Ma

Paris ist für Massiré Dansira, Ma genannt, nicht das Paradies. Vielmehr ist es der Ort, der ihr die Möglichkeit bietet ihre Familie „durchzubringen“. Denn die lebt noch in Mali, mitten in Afrika, einem Land, das hierzulande nur durch Blauhelmmissionen und Attentate bekannt ist. Und sie bringt vier Kinder zur Welt. Einen Sohn als Erstgeborenen, welch ein Glück. Und dann ein Tochter.

Sie ist in Frankreich geboren. Ist also Französin, wird aber von ihrer Mutter, Ma, mit den Traditionen Malis gegängelt. Zumindest empfindet die aufsässige Tochter es so. Tradition ist wichtig, das wird ihr immer wieder eingeimpft. Und so wird zuhause Bambara gesprochen. In der Schule, auf der Straße, mit Freunden ist Französisch die Sprache der Tochter. Beide, Mutter und Tochter haben so ihren Kampf, der ihr Leben prägt. Nur mit dem Unterschied, dass Ma ihre Kämpfe schon hinter sich wähnte.

Die Tochter ist es auch, die mit Liebe und Würde von ihrer Mutter spricht und schreibt. Denn Ma ist nun nicht mehr da. Der Rückhalt, der ihr all die Jahre alles ermöglichte, den sie verfluchte, doch tief im Inneren verehrte und bis Ende liebte, ist nicht mehr. Sie erzählt vom Leben in der Fremde. Für Ma eine Welt, die sie nicht kannte. Nicht einmal vom Hörensagen. Die Verbindungen in die Heimat waren Mas Rückhalt, aber auch Fluch. Denn die Traditionen wurden auch hier in Paris von Männerräten hochgehalten. Freie Entfaltung Fehlanzeige.

Der Tochter geht es da schon einen Tick besser. Sie findet Zuflucht im Boxen. Ihr ist Mali so fremd wie es Paris einst ihrer Mutter war. Und sie ist erfolgreich…

„Ma“ ist der zweite Roman von Aya Cissoko. Auch sie wurde in Frankreich geboren. Auch sie fand ein rettendes Ufer im Boxsport, war sogar Weltmeisterin. Bis eine Wirbelsäulenfraktur ihrer sportlichen Karriere ein jähes Ende bereitete. Sie weiß wovon sie schreibt. Sie kennt die Aufmüpfigkeit der Jugend, besonders der zweiten Generation afrikanischer Einwanderer. Heute lebt sie in Paris und ist Schriftstellerin und Politologin. Das Besondere an diesem Buch ist die schonungslose Offenheit, mit der die Tochter ihrer Mutter ein Denkmal setzt. Weit entfernt von tränenrühriger Geschichte, dafür ganz nah am Leben beschreibt sie den Mut der Mutter sich gegen alle Widerstände durchzusetzen. Auch das färbt natürlich auf die Tochter ab. Durchsetzungsvermögen und schnelles Erfassen sind im Boxsport genauso (überlebens-)wichtig wie im „wahren Leben“. Die Einblicke, die man als Leser in die ach so fremde Kultur Malis erhält, sind so einmalig, dass sich sofortiges Verständnis für die eine oder andere beschriebene Situation einstellt. Das fremde Mali ist von jetzt an Geschichte, die Wurzeln des Landes können nie mehr verleugnet werden. Dank Aya Cissoko.