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Alles Sisi

Dieses Buch kommt eindeutig zu spät! Dutzende, nein, hunderte, wenn nicht so gar tausende Bücher wurden über Elisabeth geschrieben. Ihr Tod ist legendär, ihr Leben noch heute Vorbild für Generationen von Frauen. Und dennoch wird dieses Buch Beachtung finden. Es ist vielleicht sogar das Buch, das jeder zuerst in die Hand nehmen sollte, interessiert man sich ernsthaft mit der sagenhaften Kaiserin.

Wenn es Ende Februar wieder heißt „Alles Walzer“, wird so mancher auch der Sisi gedenken. Also „Alles Sisi“. Jeder Biographie der Kaiserin ist eine Zeittafel angehängt. Unzählige Bilder zieren die unfassbare Menge an gedruckten Seiten. Doch das sind nicht mehr als Daten und Fakten, die man beim Vor- und Zurückblättern einatmet – und meist auch gleich wieder vergisst. Es sei denn, man bereitet sich auf eine Quizshow vor.

Verena Edinger bringt endlich Ordnung in den Wust an Lebensdaten der Kaiserin. Die Farbgestaltung ist sicher auch kein Zufall. Alles in zarten Lila- und Rosatönen gehalten. Oder besser gesagt in Veilchenblau. Eine, wenn nicht sogar die Lieblingsfarbe der Kaiserin. In Neapel, wo Sisi eine gewisse Zeit verbrachte, kann man noch an originaler Stelle, unweit des Teatro San Carlo, genau dieses Eis nach Originalrezept genießen. Fensterplatz inklusive, das verstärkt den Sisi-Effekt. Das Rezept dazu gibt’s im Buch. Ebenso die genaue Aufschlüsselung des Energiegehalts anderer Leibspeisen der figurbewussten Kaiserin.

Viel Zahlenwerk. Aber auch eine ansprechende Aufbereitung. Es reicht nicht einfach nur zu sagen, wann Sisi wo war. Das sind Fakten, die man beim Kaffeekränzchen zum Besten geben kann. Das Verhältnis der Verweildauer zur Lebenszeit sprengt manchmal den Rahmen der Vorstellungskraft. Der arme Gatte. Nur ein paar Prozent ihres Lebens durfte er mit ihr verbringen. Bei ihr war es wohl reziprok…

Es ist ein Fest sich durch das Leben in Zahlen der Kaiserin von Österreich Ungarn zu wühlen. Vor, zurück, eine Seite zwischen den Finger einklemmen, um noch mehr Sisi aufnehmen zu können. Dieses Buch liest man nicht wie einen Krimi – Seite für Seite. Hier blättert man herum, nicht gedankenverloren, sondern hochkonzentriert und wissbegierig. Und neugierig, was auf der nächsten Seite lauert.

Es ist das Eine zu erfahren, wer was wann getan hat. Doch die Grafiken in diesem Buch stellen prompt Zusammenhänge her und dar, die man nur als eingefleischter Profi ermitteln kann. Nun wird jeder Nostalgie-Royalist zum Experten. Wenn er es möchte. Von der Bahre bis zum Mythos, von der Reise-Süchtigen bis hin zum Musical-Star, von der Getriebenen zum Opfer eines Anarchisten – Alles Sisi, alles in einem Buch, alles auf einen Blick!

Along the road

Um es vorweg zu nehmen: Alles, was Aldous Huxley bereits vor einhundert Jahren besuchte, was ihm passierte, kann man heute auch noch so erleben. Nur eben nicht so abgeschieden, so individuell, so neuartig.

Würde Huxleys heute noch reisen und darüber schreiben, würde sein Instagram-Account überquellen und übereifrige Reise-Influencer würden sich überbieten noch schönere, eindrucksvollere – bessere? – Fotos ins Netz zu stellen. Und das alles nur, um dem alten Meister zu zeigen, dass sie ihm schon in jungen Jahren das Wasser reichen können. Huxley benutzt

Aber keine Filter – und schon ist die ganze Illusion dahin…

Also doch Aldous Huxley folgen! Mit ihm und leichtem Gepäck in Italien einer Prozession folgen. Ohne nerviges Gedränge von Desinteressierten, die nur darauf warten das eine, ultimative Foto zu schießen. Das sind genau diejenigen, denen Huxley am Beginn des Buches eine Breitseite verpasst. Reisen, um sich einer Schicht zugehörig zu fühlen, die nicht die eigene ist. Es ist Huxleys Liga, in die man versucht einzudringen, wenn man den x-ten Eisladen in bella italia „mit dem besten Eis der Welt“ postet. Huxley sind diese Freuden nicht fremd. Auch er sucht – vielleicht nicht nach dem besten Eis der Welt. Jedoch nach den einmaligen Erlebnissen, die er dann gern mit seinen Lesern teilt.

Einhundert Jahre ist es her, dass dieses Buch zum ersten Mal erschien. Es dauerte fast eben diese einhundert Jahre bis es auf Deutsch erscheint. Umso erfüllender ist es zu lesen, dass sich im Grunde fast nichts verändert hat, wenn man reisen will. Die Neugier war, ist und bleibt die Antriebsfeder eines jeden Abenteuers. Der Palio in Siena ist aber heutzutage ein Spektakel, das dermaßen viele Touristen anzieht, dass das eigentliche Ereignis nur schwer zu genießen ist. Huxley hingegen konnte sich – wenn auch mitten in den Massen der meist Einheimischen – mit der Tradition eingehender beschäftigen.

Wer bei Huxley und Reisen an seine Drogenerfahrungen denkt und meint „Along the road“ ist ein weiteres Werk in eine bunte Welt einzutauchen, liegt erst einmal falsch. Die einzige Realitätsveränderung führt er durch eine Brille herbei. Und selbst dieser kleine Kunstgriff kann heute immer noch für eine andere Sicht auf Landschaften hilfreich sein.

Der sterile Untertitel „Aufzeichnungen eines Reisenden“ konkurriert mit dem Inhalt auf jeder Seite, in jeder Zeile. Diese Reiseeindrücke gehören in jedes Reisegepäck. Nicht nur, um zu schauen, was sich in den vergangenen einhundert Jahren verändert hat. Nein, es erdet den Abenteurer und gibt den Blick für das einzig Wahre frei.

Wie Jesus das Lübecker Marzipan erfand

Die Auswahl an Verlegenheitsgeschenken ist schier unendlich. Bücher jedoch aus der Verlegenheit heraus zu kaufen, geht meist in die Hose. Sich bewusst für ein Buch zu entscheiden, stellt für den Einen oder Anderen eine Herausforderung dar. Hat der zu Beschenkende einen Lieblingsautor? Und was, wenn er oder sie schon alles von ihm oder ihr gelesen hat? Irgendwas Witziges ist auch ein zweischneidiges Schwert. Humor kann so vielfältig sein …

Lorenz Meyer hat – vielleicht unbewusst – die perfekte Lösung geschrieben. „Wie Jesus das Lübecker Marzipan erfand“ ist das – leider einmalige – Geschenk für alle mit Grips und einem Hang zum Lesen. Denn hier werden Fans von Thomas Mann, Astrid Lindgren und Simone de Beauvoir gleichermaßen ihr Aha-Erlebnis haben. Wie soll das denn gehen? Von allen ein bisschen? Ein wildes Weihnachtsgebäck, das mit einer wilden Mixtur aus allerlei Zutaten die Geschmacksnerven Amok laufen lässt? Nein. Drei Dutzend mal die Weihnachtsgeschichte, drei Dutzend unterschiedliche Stilarten dem Jesuskind und seinen Eltern ein Denkmal zu setzen.

Los geht’s – der Titel lässt es erahnen – mit Familie Mann. Eine Kaufmannsfamilie sitzt finanziell in der Patsche. Als dann auch noch die über alles geliebte Tochter, Maria, den nicht standesgemäßen Josef heiraten will, hängt der Haussegen nur kurz schief. Doch als dem ungleichen Paar Nachwuchs ins Haus steht – Maria beteuert unter Tränen, dass sie nichts Unrechtmäßiges mit Josef getan habe – ist das Tischstuch zwischen elterlichem Hausidyll und jugendlicher Verliebtheit zerschnitten. Das Paar schweißt diese Tatsache aber fester zusammen. Bei einem Haustürgeschäft erwerben sie wertvolle Backzutaten. Ist klar wohin die Reise des Buches gehen wird?!

Es ist ein Hochgenuss sich dem Treiben der Heiligen Familie zu widmen. Und wenn man die guten Vorsätze einmal ein wenig zu seinen Gunsten umformulieren möchte, ist Kurt Tucholsky nicht zwingend der schlechteste Ratgeber… Hugo Ball … ja … da ist man … da … da … genau das! Und wie würde eigentlich Tom Ripley die letzten Tage des Jahres verbringen. Genauso mörderisch wie Agatha Christie?

Ein Bücherregal voller Mistelzweige, strahlender Augen, unendlicher Freude, tief sitzender Gefühle – auf alle Fälle das erste und ungewöhnlichste Buch zum und rund ums Fest!

Blutorangen

Jeder Emotion, jeder Empfindung kann man eine Farbe zuordnen. Das reicht vom letzten Versuch – lila – bis zum neidischen Gelb und dem hoffnungsvollen Grün. Und der Geschmack? Der ist Rot! Die Salto-Reihe ist gespickt mit genussvollen Geschichten, die einem das Wasser im munde zusammenlaufen lassen. Dort, wo klassische Reisebücher ihre Grenzen erreichen oder – j nach Sichtweise – noch gar nicht beginnen können, setzen die kulturhistorischen Abhandlungen ihre Duftmarken. Nun ist es an der Zeit, dem Duft des Südens, genauer gesagt Italiens, ein Lesemal zu setzen. „Eine Reise zur den Zitrusfrüchten Italiens“ – Es geht nicht ohne, nicht ohne ungewöhnliche Formen so mancher Zitronen von Cinque terre bis Amalfi. Es geht nicht ohne den Duft der Orangen durch Sizilien zu reisen. Und die Bergamotte erst – von Ligurien über das englische Frühstück bis hin zum vierziffrigen Parfumdauerbrenner … es geht nicht ohne.

Und dabei geht es nicht nur um den lukullischen Genuss, der an jeder Straßenecke im wahrsten Sinne des Wortes greifbar ist. Von literarischen Werken bis hin zu Fresken – wohin das Auge blickt: Agrumen, Zitrusfrüchte, säumen das Blickfeld.

Für Stendhal war der Süden der Ort, wo die Orangen aus dem Boden wachsen. Für Leckermäuler gehört ein Spritzer Zitrus zur Pasta, um überall auf der Welt bella italia zu spüren. Und für jeden, der dieses rote Büchlein in den Händen hält ist jede Seite Fernweh und dessen Linderung zugleich. Die unvermeidlichen Rezepte im Buch tun ihr Übriges…

Es ist erstaunlich, was man literarisch aus Zitrusfrüchten machen kann: Die bittere Wahrheit aus Ligurien – chinotto, als erfrischende Limonade in allen erdenklichen Größen überall im Supermarkt erhältlich. Koschere Zutaten, die den Süden in jedes noch so einheimische Gebäck hineintragen. Überbordender Genuss in den Gärten der Medici.

Dieses Buch ist Dauerbegleiter im „Land wo die Zitronen blühen“. Man handelt nicht mit selbigen, wenn man einmal pro Tag darin blättert und den Marktrundgang zu einem neuerlichen einzigartigen Erlebnis macht. Unzählige Bücher sind über Italien und die Lebensweise geschrieben worden. Alle haben ihre Berechtigung und machen süchtig. „Blutorangen – Eine Reise zu den Zitrusfrüchten Italiens“ wirkt schneller und tiefer als alle anderen Bücher. Denn auch ohne Duftseiten verströmen die einhundertvierundvierzig Seiten ein Aroma, dem man sich nicht entziehen kann. Warum sollte man auch?!

Spatriati

Zieht man eine Übersetzungs-App zu Rate, was Spatriati bedeutet, kommt man dem Kern nur sehr zögerlich nahe. Auswanderer, im Ausland lebende. In Apulien, wo Claudia und Francesco leben, nennt man so diejenigen, die nicht so recht ins Bild passen. Und Claudia und Francesco sind die idealen Aushängeschilder für diesen Begriff. Ist es bei Claudia vordergründig ihre äußere Erscheinung – allein ihr Teint und ihre Haarfarbe passen so gar nicht ins vorgefertigte Bild vom Süden – so ist es bei Francesco seine – ebenso wenig mit Süditalien in Verbindung gebrachte – Verschlossenheit.

Er ist verliebt in Claudia. Es ihr zu sagen, käme ihm aber nicht in den Sinn. Das ausgeflippte Mädchen mit den roten Haaren und der Mozzarella-Haut (farblich) sieht in ihm eigentlich nur einen Leidensgenossen. Zum ersten Mal kommen die beiden n Kontakt als Claudia Francesco eröffnet, dass seine Muter ihren Vater liebt. Und sie zusammenwohnen. Francesco hat das nicht mitbekommen. Aber so richtig wundern kann er sich nicht darüber. Er war und ist ein Einzelgänger mit eigenen Gedanken. Aber so kommt er wenigstens mit Claudia in Kontakt…

Doch die Freude währt nur kurz. Claudia hat ihren eigenen Kopf. Und ihre eigenen Ideen. Und Wünsche und Pläne. Da passt niemand mehr dazu. Schon gar nicht Francesco! Sie will raus! Raus aus Apulien, der sie erstickenden Enge. Weg, weit weg. London, vermutet Francesco. Doch bis zum Abschied dauert es noch. Claudia nimmt jede Gelegenheit zur Flucht wahr. Flucht in Gedanken. Jeden (An-)reiz zum Fliehen präsentiert sie sich selbst auf dem Silbertablett. Und Francesco zerreißt es jedes Mal das Herz, wenn Claudia sich in neue Abenteuer stürzt. Doch Treue ist ihm wichtiger als eigenes Glück.

Doch der Tag der wahren Flucht wird kommen. Und er kommt. Mit einem Mal. Statt London wird es Berlin. Claudia ist nun ca. zweieinhalb Flugstunden entfernt. Die Provinzenge ergreift auch von Francesco mit einem Mal Besitz. Die vertraute Beschränktheit der apulischen Provinz erdrückt auch ihn. Oder ist es die Sehnsucht nach Claudia? Beides. Und Berlino soll ihn nun befreien. Er folgt ihr in die gigantische Weltstadt und erfährt, was es heißt Freiheit selbst erhalten und gestalten zu müssen. Claudia ist ihm da keine große Hilfe. Aus den Aussetzigen sind Auswanderer geworden. Spatriati bleiben sie.

Auswandern als geographische Veränderung ist das Eine. Im Kopf diese Veränderung als Zugewinn zu betrachten etwas Anderes. Erwartungshaltung und Realität klaffen oft weiter auseinander als man es sich vorstellen kann – so manche Auswanderer-Soap beweist das seit Jahren. Mario Desiati blickt tief in die Seele derer, die von Träumen überfordert das Glück vor der Haustür nicht erkennen können.

Dieses Salzburg!

Schon in Salzburg verliebt? Schon dieses Buch gelesen? Oder noch nie in Salzburg gewesen und dieses Buch auch noch nicht gelesen? Salzburg und dieses Buch gehören zusammen wie Nockerln und Mozart – es geht nicht ohne!

Fast neunzig Jahre sind vergangen als dieses Buch zum ersten Mal erschien. Auf Englisch! Von einem Österreicher geschrieben. Ferdinand Czernin. Er musste Österreich verlassen – seine Einstellung zum Nationalsozialismus ließ ihm keine andere Wahl. Seit 1934 lebte er in London, später in den USA.

Über die Jahre hat dieses Buch seine Einzigartigkeit und Allgemeingültigkeit bewahrt. Das liegt zum Einen an dem einprägsamen Stil. Czernin nimmt sich selbst nicht so ernst, und zum Anderen ist es eine Wohltat zu lesen wie sehr doch der allgemeine Wandlungswahn nicht bis in jede kleinste Ritze vordringen kann. Zu der Zeit als dieses Buch erstmals erschien, in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, war Salzburg einfach nur die Stadt mit dem weltberühmten Festival. Max Reinhardt inszenierte den Jedermann. Aus aller Herren Länder pflegte man den situierten Ausflug in die Alpen, um dem kulturellen Hochgenuss frönen zu können. Von gekrönten Häuptern bis hin zur Bohème traf man sich an der Salzach.

Ach und Mozart war für viele auch noch ein Grund hierher zu kommen. Um das Musikgenie kommt man eben nicht herum – auch wenn seine Lebensgeschichte auch eine Leidensgeschichte ist. Ein Genuss zu lesen wie Ferdinand Czernin die Ehehölle Mozarts als Triebfeder für seinen Komponierwahn heranzieht.

Aus heutiger Sicht ist diese – von Gabriele Liechtenstein kommentierte – Ausgabe ein echtes Fundstück. Als Zuckerli zum herkömmlichen Reiseband ist es fast schon unerlässlich. Czernin weist niemanden den Weg zum nächsten Highlight der Stadt. Er ist der gut informierte und eloquente Reisebegleiter, der neben einem herstiefelt und jede Anekdote kennt. Und vor allem nicht für sich behält!

Die elegante Aufmachung des Buches ist nicht mehr als die logische Konsequenz aus der Wiederentdeckung dieses Klassikers. Knallbunt und langlebig praktische Aufmachung wären nur fehl am Platze. Hier zählt der Inhalt, und der soll gefälligst in einem passenden Outfit seinen Dienst antreten. Und das tut er. Unermüdlich. Wissbegierig. Informativ. Und unterhaltsam. Der nächste Salzburg-Aufenthalt wird garantiert ein anderer sein.

Wage es nur!

Man muss ja nicht immer gleich das Schlimmste annehmen. Doch wenn die eigene kleine Welt ins Wanken gerät – und sei es nur im eigenen kleinen Hirn – muss man vorsichtshalber schon mal die Messer wetzen.

So sieht es zumindest Beth Cassidy. Sie ist die Top-Cheerleader an der Sutton Grove High. Auf der Pyramide aus eingefrorenem Lächeln, bunten glitzernden Pailletten und befreiendem Whooo-Rufen steht sie ganz oben. In jeder Hinsicht. Beth sagt, alle (!) Anderen kuschen. Besonders Addy, Addy Faddy. Sie ist Beth fast schon verfallen. Sie gibt ihr Halt – beim Cheerleading ist es umgekehrt…

Eine Tages steht Colette French auf der Matte. Die neue Trainerin der Cheerleader. Trillerpfeife und – das sieht man schon, das sehen alle – eine ausgebuffte Ex-Cheeleaderin. Und sie ist streng. Strenger als ihre Vorgängerin, die nun ihre Rolle als fürsorgliche Mutter ihrer Teenager-Tochter mit Mutterrolle wahrnimmt. Es geht richtig zur Sache. Militärischer Drill ist angesagt. Trödeleien gibt es nicht mehr. Und siehe da: Das Team wird besser, stärker, selbstbewusster. Nur Beth ist irgendwie so gar nicht begeistert von der Neuen. Beths Hauptrolle als unbestrittene number one wackelt gehörig.

Und dabei ist Colette French eigentlich gar nicht das alles fressende Monster. Sie ist professionell und liebenswert. Wer ihr die Harke vor die Füße wirft, dem tut sie nicht den Gefallen drauf zu treten und sich das Gesicht zu ruinieren. Doch Beth sieht das anders. Ganz anders. Sie muss was tun. Sie wird was tun.

Bis es soweit ist, wirft Autorin Megan Abbott ist ihr ganzes Können ihr die Waagschale, um dem Leser auf rund dreihundert Seiten die ganze Kunst der schleierhaften Spannung durch die Adern rauschen zu lassen. Man weiß, dass etwas passiert. Sogar was passiert ist klar – steht ja schließlich auf den ersten beiden Seiten. Wie es dazu kam, und was dieses ETWAS nun genau ist, das baut sich Kapitel für Kapitel, Seite für Seite, Absatz für Absatz langsam auf.

Der Ort ist so typisch Highschool-Amerika, dass es fast schon weh tut. Chocolate-Chip-Cookies, Wodka, Einkaufen am Honeycutt Drive, lässig über die Schulter hängende Collegejacken, Schmollmund – eine Setting wie in einem Teenagerfilm, der am Sonntagnachmittag die Sonne da draußen vergessen lässt. Doch hier brodelt es gewaltig im Kessel der Eitelkeiten. Das Blut spritzt erstmal nur als Galle, die die Zunge tröpfchenweise verlässt. Der bittere Geschmack bleibt jedoch haften. Und irgendwann … es bedarf nur eines kleinen Funken … wage es bloß nicht! Allein schon der Gedanke an Megan Abbotts nächsten Streich lässt die Hände zittern, die diesen noir in den Händen halten. By the way: Männer sind hier nur Staffage.

Wir könnten Dschungel sein

Gibt es wirklich eine endgültige Flucht? Ella versucht zu fliehen. Sie schon weit weg vorn dem, as sie einst umgab. Jetzt ist sie mitten im kolumbianischen Dschungel. Weit weg von allem, was sie einmal verstörte. Doch die Ferne ist nur eine geographische Ferne. Emotional sind ihr die Erinnerungen näher als sie es möchte.

Wie eine tödliche Umarmung ergreift der Dschungel ihre Gedanken. Dringt in sie ein. Und lässt sie nicht mehr los. In Wien ist sie aufgewachsen. Mit einer Mutter, die nicht für sie da sein konnte. Ohne einen Vater. Ihre erste Flucht war organisiert. Paris. Doch auch hier griff eine unsichtbare, dennoch greifbare Macht, nach ihr. An freies Durchatmen war nicht zu denken.

Der Kontinentwechsel – Ella ist inzwischen erwachsen – soll die Befreiung bringen. So wie dem Land. Kolumbien erwacht, die Bevölkerung erhebt sich. Doch das ist noch weit weg. Der Dschungel ist eine Barriere des Fortgangs. In jeglicher Beziehung. Farne peitschen ihr ins Gesicht. Und reißen alte Narben auf. Denn die Vergangenheit ist kein Narbengewebe, sie sitzt tiefer im Fleisch als alles andere. Narben heilen. Erinnerungen verblassen. Doch wie verblassen sie? Verschwinden sie hinter einem Vorhang?

Jedes Kapitel beginnt mit einer Rückblende. Auf den leicht abgedunkelten Seiten wird bruchstückhaft das ganze Ausmaß Ellas Vergangenheit sichtbar. Der Schleier hebt sich Stück für Stück. Die erdrückenden Erinnerungen verharren nicht hinter dem Dickicht der Vergangenheit, sie scheinen hindurch. Die folgenden Seiten ergeben erst im Zusammenspiel mit dem Grau der Erinnerungen ein komplettes Bild. Kein schönes Bild. Aber ein eindrückliches Bild, das Ella ein Leben lang verfolgt hat und noch lange verfolgen wird.

Der Dschungel um sie herum wird zum Freund. Denn er lockt die düstersten Momente ihres Lebens heraus. Die Schmach, die Pein, die Verletzungen liegen nun offen da. Sie wegzuwischen ist allerdings kein einfaches Unterfangen.

Isabella Feimer fügt der lähmenden Atmosphäre eine poetische Note hinzu. Sie macht sich angreifbar mit den „schönen Worten“ des Grauens. Ella kennt bisher nur Schmerz und Unfreiheit. Jede Zeile in diesem Buch ist jedoch ein Ausbruch aus diesem Gefängnis. Das ist die wahre Pracht dieses kleinen Buches, das dem Leser noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Hirn und zehn Finger

Man fragt sich immer wieder, wie es derart kleine Bücher (und damit ist allein nur die haptische Dimension gemeint) immer noch und immer wieder schaffen Vergangenheit und Gegenwart so eindrücklich zu vereinen. Jugoslawien 1943. Die italienische Armee führt Krieg auf fremden Boden. Eine kleine Gruppe von … ja, was sind sie denn?: Slowenen, Kroaten, Serben? Kämpfer? Widerständler? … Menschen! Mit Anstand, Mut und Charisma beraubt die Aggressoren ihrer Munition. Munition im wortwörtlichen Sinne. Um ihrem Mut selbst Munition zu geben – im wortwörtlichen als auch im übertragenen Sinne. In den Wäldern sind sie sicher. Zumindest sicherer als auf weiter Flur. Doch die Sicherheit trügt. Die italienischen Soldaten kommen näher, durchforsten jeden Quadratzentimeter. Flucht oder Angriff? Flucht. Ja, weil sie nur einem Ziel dient: Endlich entscheidend anzugreifen. Die Beute soll die Wende herbeiführen. Und wenn nicht, dann wenigstens einen herben Rückschlag erzeugen.

Es sind junge Männer, vielleicht sogar noch halbe Kinder, die mit dem Mut der Verzweiflung nur ein Ziel kennen: Durchkommen, damit der Diebstahl der Munition nicht umsonst war. Doch die Flucht durch die Wälder, über Berge und Flüsse ist kein Zuckerschlecken. Die einzige Brücke ist hinweggeschwemmt worden. Eine Durchquerung des Flusses äußerst riskant. Blauäugig oder wohl durchdacht? Die Flussquerung wird zum Abenteuer.

Die Gruppe von Partisanen ist ein wild zusammengewürfelter Haufen. Auf dem Papier passen sie gar nicht zusammen. Doch der gemeinsame Feind lassen das Pamphlet der Vorurteile zusammengeknüllt im Morast der Zweifel verrotten. Nicht alle werden durchkommen. Niemand wird Zeit haben die Toten zu betrauern. Und nicht alle werden das ersehnte Ziel erreichen.

Gerald Kersh wacht über diese Truppe vermeintlicher Nichtzusammenpassender wie eine mütterliche Drohne. Er dirigiert sie in die richtige Richtung. Schonungslos lässt er Träume platzen. Unbarmherzig erzählt er ihre Geschichte. Ein kleines Buch, das jedoch auf jeder Seite so bedingungslos offen der Welt die Fratze der Gewalt zeigt. Wer Mut hat, kennt keine Grenzen. Ein Fluss ohne Brücke muss nicht zwangsläufig unüberwindbar sein. Nationalitäten und Ressentiments sind auf Papier gehaltene Klischees, für die das Leben der ultimative Tintenkiller ist. Ein braucht nicht viel, um voran zu kommen. Manchmal reichen ein Hirn und zehn Finger, um Großes zu schaffen.

Nur in Wien

Das ist das Buch für alle, die schon alles über Wien wissen! Oder zumindest meinen alles zu wissen. Hier wird Wien jedem, den die Stadt in ihren Bann gezogen hat, das vor Augen geführt, was er zwar sehen kann, aber niemals sieht.

Wer sich die Mühe macht – und als Besucher muss man es – die Straßennamen zu lesen, dem fällt, wenn man ihn darauf hinweist, sicher auf, dass hier eine gewisse Norm vorherrschend ist. Das betrifft die Maße, aber auch Schriftbild und die Farbe des Untergrunds. Saphirblau? Kobaltblau? Na, es ist Wiener Blau, selbstverständlich. Das ist nicht schwer, sich das einzuprägen. Aber wie kommen die Maße zustande? „27 cm in der Breite, bei einer Höchstlänge von 98 cm“ – so steht es in en Vorschriften. Das waren die Maße der Abfälle bei der Badewannenproduktion. Denn die Firma, die die Schilder herstellte, begann mit Badewannen.

Offensichtlicher sind da schon die Geländer an den Wiener Stadtbahnen. Unverwechselbarer Stil von Otto Wagner. Und das Grün ist auch gefällig. Und so unterschiedlich? Das Wagner-Grün unterschiedlich? Der Stararchitekt der Donaumetropole hat doch alles akribisch notiert, erarbeitet und überwacht. Wie kann es sein, dass an einem am weitesten verbreiteten Hauptwerk solche Unterscheide auftreten? Zum Einen waren die Geländer zu Lebzeiten nicht grün. Mehrere Schichten Grau – das kannte er. Zum Anderen sind mehrere Institutionen mit der Erhaltung der Geländer beschäftigt. Da es aber keine Aufzeichnungen zur Farbgestaltung gibt, wurde es halt Grün. Reseda-Grün ist vorherrschend, aber nicht allgegenwärtig. Ein Fest für Instagrammer!

Wolfgang Freitag schreitet durch Wien wie ein allwissender Sherlock Holmes. Ihm fallen Dinge auf, die mindestens 99 Prozent der Anderen niemals auffallen würde. Das beginnt bei Kanaldeckeln – jeder, der „Der dritte Mann“ gesehen hat, sucht nach dem viereckigen Kanaldeckel, durch den Harry Lime griff (by the way: Die Fingergehören nicht dem Darsteller Orson Welles, sondern dem Regisseur Carol Reed – Mr. Welles war sich zu fein, um in die Kanalisation hinabzusteigen …) – die sind rund, im Film viereckig. Und heute genormt – warum? Ein Blick ins Buch macht jeden Ausflug durch die Stadt zu einem Abenteuer.

So hat man Wien noch nie gesehen, und Wien wird von nun an ein anderes Gesicht zeigen: Offener, vielfältiger und weil so manches Geheimnis jetzt gelüftet ist, wird die Stadt noch reizvoller.