Archiv der Kategorie: Leben im Fluss

Untat

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Sechzehn Grundsätze umfasst der Pressekodex der deutschen Presse. Einer davon lautet, dass man immer der Wahrheit verpflichtet ist und keine unlauteren Methoden anwendet. Man darf die Menschenwürde und Ehre nicht verletzen. Hehre Ziele, an die sich gute Journalisten auch halten. Nun gibt es aber – wie in jeder Branche, was keine Entschuldigung sein soll – auch schwarze Schafe. Die kommen an ihre Geschichten nur, wenn sie den Pressekodex missachten und so manche Grenze überschreiten.

Zwei dieser Exemplare spielen die Hauptrollen in Guido Rohms Krimi „Untat“. Ein Entführer und Mörder – sie nennen ihn Oscar, weil er es ihnen so vorgibt – kündigt die Entführung eines Kindes an. Die beiden sollen ihn dabei begleiten. Über ihn berichten. Hinterher. Wenn alles vorbei ist. Wenn er sein Lösegeld hat. Wenn er, Oscar, in Sicherheit ist.

Und schon haben wir, die Leser, die erste Zwickmühle. Normalerweise braucht ein Krimi immer einen (oder mehrere) Schurken. Und einen (oder mehrere) gute Jungens.

Oscar ist der Typ Mensch, den man seine kriminellen Absichten sofort ansieht. Die beiden namenlosen Journalisten erkennen in ihm eine krude Mischung aus Peter Lorre und Edward G. Robinson. Überhaupt hegen die beiden eine tiefgehende Liebe zu amerikanischen Gangsterfilmen. Leider haben sie daraus auch ihr Wissen über Verbrechen bezogen. Denn Hollywood ist nicht die reale Welt, und umgekehrt.

Oscar macht den beiden unmissverständlich klar, wer hier die (dreckigen) Hosen anhat. Er! Zwei Tage dauert die Vorbereitung des Verbrechens, für das sogar im Knast wenig Sympathie herrschen wird. Zwei Tage ohne entsprechende Hygiene, ohne passendes Essen. Die beiden Schreibtischtäter (zumindest waren sie es bis vor Kurzem noch) rümpfen elitär-angewidert die Nase, fassen die Umstände aber als zum Spiel dazugehörig auf. BCP – Bier, Chips und Pornos bestimmen nun den Tagesablauf. Am dritten Tag verschwindet Oscar, um das Verbrechen zu verüben. Ohne die beiden, Naseweise. Die würden nur stören.

Fast wie im richtigen Leben läuft auch hier nicht alles glatt. Guido Rohm lässt den Leser im Unklaren, was da eigentlich passiert. Andeutung reiht sich an Vermutung, Vermutungen liefern sich ein Bäumchen-Wechsel-Dich mit perfiden Träumen. Der Leser wird hin und hergerissen vom geschickten Spiel des schwerfällig Haupttäters mit seinen willigen Helfern. Am Ende … ja das Ende. Selber lesen!

Die Verwahrten

Die Verwahrten

Sicherheitsverwahrung. Verwahrung. Was soll das heißen? Woher kommt dieses Wort? Komisches Wort. Verwahrung. Ist jemand oder etwas nicht verwahrt, ist er/es dann verwahrlost?

Bis vor kurzer Zeit war es so, dass Schwerstkriminelle ohne Aussicht auf die so genannte Resozialisierung (noch so ein Wort, das man immer gern benutzt, aber über dessen eigentliche Bedeutung man sich nie Gedanken macht) nach Verbüßung ihrer Strafe in eine Sicherheitsverwahrung kamen. Und zwar so lange, bis sie keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit darstellten. Diese Gangart haben aber Europäischer und Bundesgerichtshof verworfen. Wer seine Strafe verbüßt hat, ist frei.

Peter Neugebauer ist 49 Jahre alt und ist seit drei Tagen auf freiem Fuß. Er wollte zu seiner Verlobten, all das nachholen, was ihm in den vergangenen fünfzehn Jahren nicht erlaubt war. Vergewaltigung, Freiheitsberaubung und schwere Körperverletzung warf man ihm (zu Recht) vor. Nun steht er wieder in einer Zelle, nur wenige Schritte breit. Ab und zu kommt ein Wärter, Ankläger und Richter in einer Person vorbei und löchert ihn wohlformuliert mit Fragen, gibt klare Anweisungen. Peter Neugebauer ist nun 1/2011. Eine Nummer – mehr nicht. Schnell wird klar, dieses Gefängnis ist anders, härter als das, aus dem er gerade entlassen wurde.

2/2011 und 3/2011 geht es nicht anders. Auch sie sind Nutznießer des neuen Gesetzes und frei – zumindest auf dem Papier. Exekutive und Judikative versuchen der Sache Herr zu werden, indem sie Bauernopfer kreieren, die Presse hinhalten und Gefangene beschwichtigen. Ein perfides Spiel. Leider ist die ganze Sache ein Spiel. Ohne Happy end. Ohne Gewinner. Nur Verlierer.

Susanne Preusker beschreibt in diesem Roman die beklemmende Enge der endgültigen Zelle so anschaulich, dass es dem Leser graust. Die Täter, die nun Opfer sind – ob das gerecht oder gar recht ist, darüber müssen sich die Gelehrten streiten – leiden wie einst ihre Opfer. Die Handlungsunfähigkeit, das Desinteresse und die Ohnmacht der Politik schreit zum Himmel.

„Die Verwahrten“ ist nicht nur spannend zu lesen ist, sondern wird auch die Diskussion um eines der heikelsten Themen der Justiz befeuern kann.

Die Autorin arbeitete als Gefängnispsychologin und Psychotherapeutin. Ihr Erstling „Sieben Stunden im April“, in dem sie ihre eigene Geiselnahme und Vergewaltigung verarbeitete, erregte großes Aufsehen. „Die Verwahrten“ ist ihr erster Roman.

Meine Mutter ist ein Fluss

Meine Mutter ist ein Fluss

So mancher zermartert sich Jahr für Jahr das Hirn wie er seiner Familie an Feiertagen eine Freude machen kann. Parfüm und Krawatte scheiden von vornherein aus, das ist zu gewöhnlich. Etwas Besonderes muss es sein. Etwas, das von Herzen kommt. Etwas ganz Persönliches. Etwas Einzigartiges. Donatella Di Pietrantonios Erzählerin hat diese Probleme nicht mehr. Denn sie hat ihrer Mutter das ultimative, das einzigartige Geschenk gemacht, das es nur einmal gibt: Sie hat ein Buch über und für ihre Mutter geschrieben.

„Meine Mutter ist ein Fluss“ ist das bewegende Portrait einer ganz normalen Frau aus den Abruzzen. Geboren in den ersten Frühlingstagen des Jahres 1942 drohen nun, siebzig Jahre später die Erinnerungen zu verblassen. Und so schildert die kümmernde Tochter ihrer an Alzheimer erkrankten Mutter deren eigenes Leben.

Mit achtzehn heiratet Esperina Cesare. Ihr Leben und auch das Leben der Erzählerin sind mehr von Arbeit als von Liebe geprägt. Und so wird „Meine Mutter ist ein Fluss“ nicht nur eine literarische Therapie gegen das Vergessen – Bücher sind vom Wesen her gegen das Vergessen gemacht – sondern auch eine Abrechnung mit dem bisherigen Leben. Denn die Mutter ist auch ein Baum, in dem man sich in den Schatten legen kann. Doch auch diese Pflanze hat ein begrenztes Leben.

Die Abrechnung fällt aber milde aus. Es ist kein kalkulierter Schlussstrich unter das bisher Gewesene. Vielmehr ist dieses Buch – zu Recht mehrmals preisgekrönt – eine poetische Liebeserklärung an die Mutter, die Chancen, die der Erzählerin gewährt wurden. Eine Liebeserklärung an die Abruzzen, die mit ihren Menschen die Erzählerin – erst jetzt bemerkt – so sehr geprägt haben. Eine Liebeserklärung an das Leben an sich.

Ist der Fluss zuerst eine Erinnerung an das lange, wallende Haar der Mutter verwandelt sich die Sicht auf die Mutter zusehends in eine Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Die Erinnerungen sind keine verklärten Geschichtsbilder, sie sind am eigenen Leib erlebte Historie.

Die Toten im trüben Wasser des Mapocho

Die Toten im trüben Wasser des Mapocho

Der Mapocho ist ein Fluss der quer durch Chiles Hauptstadt Santiago fließt. Ein unbedeutender Fluss, setzt man ihn in Relation zur Themse, zur Seine oder dem Hudson River. Innerhalb der Grenzen der Stadt wird sein Wasser immer trüber und trüber und trüber …

Indio und Rucia sind Geschwister, mehr noch – das darf aber nicht ausgesprochen werden. Das darf einfach nicht sein. Deswegen sind sie auch getrennt. Bis ein Anruf Rucia ereilt. Sie solle Indio besuchen. Doch der ist nicht da. Die Zeit des Suchens nutzt Rucia auch zur Aufarbeitung ihrer Geschichte.

Nona Fernández gelingt mit „Die Toten im trüben Wasser des Mapocho“ ein unaufgeregter Metropolenroman, der sich schlecht in eine Schublade stecken lässt. Krimi, Folklore, Zeitgeschichte, Lateinamerika – alles Abteilungen in Buchläden, in denen man dieses Buch finden könnte. Auch unter preisgekrönt könnte man suchen. 2003 erhielt Nona Fernández für diesen Roman den „Premio Municipal de Literatura“. Und dennoch findet sich kein Artikel im deutschsprachigen Wikipedia. Liebe Spanisch-Studenten! Übersetzt bitte den spanischen Artikel, damit diese Frau auch hier eine gebührende Ehrung erfahren kann. Ein Preisträger ohne Wikipediaeintrag – so was ist heute nicht mehr möglich.

Wer diesen Roman einfach nur so runterliest, wird schnell ins Stocken geraten. Die doch fremde Kultur Lateinamerikas lässt auch das geschulte Auge oft innehealten. Andeutungen und Zeitebenenwechsel erlauben es dem Leser seiner eigenen Phantasie die Sporne zu geben. Die Suche nach dem verschwundenen Vater, die Darstellung wie die Junta einst wütete und das schwer gehütete Familiengeheimnis machen „Die Toten im trüben Wasser des Mapocho“ zu einem ganz besonderen Roman. Der Übersetzerin Christine Barnaházi ist es zu verdanken, dass Nona Fernández und der Septime-Verlag zueinanderfanden. Anders als das Geschwisterpaar Rucia und Indio eine nutzvolle und dankbare Verbindung.

Die Frage für dieses Buch bestimmt sein könnte, ist schwer zu beantworten. Auf alle Fälle werden alle Lateinamerikafans hier auf ein Füllhorn voller Seele und Hingabe treffen. Krimifans und Humanisten kommen gleichermaßen auf ihre Kosten.