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Good-bye für heute

Berlin 1926: Die Goldenen Zwanziger überrollen die Stadt mit Champagnerpyramiden, zu kurzen Kleidern und ausgelassener Musik. Berlin 1926, Lützowplatz: Gutbürgerliche Gegend. Hier wohnen Künstler, Aristokraten, Geldadel. Berlin 1926, Lützowplatz 4: Jean Tarnowitz – Amerikanerin mit deutschen Wurzeln – feiert gerade ihren vierzigsten Geburtstag. Zusammen mit ihren Kindern, den Zwillingen Karin und Erhard. Die geräumige Wohnung wurde vom Wohnungsamt geteilt, d.h. Wände wurden eingezogen und Untermieter zugeteilt. Die Kerzen auf der Torte brennen bereits.

Jean arbeitet und spart sich so manches vom Munde ab, um Tochter Karin das Medizinstudium an der Charité ermöglichen zu können. Erhard, ihr Sohn, hängt immer noch dem einstigen Ruhm der Familie nach. Nach dem Krieg wurde ihr Vermögen, ihre Ländereien Polen zugesprochen und nun haust man hier. Im lauten dreckigen Berlin, umgeben von Fremden, der Einfluss des Tarnowitz’ ist nicht mehr existent. Doch es regt sich Widerstand. Widerstand, dem sich Erhard nur allzu gern anschließt, um irgendwann einmal „die alte Ordnung“ wiederherzustellen. Ehre und Umsturz, Antisemitismus und Fortschrittsverweigerung sind seine Welt.

Seine Zwillingsschwester Karin hingegen sorgt sich um ihre eigene Welt. Warum sie allein ist und keinen Mann attraktiv genug findet, um sich mit ihm zu verbinden – das sind die Dinge, die sie beschäftigen.

Mutter Jean spricht ihrer erwachsenen Tochter Mut zu. Mehr kann sie nicht tun. Mehr will sie nicht tun. Mehr wird sie tun müssen…

Margaret Goldsmith zeigt in ihrem Erstlingsroman „Good-Bye für heute“ ihr außergewöhnliches Talent Alltagssituationen mit gesellschaftlicher Veränderung zu verknüpfen. Ihr Leben spielte sich genau hier ab wo ihr Roman spielt. Alle Anspielungen – Boston, Bloomsbury Farm sowie London Mecklenburg Square – sind real, wenn auch heute nicht mehr so erkennbar. Ihr Einfluss ist nachvollziehbar. So ergibt sich aus diesem Roman ein exaktes Abbild der Zeit und der Umgebung, in der sich die Autorin im echten Leben und die Heldin im Roman bewegen. Selten zuvor wurden die Zwanziger in Berlin so echt dargestellt.

Für mich soll’s rote Rosen regnen

Wenn man sich durch die TV-Landschaft zappt und den Promis beim gezwungenen Zum-Deppen-Machen zuschaut, beschleicht einem ein beklommenes Gefühl, wenn später von Stars die Rede ist. Das sind keine Stars!, die sich da gegenseitig ihre nicht vorhandenen Deutschkenntnisse und Umgangsformen an den Kopf knallen. Würde Hildegard Knef sich heute in einem geriatrischen Promi-Format so zur Schau stellen?! Nein, sie hätte es auch als Spiegel-Covergirl niemals getan. Auch nicht nachdem ihr im Life-Magazin vier Seiten gewidmet wurden. Und als ihr Nippelgate Deutschlands Moralhüter erzürnte schon gleich gar nicht. Sie wusste, was sie kann. Sie brauchte keine gekünstelte Publicity.

Kurz nach Weihnachten dieses Jahres (2025) würde sie ihren Hundertsten feiern können. Sie – der erste große Star des daniederliegenden Deutschlands, das so viel Schuld auf sich geladen hatte. „Die Mörder sind unter uns“ war nicht einfach nur ein Kassenschlager – es war eine Abrechnung. Auch von Regisseur Wolfgang Staudte, der schon in braunen Zeiten sich ausmalte wie es denn sein wird, wenn er nach der Dunkelheit den Widersachern noch einmal begegnen wird. Und mittendrin die Knef. Damals noch ohne Artikel. Aber schon mit der Absicht Karriere zu machen. Durchbeißen konnte sie sich. Musste sie auch. Als die Mutter wieder zurück in Hildegards Geburtstadt Ulm ging und Hildegard nicht mit wollte. Berlin – das war ihr Ziel … vorerst. Doch schon im Januar 1948, bei der Premiere von „Film ohne Titel“, den die Knef so sehr liebte, war damit Schluss. Sie fehlte bei der Premiere – entschuldigt. Der Flieger nach Amerika hob nicht ohne sie ab.

Broadway und die große Leinwand waren alsbald ihre Bretter, die die Welt bedeuten. Der Weg nach Oben schien endlos. Vergessen die Kinderkrankheiten, die ihr Leben bis dato erschwerten. Und singen konnte sie auch noch. Was will man mehr?! Gesundheit, würde sie wohl heute sagen. Das Leben der Knef war ein dauerndes Auf und Ab. Ging es bergab, dann bis zum Tiefpunkt. Ging es bergauf, dann bis auf die höchsten Spitzen.

Und heute? Es gibt eine ganze Generation, die noch nie von Hildegard Knef gehört hat. Eine Generation, die gänzlich ohne echte Stars aufwachsen muss. Nur Pseudo-In-Die-Kamera-Rülpser, deren Worte niemals aufgeschrieben werden sollten. Ach wat wär det schön, wenn die Knef ihren Senf dazu abgeben könnte! Alle spitzzüngigen Giftspritzen würden eingeschüchtert in ihr Nest zurückkehren und ihre Berufswahl noch einmal überdenken. Für die, die mit der Schmach der Unkenntnis über die Knef nicht leben können, ist Christian Schröders Buch ein Erweckungserlebnis. Und führt wohl auch dazu das eigene Anspruchsdenken, was einen Star ausmacht, zu überdenken. Kunst ohne die Knef ist in Deutschland undenkbar. Man muss es suchen, doch man wird fündig. In Theatern, auf großen und kleinen Bühnen, in Nischen, auf der Straße, in Dokus, in Mediatheken. Man muss sich nur trauen. Hildegard Knef wird niemals so ganz gehen – gut so!

Vom Glück des Umziehens

Da steht man in Paris vor dem Palais Royal, Rue de Beaujolais 9. Ein imposantes Gebäude. Und? Fertig! Ein weiterer Punkt auf der Liste der zu besichtigenden Dinge abgehakt. Kann man machen, muss man aber nicht. Wer da wohl drin wohnt? Wer da wohl mal drin gewohnt hat? Was war da los? Ging hier die Post ab oder fand einer der Bewohner hier sogar seinen Frieden – und das in mehrfacher Hinsicht? Dann zückt man dieses kleine rosa Büchlein. Und blättert noch einmal darin. Ah, hier hat Colette gewohnt, die letzten sechzehn Jahre ihres Lebens verbracht. Hier schrieb sie mit einer eigens für sie angefertigten Schreibunterlage. Sie war am Ende ihres Lebens ans Bett gefesselt. Nur körperlich. Und dann liest man, dass dies hier ihre letzte Wohnung ihres rastlosen Pariser Lebens war. Station Elf.

Ihre erste Wohnung in Paris war vom Sommer 1893 bis zum Herbst 1896 in der Rue Jacob 28. Auf geht’s zur ersten Adresse. Mit dem Auto dauert es 16 min, zu Fuß nur unbedeutend länger. Und dann steht man in einer engen Straße, in der parkende Autos jedes Weiterkommen verhindern. Links und rechts Geschäfte. Man schaut nach oben … diesen Ausblick hat Colette nicht gehabt. Ist ja auch mehr als hundert Jahre her seitdem die berühmte Autorin hier lebte. Aber man versteht warum sie hier leben wollte. Mitten im Leben. Ein wenig Grün fehlt. Das hat Colette – vielleicht nicht hier, doch an anderer Stelle immer selbst in die Hand genommen. Balkone und Hauseingänge waren vor ihrem Gründrang nicht sicher.

Der Anhang dieses Büchleins ist für reisende Leser wie lesende Reisende eine Fundgrube. Manche Adresse sieht heute komplett anders aus – die ursprünglichen Häuser gibt es nicht mehr. Als ausgemachter Colette-Fan wird dieser Tag in Paris unvergessen bleiben.

Elf Wohnungen in der Stadt der Liebe. Elf Tapetenwechsel. Und wenn es mal nicht für den Umzug reichte, dann wurden Möbel gerückt. Umzug Null Punkt Fünf. Die kleinen Geschichten in den vier oder mehr Wänden – je erfolgreicher sie wurde desto größer die Appartements, die Anzahl der Räume und somit auch die der Wände – füllen jede Sehnsucht nach Paris mit noch mehr Sehnsucht. Durch die Detailgetreue sind ihre Stationen auch heute noch nachvollziehbar. Wer jedoch erwartet im Quartier des Ternes, dass sich an den Arc de Triomphe anschließt, Austern für neun Sous zu bekommen, wird herb enttäuscht werden. Und das nicht nur, weil es den Sous nicht mehr gibt…

Die Geschichten vom Zwang Neues zu erleben, sich von Liebgewonnen zu trennen, sich immer wieder ins Abenteuer zu stürzen, sind bis heute ein Leseschmaus. Wohl auch deswegen lesen sie sich bis heute (fast hundert Jahr später) immer noch flüssig und nachvollziehbar. Nicht nur für Paris- und Collete-Fans.

Musik in Wien

Wien, Neustiftgasse Ecke Kellermanngasse. Ein Hauch von Melodik macht sich breit. Die Ersten zögern, bleiben stehen. Dann bricht es aus ihnen heraus: „Oh Du lieber Augustin, Augustin…“. Was ist geschehen? Sie haben das Denkmal vom lieben Augustin entdeckt. Er hat die Nacht in einer Pestgrube überlebt. Schlawiner oder Glückspilz? Das Lied ist bekannt, auch über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus. Den Grundstein für die Allianz von Musik und Wien hat es bestimmt nicht gelegt, ist aber mindestens genauso eng damit verbunden wie Hietzings bekannteste Mieter: Liszt, Strauss, Beethoven. Apropos Beethoven. Will man Wien zu Fuß auf seinen Stationen folgen, muss man sich gut rüsten. Der gute Mann ist andauernd umgezogen. Mal „nur schräg gegenüber“, mal „gleich ans andere Ende der Stadt“. Ein echter Marathon, der wie so viele Stadtrundgänge auf den Spuren großer Namen (meistens sind es dann doch Musiker, zumindest Künstler) auf dem Zentralen enden.

Peter Rupperts „Musik in Wien“ ist der ultimative Reiseband für alle Musikfreunde, die in Wien schon so manche Ecke erkundet haben und die man nur schwer noch beeindrucken kann. Das geballte Musikwissen der Stadt in einem Buch – Freud und Leid, Hoffnung und Verzweiflung, triumphale Erfolge und nicht minder bittere Niederlagen und Tumulte. Es sind die kleinen Anekdoten, die dieses Buch so besonders machen.

Und wer weiß schon, dass auch Alma Mahler-Werfel selbst komponierte? Ihre Werke sind leider größtenteils verschollen. Dachbodenfunde zu bestimmten Jubiläen sind also nicht ausgeschlossen.

Auch begnügt sich Peter Ruppert nicht damit nur all die großen Namen aufzuzählen und ihnen auf der Spur zu bleiben. Sie alle hatten Schüler und Verehrer, die ihnen nachreisten oder schon da waren. Haydn lehrte Beethoven. Es passt nicht, geht sich nicht aus. Beethoven grübelt, wettert gegen den Alten. Sucht Rat bei Johann Georg Albrechtsberger. Doch auch der ist mit dem ungestümen Rheinländer überfordert. Später wird Albrechtsberger auf Anraten von Mozart Domkapellmeister zu St. Stephan. Im Wiener Stadtteil Meidling, im Zwölften, ist eine Gasse nach ihm benannt.

Augen auf beim Wienbummel. Immer wieder, fast schon an jeder Ecke, trifft man auf Namen, die der Stadt ein gewisses Flair gaben. Doch das hörte nicht einfach mit dem Ende des Walzerzeitalters oder des Kaiserreiches oder gar mit dem Ende der klassischen Musik auf. Moderne Komponisten wie Arnold Schönberg oder Alban Berg übernahmen den Ruhm ihrer Vorgänger nahtlos. Der Zeitungsausschnitt im Buchklappentext über ein Konzert mit moderner Musik lässt die „ausgelöste Stimmung“ bis heute erahnen – das als Watschenkonzert in die Geschichte eingegangene Ereignis gehört zu Wien wie Falcos „Vienna Calling“ oder Wolfgang Ambros’  „Es lebe der Zentralfriedhof“. Ihnen allen widmet sich dieses Buch und wird für jeden, der mit einem Liedchen auf den Lippen, mit der unstillbaren Neugier eines Wientouristen, ohne Bedenken sich der Stadt hingeben will, zu einem dienlichen Begleiter.

1000 places to see before You die

Im Leben gibt es unzählige Listen, die man erstellt. An die meisten hält man sich, wie den Einkaufszettel. Andere hingegen dienen – so meint man – der eigenen Beruhigung etwas zumindest in Planung zu haben. Meist gehen diese Listen irgendwann den Weg in den Abfall. Und dann wiederum gibt es Listen, die sind so dick, weil gehaltvoll, die werden niemals ihre Anziehungskraft verlieren. Bucketlist nennt man das.

Und so eine liegt in diesem Fall einmal mehr vor. Tausend Orte, die man besuchen muss bevor man es nicht mehr kann. Unmöglich? Schon möglich. Aber genauso möglich ist es tausend Orte zu bereisen. Doch wo anfangen? Hier kommt dieses Monster an Ideen, Ratgebern, Tipps, Tritten in den Allerwertesten ins Spiel. Von nun an gibt es keine Ausreden mehr! Der Anfang ist gemacht. Und der erste Schritt ist bekanntlich der erste von vielen, die noch folgen werden. Und wenn man schon mal angefangen hat…

… dann auf zum Lac d’Annecy oder nach Riga. Am besten mit einem Abstecher zu den Stränden Goas in Indien oder Sanibel und Captiva vor Florida. Oder der größten Sandinsel der Welt, Fraser Island in Australien. Zu ruhig? Dann hilft eine Shopping- oder Sightseeingtour über die quirligen Märkte von Saigon.

Man muss das Buch nur in die Hand nehmen und ein wenig darin blättern. Und schon hat man Reisefieber. Und eine Reisefibel auf dem Schoß. Klar gegliedert nach Kontinenten und Ländern. Ganz Mutige nehmen diesen Schmöker als festen Reiseplan – viel Spaß beim Urlaubsantrag ausfüllen: „Chef ich bin dann mal weg. Wenn ich das Buch abgearbeitet habe, komme ich wieder. Bis in … Jahren!“. Die Vorstellung ist doch schon sehr verlockend.

Ein Sinnes-Overkill ist garantiert. Berge, Täler, Strände, Stadtzentren, Architektur, Naturwunder, über und unter Wasser, Aussichtspunkte, Absteige wie Kletterpartien – wer hier nicht fündig wird, der hat entweder schon alles gesehen (was fast unmöglich scheint) oder will einfach nicht. Man kann dieses – nein, man sollte – dieses Buch als niemals versiegende Inspirationsquelle sich regelmäßig aus dem Regal nehmen. Reisen bildet. Lesen macht Appetit. Bei 1220 Seiten kann man sich niemals satt sehen und inspirieren lassen. Es gibt immer wieder Neues zu entdecken. Heute hier, morgen da. Der Sehnsucht einfach mal Futter geben. Sich selbst austesten, was alles möglich sein kann. Schon allein dafür lohnt sich ein Blick in diesen Schmöker.

Dresden – Stadt der Schlösser und Gärten

Dresden war und ist in aller Munde. Sie war nie wirklich weg. Immer gab es etwas worüber es etwas zu sagen gab. Tragisch, ehrfurchtsvoll, sarkastisch, bewundernd – die Stadt hatte viele Verehrer. Das „Deutsche Florenz“ wurde es von Herder getauft. Canalettos Blick(e) auf die Stadt sind heute beliebtes Marketinginstrument. Ein Bummel durch die Stadt gleicht einem Herumstromern in der Geschichte. So manches Bauwerk scheint extra für die Silhouette an der Elbe gemacht zu sein. Stimmungsvolle Illuminationen unterstreichen den romantischen Charakter der Stadt. Weit entfernt vom „Tal der Ahnungslosen“ präsentiert sich Dresden heute wie ein offener Bildband dem Besucher.

Dieser kleine Bildband ist das Willkommensgeschenk an neue Besucher der Stadt. Altbekanntes und hin und wieder Verstecktes lauern hinter  jedem Umblättern. Die prachtvollen Elbterrassen läuten schon beim Betrachten den gelungenen Tagesabschluss ein bevor man überhaupt einen Schritt in die Stadt getan hat.

Jan Leglers Fotografien sind eine Liebeserklärung an seine Stadt. Hier wurde er geboren, hier wird er immer wieder fündig auf der Suche nach Motiven, die jeden Betrachter in ihren Bann ziehen.

Uwe Schieferdecker untermalt mit seinen prägnanten Sätzen diese Eindrücke. Und um den Weltruf Dresdens zu bestätigen sind die Texte zusätzlich in Englisch und Französisch verfasst. Fast könnte man mit dem Buch auf Reisen gehen und Werbung für das Elbflorenz machen…

Auf Entdeckertour in Dresden gehen ist ein Leichtes. Es gibt so viel, was sich finden lassen möchte. Dieser kleine Bildband ist ein Reisebegleiter, ein Appetitmacher und Erinnerungsstück zugleich an einen oder mehrere Tage in Dresden. Auch ideal zum Verschenken.

Wien und der Tod

Die lebenswerteste Stadt der Welt und der Tod – wie geht das zusammen? Bedingt das Eine das Andere? So hoch sollte man den Zusammenhang nun doch nicht hängen. Ja, Wien darf sich seit Jahren als die Stadt mit der höchsten Lebensqualität bezeichnen. Das liegt an dem offensichtlichen, stets verfügbaren kulturellen Angebot. Und dazu gehört nun mal in der Donaumetropole auch der Tod. Spätestens, wenn man nach Simmering fährt: Zum Zentralfriedhof. Letzte Ruhestätte für so manchen Promi, für die Lebenden ist der (uneingeschränkte) Zugang verboten. Ein Paradies zum Schlendern. Das haben wir es wieder: Das Jenseits gehört dann doch irgendwie zur Stadt dazu.

Peter Ahorner nimmt dem leidigen Thema Tod die Schwere in seinem kleinen schwarzen Büchlein. Anekdoten pflastern des Lesers Weg in die ewige Sehnsucht nach … Wien. Kein Angst, hier wird niemand vorzeitig „vom Banernen“ geholt. „A eckn muss ma a net mochn“. Und schon gar nicht !“a bankl reißen“. Diese Synonyme voller Poesie sind nur ein kleiner Spiegel des Umgangs der Wiener mit dem Tod.

Und heimtückisch ist dieses Büchlein auch nicht. Man weiß worum es geht, wird trotzdem überrascht, was man alles über den Tod in Wien herausfinden kann. Die Habsburger ließen sich gern mehrmals beerdigen. Nicht, um den Hinterbliebenen endlose Feierlichkeiten zu bescheren. Nein, ihre Körperteile wurden an verschiedenen Orten begraben, ausgestellt, verwahrt. Echter Besitzanspruch.

Wer Wien tiefergehend kennenlernen will, muss öfter mal Treppen hinabsteigen. Von der Kapuzinergruft bis hin zum Zentralen zu ebener Erde, breitet sich der Weg in die Ewigkeit vor dem Interessierten aus. So mancher lässt beim Kontemplativrundgang im Ohr Wolfgang Ambros erklingen („Es lebe der Zentralfriedhof“) – wer Lokalkolorit braucht, blättert in diesem Büchlein. Doch Vorsicht! An mancher Stelle kann man sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen.

Klein – schwarz – morbide – unterhaltsam: Die heilige Vierfaltigkeit des Todes in Wien trägt schwarz und hat ein Lesebändchen. Passt in jedes Reisegepäck und sorgt für vergnügliche wie informative Augenblicke. Kurz und knapp – so soll es sein. Das letzte Kapitel zum Thema ist mit diesem Buch geschrieben.

Dresden – Bomforzionös!

Es gibt unzählige Möglichkeiten sich an Dresden zu erinnern, die Stadt sich in seine Gedanken zurückzuholen. Aktuell ist es wohl oft der Einsturz der Carolabrücke und dem darauffolgenden Aktionismus Brücken sanieren zu müssen. Viele bekommen einfach nicht (und das ist gut so!) die verheerende Bombennacht vom 13. Februar 1945 aus dem Kopf. Andere erfreuen sich, dass das Trümmerfeld der Frauenkirche einem Augenschmaus gewichen ist. Wer an Weihnachten Dresden besuchte, wird den Striezelmarkt nicht aus dem Sinn und aus der Nase bekommen. Und wer durch die Galerien streifte, ist immer noch erschlagen von der Pracht der Alten Meister. Und erst die Ruhepausen an der Elbe. Die Streifzüge durch die Parks…

Una Giesecke ist Stadtbilderklärerin, Tourguide, durch ihre Stadt. Sie kennt alle Geschichten. Weiß wer wann wo was gemacht hat. Sie vereint all die erwähnten Erinnerungen und Eindrücke in sich und kann sich immer noch daran erfreuen. Das wird sich auch nie ändern. Das spürt man im Handumdrehen, blättert man auch nur ein bisschen durch dieses kleine Büchlein.

Anekdoten, große Geschichte, Offensichtliches und Verborgenes, Plakatives und Vergessenes – das, was nur selten bis gar nicht im Reisehandbuch steht, wird hier zur breiten Bühne für jedermann. Man kann schon fast sagen, dass man nach dem Buch – und dem logischen anschließenden Besuch in Elbflorenz – man sich durchaus als Experte bezeichnen darf. Una Giesecke lässt Zeitzeugen zu Wort kommen. Menschen die beispielsweise die Bombennacht überlebt und fotografiert haben. Stille Helden, deren Wirken heute Standard ist. Sie zeigt ein Dresden, das für jeden offen ist. Auch wenn so mancher montags die Welt vom Gegenteil überzeugen will…

Wer Dresden besucht, braucht Hilfe, um nichts zu verpassen. Ein Reisehandbuch ist da ein sicherer Begleiter. Doch der Blick hinter die Fassaden ist meist nur ein gut gemeinter Ratschlag. In diesem Buch brechen die Mauern ihr Schweigen und platzen mit der Energie der aufgestauten Stille in die staunenden Massen hinein. Da bleibt kein Ort unerwähnt, der die Stadt charakterisiert. Wissenschaftler wie Manfred von Ardenne – Ich glotz TV wäre heute immer noch nur ein Lied von Nina Hagen, nicht mehr!. Wer kennt noch Ursula Bergander? Die, die jetzt ihre Hand heben, sind zum größten Teil sicher Geburtshelferinnen. Diese Ursula führte bis 1972 fast zwanzigtausend Frauen mit der schmerzarmen natürlichen Geburt in den Stand der Mutter. Eine weitere bärenstarke Frau aus Dresden war Uschi Blütchen. Sie war weltweit (!) die einzige Dompteuse von Eisbären. Die Liste könnte man unendlich fortsetzen. Dank dieses Buches.

Along the road

Um es vorweg zu nehmen: Alles, was Aldous Huxley bereits vor einhundert Jahren besuchte, was ihm passierte, kann man heute auch noch so erleben. Nur eben nicht so abgeschieden, so individuell, so neuartig.

Würde Huxleys heute noch reisen und darüber schreiben, würde sein Instagram-Account überquellen und übereifrige Reise-Influencer würden sich überbieten noch schönere, eindrucksvollere – bessere? – Fotos ins Netz zu stellen. Und das alles nur, um dem alten Meister zu zeigen, dass sie ihm schon in jungen Jahren das Wasser reichen können. Huxley benutzt

Aber keine Filter – und schon ist die ganze Illusion dahin…

Also doch Aldous Huxley folgen! Mit ihm und leichtem Gepäck in Italien einer Prozession folgen. Ohne nerviges Gedränge von Desinteressierten, die nur darauf warten das eine, ultimative Foto zu schießen. Das sind genau diejenigen, denen Huxley am Beginn des Buches eine Breitseite verpasst. Reisen, um sich einer Schicht zugehörig zu fühlen, die nicht die eigene ist. Es ist Huxleys Liga, in die man versucht einzudringen, wenn man den x-ten Eisladen in bella italia „mit dem besten Eis der Welt“ postet. Huxley sind diese Freuden nicht fremd. Auch er sucht – vielleicht nicht nach dem besten Eis der Welt. Jedoch nach den einmaligen Erlebnissen, die er dann gern mit seinen Lesern teilt.

Einhundert Jahre ist es her, dass dieses Buch zum ersten Mal erschien. Es dauerte fast eben diese einhundert Jahre bis es auf Deutsch erscheint. Umso erfüllender ist es zu lesen, dass sich im Grunde fast nichts verändert hat, wenn man reisen will. Die Neugier war, ist und bleibt die Antriebsfeder eines jeden Abenteuers. Der Palio in Siena ist aber heutzutage ein Spektakel, das dermaßen viele Touristen anzieht, dass das eigentliche Ereignis nur schwer zu genießen ist. Huxley hingegen konnte sich – wenn auch mitten in den Massen der meist Einheimischen – mit der Tradition eingehender beschäftigen.

Wer bei Huxley und Reisen an seine Drogenerfahrungen denkt und meint „Along the road“ ist ein weiteres Werk in eine bunte Welt einzutauchen, liegt erst einmal falsch. Die einzige Realitätsveränderung führt er durch eine Brille herbei. Und selbst dieser kleine Kunstgriff kann heute immer noch für eine andere Sicht auf Landschaften hilfreich sein.

Der sterile Untertitel „Aufzeichnungen eines Reisenden“ konkurriert mit dem Inhalt auf jeder Seite, in jeder Zeile. Diese Reiseeindrücke gehören in jedes Reisegepäck. Nicht nur, um zu schauen, was sich in den vergangenen einhundert Jahren verändert hat. Nein, es erdet den Abenteurer und gibt den Blick für das einzig Wahre frei.

Stürzende Feuer

Es gibt durchaus schönere Anlässe in die Heimat zurückzukehren als der Tod eines Verwandten. Martin-Heinz Douglas Baron von Bora ist es einerlei, warum er nach Berlin „darf“. Ja, darf! Es herrscht Krieg, Juli 1944, er ist in Italien stationiert – nicht ganz freiwillig – und sein Onkel Prof. Dr. Alfred Johann Reinhardt-Thoma wird zu Grabe getragen. Zugegen ist eine ziemlich große Ansammlung von Würdenträgern des Regimes. Der Professor war geachtet, selbst der Führer kondoliert. Martin Bora sind  allerdings die Umstände des Todes seines Onkels noch immer nicht ganz klar.

Er hat jedoch keine Zeit sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Nicht einmal genug Zeit, um seine Mutter zu treffen oder gar mit ihr zu reden. Im Sanatorium in Beelitz bekommt er von einem ehemaligen Mitstreiter an der Ostfront eine Warnung mit auf den Weg. Martin steht mächtig unter Stress!

Alle in Berlin scheinen etwas zu verheimlichen. Oder spielen ein doppeltes, ein komisches Spiel. Alles ist so angespannt. Als der Chef der Reichskriminalpolizei ihm den Auftrag erteilt einen Mordfall zu untersuchen, steht Oberstleutnant Martin Bora vor einer Aufgabe, die Fingerspitzengefühl braucht, die ihn extrem fordern wird und die ihm mehr kosten kann als er sich anfangs noch vorstellen kann.

Bora soll den Mord an Walter Niemeyer aufklären, ebenso an dem Magier Magnus Magnusson. Genauso wie den an Sami Mandelbaum. Und jetzt kommt’s: Alle sind ein und dieselbe Person. Niemeyer steht in der Geburtsturkunde, die anderen Namen sind Künstlernamen. Sami Mandelbaum – der Name legt es nahe – dafür kommen allerhand Leute in Frage. Ein Opfer mit jüdischem Namen – da einen Verdächtigen dingfest zu machen, war ein Leichtes. Doch so einfach ist die Sache dann eben doch nicht.

Boras Ermittlungen führen ihn in Kreise, in denen er sich allein durch seinen Namen leichter Zugang verschaffen kann als so mancher Großstadt-Colombo. Umso schwieriger sind dann aber die Ermittlungen. Selbst vor dem Stabschef des Befehlshabers des Ersatzheeres muss Bora eine gute Figur machen. Und dieser Stabschef hat ein großes Geheimnis. Das kann man getrost an dieser Stelle verraten, denn dieser Herr ist Claus Schenk Graf von Stauffenberg…

Ben Pastor reitet mit „Stürzende Feuer“ auf der literarischen Rasierklinge. Immer nah am Abgrund des Bedeutungskitsches, immer nah an der blendenden Gefahr ins Reich der Phantasie abzugleiten. Mit immenser Recherchearbeit setzt sie reale und fiktive Figuren an den Tisch ihrer Geschichte und lässt ihrem Spieltrieb freien Lauf.