen. „Der Malteser Falke“ ist nun mal das Nonplusultra der Kriminalliteratur. Sam Spade ist das, was man bis in die heutige Zeit (der Roman wurde 1930 geschrieben, feiert also bald sein Centennial) als Urtyp des Schnüfflers bezeichnet. Wenn er Nerven zeigt, dann niemals nach außen hin. Und wenn er es doch einmal tut, dann immer (!) aus Berechnung. Er lässt sich täuschen, Frauen lassen ihm manchmal keine andere Wahl, doch wenn er sie durchschaut, dann hat das Schätzchen ein für allemal ihre Trümpfe ausgespielt.

Lockt man ihn auf eine falsche Fährte, streift er den Schlamm der falschen Spur großzügig und rotznäsig am feinsten Teppich des Täuschers ab. Großmaul und coole Socke mit blitzgescheitem Verstand. So wollen alle sein, so ist es aber nur einer. Und gerade der ist nicht einmal echt. Sein geistiger Vater Dashiell Hammett war selbst Detektiv, Privatermittler, Schnüffler bei Pinkerton. Acht Jahre lang. Die Lehrjahre waren so fruchtbar, dass seine zweite Karriere als Schriftsteller seinen Namen bis heute erschallen lässt. Leider war sein politisches Engagement und die damit verbundene Hetze und Zensur der McCarthy-Ära auch sein Todesurteil.

„Der Malteser Falke“ – eine Skulptur, die mehr verbirgt als sie preisgibt, eine Fälschung, Lug und Trug, Lügen über Lügen, Mord und Verrat – ist das prallste Krimipaket, das man erwerben kann. So echt kann das wahre Leben gar nicht sein. Hat man erst einmal kapiert, das eine Wendung im Roman lediglich eine Wendung ist, kommt man so richtig in Fahrt beim Lesen. Das Blondchen und der gerissene Hehler, der Auftraggeber und die ahnungslosen Cops spielen mit Spade Tennis, dass ihm die Schädeldecke platzt. Doch es ist der Ball, der die Punkte liefert! Sam Spade ist, nachdem sein Compagnon das Zeitliche segnen musste, zum Einzelkämpfer geworden. Das war er vielleicht schon immer. Doch die aktuelle Situation fordert den ganzen Spade. Gesetzestreue – pah! Sch… drauf! Die eigene Haut muss gerettet, um nicht zu Grabe getragen zu werden. Wer „Der Malteser Falke“ nur mit Humphrey Bogart in Verbindung bringt, dem sei geraten mehr als nur ein paar Seiten in diesem Buch umzublättern. Denn hier ist der wahre Sam Spade zu Hause, auch wenn Bogey der einzige wahre Schauspieler war, der ihn verkörpern konnte. Womit wir auch schon beim baldigen Jubiläum wären. Nur noch ein paar Jahre bis dieser Klassiker die Hunderter-Marke überspringt. Und garantiert lagert in irgendeiner Schublade schon die nächste „revolutionäre“ (gegenderte, political correcte) Neufassung. No, Neuübersetzung – wie in diesem Fall – gern und immer wieder, bitte. Aber um Hammets Willen bitte keine Neuverfilmung!

Rote Erde

Die Geister, die ich rief … die wurde Elihu Willsson nicht mehr los. Ihm gehört Personville, was man auch gern Poisonville nennt. Warum, das wird der Privatdetektiv ohne Namen schon noch erfahren. Er erfährt es kurz nachdem der Termin mit Donald Willsson, der Sohn von Elihu Willsson, den kurz zuvor noch einmal bestätigten Termin platzen ließ. Zur Ehrenrettung des potentiellen Auftraggebers – Donald Willsson – muss man aber sagen, dass er eine verdammt gute Entschuldigung hat. Er ist tot! Erschossen!

Nun schlendert der Ich-Erzähler und Privatdetektiv zusammen mit Bill Quint, Gewerkschafter der alten Schule, durch den Ort – Personville – der den Willssons gehört. Ihnen gehört die Mine, die Zeitungen, einige Politiker … einfach alles. Der Traum eines skrupellosen Geschäftsmannes. Vor Jahren kam es – und hier kommt man dem Ursprung nach der schleichenden Umbenennung des Ortes in Poisonville auf die Spur – zu Aufruhr unter den Arbeitern. Sie wollten sich nicht mehr alles gefallen lassen. Ein harter Arbeitskampf war die Folge, aus dem die Arbeiter als Sieger hervorgingen.

Jahre später wendete sich das Blatt. Willsson senior ließ seine Muskeln spielen. Die Fabrik wurde geschlossen, die Zugeständnisse wurden zurückgenommen. Es drohte ein Streik. Es kam zum Streik. Monatelang. Dann wurde es dem harten Hund zu viel. Er schickte Streikbrecher, sogar die Armee rückte an. Was letztendlich half, waren bezahlte Schläger. Die brachten wieder „Ordnung und Ruhe“ in das trostlose Personville. Doch die Banden blieben. Sie hatten für Ordnung gesorgt, also gehört ihnen jetzt die Stadt – so ihre verquere Logik. Und seitdem ist Personville nicht nur äußerlich keine Schönheit, sondern auch im Inneren ein Paradebeispiel für Verkommenheit erster Kajüte. Wohl deswegen wollte Donald Willsson wohl mit dem Schnüffler aus dem fernen San Francisco reden. Ist nur eine Vermutung.

Allein das Setting dieses Klassikers, die schnörkellose Sprache, das bedrohliche Fortführen dieses Ansatzes lassen dem Leser keine andere Wahl als sich in den Seiten des Buches einzuigeln. Ja, es ist kein Blümchenpflücken, und ein happy end ohne Blessuren scheint es wohl auch nicht zu geben. Dieser namenlose Ermittler jedoch ist mit allen Wassern gewaschen, die wiederum werden die Schuld, die er noch auf sich laden wird nicht hinfortschwemmen können. Es wird hart, fies, selbstgerecht, blutig … bis die Erde rotgetränkt ist.