Fast eine Liebe

Man muss schon sehr lange im – bestenfalls sehr großen – Bücherschrank suchen, um einen Autor, eine Autorin zu finden, die mit jedem Werk einen Volltreffer landen konnte. Und hat man seinen Liebling erwählt, will man alles von ihm, von ihr lesen. Als nächster Schritte will man alles über sie/ihn wissen. Und dann kommt die Ernüchterung. Alles, was es zu lesen gibt, hat man gelesen. Ist die Liebe nun erloschen? Nein! Niemals. Denn nun ist man Experte (die werden im Fernsehen gern mal vor eine Bücherwand (!) gestellt und befragt!).

Und dann gibt es Verlage, die sich mit dem Zustand der Endgültigkeit einfach nicht zufrieden geben. Immer wieder tauchen bei ihnen Autoren auf, die doch noch Neues im Leben eines Autors / einer Autorin recherchieren und gekonnt zu Papier bringen. Carson McCullers ist so ein Wunderkind. Jedes Buch sorgte für Furore. Und nun wird ihrer viel zu kurzen, übervollen Biografie ein weiteres Kapitel hinzugefügt.

„Das Herz ist ein einsamer Jäger“, der Erstlingsroman von Carson McCullers schlug wahrhaft ein. Dieses seltsame Mädchen aus dem Süden wurde in New York wie eine Sensation gefeiert. Auch andere Autoren wurden auf das kränkliche Wesen aufmerksam. So auch Erika und Klaus Mann, die vor den Nazis in Amerika eine neue Heimat gefunden hatten. Und so begab es sich, dass Carson ihren Verleger treffen wollte, im gleichen Hotel aber eben auch die intellektuelle und sprachbegabte Erika abgestiegen war. In ihrem Schlepptau eine junge engagierte junge Schweizerin, die die Welt bereiste und vergeblich versuchte Erika zu amourösen Abenteuern (und noch ein bisschen mehr) zu überreden, Annemarie Schwarzenbach.

Für Carson McCullers, deren Gatte nur sporadisch im gemeinsamen Heim selbiges fand, traf also ihren Verleger, Erika Mann (auch deren Bruder Klaus) und eben diese Annemarie. Das Wunderkind wurde schlagartig zum Jäger. Doch das zu erlegende Wild sträubte sich. Die Liebe bleibt unerwidert. Die Zuneigung wird jedoch nicht minder bestehen bleiben. Auch als Annemarie Schwarzenbach grußlos Amerika verlässt. Carson stürzt sich in die Arbeit, erhält Auszeichnungen und Preise. Und ein Telegramm von Klaus Mann, der ihr nüchtern den Tod der ersehnten Liebe verkündet. Der Schock sitzt tief, Kollegen und Freunde sorgen sich um Carsons Gesundheit.

Alexandra Lavizzari setzt in ihrem Buch beiden Frauen ein wortstarkes, eindrucksvolles Denkmal: Das Wunderkind aus dem Süden, das aus Angst vor Enttäuschung zu schreiben beginnt – die wissbegierige Industriellentochter, die Liebe sucht und Liebe abweist – zwei Frauen, die in ihren Gemeinsamkeiten und durch ihre Unterschiede füreinander geschaffen waren, und doch wie die Königskinder niemals zusammenkommen konnten.

Noch einmal zurück zur viel zu kurzen Biografie von Carson McCullers. Das Jahr 2017 ist Medaillen-Jubiläumsjahr. Und Medaillen haben bekanntlich zwei Seiten. Zum Einen feiert man im Februar ihren hundertsten Geburtstag, zum Anderen im September den fünfzigsten Todestag. Annemarie Schwarzenbach wurde nur vierunddreißig Jahre alt. Doch Zeit genug, um die Welt zu erkunden und das Leben auszukosten. Dieses Buch ist eine Hommage an beider Leben, an die Liebe (der beiden) und eine Aufforderung sich niemals zufrieden zu geben. Als Leser darf man die Hoffnung nicht aufgeben, dass vielleicht hier und da noch weitere Manuskripte über das Leben von Carson McCullers auftauchen werden…