Mama Day

Liest man „Mama day“ wie einen Reisebericht, ist man im Nu bereit alles stehen und liegen zu lassen, um den Süden der USA zu bereisen. Und sei es nur, um zu erkunden, ob es hier denn wirklich so aussieht wie es beschrieben ist. Denn hier muss das Paradies sein.

Liest man „Mama Day“ mit dem gebührenden Respekt für Schicksale, rührt einen die Geschichte zu Tränen. Eine Insel, zu Louisiana gehörend, die wahrhaft zu einem Paradies geworden ist für diejenigen, die unter der Knute ihre Herren, Jahrzehnte, Jahrhunderte litten.

Liest man „Mama Day“ ganz unvoreingenommen, hat man alles richtig gemacht. Die Erzählkunst ist überwältigend und findet kein Ende. Der Anfang prasselt wie ein erfrischender Regen überfallartig über einen herein. Und zwischendrin ist Cocoa. Wie jedes Jahr verbringt sie den Sommer nicht im stickigen New York, sondern auf der Insel Willow Springs. Hier herrscht mit Strenge und Sanftmut Mama Day – womit klar sein dürfte, dass es sich bei diesem Buch nicht um das erbarmungswürdige Winseln nach einem passenden Muttertagsgeschenk handelt, womit aber nicht gesagt ist, dass dieses Buch kein ideales Muttertagsgeschenk ist.

Sommer in Willow Springs – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Doch dieses Jahr ist alles anders. George ist mit von der Party. Cocoas Freund. Und mit ihm schwindet die sorgenfreie Zeit auf der Insel auf sonderbare Weise.

Irgendwo zwischen Mystik und knallhartem Überlebenskampf findet das buch seine Mitte. Beharrliche Legenden der Vergangenheit reißen alte Wunden auf und bilden neue Narben. Mama Days Großmutter scheint der Schlüssel zu allerlei aufgeworfenen Fragen zu sein. Denn das Problem ist, es gibt nicht nur eine Legende. Im Dutzend billiger – vereint im Mythos, dass vor ewigen Zeiten hier ein Mord geschah. Hinterhältig, kalkuliert, bedacht. Aber warum soll man in alten Wunden wühlen, wenn das Ergebnis für die meisten ertragbar ist?

Gloria Naylor ist die Neuentdeckung der vergangenen Jahre. Mit einem Fingerschnipp reißt sie den Leser in eine Welt über die wenig bekannt ist. Black community kann man es nennen. Zur Vereinfachung der Sachlage sicher nicht der schlechteste Ansatz. Dennoch ist dies weniger von Belang als man annimmt. Denn Neid und Missgunst sind community-übergreifend. Nach „Die Frauen vom Brewster place“ und „Linden hills“ beweist die Autorin eindrucksvoll, dass einfühlsame Literatur immer wieder kehrt und niemals eine bloße Modeerscheinung ist.

Der Mann, der die Frauen-Europameisterschaft gewann

Achtung, das ist ein Roman! Geschrieben in den Zwanzigerjahren dieses Jahrhunderts, angesiedelt Ende der Dreißigerjahre des vergangenen. Schon allein die zeitliche Einordnung macht das Thema – und erst recht der Titel – zu einem spannenden Kapitel.

Wer heute die Ergebnislisten von Sportereignissen sich anschaut, wird mit ein paar Klicks die Brisanz der Story erkennen. Wien 1938. Im Hochsprung triumphiert die Ungarin Ibolya Csák mit übersprungenen 1 Meter 64. Doch im Stadion darf sie noch nicht jubeln. Denn jemand anderes ist sechs Zentimeter höher gesprungen: Dora Ratjen. Weltrekord zur damaligen Zeit.

Zeitsprung. Zwanzig Jahre zuvor ist sich Heinrich Ratjen nicht sicher, ob er sich über einen Jungen oder eine Tochter freuen soll. Denn die äußeren Geschlechtsmerkmale sind nicht eindeutig zuzuordnen. Die Hebamme meint aber es sei ein Mädchen. So ist es protokolliert. Und so wächst Dora wie ein Mädchen auf, wird genauso wie zu dieser zeit üblich als Mädchen erzogen.

Wieder ein Zeitsprung zurück ins Jahr 1938. Im Zug gen Norden sitzt eine Person. Die Medaille aus Wien um den Hals gehangen. Weltrekord. Gold bei den Europameisterschaften der Frauen gewonnen. Doch ein mulmiges Gefühl umgibt sie. Viele Passagiere gaffen sie an. So richtig wissen viele nicht warum. Sie müssen einfach gaffen.

Passkontrolle. Die Frau mit der Medaille wird aus dem Abteil geführt. Hier stimmt was nicht. Das haben die Passagiere schon gewusst. Auch die Frau wusste es. Nur anders.

Petr Manteuffel beschränkt sich nicht auf die Faktenwiedergabe. Die ist so spärlich, dass ein Sachbuch mehr einem Heftchen denn einem Buch ähneln würde. Er webt ein dichtes Netz aus falschem Nationalstolz, Verweigerung, Verschwörung, blindem Gehorsam und Ränkespielen. Bekannte Namen treten auf wie Reinhard Heydrich, Statthalter von Prag und prominentes Opfer der Nazis in den eigenen Reihen, selbst Mitglied der Fechtermannschaft. Aber auch involvierte Ärzte – Hitlers Leibarzt, der selbst nicht frei von den Verlockungen der chemischen Industrie war – kommen zu Wort und schreiten zur Tat.

In diesem Netz ist der Leser gefangen. So unrealistisch alles klingen mag, so real war die Geschichte, die schlussendlich kaum wahre Sieger kennt. Was steckte hinter dem ganzen Theater um Dora Ratjen? Nur ein geheimer Plan, um mit aller Macht Gold zu erringen? Ein Sportwettkampf als Experimentierfeld für kommende Ereignisse? Der Roman kann keine Fragen beantworten. Aber er kann Fragen stellen. Und die sind es, die das Weiterlesen derart vorantreiben, dass man nach 160 Seiten erst einmal kräftig durchatmen muss.

Pogrom 1938

Man stelle sich vor, dass das Widerwärtigste, was der Mensch anderen antun kann, publik wird. Und dass es trotzdem nicht aufhört. Und dass man nicht mehr daran erinnert werden möchte. Warum? Weil man nicht will, dass es aufhört? Weil die Erinnerung zu schmerzhaft ist? Warum? Es gibt keine Antwort darauf, die auch nur annähernd plausibel wäre. Und deswegen gibt es Bücher wie diese.

Der 9. November hat besonders in der deutschen Geschichte einen ewigen Nachhall. Kriegsende, Mauerfall – das sind die offensichtlichen Gemeinsamkeiten. Aber auch der Jahrestag zum Gedenken der Opfer der perfiden Pogrome gegen Juden im Jahr 1938. Nein, darüber muss man immer noch reden, lesen, man darf sich sogar darüber aufregen, wenn es die richtigen Gründe sind.

Ja, das Buch ist Propaganda! Aber nicht, um etwas zu verfälschen, zu vertuschen, sondern um die Erinnerung aufrecht zu erhalten. Teils sogar mahnen. Es fällt schwer in Zusammenhang mit der Thematik von gestalterischer Schönheit zu sprechen. Imposant – ja, unbedingt. Schön hat was Verniedlichendes, und das ist nun wirklich fehl am Platze angesichts von millionenfachem Leid vor, während und nach der wütenden Raserei gegen Menschen, die schon immer (gefühlt) auf der Flucht waren, weil sie einer Religion angehörten, der man … ja was eigentlich?

Michael Ruetz begibt sich auf Spurensuche in Deutschland nach Orten, wo die Pogrome vernichtende Resultate ans Tageslicht brachten. Das Ortsverzeichnis am Anfang des Buches erschrickt wegen der Überzahl an Verbrechensorten. Dass man das nicht mitbekommen hat – auch die Folgen – ist schwer zu glauben. Die Zeitdokumente – Fotos – zeigen Menschenmassen am Straßenrand während des Prangermarsches oder Schandmarsches. Je nachdem ob man Opfer oder Täter war. Egal, ob man es wirklich war. Allein die Darstellung lässt heute noch das Blut in den Adern gefrieren. Das passierte vor nicht einmal hundert Jahren … im modernen Deutschland. Zerborstene Schaufensterscheiben, vernagelte Hauseingänge (weil die Türen herausgerissen wurden), hilfesuchende Kinderaugen, prügelnde Uniformierte, die in der Masse zu einer Stärke fanden, die sie allein niemals aufbringen konnten. Einzelne Bildausschnitte wurden vergrößert, um die Bedeutung des Aktes und des Fotos noch einmal herauszuheben.

Die Frage, ob es immer noch solche Bücher braucht erübrigt sich, solange auch nur eine Nachricht von Angriffen auf Menschen wegen ihrer Religion, Hautfarbe oder sexueller Orientierung über die Bildschirme in höchster Auflösung flackert. Und auch wenn diese Meldungen einmal verschwunden sind, ist es immer noch wichtig, um daran zu erinnern. Dieses Buch leistet mehr als nur einen Beitrag dazu.

Der Untergang des Hauses Usher

Wenn Klassiker in ein neues Kostüm gezwängt werden, hat das immer einen faden – nach „Gewollt-Aber-Nicht-Gekonnt“ wirkenden – Beigeschmack. Es gibt aber auch Fälle, in denen ein Klassiker durchaus im neuen strahlenden Gewand erscheint. Im Falle von „Der Untergang des Hauses Usher“ von Edgar Allan Poe wurde das maßgeschneiderte Gewand von Andrea Grosso Ciponte nach der Adaption von Dacia Palmerino mit derart facettenreichen Accessoires ausgestattet, das der Begriff Opulenz dagegen wie ein abgenutzter Kartoffelsack um die Ecke schielt.

Die düstere Geschichte des Masterminds Edgar Allan Poe aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts regte schon bei Erscheinen die Phantasie an. Und das nicht zu knapp. Die Einen sehen darin eine unglückliche Liebe, Andere den Wahnsinn in seiner reinsten Form. Der Ich-Erzähler – im Comic oder Graphic novel mit einer frappierenden Ähnlichkeit mit Poe ausstaffiert – eilt seinem Freund Roderick Usher zu Hilfe. Er soll ihm in schweren Zeiten beistehen. Als er das Anwesen der Ushers erreicht, ist er schockiert vom desaströsen Zustand seines Freundes. Als die Schwester Rodericks stirbt, wird eine Maschinerie in Gang gesetzt, die nur ein Ende kennt: Den wortwörtlichen Untergang des Hauses Usher.

Beim Lesen der Kurgeschichte schauert es den Leser ab der ersten Seite. So vieldeutig ist die Erzählung des herbeigeeilten Freundes. Und so unnahbar ist sie. Dieses schmale, im einzig wählbaren Großformat daherkommende Buch, schließt die möglichen Vorstellungslücken des Lesers. Zarte Pinselstriche, verschwommene Konturen zeichnen ein derart klares Bild der Geschichte, so dass keine Fragen mehr offen bleiben. Wenn das Grau der Dämmerung mit dem Grün des Morasts (seelisch und geographisch) eine Liaison eingeht, erhebt sich keiner, um dieser Allianz den Segen zu verweigern. Dämonen umkreisen nicht nur die Figuren, auch dem Leser wird beim Eintauchen in Buch und Geschichte ganz anders. Es fehlen lediglich die Soundeffekte. Nein, die fehlen nicht wirklich. Denn sie würden nur den optischen Eindruck aus seiner schweren Tiefe heben. Und das darf bei dieser Geschichte niemals passieren!

Ob man nun eingefleischter Poetiker (?) ist oder Neuling auf dem Gebiet der schaurigen Romantik – eines steht fest: Diese Version des Klassikers hat das Zeug selbst zum Klassiker zu werden.

Europa erlesen – Leipzig

„Mein Leipzig lob’ ich mir, es ist mein klein Paris“ – ach, immer nur Paris, Paris, Paris, wenn es um Europa geht. Schon olle Goethe wusste die Metropole im Herzen Deutschlands zu schätzen. Wobei viele der Meinung sind, dass er dabei vor allem die lukullischen Spezialitäten im Allgemeinen, und die alkoholischen im Speziellen meinte. Dennoch ist es so, dass wer Leipzig nur einmal besucht, schon vor der Abreise den nächsten Aufenthalt im Kopf hat.

Das ist keine Erfindung der Moderne. Vielmehr ist es so, dass schon vor Jahrhunderten die Stadt von den modernsten Köpfen in den allerhöchsten Tönen gepriesen wurde. Nachzulesen in diesem Büchlein. Das hellblaue Exemplar der „Europa-erlesen-Reihe“ prahlt mit der bekannten Namensliste der Autoren, die sich im Laufe ihres Lebens mit Leipzig auseinandergesetzt haben. Und das beginnt nicht nur bei Goethe, und hört ebenso noch lange nicht bei ihm auf.

Wer die Inschrift des Leipziger Gewandhauses liest, die übersetzt „Reine Freude ist eine ernste Sache“ (Seneca, 5 v. Chr – 65 n. Chr.) kommt dem Kulturverständnis der Stadt schneller auf die Spur als er einatmen kann. Ja, das Masurleum, wie der Kabarettist Bernd-Lutz Lange, gebürtiger Ostsachse und leidenschaftlicher Leebz’scher, das berühmteste Wahrzeichen der Stadt nennt, ist der Stolz der meisten der über sechshunderttausend Einwohner. Auch nach vierzig Jahren nach dem Neubau – viele Beiträge im Buch erzählen von den Hindernissen des fast unmöglichen Vorhabens – ist es immer noch ein Synonym für Moderne. Und so geben sich hier in diesem Buch namhafte Größen die Klinke in die Hand. Brecht forderte in einem Brief an Therese Giehse einen Generalintendanten für die Stadt – die Giehse könne das doch machen?!. Lotte Lenya berichtet von Tumulten während und nach einer Aufführung („Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“). Uwe Johnson staunt über den gewaltigen Bahnhof, der ja eigentlich aus zwei miteinander verbundenen Bahnhöfen besteht. Erich Kästner bezeichnet Leipzig als Märchenhauptstadt, und das als gebürtiger Dresdner (die Rivalität zwischen den Städten ist nicht so ausgeprägt wie beim Fußballduell zwischen Dortmund und Schalke, dennoch vorhanden).

Man blättert und blättert und kommt nicht umhin zu sagen, dass, wenn es so viele Leute so gut mit der Stadt meinen, dass da irgendwas dran sein muss an dieser Stadt. Also nichts wie hin … aber Vorsicht: Nicht vergessen dieses kleine Büchlein ins Handgepäck zu nehmen.

Bayerischer Wald

Europas größtes zusammenhängendes Waldgebiet – das ist der Bayerische Wald. Und was fängt man als geneigter Besucher nun mit dieser Information an? Während man noch überlegt, drängt sich einem dieser Reiseband förmlich auf. Gelb wie die Sonne zeigt er, das satte grün der Wälder, eingerahmt vom milden Blau der Flüsse Ilz, Regen und natürlich der Donau. Dann tauchen auf der Karte namhafte Städte wie Regensburg und Passau auf. Auch die Stadt Cham, bei der sich immer noch viel den Kopf zerbrechen, ob das Ch doch wie ein K gesprochen wird. Und unmerklich ist man vom Reisefieber infiziert. Diese Infektion ist ansteckend. Ob dieser Band als Impfschutz angesehen werden kann, ist zu bezweifeln, denn er schürt die Lust den Bayerischen Wald zu besuchen.

Sabine Herre hat die Wanderschuhe geschnürt, die Sinne geschärft und nimmt mit ihrem Reiseband den Leser mit auf eine Reise, die ereignisreich zu werden verspricht.

Wer sich vorgenommen hat, demnächst, schon bald oder in der Zukunft in den Bayerischen Wald zu reisen, bekommt hier mehr Informationen geboten als so mancher Einheimischer in der Lage ist zu geben. Umfassend, klar gegliedert, kompakt und dabei nichts auslassend – so muss ein Reiseband sein. Und so ist er auch!

Das schon erwähnte Cham erinnert wegen seiner Lage fast an ferne Welten. Viel Wasser, viel Wald, viel Geschichte. Da muss man aufpassen, dass man nichts verpasst. Ein Blick ins Buch, noch ein Blick, und man ist gewappnet für eines von vielen Erlebnissen während des Aufenthalts im Bayerischen Wald.

Beim Vorher-Herumstromern verleiten Karten, Fotos und farbig abgesetzte Infokästen zum innehalten. Das sind die eigentlichen Stars des Buches. Denn sie geben dem Leser das Gefühl sich schon vor der Reise genug angeeignet zu haben, so dass man vor Ort „nur noch gucken muss“.

Die Grenzen des Bayerischen Waldes sind strenger gesetzt als die im Buch. Ein wenig über den Tellerrand (Waldesrand) wagt sich die Autorin mit ihren Reisetipps für Passau, Straubing und Regensburg. Näher ist da schon der Böhmerwald. Das ist dann schon Tschechien. Aber auch hier ist man eigentlich noch im Bayerischen Wald. Wobei das hinter der Grenze sicher genau umgekehrt gesehen wird. Aber solche Fragen stellt man sich nicht, wenn man die volle Packung Bayerischer Wald genießen kann. Doch das geht nur mit dieser Pflichtlektüre.

Fast nur eine Liebesgeschichte

Das Zitat aus dem Corriere della Sera auf der Rückseite gibt schon die Richtung des Romans vor. Es werden vor allem die Fragen in Erinnerung bleiben. Fragen nach dem Wie und Warum, und nach dem Warum nicht.

Ist Nino wirklich dieser Hallodri, der frei von allen Konventionen nach dem Schauspielstudium in London nach Rom zurückkehrt? Warum nimmt er den Job Senioren Schauspielunterricht zu geben an? Ist er nicht ausgebildeter Schauspieler? Und warum kann er Teresa, der Nicht seiner Mentorin nicht offenen Auges entgegenkommen? Lacht Teresa ihn aus oder lacht sie ihn an? Ist sie an Nino interessiert? Wenn ja, warum schaffen es beide nicht sich anzunähern? Und warum um alles in der Welt muss die Tante herhalten ihre Geschichte zu erzählen? Weil sie die einzige ist, die beide – ihren Schützling und ihre Nichte – versteht? Oder sind es tatsächlich nur die unterschiedlichen Lebenseinstellungen, die Nino und Teresa trennen? Könnte es nicht auch sein, dass genau diese Lebensentwürfe beide einander näher bringen … können?

Sind sie und er überhaupt in der Lage Theater und reales Leben auseinander zu halten? Oder sind sie doch noch nicht so erwachsen wie sie selbst davon überzeugt sind?

Warum rauscht es beim Lesen permanent im Kopf? Weil es einem selbst so geht oder so ergangen ist? Wann hört das auf? Kann man es selbst stoppen? Braucht es dieses Buch, um sich selbst zu erkennen? Und letztendlich: Warum ist dieses Buch einem erst jetzt in die Hände gefallen?

Paolo di Paolo – der Name macht neugierig. Zurecht! Seine Bücher machen süchtig – keine Frage. Immer weiter dringt man in ein Leben vor, das anderen gehört. Da mischt man sich nicht ein. Und dennoch ertappt man sich Seite um Seite dabei ihm, Nino, und ihr, Teresa, Ratschläge geben zu wollen. Ihnen die Angst zu nehmen. Angst vor dem, was kommen könnte. Das ist schließlich die ärgste Angst. Denn sie ist nicht konkret, nur spürbar. Nicht zu greifen.

Greifbar ist hingegen dieser Roman. Mit steigendem Interesse folgt man Nino und Teresa auf Schritt und Tritt, um der eigenen Neugier Nahrung zu geben. Irgendwann muss es doch klappen, dass diese zwei Wesen, die offensichtlich zusammengehören auch wirklich zueinander finden. Allein das Schicksal scheint – scheint – etwas dagegen zu haben. Und niemand auf der Welt, außer Nino und Teresa, kann das ändern. Doch wissen die beiden das?

Leipzig außergewöhnlich – Impressionen

Da machen selbst gebürtige Leipziger – Leebzscher – große Augen! So schön ist die Stadt. Klar. Lokalpatriotismus ist die ehrlichste Form des Stolzes. Aber, dass es doch tatsächlich Ecken gibt, die man selbst noch nicht kennt … so muss es doch sein. Denn nur die Veränderung bringt Erstaunen hervor.

Wer Leipzig noch nicht so gut kennt, der wird in diesem Buch eine Offenbarung erleben. Abwechslungsreich ist es hier an der Pleiße. Der viel bemühte Vergleich, dass Tradition und Moderne Hand in Hand gehen, trifft hier wirklich zu.

Da blättert man sich durch Stadtansichten, bei denen man sich als Eingeborener den Kopf zerbricht, wo sich denn nun der Fotograf postiert hatte, um im richtigen Moment (mindestens genauso wichtig wie die Position) den Auslöser zu drücken.

Der bildstarke Band nimmt den Leser an die Hand und führt ihn durch die eindrucksvollen Stadtteile der Metropole, die sich allzu gern als heimliche Hauptstadt Sachsens sieht. Goethe und Mendelssohn-Bartholdy wirkten hier wie Wagner und Schiller. Schwerindustrie und Kultur schlossen sich hier niemals von vornherein aus. Und so verwundert es nicht, dass auf idyllische Parklandschaften im Winterschneepuderweiß nur wenige Seiten später sachliche Industrieeindrücke aus Werkhallen schlussendlich ein stimmiges Gesamtbild ergeben.

Das für einen derartigen Prachtband handliche Format eignet sich nicht nur zum wiederholten Blättern, sondern ist genau deswegen das ideale Geschenk für alle, die einmal die Messestadt besuchten und sie im Handumdrehen ins Herz schlossen. Und sei es „nur“, um die nächste Reise nach Leipzig zu planen. Jede Abbildung ist es wert, dass man sie vor Ort persönlich besucht.

Tag und Nacht, Sommer wie Winter, morgens und abends – hier sind Eindrücke für die Ewigkeit festgehalten. Wenn die Blaue Stunde am idyllischen Karl-Heine-Kanal ehemalige Fabrikgebäude, die heute exquisite Wohngegenden prägen, in satte Farben taucht, kann sich des Eindrucke nicht erwehren, dass diese Stadt ein Juwel ist, das viel schon entdeckt haben, jedoch noch nicht alles entdeckt wurde.

The Doors – graphic novel

Dieses Buch hätte Jim Morrison, dem Sänger der Doors bestimmt gefallen. Er, der Kunststudent, dem Dionysos näher war als Aldous Huxleys „The doors of perception“ – woher der Bandname stammt. Er, die Skandalnudel, der seinen entblößten Jimmy dem Publikum entgegenstreckte. Er, der als Lyriker im Pariser Exil mit seinen Worten die Welt beeindrucken wollte. Er, der vierte im Bund der 27. Ja, Jim Morrison hätte diese Bandbiographie, dieser Comic bestimmt gefallen.

Doors-Fans werden mit diesem Buch nicht fremdeln, weil es eine fremde Art der Auseinandersetzung mit dem Werk einer der einflussreichsten Rockbands ist. Es gibt schon so viele Bücher über die Band. Die Biographie aus dem Produzentenkreis, Reisebände durch Paris auf den Spuren von Jim Morrison, kunstvoll gestaltete Songbooks mit Originalschriften des Masterminds. Nun also der Comic zur Band.

Achtzehn Kapitel – achtzehn verschiedene Künstler, die sich ihrem Stil verpflichtet (hier ist die erste Parallele zu den Doors) den wichtigsten Etappen der Bandbiographie nähern. Die zerrissene Jugend des kleinen Jim, über die ersten zielstrebigen Bemühungen Musik zu machen, erste Erfolge, Skandale bis hin zum jähen Ende der Band.

Rauschhaftes Farbenspiel im Einklang mit dem einzigartigen Rhythmus und dem unverwechselbaren Orgelsound Ray Manzareks, dem virtuosen Gitarrenzauber von Robby Krieger und dem perfekten Taktgeber John Densmore am Schlagzeug. Und mit jedem Umblättern hämmert mindestens ein Song im Kopf mit. Je düsterer der Song, desto düsterer die Bilder. Schwingt sich Jim Morrison euphorisch in andere Sphären hinauf, wird es im Comic dramatisch. Ab sofort wird beim Plattenauflegen von „Morrisons Hotel“ oder dem bedrückenden „The End“ dieser Comic aus dem Regal geholt und malt Bild in die Luft, vor den Augen, im Kopf, die man bisher vermisst hat.

Ein Must-Have für alle Doors-Fans, ein Einstieg für alle, die es noch werden wollen. Eines kann auch dieses Buch nicht: Die Sehnsucht nach guter Musik löschen. Und das ist gut so!

Valdarno, Casentino, Florenz

Da muss man schon mal kurz nachdenken … Valdarno, Casentino – wo liegt das denn? Die Lösung folgt prompt: Florenz. Dort in der Gegend muss es sein. Wer bei Valdarno schon das Smartphone gezückt hat, um zu schauen, wo es liegt, kann es gleich eingeschaltet lassen. Denn seit einiger Zeit ist es beim Michael-Müller-Verlag üblich zeitgleich zum Buch auch die passende App zu veröffentlichen. Das Buch im Smartphone, mit allen Tipps und Wegbeschreibungen für alle, denen der digitale Wanderweg näher liegt als die gedruckte Faktenvielfalt der besuchten Region.

Wenn man nun also herausgefunden hat, dass, wenn man Valdarno und Casentino zwei Regionen östlich von Florenz sind, kann die Reise voll durchstarten. Mit diesem Reisebuch beginnt das Abenteuer schon beim ersten Durchblättern. Egal, ob Buch oder App!

Und bei diesem ersten Durchblättern fällt dem geneigten Michael-Müller-Reisebuch-Benutzer auf: Irgendwas ist neu. Jeder Absatz wird durch blau abgesetzte Hinweisgeber wie „unbedingt…“, „… und außerdem“ oder „Was läuft“ unweigerlich in den Sog der Buches gezogen. Wenn man in einer Region ist, die man noch nie besucht hat, ertrinkt man nicht selten im Informationsüberfluss. Diese klare Gliederung vereinfacht das Erforschen der Orte, die man erkunden möchte. Nur ein scheinbar kleiner Fort-Schritt, der jedoch seine Wirkung nicht verfehlt.

Und so erblüht Casentino auf wundersame Weise. Der Arno schneidet die Region in Ost und West bei seinem Nord-Süd-Lauf. Rustikal, ursprünglich und erstaunlich ruhig ist es hier. Pralle Landschaften, die zum Schritt-Für-Schritt-Erkunden einladen. Unnötig zu erwähnen, dass die lukullischen Bedürfnisse hier vortrefflich befriedigt werden. Dass man auch ja nichts übersieht, dafür sorgt die Autorin Barbara de Mars. Kein Zweifel – sie war wirklich vor Ort und hat alle Sinne geschärft nicht nur so manchen Kochtopfdeckel gelüftet, sondern jeden ihrer Schritte dokumentiert.

Valdarno ist allein schon durch die geographische Nähe zum opulenten Florenz etwas geschäftiger. Nichts desto trotz jedoch immer noch beruhigter als die Renaissance-Metropole. In Bucine und dem Val d’Ambra muss man „unbedingt…“ die zauberhaften Reste des Castello di Cennina besuchen. Tausend Jahre alt, und nur noch in vereinzelten Überbleibseln zu besichtigen. Doch die haben es in sich. Wer sich vorher kundig macht, kann diesen zauberhaften Ort bei klassischer Musik erleben. Genau dann, wenn das Musikfestival stattfindet. „…und außerdem“ lohnt sich ein Besuch der schlichten Pfarrkirche Pieve di Petrolo“. Im Inneren zeigt sich ein Terrakotta-Schatz, der seit fünfhundert Jahren die Zier des Ortes ist. Wer auf seinem Weg das vermeintlich lapidare „was läuft“ entgegengeschleudert bekommt, kann ganz unprätentiös antworten: „das Froschfest“. Was das ist? Einfach unter im Absatz „was läuft“ nachschauen. Reisen und Infos sammeln kann manchmal ganz einfach sein. In diesem Buch ist es Standard.