A Taste of Honey

Der Titel des Buches kommt einem irgendwie so seltsam vertraut vor. Vielleicht schwirrt einem aber auch der Film „Bitterer Honig“ aus dem Jahr 1961 im Kopf herum. Das Schwirren trügt nicht. Die Autorin Shelagh Delaney ist als der Film erscheint gerademal etwas über Zwanzig. Und schon ein Star. Dass ihr erstes Stück gleich so einschlagen wird, konnte sie nicht im Geringsten vorhersehen. Und dann auch noch eine Verfilmung… In Deutschland brachte Peter Zadek das Stück – wenig erfolgreich – auf die Bühne.

„A Taste of Honey“ ist nur eine Geschichte in diesem Buch. Denn dieses Buch ist das komplette Werk einer Autorin, die im England der 50er und 60er Jahre eine Ikone war, und der es vergönnt war ihren Ruhm auch genießen zu dürfen. Morrissey und seine The Smiths huldigten ihr, indem er ihre Texte in seine Songtexte einbaute und sogar weiterführte. Das Plattencover zu „Louder than Bombs“ wird durch ihr Konterfei geadelt. Und doch ist Shelagh Delaney in Deutschland gänzlich unbekannt. Wie bei Asterix und Obelix gibt es einen kleinen Kreis von Menschen, denen Shelagh Delaney etwas sagt. Tobias Schwartz und André Schwarck gehören zu diesem erlauchten Kreis. Sie setzen der Autorin mit diesem Buch ein Denkmal, das hoffentlich dazu beitragen wird sie nicht noch einmal mit dem Staub des Vergessens zu bedecken.

„A Taste of Honey“ erzählt die Geschichte von Jo. Gerade einmal muss sie mit ihrer Mutter, einer Alkoholikerin und Prostituierten, wieder einmal umziehen. Ein schäbiges Loch, in dem es kalt und feucht ist. So wie in den dreckigsten Ecken von Salford bei Manchester, wo Shelagh Delaney 1938 geboren wurde. Trist wäre schon eine Euphemismus, um diesen Ort zu beschreiben. Jo und Hellen, ihre Mutter, liefern sich einen dauernden, wenig herzlichen Schlagabtausch, aus dem keine der beiden als Sieger hervorgeht. Jo hat zumindest noch ihr Leben vor sich, Helen hat ihres schon längst abgeschrieben. Peter, macht Helen einen Heiratsantrag. Nicht aus Liebe, sondern aus dem einfachen Grund sie ins Bett zu bekommen. Alle durchschauen die Szenerie auf Anhieb. Jo hält aber eine brennende Lunte, die sie aus diesem Elend herausführen kann, in der Hand. Sie hat einen Freund an der Hand, und bald schon die Frucht ihrer Liebe unter ihrem Herzen. So poetisch würden weder Jo noch Helen es niemals bezeichnen. Der Freund ist bald schon weg, das Kind da, und die Lunte erloschen. Geof ist dafür im Leben von Jo aufgetaucht. Er wird sich rührend um Jo und das Kind kümmern wollen. Ehrbare Absichten, doch Geof ist homosexuell. Zusammengefasst: Die Industriemetropole Manchester in den 50er Jahren, ein Teenager mit Kind – ohne Vater, eine alkoholkranke Prostituierte und ein schwuler Freund: Skandal! Die lebensnahe Sprache der Akteure macht „A Taste of Honey“ so nachvollziehbar. Kein britisches upperclass-understatement, sondern er Rotz der Straße lassen dieses Meisterstück erblühen. Als Leser muss man nicht viel Interpretationsarbeit leisten. Die fehlenden Schnörkel erledigen das auf beeindruckende Weise.

Das Vorwort von Tobias Schwartz führt den Leser auf das erwartende Gesamtwerk von Shelagh Delaney umfassend ein. Die folgenden acht Erzählungen bereiten den Weg für den Höhepunkt ihres künstlerischen Schaffens. Die beiden Theaterstücke – es folgt noch „Der verliebte Löwe“, nicht weniger beeindruckend, jedoch weitaus erfolgloser als „A Taste of Honey“ – vollenden ein Buch, das es so im deutschen Sprachraum kaum gegeben haben dürfte. Vierhundert Seiten ungeschöntes, pralles Leben im Industriequalm erstickenden England. Und obendrauf ein Fürsprecher – Morrissey – dessen Texte auf einmal um einen weiteren Aspekt erweitert werden.