Joe Dunthorne wurde gebeten eine Biographie zu schreiben. Über seinen Urgroßvater, einen Juden, der aus Deutschland fliehen konnte. Und der schon verstorben war. Dessen Tochter, Dunthornes Oma, war kein sprudelnder Quell der Erkenntnis. Vielmehr war sie ein Buch mit sieben Siegeln. Für einen Autor Ansporn weiterzuforschen. Aber es ist seine Familie. Die will man nicht verprellen! Die Zeit verging, auch die Oma starb. Doch der Drang die Familiengeschichte aufzuschreiben, war nicht abgeklungen. Im Gegenteil!
Dunthorne beginnt seine Familienreise mit eine gehörigen Portion Phantasie. Er stellt sich vor wie die Familie nach der Flucht die Olympischen Spiele 1936 in Berlin nutzt, um noch einmal ins eigene Heim in Oranienburg bei Berlin zurückzukehren. In die eigenen vier Wände einzubrechen. Dies und Das, vor allem Wertvolles vor den gierigen Händen der Nazis zu retten. Das Geld wird mit vollen Händen ausgegeben. Eine Geige, eine Kamera – nichts ist zu teuer, um es in transportable Sachen zu verwandeln. Denn das Geld hätte man ihnen – als Juden, als geflüchtete Juden – garantiert an der Grenze wieder abgenommen. Doch so war es nicht! Den Einbruch gab es nicht. Die Geige und die Leica schon.
Ebenso die Episode wie Siegfried Merzbacher, Joe Dunthornes Uropa eine bahnbrechende Erfindung machte. Ihn plagten Zahnschmerzen. Als Chemiker hatte er vom Radium und dessen heilender Wirkung gehört. Dass dem nicht ist, hatte man erst später herausgefunden. Ein bisschen Radium-226 ins Zahnfleisch gespritzt, und nach wenigen Tagen (die unappetitlichen Details erliest man sich besser selber im Buch) trat die Heilung ein.
Sein Arbeitgeber die Auergesellschaft beauftragte ihn mit der Entwicklung weiterer Produkte, die mit der Wirkung des Radiums „eine bessere Welt erschaffen“ können. Mitte der 20er Jahre kam Doramad auf den Markt. Zahnpasta mit Radium, die so ziemlich jeden Schädling im Mundraum wirkungslos machten. Hurra, nie mehr Zahnarzt! Naja, so einfach war es dann doch nicht. Bis heute müssen wir alle einmal im Jahr dorthin. Dass die Forschung mit Radium für die Kriegstreiber einen willkommenen Nebeneffekt hatte, war Siegfried Merzbacher nicht sofort bewusst. Pflichtbewusst hingegen ging er seiner Arbeit nach – was ihm schlussendlich einen relativ geordneten Fluchtweg aus Deutschland heraus bescherte.
Joe Dunthorne gräbt weiter in der Familiengeschichte und stößt immer wieder auf Schweigen und allerlei Geheimnisse. Fakten, die ihm seine Vorfahren in einem anderen Licht erscheinen lassen – nicht hell, nicht leuchtend, und schon gar nicht heroisch. Sein Buch „Kinder des Radiums“ ist noch lange nicht abgeschlossen, so lange nicht bis alle Zweifel aus dem Weg geräumt sind. Was niemals passieren wird. Die bis hierhin gesammelten Fakten sind ein lesenswertes, spannendes Kapitel Familien- aber vor allem deutscher Geschichte.