Dieses Kind will niemand um sich haben! Ein Satz, den man erstmal wirken lassen muss. Es ist wohl das Schlimmste, was man über ein Kind sagen kann. Niemand will es um sich haben. Rhoda Penmark ist – das eigentlich lassen wir jetzt mal beiseite – klassisch wohlerzogen und ordnungsliebend. Fragezeichen türmen sich auf. Wieso will sie denn nun niemand um sich haben?! Denn sie manipuliert, nicht offensichtlich oder gar brüllend wie die meisten Kinder. Ob nun für ihr Leben gern oder aus einem anderen Antrieb heraus, ist nicht klar. Sie will etwas – sie bekommt es. Die geborene Anführerin. Sollte man meinen. Doch sie nutzt ihre Macht anders. Ganz anders!
Christine Penmark hat den härtesten Job der Welt. Denn sie ist Rhodas Mama. Auf der einen Seite ist sie die stolze Mama von Rhoda, die trotz ihres Kindesalters schon so einige allein tun kann wozu andere in Jahren noch nicht in der Lage sind. Andererseits… nun, Christine ist ihre Mutter. Sie kennt ihr Kind, in- und auswendig. Doch so manches kann und (später) will sie nicht wahrhaben. Es gibt nur wenige Personen, die Rhoda wirklich in die Seele schauen können. Oder zumindest denken, dass sie es können. Denn Rhoda ist vielschichtig. Und entschlossen…
In der Schule wurde Rhoda die nur ihr allein zustehende Medaille für die größten Fortschritte verwehrt. So sieht es das kleine Mädchen. Claude Daigle hat sie bekommen. Das ist ungerecht. Als der junge bei einem Schulausflug ums Leben kommt und alles (!) auf Rhoda als Täterin hinweist, bricht für Christine eine Welt zusammen. Doch Rhoda ist sich keiner Schuld bewusst. Sie hat schlüssige Erklärungen, warum die momentane Situation so ist wie sie ist. Für sie ist alles ganz logisch. Bei Christine kullern die Tränen wie Sturzbäche. Was ist mit ihrem kleinen Mädchen? Es gab ja schon einmal einen ähnlichen Vorfall. Doch damals glaubte sie Rhoda, dem Menschen, den sie so bedingungslos liebt. Christine zieht das Leid von Claudes Eltern und die Unwissenheit um Rhodas Benehmen in eine Krise für die es keine Rettung zu geben scheint. Denn Rhoda ist natürlich gerissen und noch lange nicht am Ende…
William March wählt als Hauptprotagonistin und Übeltäterin ein Kind, ein Mädchen. Aus gutem Hause. Sie kann sich gewählt ausdrücken. Sie ist schlau, wissbegierig, begabt. Mit einer abgrundtief schwarzen Seele. In ihrer Umgebung wurden schon Menschen zu Siegmund Freud geschickt, denen sonst nicht zu helfen war. Rhoda ist nicht zu helfen. Jedwede Ermahnung an das Gute im Menschen, an soziale Normen dringen bei ihr maximal bis in die oberste Hautschicht ein. Darunter ein Panzer aus Teflon. Als der Roman Mitte der 50er Jahre erschien, war er echtes Pionierwerk. Ein Kind als Mörder – das gab’s noch nicht. Ist die Grausamkeit genetisch bedingt (vererbt?!) oder schuf die Umgebung das Monster aus ihrer Mitte? Forschungen belegen mittlerweile, dass es keine genetische Grausamkeit gibt, die weitergegeben wird. Was bleibt, ist ein packender Thriller, der einen nicht mehr loslässt. Über die Machtlosigkeit, die Raffinesse, die Kaltblütigkeit und die Trauer können wir heute nur noch staunen. Und uns unserer Gänsehaut erfreuen.