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Costiera amalfitana – Geschichte einer Landschaft

Eigentlich würde man die Region an der Küste bei Amalfi gar nicht erforschen. Zu steile Felsen, kaum Wege und Straßen. Und vor zweihundert Jahren gab’s nicht mal Übernachtungsmöglichkeiten. Olle Goethe hat deswegen diesen Landstrich mehr oder weniger mit Missachtung gestraft. Ha! Der arme Tropf! Reist nach Italien und schaut sich nicht einmal die Amalfiküste an! Das ist ja wie … Paris ohne Eiffelturm, San Francisco ohne zerrissene Jeans oder Barcelona ohne Tapas.

Dieter Richter – so steht es im Pressetext zum Buch – hat diese Region studiert. Ja, studiert. Die Amalfiküste – wenn man Traumjob googelt, muss das wohl dabei rauskommen.

Nun ja, es gibt viele Orte und Regionen, wo Italien am italienischsten ist. Meist hängt diese Bewertung vom eigenen gusto und Wissensstand ab. Und die costiera amalfitana ist sicherlich von Italienern überflutet, aber eben auch von so manchen sehnsüchtig nach Italien hechelnden Fremden, der, wenn er denn einmal einen Sitzplatz im ristorante am Meer ergattert hat, diesen nicht mehr hergeben will. Und somit zwar die Aussicht genießen kann, aber eben auch den Rest (die größere „Hälfte“) verpassen wird.

Dieses Wissensvakuum wird durch dieses kleine rote Büchlein gehörig mit Fakten, Analysen, Deutungen in hingebungsvollen Worten gefüllt, doch selber anschauen ist um Einiges mehr wert. So unwirtlich diese Gegend erscheinen mag – stramme Waden sind das Mindeste, was man erhält, nimmt man die Fußwege der Region – so sehr beeindrucket sie von jeher ihre Besucher. Hier versteckten sich Piraten, hier entstand die älteste Seerepublik Italiens, hier berauschten sich Künstler an ihrer Schönheit.

Eine Rundreise mit Dieter Richter ist ein Wissensflash der obersten Kategorie. Es gibt wohl kaum einer Zeile auf dieser Welt, die der Autor nicht vorher gelesen hat, um seinem Kompendium die nötige Fülle verleihen zu können. Von der regionalen Küche über römische Villen (und ihre durchaus pikanten bis geheimnisvollen Geschichten) bis hin zum touristischen Overkill der Gegenwart lässt er keinen Aspekt einer „natürlichen Entwicklung“ der costiera amalfitana aus.

Wer die Amalfiküste besucht, muss sich im Klaren sein, dass er niemals, oder nur sehr selten, allein sein wird. Man muss die Stille wirklich suchen – dafür gibt es Reisebände. Wer die Region verstehen, sie mit allen Sinnen aufsaugen will, der kommt um dieses Buch nicht herum. Das Standardwerk über eine der schönsten Landschaften der Erde!

Ein schwarzer Flügel in Florenz

Was für eine Reise! Ulrike Rauh ist einmal mehr in ihrem geliebten Italien. Und wie immer, wenn sie „nur“ mit Gepäck unterwegs ist, reist sie niemals allein. Ihre Neugier treibt sie förmlich in die Arme von Menschen und Kultur. Und was wäre Italien ohne Musik?!

Immer wieder lässt sie sich von Tönen, Harmonien, Melodien verführen innezuhalten oder vom eingeschlagenen abzuschweifen. Und immer trifft sie die richtigen Entscheidungen. In Florenz hat sie sich für zwei Monate eine Unterkunft gesucht, um einen Sprachkurs zu belegen. Doch schon der schwarze Flügel im Appartement der Gastgeberin weist ihr den Weg für die kommende Zeit.

Es sind die kleinen Geschichten in diesem außergewöhnlichen – ja fast schon einzigartigen – Reisebericht, die das Lesen zu einem rasanten Vergnügen machen.

Ulrike Rauh ist bei ihren Erkundungen bei so mancher Berühmtheit zu Gast. Sie lauscht den großen ihrer Zunft und entdeckt dabei so manches Talent. Was alle Geschichten vereint, ist die Tatsache, dass Musik ein verbindendes Element ist. Wer Musik liebt, kommt sich schnell einander nahe. Das spürt man in jedem Satz, den die Autorin dem Leser zwanglos anbietet. Man schwebt zwischen Dur und Moll, gleitet über die Tastatur der Klaviere und sie lernt dabei noch so manches neue Instrument kennen. Von einem Lyra-Klavier hatte sie noch nie gehört.

Die Leichtigkeit der Texte ist die Partitur, die Ulrike Rauh in wohlklingende Wort verwandelt. Auf Reisen kann dieses Büchlein der Trompetenstoß zum Eintauchen in die Welt der Musik sein.

Gardasee

Hier ist Italien zuhause wie man es sich in den buntesten Farben nicht ausmalen kann! Eine funktionierende Infrastruktur, erstklassig beschilderte Pfade und Wege, angenehmes Klima mit unzähligen Sonnentagen – aber auch besonders zur Ferienzeit Menschenmassen, die so manches Erlebnis vermiesen können. Um dem zu entgehen, ist es ratsam die Reise an den Gardasee eingehend zu planen. Und dafür gibt es nur eine Wahl: Diesen Reiseband von Eberhard Fohrer.

In der bereits 11. Auflage wird man einmal mehr zu den schönsten Punkten des größten Alpensees geführt, ohne dabei im Strom der Neugierigen unterzugehen. Schlagzeilen machte der Gardasee in der jüngeren Vergangenheit mit einer immer häufiger sichtbaren Wasserknappheit. Dort, wo man sich vor Jahren noch nasse Füße holte, konnte man stellenweise meterweise in die Tiefe springen. Ja, dieses Thema wird immer wichtiger, wenn es um Tourismus am Gardasee geht.

Eberhard Fohrer gibt auch Tipps abseits der gängigen Klischees mit Campingverordnungen, dem besten Gelato und den eindrucksvollsten Aussichtspunkten. Wie wäre es mit einem Besuch zur Weihnachtszeit?! Es muss nicht immer der wolkenfreie Himmel über dem Lago del Garda sein! Ein lauschiger Bummel über die Weihnachtsmärkte ist mindestens so eindrucksvoll wie Wasserskifahren im Juli.

Es sind vor allem die kleinen versteckten Hinweise auf Wanderungen, die dieses Reiseband so einzigartig machen. Mal einen Strauch beiseite biegen oder da innehalten, wo andere achtlos ihre Kilometer runterspulen. Einkehr halten, wo andere die letzten Brocken der Brotzeit noch zerkauen. Oder einfach nur ein paar Meter abseits der Pfade das entdecken, was vielen verborgen bliebt, weil sie der Meinung sind, dass ein Reisband das Vorankommen behindert.

Wer den Gardasee nicht als offensichtliches Reiseziel mit allen zugänglichen Highlights, sondern als Entdecker-El-Dorado erfahren will, kommt an den 360 Seiten dieses Buches nicht vorbei. Immer wieder ertappt man sich, dass man schon beim Lesen wie im Urlaub fühlt. Die Namen sind jedem geläufig: Monte Baldo, Sirmione, Riva – das kennt man alles. Doch ihre wahren Schätze muss man suchen. Mit diesem Reiseband in der Hand oder zumindest im Reisgepäck wird diese Suche zu einer erholsamen Jagd nach dem Unvergesslichen.

Drei Schalen

Das Spannendste an einer Geschichte sind immer ihre Wendungen und wie die Protagonisten damit umgehen. Eine Geschichte ihre Wendung ist in den meisten Fällen langweilig bis belanglos. Hier nun der ultimative Beweis, dass Wendungen das Nonplusultra einer guten Geschichte sind. Und das gleich mehrfach.

Die sardische Autorin Michela Murgia lässt in einer Reihe von Geschichten das Leben der Akteure aus den Fugen geraten, es umdrehen, das Leben noch einmal neu beginnen. Jede Geschichte steht für sich allein und doch ergeben sie in Summe ein zusammenhängendes Bild.

Zum Hintergrund: Im Frühjahr machte Michela Murgia ihre Krebserkrankung öffentlich. Dankenswerterweise nicht so exzessiv wie so mancher Influencer, sondern bedacht und mit Würde. Kurze Zeit später verstarb sie. „Drei Schalen“ ist ihr Vermächtnis aus dieser Zeit. Und so wird gleich die erste Geschichte des Buches zu einer Reise ins Innere der Autorin. Eine Frau bekommt die Diagnose Krebs – Punkt! Doch wie damit umgehen. Und vor allem wie es den Anderen sagen. Mitleid erhaschen liegt ihr nicht. Vielleicht dem Umstand einen Namen geben? Der dottore, der ihr die Nachricht überbringt, ist am Ende seines Lateins. Die klaren Worte und Gedanken verwundern. Denn Krebs ist eine endgültige Diagnose, auch wenn es Ausnahmen gibt. So eine Wendung kann niemand erahnen. Vermuten schon, aber sie dann wirklich zu erhalten, ist ein anderes Kaliber. Es ist ein Leseschmaus, ihren Gedanken zu folgen. Auch wenn man das Ende – weil man die Autorin und ihre Bücher schon länger – kennt.

Und wie geht der Körper mit einer Wendung im Leben um? Eine Frau trennt sich von ihrem Freund. Mit einem Mal dreht sich ihr Magen um. Jeden Tag – das geht schon vorbei, denkt sie sich. Doch der Reflux bleibt hartnäckig Bestandteil ihres nun einsamen Lebens. Esseneinladungen sagt sie dankend ab – sie weiß nie, wann der Magen wieder einmal rebelliert. Auch hier wieder eine gefühlvolle Sprache, die gänzlich ohne anstößige Direktheit auskommt.

Fast erscheint es einem so als ob nur Michela Murgia sich diesem Thema widmen kann, ja sogar darf. Unbeirrbar und sanft analysiert sie Szenen von unglaublicher Tragweite mit der Leichtigkeit der Schreibfeder. Bei ihr haben Resignation und Trübsal keine Chance. Oft hat man schnell mit dem Begriff „Mutmacher“ zur Hand. Doch dieses Mal trifft es den Kern wirklich und mitten ins Zentrum.

Wenn das Schicksal gnadenlos zuschlägt, muss man gewappnet sein. Dieses Buch ist mehr als ein Schild gegen die Verzweiflung und Ausweglosigkeit einer unerwarteten Situation. Es ist ein stiller Wegbegleiter, der immer dann zur Stelle ist, wenn man ihn in seinen Händen hält.

Oben in der Villa

Man kann getrost davon ausgehen, dass sich Mary ihr Leben anders vorgestellt hatte. Reich heiraten und glücklich sein mit dem Mann, der sie so behandelt wie es sich gehört. Anfang Zwanzig ist sie gerade einmal. Und schon Witwe. Ihr Mann hatte das Vermögen mit vollen Händen rausgeschmissen, die Gläubiger stehen bei ihr Schlange. Ein befreundetes Paar bietet ihr an in ihrer Villa mit herrlichem Blick auf Florenz die Zeit zu verbringen bis die Zeiten wieder besser sind.

Für Edgar hingegen bahnen sich verheißungsvolle Zeiten an. Wenn alles klappt, ist er bald schon Gouverneur von Bengalen. Eine respektvolle Position. Die man allerdings am besten mit einer Dame an der Seite bewältigen sollte. Und diese Dame soll … Mary sein. Beide sind sich des Altersunterschiedes bewusst. Und Mary will Edgar bei Weitem nicht heiraten, weil sie verliebt ist. Nein. Sie weiß auch gar nicht, ob Edgar eine Option für sie wäre. Wenn er zurückkommt – vielleicht oder hoffentlich mit dem Job in der Tasche – dann will sie ihm bereitwillig Antwort geben.

Bis dahin sind es aber ein paar Tage…

Ein wenig Zerstreuung tut ihr gut. Eine Gesellschaft, wie sie sie schon so oft erlebt hat, soll sie von der Frage Edgars ablenken. Doch es ist wie immer das Gleiche. Alle Männer scharwenzeln um sie herum, preisen ihre Schönheit, ihre Anmut und … wollen doch alle nur das Eine. Mary weiß das alles. Sie ist siech ihrer Schönheit und der daraus resultierenden Wirkung auf Männer mehr als bewusst. Und so kann sie sich ganz ungeniert der Avancen erwehren. In der Hinterhand hat sie schließlich den vielleicht baldigen Vizekönig von Indien!

Im garten trifft sie auf einen Mann, sie kennt ihn. Kein verwöhnter Schnösel, wie die zahlreichen Männer auf der Party. Charmant und ein Stück weit ehrlicher als alles, was sie bis jetzt an diesem Abend erleben durfte / musste. Doch der Liebreiz des lauen Abends schlägt fast ohne Vorwarnung in einen heftigen Orkan um. Nur gut, dass Edgar darauf drängt, das sie den Revolver mit sich nahm. War das wirklich eine so gute Idee?! Schon bald muss Mary um Hilfe bitten bei einem Menschen, den sie kurz zuvor noch gewaltig vor den Kopf gestoßen hat.

William Somerset Maugham schafft eine Szenerie, in der das Böse einfach keinen Platz haben darf. Eleganz und Sorgenlosigkeit sind der Nährboden auf dem Mary ihr neues Leben aufbauen soll. Doch es wird ein Hort unendlichen Leids und voller Zweifel. Wo eben noch die jugendliche Leichtigkeit den Sieg über jedweden Zweifel feierte, herrschen mit einem Mal Verunsicherung und schreckliche Angst.

Ein Sizilianer von festen Prinzipien

Ein Buch, zwei Geschichten, zwei Ansichten. So schnöde und geheimnisvoll zugleich sich das anhören mag, so sehr ist man nach der Lektüre immer noch damit beschäftigt die Zeilen einzuordnen. Leonardo Sciascia war das Gewissen der Insel. Unbeirrbar – prinzipientreu – lag Sciascia dieses Buch so sehr am Herzen, dass er es am liebsten permanent umgeschrieben hätte. Doch er wusste auch, dass die Gefahr des „Verschlimmbesserns“ (auch wenn er diesen Begriff niemals verwendet hätte, sofern man ihn rückstandslos ins Sizilianische übertragen könnte) wie Damokles Schwert darüber schweben würde.

In „Der Tod des Inquisitors“ wird Fra Diego zum ungewollten Helden. Im 17. Jahrhundert haben die Spanier das Sagen über Sizilien. Und mit ihnen kam auch die Inquisition. Ein perfider Haufen tollwütiger zweifelhafter Idealisten, die mit Raffinesse und ungeheurer Gewalt ihrem eigenen Treiben durch Geständnisse eine Art Legitimation erlangen wollten. Fra Diego – ihn gab es wirklich – war einer, der sich diesem Treiben energisch entgegenstellte. Selbst unter der enormen Folter der Peiniger war sein Blick klar und geradeaus gerichtet. Sich der Gewalt beugen, kam für ihn nicht in Frage. Er ging sogar soweit seinem Peiniger den Schädel einzuschlagen. Wortwörtlich einzuschlagen! Das Ende: Der Scheiterhaufen. Für die meisten die letzte Chance sich reinzuwaschen – ergebnislos, wenn das Feuer einmal lodert, dann gibt es kein Zurück. Für Fra Diego „nur der Abschluss“ seines Lebens.

In der zweiten Geschichte geht es um einen Denunzianten im Chile der Pinochet-Diktatur. Einst lief er durch das gefürchtete Stadion, das zum Gefängnis umfunktioniert wurde, und zeigte mit dem Finger auf einstige Weggefährten. Ein Opportunist übelster Sorte, der nicht dem Mumm besaß sein Gesicht zu zeigen. „Der Mann mit der Sturmmaske“ versucht später Reue zu zeigen und wendet sich ein weiteres Mal. Er will Zeugnis ablegen und Reue zeigen, und zwar vor denen, die die Greueltaten aufzuklären versuchen. Ein schlussendlich sinnloses Unterfangen.

Beide Hauptfiguren sind literarische Helden, die in ihrem Tun die Aufmerksamkeit des Autors Sciascia erregten. Wobei es Sciascia wohlwollend vermeidet ihr Tun in Gut und Böse zu unterteilen. Er ist ein Chronist, der mit ironischen Mitteln das Treiben aller Beteiligten in ein Licht rückt, das viel Schatten wirft und somit Licht ins Dunkel bringt.

Der Essay von Maike Albath und der Text von Santo Piazzese sind – begreift man dieses Buch als typisch sizilianisches Menü mit der Einleitung der Verlegerin Monika Lustig als speichelanregende antipasto – sind das gelungene Dessert, nach dem man sich noch lange die Lippen lecken wird.

Hier und anderswo

Man spürt es ab der ersten Seite, ach was, aber der ersten Zeile: Thomas Michael Glaw reist gern. Und oft. Und er kann viel erzählen. Nicht über das, was man sehen muss, was jedem früher oder später vor die Augen kommt, sondern über das, was man suchen muss und finden kann. Und vor allem über das, was zu beachten ist. Reiseimpressionen mit Lerneffekt. Doch so statisch sollte man dieses kleine Büchlein nicht angehen. Es ist eine Art Hilfestellung für Reisenovizen wie alte Hasen, die über diejenigen lachen, die Catania in Spanien oder Griechenland verorten (die gibt es wirklich! Und das nicht zu knapp!).

Hier sind sie also die gesammelten Impressionen (Auszüge davon) eines Reiselebens. Von München nach Wien im Flieger? Niemals. Im Zug reist man entspannter, und auch nicht viel länger, wenn man die Eincheckzeiten und die Fahrten zum und vom Flughafen einberechnet. Und mit der ÖBB sogar pünktlich, freundlicher … einfach entspannter. Reisen als Sinnesrausch im positiven Sinn. Denn auch eine Zugverspätung kann eine Reise in einen Rausch verwandeln – Stichwort Blutrausch.

Wiens erster Bezirk hat für ihn den Rausch der Vergangenheit gegen die Tristesse des Übers eingetauscht. Übervolle Straßen, übermäßig viele Verkäufer, die überteuerte Tickets verkaufen, überall nur Touristen, die überhaupt kein echtes Wien mehr ans Tageslicht kommen lassen. Dennoch sind Wien und seine Cafés immer noch berauschend. Es sind halt nur andere Cafés, wo man sich zur morgendlichen Stunde Gazetten und Braunen einverleiben mögen möchte.

Südspanien im Winter ist ein feuchtes Vergnügen. Manchmal auch ein feuchtfröhliches, wenn man der Sprache nicht mächtig ist und aus Versehen etwas bestellt, was einen übermäßig beansprucht.

Roma als Amor zu verstehen, fällt leicht, wenn man die Ewige Stadt einmal besucht hat. Oder mehrmals. Die Stadt für sich allein hat man niemals. Es sei denn, man besucht einen Friedhof. Doch auch da ist Achtsamkeit angeraten. Furbo und Pignolo können einem manchmal ordentlich auf die Nerven gehen oder gar die letzten Reste davon rauben. Der Eine mogelt sich durch (und kommt damit auch immer durch), der Andere ist ein Pedant, den man so in Italien gar nicht vermutet. Eine köstliche Charakterstudie des Autors.

„Hier und anderswo“ ist ein kurzweiliges Lesevergnügen für alle, die Bestätigung suchen und/oder vor der Entscheidung stehen in alle Himmelsrichtungen zu flüchten. Knigge-Fallen lauern überall (da ist es wieder, dieses „über“), nicht hineinzutappen, ist die Kunst. In diesem Büchlein die Fallen zu erkennen, sie umschiffen zu können, ist keine Kunst, es ist fast schon eine Pflicht.

Die Straße in die Stadt

Es sind keine Flausen, die Delia sich in den Kopf setzt oder sich setzen lässt. So oft sie kann verlässt sie das lieblose Heim in dem kleinen Dorf, in dem sie lebt, um in die Stadt zu gehen. Die Stadt. Dort will sie einmal leben. Mit Mann und Kind. Aber eigentlich nur, weil es die Stadt ist. Und nicht das dreckige kleine Kaff, in dem sie der Niemand auf dem Präsentierteller ist. Sie will jemand sein. Jemand in der Stadt, denn nur dort ist man wer.

Ach, süße Sechzehn! Azalea wohnt auch dort. Die große Schwester. Sie hat alles: Einen Gatten, Kinder, … einen Pelzmantel und ein Bett, von dem aus sie ihr kleines Reich regiert. Dazu gehört es ihren Mann anzufauchen. Und auch ihren Freund – per Telefon. Das Dienstmädchen – auch das hat Azalea – kümmert sich schon um den „Rest“.

Noch ein Jahr dann ist Delia so alt wie Azalea als sie heiratete … und das Dorf verließ. Verlassen konnte. Bald wird auch Delia diesen Schritt gehen. Doch mit wem? Mit Giulio? Der ist total verschossen in sie. Der Sohn des Doktors. Also keine schlechte Partie. Oder doch mit Nini. Cousin soundsovielten Grades, der der Familienhölle entkam und in Delias Familie Unterschlupf fand. Doch Nini ist mehr an Büchern und Lesen interessiert.

Delia saugt die Stadt auf wie einen Schwamm. Dass hier erst recht nicht alles azurblau ist, bemerkt sie nicht. Erst als ihrer Schwester sämtliche Glücksfelle davonzuschwimmen drohen – ihr Liebhaber will sich binden, aber nicht an Azalea – und sie selbst schwanger ist, beginnt der Ernst eines Lebens, für den der Ausweg in die Stadt keine Option mehr ist. Und es kommt noch schlimmer für die unschlüssige Delia…

Natalia Ginzburg beweist schon in ihrem ersten Roman ihr enormes Geschick knallharte Realität mit weicher Stimme Gehör zu verschaffen. Die naive Delia muss pronto lernen, dass die citta ebenso Himmel wie Hölle bedeuten kann. Und zwar ganz anders als sie es sich in ihrem so bisherigem kurzen Leben vorstellen konnte. Ihre Wünsche und Träume sind vollkommen legitim. Der Weg zu deren Erfüllung ist steiniger als sie es überhaupt überblicken kann. Sie verzweifelt nicht. Erst ein endgültiger Schicksalsschlag lässt sie ihre Blindheit vergessen.

Geheimsache Italien

Würde dieses Buch von einem Journalisten, einem Fanatiker, einer Rampensau, die nur das Scheinwerferlicht sucht, geschrieben worden sein, dann wäre dieses Buch nicht mehr als ein Aufschrei ohne Substanz, das alsbald auf dem Wühltisch der Buchhändler landen würde. Doch hier schreibt einer, der es wissen muss. Giuliano Turone war Richter am Kassationsgerichtshof, Professor für Investigationstechniken und nahm an den Prozessen am Gerichtshof für Menschenrechte in Den Haag gegen die Kriegsverbrecher im Jugoslawienkrieg teil. Und – damit ist es endgültig bewiesen, dass er kein blindwütiger Agitator ist – er leitete die Untersuchungen gegen die Loge P2 und war Mitglied der Antimafiakommission.

Auch ohne viele Vorkenntnisse – wer dieses Buch bewusst auswählt, ist automatisch mit einer Portion Grundwissen ausgestattet – kommt man (kopfschüttelnd) schnell auf seine Kosten, wenn man sich für politische Intrigen und deren Strippenzieher interessiert. Detail- und lehrreich führt Giuliano Turone den Leser in eine Zeit, in der Italien (wieder einmal) vor einer Umwälzung stand. Schon lange waren in dem Land Mächte am Werk, die lange Zeit unbehelligt ihrem Tagwerk nachgehen konnten, weil die eigentlichen Machthaber weit weg waren. Weit weg in jedwedem Sinne. Stichwort Mafia. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Angst vor den Kommunisten größer als die Angst vor einem Dritten Weltkrieg. Lieber mit der Mafia paktieren als Moskau einen fruchtbaren Boden zu bereiten, war die Devise.

Im Laufe der Jahre waren derart viele Mächte am Werk, dass es einer weiteren Macht bedurfte, die diese Kräfte bündelte. P2, Propaganda Due, war diese Macht, die in der Lage war Italien – in ihrem Sinne – in die richtigen Bahnen zu führen. Ursprünglich eine Freimaurerloge, also humanistisch, aufklärerisch geprägt. Zu ihr gehörten Mafiosi, Politiker (bis hin zu Ministerpräsidenten), Polizisten, Intellektuelle, Kleinkriminelle, Kirchenleute – kurzum: Der so genannte repräsentative Querschnitt der Bevölkerung. Sie vertuschten Verbindungen, ließen Akten vernichten, planten Attentate und Entführungen, ballten eine unvorstellbare Macht in ihren Reihen. Sie waren auf einer Stufe der Machtgier angelangt, in der Geld keine Rolle mehr spielt. Und das obwohl ihre Sparschweine wegen Fettleibigkeit ihren Aktionsradius erheblich einschränken mussten.

Schlagworte, die dieses Buch als Eckpfeiler benutzt sind die Entführung von Aldo Moro und das Bombenattentat am Bahnhof von Bologna zu nennen, weil sie medial die größte Aufmerksamkeit auch in Deutschland erhielten. Mit Akribie wühlt sich der ehemalige Richter Giuliano Turone durch einen schier unendlichen Berg von Akten und Beweisen, ordnet sie – was allein schon unmenschlich erscheint ob der gigantischen Menge – und serviert dem Leser ein Menü, das einem die Kehle zuschnürt. Bloße Verschwörungstheorien? Mitnichten, auch wenn immer noch versucht wird alle Argumente mit einem Handstreich hinwegzuwischen. Nicht umsonst hatte Silvio Berlusconi P2 als eine Art Gentleman-Club bezeichnet…

Bei der Lektüre von „Geheimsache Italien“ liegen kopfnickendes „Si“ und erschreckendes „Oh no“ so eng beieinander, dass einem manchmal schwindelig werden kann.

Di Bernardo

Wenn man ein paar Fakten weglässt, ist der Fall sonnenklar: Der Komponist Alessandro Ferro richtet die Waffe auf die junge Livia. Tot. Und das vor der Basilica di San Giovanni in Laterno, Rom. Die entscheidenden Fakten sind jedoch, dass auch er tot vor der Basilica liegt und die Waffe irgendwie platziert scheint. Commissario Dionisio Di Bernardo kommt die Szenerie irgendwie verdächtig vor. Auch die Zeugen. Gabriella Guselli, die Organistin hatte zuvor ein Stück von Bach gespielt, „Erbarme Dich!“ – wie passend. Sie spielte an dem nicht gerade leisen Instrument. War jedoch ziemlich am Tatort, und sie erfasste die Situation ebenso schnell. Da war nichts mehr zu machen. Die Frau war tot. So ihre Einschätzung.

Des Weiteren befragt Di Bernardo Pietro Bonolis. Bei ihm hatte sich Livia vor Kurzem um eine Lehre zur Bogenbauerin (Geige, Cello etc.) beworben. So wie Jahre zuvor ihr Vater. Der allerdings zurück nach Rumänien musste, um sich ums Geschäft wiederum seines Vaters zu kümmern. Livia war geschickt und wissbegierig, gibt Bonolis an. Doch das ständige mit dem Tuch über die schwitzige Stirn Wischen, macht Di Bernardo und seinen Kollegen Del Pino nachdenklich.

Ein mäßig erfolgreicher Komponist, eine junge Frau – schwanger, zweiundzwanzigste Woche – aus Rumänien, beide ermordet, gar nicht weit entfernt von einer Bogenbauerwerkstatt, vor einer Kirche … und rund herum nur unbefriedigende Antworten auf so viele Fragen. Hier liegt was im Argen – das weiß Di Bernardo ganz genau.

Wie in einer Sinfonie sind die einzelnen Noten für sich stehend nur Gekrakel. Erst im Zusammenspiel ergeben sie eine Melodie, die zum Schwelgen anregt und den Hörer in ihren Bann zieht. Und Di Bernardo ist der Dirigent. Er verleiht dem Stück die richtige Würze, bestimmt Tempo und bringt seine eigenen Ideen klangvoll zum Ausdruck. Da können noch so viele Misstöne auftauchen, Di Bernardo wischt sie hinweg. Und am Ende gibt es stehende Ovationen…

Natasha Korsakova schickt Commissario Dionisio Di Bernardo ordentlich auf den Holzweg. Und das nicht nur sinnbildlich, sondern wortwörtlich. Denn die Morde haben mit einer kriminellen Bande zu tun, die erfahrenen Krimilesern nur selten begegnet… Als Zwischenspiel wird jedes Kapitel mit einem kleinen Musikstück – als QR-Code jederzeit abrufbar – untermalt. Wer die Kurzbiographie im Buchumschlag liest, wird schnell erraten, dass es sich bei den Musikstücken um die Autorin selbst handelt, die „so ganz nebenbei“ auch Violinistin ist.