Inspector Morse – Oxford

Woodstock – das ist Love, Peace and Harmony. Aber nur, wenn man an das Jahr 1967 und das immer noch präsente Musikfestival denkt. Inspector Morse hat mit derlei Spektakel nichts am Hut. Er genießt die Architektur des Städtchens Woodstock, das in seinem Revier in Oxford, England liegt. Ein wahrhaft idyllischer Platz. Blöd nur, wenn ausgerechnet hier eine Leiche gefunden wird. Dann kann herum noch so schön sein – die Idylle ist ein für allemal getrübt.

Der Black Prince Pub ist einer von vielen Pubs in Woodstock. Früher sollen sich hier mal die Royals vergnügt haben. Legende oder Wahrheit? Dem Pub hat es nicht geschadet. Was allerdings schaden könnte, dass zwischen den geparkten Autos der geschändete leblose Körper von Sylvia Kaye liegt. Ein junges Ding, das sich von ihrer Freundin verführen ließ nicht länger auf den Bus nach Woodstock zu warten, sondern per Anhalter zu fahren. Nur wenige Minuten Geduld hätten ausgereicht, und beide könnten noch gemeinsam …

Inspector Morse verwundert die Tatsache, dass sich niemand auf die Aufrufe meldet. Eine ältere Dame erzählte ihm, dass zwei junge Damen an der Haltestelle auf den Bus warteten. Eine war Sylvia – das steht fest. Aber was ist mit dem zweiten Mädchen, der zweiten jungen Dame? Warum meldet die sich nicht? Kennt sie den Fahrer, der mit ziemlicher Sicherheit der Vergewaltiger und Mörder von Sylvia Kaye ist? Jennifer Coleby – so viel Morse schon rausbekommen – ist ein aufmüpfiges bis gerissenes junges Ding. Sie würde ohne mit der Wimper zu zucken ihre Falschaussage unterschreiben. Denn sie war es, die Sylvia an der Haltestelle zurückließ, bevor die sich dann doch überzeugen ließ mit ihr und dem Fremden davon zu düsen.

Bernard Crowther, Englisch-Lehrer am College, ist ein gern gesehener Gast im Black Prince. Gebildet, ein guter Zuhörer und gern gewillt eine Runde zu schmeißen. Doch daheim ist er ein Scheusal. Die beiden Kinder und seien Frau sind im herzlich egal. Und das lässt er immer häufiger auch durchblicken. Als Verdächtiger taugt er in Morse’s Augen nur bedingt. Aber er taugt.

Inspector Morse hat genügend Theorien, um alle Fälle bis zu seiner Pensionierung lösen zu können. Doch wie er schon selbst ausgerechnet hat, kann es nur einen Täter geben. Und der steht ihm näher als der denkt…

Inspector Morse und sein Sergeant Lewis sind einsam an der Spitze der modernen englischen Kriminalliteratur. Einsam sind aber trotzdem nicht, denn sie haben ja jede Menge Verdächtige um sich, mit denen sie sich unterhalten können, Rätsel lösen, Falle stellen können. Als Leser darf man dem teils schaurigen Schauspiel aus der ersten Reihe zuschauen.

 

Klingt wie Strafarbeit: Einen Fall bearbeiten, in dem schon seit Jahren keine Bewegung mehr gekommen ist. Chief Inspector Morse beißt in diese Zitrone und macht Limonade daraus.

Der Teenager Valerie Taylor ist seit zwei Jahren spurlos verschwunden. Seitdem gibt es kein Lebenszeichen mehr von dem Mädchen. Keine guten Voraussetzungen, um den Fall noch zu einem guten Ende zu bringen, ihn überhaupt beenden zu können oder gar ein kleines Lob vom Chef einzuheimsen. Auf letztes kann Chief Inspector Morse verzichten, die anderen Punkte wurmen ihn schon. Auch weil er seiner Spürnase nicht vertrauen will. Denn die schnüffelt den Hauch des Todes. Nach so langer Zeit kann das Mädchen einfach nicht mehr am Leben sein.

Inspector Ainley hatte den Fall zuletzt bearbeitet. Ja, er hatte sich richtig in ihn verbissen. Hatte sogar so was wie eine neue Spur. Verdammt heißt sogar. Doch Ainley war unvorsichtig. Bei einem Überholmanöver übersah er einen von hinten heranrasenden Wagen. Das war sein Ende. Das war ein Tag zu Vergessen. Einen Tag später wurde ein Brief in einen Briefkasten eingeworfen. Man solle sich keine Sorgen machen. Alles ist gut. Unterschreiben von Valerie Taylor. Wie kann das sein?

Sergeant Lewis, der gewissenhafte, streng nach den Vorschriften handelnde Assistent von Morse muss einige Male über seinen Schatten springen, um Morse eine echte Hilfe zu sein. Von Besuchen in der Schule Valeries über eine Müllkippe bis in die miefigsten Stripclubs treibt es das ungleiche Ermittlerpaar. Nach und nach werden ihre Eskapaden zu einem düsteren Bild zusammengefügt. Rückschläge inklusive. Ziemlich schnell wird klar, dass der Brief erst bei ganz genauem Hinsehen nicht aus der Feder von Valerie Taylor stammen kann. Viel Aufwand für einen Fall, der eigentlich als ungelöst in den feuchten Kellern vor sich hinvegetieren kann, soll, und es auch lange Zeit tat. Und genau dieser Aufwand, der seltsame Tod, der noch seltsamere Brief lassen Morse nicht aufgeben.

Alles scheint sich auf die Schule, die Valerie besuchte, zu verdichten. Nur eine Theorie: Der Direktor Mr. Phillipson schien etwas mit seiner Schülerin „gehabt zu haben“. Sein Stellvertreter Baines bekam Wind davon und erpresste seinen Chef. Auch der Französischlehrer Acum ist irgendwie in die Sache verwickelt. Morse hält alle Mosaikteilchen in der Hand. Nur ergeben sie noch kein richtiges Bild. Klarer wird dieses Bild erst als Baines blutbefleckt vor seinem Kühlschrank hockt. Aus dem Rücken ragt noch der Griff eines Messers…

Colin Dexter lässt Chief Inspector Morse an der langen Leine ermitteln. Doch das andere Ende der Leine befestigt er am Pflock des Zweifels. Morse kommen die wildesten Theorien in den Sinn. Alle mit einem Funken Wahrheit. Bis der überspringt hat man mehr als dreihundert Seiten Zeit sich an der Spurensuche zu beteiligen.

 

Spätherbst in Oxford, für Nicholas Quinn ist es der Sommer. Denn der fast taube Dozent für Englisch ist das neue Mitglied des Verbands der Auslandsprüfungen der Oxford-Universität. Die Entscheidung, ob er oder ein weiterer Kandidat geeigneter wären, fiel der Kommission nicht leicht. Sechs von elf Stimmen konnte Quinn auf sich vereinen. Nun hat ihn der Alltag eingefangen. Tagungen, Sitzungen, Gespräche mit potentiellen Geldgebern – Oxford ist mehr als nur eine Schul- und Universitätsstadt, auch hier regiert der schnöde Mammon. Die Schwerhörigkeit stört auch kaum noch jemanden. Außer beim telefonieren, da ist Quinn echt anstrengend. Amüsiert sieht man hingegen darüber hinweg, wenn er statt Königin Elisabeth Königin Lisas Bett versteht – ein Gag, der wohl im Deutschen als auch im Englischen funktioniert.

Doch nach schon wenigen Wochen wird Nicholas Quinns Stelle im Verband wieder frei. An einem Dienstagmorgen findet man ihn regungslos in seiner Wohnung. Tot. Vergiftet. Alle sind ratlos. Ja, es gab ein paar Unstimmigkeiten wegen seiner Berufung. Erst durch das Engagement von Mr. Roope, der zufällig am gleichen College wie Quinn studierte, etwa im gleichen Alter ist, wurde Quinn die Stelle zugesprochen.

Inspector Morse muss bei seinen Ermittlungen nicht bei null anfangen, sondern bei Minus irgendwas. Der Verband wird straff von Dr. Bartlett geführt. Wer kurz verschwindet muss zumindest eine kurze Nachricht hinterlassen wo er ist und wann er wieder zurück zu sein beliebt.

Solange die Obduktion kein klares Ergebnis liefern kann, versucht Morse den Tatzeitpunkt selbst zu ermitteln. Und das ist gar nicht so einfach! War Quinns am Freitag oder am Samstag noch einkaufen? War er im Kino? Wenn ja, allein oder in Gesellschaft? Hat er überhaupt noch Angehörige? Im Dunkeln tappen ist gegen diese Ermittlung ein echtes Sonnenbad!

Doch die Beteiligten geben Morse immer wieder kleine Hinweise, die er aber erst in der Masse der zusammengetragenen Erkenntnisse deutliche sehen kann. Sergeant Lewis fühlt sich hingegen wieder wie auf der Schulbank. Morse gibt ihm eine Denkaufgabe nach der anderen.

Colin Dexter holt im dritten Roman der Oxford-Reihe mit Inspector Morse zum ganz großen Schlag aus. Der oder die Täter sind intelligente Täter. Nichts geschieht impulsiv. Jeder Schritt ist durchdacht. Jedes Alibi morse-abweisend. Doch nicht zu hundert Prozent. Morse selbst ist nicht auf den Kopf gefallen. Er durchschaut nach anfänglichen Schwierigkeiten die Denkweise der Täter. Quinns Behinderung ist der Schlüssel zu einem Rätsel, das Morse lange in Schach hält, ihn aber umso vernehmlicher triumphieren lässt.

 

Wohin fährt ein gerissener Inspector in den Urlaub? An den Tatort! Was wie ein schlechter Witz klingt, ist für Inspector Morse traurige Gewissheit. Griechenland sollte es werden, und Oxford ist es geblieben. Wäre er doch … dann hätte er … alles wäre so schön. Doch die Gemeinde St. Fridewide’s bietet genügend Spannung, um die freien Tage genießen zu können. Vielleicht passiert ja doch noch was. Da irrt der Inspector. Es ist schon passiert. Gar nicht so lange her.

Da wurde der Kirchenvorsteher Harry Josephs erstochen. Und schon kurze Zeit später stürzte der Pfarrer Lionel Lawson vom Kirchturm. Pfarrer Lawson wusste, dass Josephs sich gern mal aus der Kollekte bediente. Denn Lawson legte selbst immer eine Fünf-Pfund-Note in die Kollekte, und er merkte sich die letzten drei Ziffern des Scheins. Cleveres Bürschchen, dieser Pfarrer. Der Fall lag für die örtliche Polizei klar auf der Hand. Der Pfarrer hat den Kirchenvorsteher ermordet und konnte dann nicht mehr mit der schändlichen Tat leben und zog die Konsequenzen. Fall gelöst, Akte geschlossen. Nicht für Morse. Er kann sogar höhere Stellen davon überzeugen noch einmal zu ermitteln. Aber nur zusammen mit seinem Assistenten Lewis.

Bei den Recherchen tut sich dem Ermittlerduo ein wahrer Sündenpfuhl auf. Brenda, verwitwete Josephs war relativ schnell nach dem Tod ihres Gatten verschwunden. Ebenso Paul Morris, Musiklehrer und Organist in der Kirche. Sein Sohn Peter wurde auch schon lange nicht mehr gesehen. Inspector Morse weiß wo sie sind. Sie sind tot!

Apropos lange nicht mehr gesehen. Philip Lawson hat seinen Bruder Lionel, den Pfarrer auch schon lange nicht mehr gesehen. Oder doch nicht? Inspector Morse entdeckt im Nebel der Ermittlungen erste Lichter, die ihn erhellen sollen. Pfarrer Lawson hatte immer ein offenes Ohr für die, die am Rande der Gesellschaft knien. Es kam öfter vor, dass Obdachlose, Bettler und Gestrandete bei ihm eine Mahlzeit bekamen, ein paar Münzen oder gar eine Unterkunft fanden.

Morse hat einen dieser Bedürftigen auch schon kennengelernt. Der schwärmte regelrecht von dem ehemaligen Pfarrer. Morse ist gerührt, aber auch irritiert. Für einen Bettler hat der Mann verdammt gepflegte Hände… Zurück zu den Morden. Die Vergangenheit holt so manchen im beschaulichen Nord-Oxford wieder ein. Liaisons zerbrechen, Allianzen werden verleugnet. Nur drei Sachen stehen fest verwurzelt in der sündigen Erde Oxfords: Das Bier schmeckt, Lewis ist ein guter Tippgeber und Inspector Morse wird den Fall lösen.

Colin Dexter lässt seinen Inspector ganz schön zappeln. Jeder hier im Ort erreicht schon nach kurzer Zeit den Status eines potentiellen Verdächtigen. Bei dieser Masse muss er aussieben. Und schon bald muss er sich sputen. Denn der Fall der beiden Toten wird schon bald mit frischem Blut genährt.

 

Glück im Spiel, Pech in der Liebe. Ganz so schwarz und weiß ist das Leben von Inspector Morse nun auch wieder nicht, doch es kommt dem Kern ziemlich nahe. Würde der Inspector ein Verhältnis mit dem Verbrechen haben, wäre es eine langanhaltende fruchtbare Liaison. Oder anders gesagt: Fälle lösen kein Problem, eine Frau an sich binden eine stets geöffnete Akte. Ein lösbarer Fall. Mit Anne könnte sich das ändern. Einen ganzen Abend umschifft er eloquent jedes Fettnäpfchen. Der Inspector und Anne – das könnte was werden. Doch der Inspector wird zu einem Mord gerufen. Keine Zeit Anne Scott weiter kennenzulernen. Doch er hat ihre Adresse, Canal Reach Nr. 9 in Jericho, im Süden von Oxford.

Und dort steht er kurze Zeit (ehrlich gesagt für jemanden, der mehr als nur einen Höflichkeitsbesuch abstatten will eine sehr lange kurze Zeit später) später vor der Tür, der offenen Tür. Doch von Anne Scott keine Spur. Wieder mal eine Spur, die ins Nichts führt? Und da oben – da brennt doch ein schwaches Licht. So als ob jemand die Tür einen Spalt offen gelassen hat und ein Schimmer in einen dunklen Raum fällt. Auch auf lautes Nachfragen meldet sich niemand, keine Anne und auch sonst keiner. Morse geht wieder. Schließlich ist er in Jericho, um einen Vortrag zu hören.

Beim anschließenden Empfang oder Umtrunk ist alles wie gehabt. Morse steht mit einem Glas in der Hand allein in der Ecke. Wie einfach war es doch mit Anne. Draußen schlägt der Regen unaufhörlich gegen die Scheiben. Wie ein monotoner Beat, passend zur grauen Stimmung des ausklingenden Abends. Wie ein Licht in dunkler Nacht blitzen blaue Lichter auf. Ebenso Sirenengeheul. Morse‘ Aufmerksamkeit ist geweckt. Das ist seine Chance der trögen Veranstaltung zu entkommen.

Er biegt um Ecken, die er zuvor schon gegangen ist. In die Canal Street und dann ab in Canal Reach. Vor dem Haus Nummer Neun versammelt sich das Sirenengeheul und das blau blinkende Lichtermeer. Morse stockt ein wenig der Atem. Als Chief Inspector in Oxford kennt man ihn. Lässt ihn rein, lässt ihn Fragen stellen. Doch das hier ist nicht seine Baustelle. Nicht offiziell. Privat schnürt es dem begeisterten Pubgänger den Atem zu. Anne Scott ist tot. Erhängt. Kein Abschiedsbrief.

Der Titel des Buches lässt es schon erahnen: Anne Scott wird nicht einzige Leiche in Jericho bleiben. Weitere werden folgen. Und Morse? Wie soll er mit der Situation umgehen? Schließlich wer er – kurz vor dem Mord? – noch im Haus der Erhängten. Fremdverschulden schließen die Kollegen erstmal aus. Doch da war doch dieses Licht…

 

Die Redewendung „Dümmer als (es) die Polizei erlaubt“ ist für niemanden schmeichelhaft. Doch schlauer bzw. besser informiert zu sein als Inspector Morse ist eins Ehre. Der Leser dieses (des sechsten) Falls von Morse in Oxford darf sich geehrt fühlen. Denn die Lösung des Falles hat ihre Wurzeln in weit zurückliegender Zeit. Mitte der Vierzigerjahre. So viel sei schon mal verraten.

Der Rektor des Lonsdale Colleges und Inspector Morse sitzen gemütlich beim Bier zusammen. Doch so zufällig dieses treffen scheint, so erfreulich, dass die beiden Freunde sich mal wieder sehen, so unwillkommen ist der Anlass. Dr. Browne-Smith, mit „e“ und Bindestrich, ist weder beliebt bei den Kollegen der Prüfungskommission noch bei den Studenten ist scheinbar verschwunden. Ein harter Hund, der Strenge vor Recht ergehen lässt. Was der so alles in seiner Freizeit treibt … könnte ihn fast schon den Job kosten. Aber das weiß – und wieder ein Punkt für den Leser – ja bis zu diesem Zeitpunkt niemand. Man solle sich um seine Wohnung kümmern, das Essen abbestellen. So was sehe ihm gar nicht ähnlich, meint der Rektor. Der Zettel mit der ungewöhnlichen Bitte wurde dem Rektor zu einem wohlbedachten Zeitpunkt zugesteckt. Da stimmt was nicht, weiß der Rektor. Aber was? Morse verspricht dem alten Freund die Sache nicht zu vergessen und im Ernstfall sich zu melden oder wenn möglich einzuschreiten. Mehr kann er momentan nicht tun.

Und außerdem muss er sich um die erste Leiches des Buches kümmern. Im Oxford-Kanal schwimmt sie herum. Nicht ganz komplett, unter anderem fehlt der Kopf, was die Identifizierung ungemein erschwert. Allerdings hat der Tote einen Brief bei sich. Zugegeben etwas kryptisch, unvollständig. Als eingefleischter Kreuzworträtselfreund ist Morse der Lösung des Falles einen großen Schritt nähergekommen. Wenn denn seine Version des Briefes zutrifft…

Ein Sonntagmorgen im beschaulichen Oxford hat einen Erholungswert, den man nicht unterschätzen darf. Eine Stellung in einem der Colleges sichert einem ein durchaus sorgenfreies Leben. Aber nur solang bis die Vergangenheit auch das bleibt, was sie ist. Türmen sich erste Erinnerungswolken auf, so ist schlechtes Wetter im Anmarsch. Da kann man nur hoffen, dass Chief Inspector Morse nicht im Pub sitzt, sondern seine besonderen Fähigkeiten gezielt einsetzen wird.

 

Einmal im Hotel sich von vorn bis hinten bedienen lassen. Die Gäste im Hotel Haworth in Oxford fiebern dem Ende des Jahres entgegen. Das Jahr wird mit einem Kostümfest samt elegantem Galadinner feuchtfröhlich und ausgelassen gefeiert. Zuvor haben die Besitzer der mittlerweile etablierten Absteige ein abwechslungsreiches Programm zusammengestellt. Neununddreißig Gäste sollen anreisen. Doch nur achtunddreißig werden erhobenen Hauptes auch wieder abreisen. Einer der Gäste wird hinausgetragen… und zwar der Gast aus Zimmer 3.

Während man sich dem Programm des Abends hingibt, bemerkt kaum jemand, dass ein Stuhl beim durchorganisierten Dinner frei bleibt. Das endlose Tische- und Stühlerücken sorgt für mehr Verwirrung als dass es den Veranstaltern und deren Angestellten. Was soll’s, es ist Silvester, alle sind ausgelassen und fröhlich. Bis auf einen. Der bekommt posthum Besuch. Und zwar von Inspector Morse. Denn Mord am Silvesterabend, in einem Hotel, in seinem Oxford – das geht gar nicht!

Auch wenn er eigentlich ein paar freie Tage genießen will, findet sich Morse schnell am Tatort ein. Entgegen allen Vermutungen ist keiner der Gäste aufgebracht und will sofort das Weite suchen. Morse muss feststellen, dass es schon bei der Identität des Toten erste Komplikationen gibt. Man kennt das ja, ein Mr und Mrs Smith als Gäste in einem Hotel – man muss kein Prophet sein, um zu wissen, was vor sich geht.

Verdächtige gibt es mehrere. Dass alle an Silvester verkleidet waren, bringt auch nicht viel Licht ins Dunkel. So müssen er und Lewis, sein scharfsinniger Assistent Schnipsel für Schnipsel zusammentragen, um das Geheimnis von Zimmer 3 ans Neujahrstageslicht zu befördern.

Colin Dexter macht es dieses Mal seinem Inspector Morse besonders schwer. Gescheiterte Ehen, kryptische handgeschriebene Geständnisse, die allzu leicht ausgehändigt werden – selbst die geliebten Pubbesuche, die oft Erleuchtung bringen, helfen dieses Mal nicht so recht weiter. Es mangelt den Ermittlern an Schnelligkeit. Alle Zutaten liegen griffbereit für Sie da. Erst nach und nach schlagen bei Morse und Lewis die Funken der Erkenntnis Wurzeln. Bei Lewis schlagen sie allerdings zu sehr aus, wie Morse meint…

 

Einfach mal die Beine hochlegen und nichts tun. Wenn das alles freiwillig geschieht, kein Problem. Doch wenn die Halbgötter in Weiß einem Bettruhe erteilen, kann es unerträglich eintönig werden. Wenn man darüber hinaus nur allzu gern mal ein Pint hebt und dabei die Synapsen knallen lässt, ist ein Krankenhausaufenthalt eine Tortur. Der Gequälte ist in diesem Fall Inspector Morse. Und ihn quält ein Magengeschwür. Und die Schwestern im Krankenhaus. Und Lewis sein Assistent bringt, von denen seine Frau meint Morse würden sie gefallen.

Sein Bettnachbar, ein Oberst, hat soeben das zeitliche gesegnet als Morse dessen einziges literarisches Vermächtnis zugespielt wird, „Mord am Oxford-Kanal“. Für einen Haudegen wie Morse, E. (die Akten im Krankenhaus sind da auskunftsfreudiger als Colin Dexter) endlich die Lektüre, die ihn den Verlust von Ale, Whisky und Zigaretten vergessen machen. Morse liest sich einen Rausch.

Der Oberst hat sich in seinem Buch mit einem Mordfall beschäftigt, der anderthalb Jahrhunderte zurückliegt. In einem Kanal wurde zur damaligen Zeit die Leiche der Joanne Franks gefunden. Sie nutzte ein Kanalboot, um preisgünstig von einem Ort zum anderen zu kommen. An Bord waren drei Männer. Alles ungehobelte, grobschlächtige Kerle, die – laut Prozessakten – Joanne Franks nicht wohlgesonnen waren. Allein unter solchen Kerlen – das konnte nicht gutgehen. Mord, Vergewaltigung und Raub wurden ihnen vorgeworfen. Und zwar in zwei Prozessen. Das erregt die Aufmerksamkeit des Inspectors, der immer noch ans Krankenbett gefesselt in selbiger Art und Weise das Buch durchforstet. Und ihm fallen dabei ein paar Ungereimtheiten auf. Zum Beispiel versteht er es nicht, warum Joanne Franks das Boot nahm. Kutsche und Zug waren erschwinglich, auch für sie. Und vor allem ungefährlich! Morse lässt sich die Prozessakten bringen und siehe da: Die ganze Sache stinkt meilenweit zum Himmel!

Dass Colin Dexter seinem Inspector Morse mal die Hände bindet bzw. ihn ans Bett fesselt, hätte man auch nicht gedacht. Doch der E. Morse – mehr werden wir wohl nie über ihn erfahren – lässt sich von Ärzten und Schwestern und deren Vorschriften nicht lange zur Untätigkeit verurteilen. Er hat ja Zeit. Zeit, die er nutzt, um einen Fall zu lösen, der derart lange zurückliegt, dass ein Urteil niemals mehr zu fällen sein kann. Aber der Gerechtigkeit kann man immer noch zum Siege verhelfen. Wenn man nur genau hinsieht…

 

Alte englische Städte binnen weniger Tage besichtigen. Schlösser und Universitäten begehen. Und in so manche Schatzkammer einen Blick werfen. Die amerikanische Reisegruppe, die Ashendon durch Oxford führt, hat ein wirklich sehenswertes Programm. Auch wenn die Damen im fortgeschrittenen Alter sich mehr für ihre Nikotinzufuhr interessieren. Die Vorträge von Dr. Theodore Kemp und Laura Stratton scheinen für die Gruppe nur eine Abwechslung im Besichtigungsprogramm zu sein. Dabei hat gerade Laura Stratton mehr zu bieten als man auf den ersten Blick vermutet. Eine alte, reich verzierte und unheimlich wertvolle Gürtelschnalle und einen wudne4rvoll gestalteten Dorn. Den Wolvercote-Dorn. Bald schon wird sie dem Ashmolean Museum übergeben. Zuvor verabschiedet sich Laura von ihrem Mann Eddie und will ein Bad nehmen. Und schon bald … ist sie tot! Und der Dorn? Der ist weg! Chief Inspector Morse übernimmt.

Dort, wo die Studenten Oxfords sich vergnügen, und mit ihrer Nacktheit die Gemüter erregen, dort wird schon kurze Zeit später eine Leiche gefunden. Selbstmord? Wohl kaum, Morse muss sich auf ein Rätsel einrichten, dass selbst er nicht mit einem Pint im Pub rasch lösen kann. Denn der Tote ist Dr. Theodore Kemp. Er nahm sich ein Taxi für eine reichlich teure Fahrt. Das kann der Fahrer des Wagens bestätigen. Mr. Williams tut das nur allzu gern. Als Leser hat man gegenüber dem Chief Inspector einen riesigen Vorteil, da man weiß, dass eben dieser Dr. Kemp eine mehr als amouröse Affäre mit einer gewissen Sheila hat. Ihr Nachname? Williams!

Zwei Morde binnen so kurzer Zeit, ein verschwundener Schatz – was will man mehr? Morse recherchiert und recherchiert. So recht will sich der Mörder noch nicht zeigen. Dass bei dem Herumschnüffeln der Weg geebnet wird den Fall zu lösen, ist die einzige Hoffnung, die Morse noch hat. Er findet zum Beispiel heraus, dass die amerikanische Reisegruppe nicht ohne Grund zu dieser Zeit an diesem Ort ist. Nicht die ganze Gruppe, doch ein gewisser Teil. Die Wurzel des ganzen Übels um die Gürtelschnalle und den reich verzierten Dorn liegen weit zurück. Fast ein halbes Jahrhundert als die ganze Welt in Trümmern lag…

Colin Dexter beweist einmal mehr sein Gespür für wirklich knifflige Fälle. Nicht einfach ein Mord und gestohlene Preziosen. Nein, hier wird tief im Dreck der Vergangenheit gewühlt ohne dabei großartig Staub aufzuwirbeln. Alle Beteiligten müssen auf er Hut sein. Schweigen hilft da nicht viel. Chief Inspector Morse findet jede noch so kleine, noch so verwaschene Spur. Pech für die Täter. Ein Riesenglück für den Leser!

 

Wytham Woods – nicht gerade ein Ort, an dem man mit dem netten Fernsehopa auf Pilzsuche geht. Auf Pilzsuche geht Inspector Morse bestimmt nicht. Weder im Berufsleben, noch im Urlaub. Schon wieder werden die Fans des listigen Ermittlers nun denken. Ja! Und wieder wird es kein Urlaub mit Baden in der See, Entspannung am Pool und was man eben so macht in der schönsten Zeit des Jahres. Die Spürnase wird nunmal nicht trocken!

Dorset soll es dieses Mal sein. Das einzige Hotel an der Strandpromenade. So viel Luxus muss sein. Doch es hat sich schnell ausgeurlaubt als Morse einen Artikel in der Zeitung liest. Der Times sind ziemlich geheimnisumwitterte Reime zugegangen. Man – in diesem Fall die Polizei – ist sich sicher, dass die Leser oder zumindest der Literaturkritiker der Zeitung weiterhelfen können. Denn in den Akten schlummert schon seit Längerem ein Fall, der auf (Er-) Lösung wartet. Eine junge Studentin aus Schweden wird vermisst. Eben hat sie noch mit ihrer Mutter telefoniert, war ganz euphorisch. Ein bisschen klamm, aber das ist bei Studenten nicht Ungewöhnliches. Naja, jedenfalls ist sie verschwunden.

Die Gedichte sind mehr als ein Fingerzeig, was mit der jungen Frau geschehen ist. Sie, das Opfer fleht um Rettung aus dem Jenseits an. Da ist d8ie Rede von einem Bach und einem Wald. Morse kann nicht länger ruhig dasitzen und den Artikel einfach nur lesen. Zuerst muss er herausfinden, um welchen Wald es sich handelt. Wytham Woods – das ist die einzig vernünftige Erklärung. Ist ja auch nicht so weit weg. Quasi um die Ecke. Also ab in den Jaguar gen Wytham Woods.

Einige verschlungen Pfade später stößt Morse auch schon auf die ersten Anhaltspunkte, die sein Fährtenlesen rechtfertigen. Ist das noch Urlaub? Oder schon Manie? Morse und Urlaub, da lachen ja die Hühner! Und sein Chief Super rauft sich die Haare. Endlich ist der Quertreiber mal aus dem Haus, läuten schon wieder die Alarmglocken.

Colin Dexter will ein weiteres Mal seinem Inspector Morse eine Ruhepause gönnen. Doch es wird wieder nichts mit Erholung und Entspannung. Im Gegenteil. Wytham Woods ist nicht gerade der Ort, wo man seine Kinder allein spielen lässt. Dunkel ist es. Und wenn ein Ast knarzt, dann markerschütternd. Dass hier eine Leiche liegt, dürfte jedem einleuchten. Es gibt keinen gruseligeren Ort. Doch Morse ist frohen Mutes, und er ist sich sicher, dass sein Zeitvertreib keine Zeitverschwendung ist…

 

Bier trinken und Kreuzworträtsel lösen – Inspector Morse auf diese beiden Tätigkeiten zu beschränken, wäre für jeden „Klienten“ ein fataler Fehler. Das Bier hat der Inspector schon geschafft. Doch diese wenigen noch nicht ausgefüllten Felder in der Times machen ihn fertig. Wieso kommt er bloß nicht auf die Lösung?!

Da trifft es sich gut, dass sein Chef ihm einen Fall überträgt, den ein Kollege einfach nicht in den Griff bekommt. Dessen Frau liegt im Sterben, er hat weiß Gott andere Sorgen als den Mord an Professor McClure aufzuklären. Ein Küchenmesser, sehr breit, steckte in seinem dadurch hervorgerufenen leblosen Körper. Morse und sein Assistent Lewis nehmen die Ermittlungen auf.

Der Ermordete lebte wie es sich für einen Professor gehört. In seinem Appartement sieht man gleich, dass hier ein Mann des Geistes wohnt. Büsten großer Meister, ein gemütliches Ledersofa, ein massiver Eichentisch. Klischees wohin man schaut. Doch der Prof hatte auch eine Schwäche. Für Frauen. Für eine bestimmte Frau. Viel jünger als er. Sie stammt aus keinem angenehmen Familienhaus. Der Stiefvater ein Trinker und Schläger. Die Mutter ging für einen Hungerlohn bei einer Lehrerin putzen. Diese Lehrerin geht in ihrem Beruf auf. Doch auch sie muss sich eingestehen, dass sie es durchaus besser haben könnte als es ihre momentane Situation hergibt. Ein Schüler malträtiert die ganze Klasse und auch ihr kam er schon einmal zu nah. Viel zu nah, viel zu brutal.

Morse hängt immer noch dem Rätsel in der Times nach als er dem Rätsel um den ermordeten Professor McClure auf die Spur kommen will. Mit allgemeinen Lebensweisheiten kann er sich nicht aufhalten. Da braucht es mehr Input als ein „Wenn wir die Waffe haben, haben wir den Mörder“. Aber irgendwo muss die Suche ja beginnen. Und schnell wird er auch fündig. Nach und nach kristallisiert sich das Milieu des Pädagogen aus der Masse heraus. Und wie ein unbestelltes Bier im Pub vor ihm, kommt ihm die Erleuchtung. Catull, der römische Rhetoriker und Poet, hat auch nach weit über tausend Jahren nichts von seiner Brillanz verloren. Eines seiner Gedichte lässt vor Morse Augen den Fall glasklar erscheinen…

Zwei Tote, die mit derselben Waffe ins Jenseits befördert wurden. Zwei Frauen, die sich befreien – jede auf ihre Art. Antike Zeilen und Lücken  der Gegenwart. Das alles zwischen den ehrwürdigen Mauern Oxfords. Colin Dexters Inspector Morse kennt die Schattenseiten der Universitätsstadt besser als die hellen Flecken zwischen den Pubs und den Colleges. Aber er weiß auch wie man sich im Labyrinth zurechtfindet. „Die Töchter von Kain“ sind englische Krimispannung auf allerhöchstem Niveau.

 

Das Lonsdale College in Oxford ist für Akademiker ein Ziel, das viele niemals erreichen werden. Als Rektor dieser Lehranstalt vorzustehen, ist ein besonderes Privileg. Es gelten strenge regeln, die man zu beachten hat. Schon bevor man hier als Rektor arbeiten darf. Die Nachfolge ist ebenso stringenten Regeln unterworfen. Ist der Rektor 67 Jahre alt, muss er seinen Hut nehmen. Das Auswahlverfahren für den Nachfolger ist schwer, und mit einigen Hürden verbunden. Sir Cilxby Bream ist 69 Jahre alt, Rektor des Lonsdale Colleges, und es wird höchste Zeit das Zepter weiterzureichen. Gleich zwei Bewerber bemühen sich um die Nachfolge des verwitweten Rektors. Zum Einen Julian Charles Storrs, verheiratet mit Angela Miriam Martin. Zum Anderen Denis Cornford, viel kürzer verheiratet als sein Kontrahent, mit Shelley Ann Benson. Sie sorgte bei ihrer Ankunft im College für Aufsehen. So mancher kam ihr näher als es ihrem Gatten lieb war.

Der Kampf um die Nachfolge ist eröffnet. Doch weder Storrs noch Cornford sind geneigt sich die Boxhandschuhe überzustreifen und um den ehrenwerten Posten zu kämpfen. Ganz im Gegenteil zu ihren Ehefrauen. Die sind wie Kampfhennen! Das alles findet natürlich hinter verschlossenen Türen statt. Schließlich ist man nicht auf dem Rummel oder im Vergnügungsviertel Soho! Hier sieht sich gerade Inspector Morse um. Rachel James wurde ermordet. Eine junge Frau, die mit dem noblen Universitätsgeschehen nicht viel am Hut hatte. Oder doch?

Inspector Morse und sein viele Sticheleien zu ertragender Assistent Lewis werden schon bald ernste Verbindungen vom Norden Oxfords, dem Tatort und dem südlich gelegenen Lonsdale College auftun. Manche können halt einfach nicht ihre Klappe halten! Ein Glück für Morse und Lewis!

Colin Dexter spinnt nicht einfach nur eine Dreiecksgeschichte, die im Drama endet. Es sind mindestens sechs Personen beteiligt, die das Rätsel um die Tote und die Nachfolgeregelung im College zutage fördert. Rachel James wurde beobachtet. Von einem, der ihrem Begleiter nicht zwingend eine Geburtstagskarte schreiben würde.

Wenn man sich immer den Titel des Buches „Der Tod ist mein Nachbar“ vor Augen hält, kommt man dem Täter vielleicht schneller auf die Schliche, dann entgeht einem aber ein über dreihundert Seiten starker Thriller mit immenser Spannung. Also einfach lesen, sich treiben lassen, Inspector Morse’ Gedankenspielen folgen, die Sticheleien gegen Lewis als willkommene Zwischenspiele erfreut zur Kenntnis nehmen und schlussendlich der Lösungsfindung von Morse lauschen. Grandiose Kombinationsgabe, verpackt in spannungsgeladene Worte!

 

Was gibt es Schöneres als wenn man vom Chief Superintendent aus den wohlverdienten Urlaubserholungen geholt wird? Zum Einen ist da der Whisky. Zum Anderen ein Schubert-Konzert im Radio. Des Weiteren die Ruhe, die Distanz zu allem, was einen sonst umgibt. Reicht das? Inspector Morse könnte die Reihe beliebig fortsetzen, doch ändert das nichts an der augenblicklichen Situation. Der Chief hockt in seiner kleinen Wohnung, trinkt seinen Scotch und fleht Morse an doch endlich den Fall von Yvonne Harrison zu übernehmen. Die Krankenschwester wurde ans Bett gefesselt (wortwörtlich, nicht sprichwörtlich!) vor einem Jahr ermordet gefunden. Nun hat sich – bereits zum zweiten Mal – ein anonymer Anrufer bei der Thames Valley Police gemeldet. Es könnte also neuer Schwung in den geschlossenen Fall (keine Beweise, keine Ansätze etc.) kommen. Morse weigert sich standhaft. Sein Assistent Lewis könnte doch … is ja auch sein Job … der wird das schon machen … auch, weil der Chief es so will …

Lewis arbeitet einmal mit Morse zusammen. Diese Krankenschwester muss es wohl faustdick hinter den Ohren gehabt haben. So mancher Patient weiß sicherlich so manch, ja wir mal amüsante Geschichte zu erzählen. Mit amüsant ist amourös gemeint. Die Zusammenarbeit zwischen dem eifrigen Lewis und dem kreuzworträtselverliebten Morse gestaltet sich jedoch sehr einseitig. Lewis ermittelt, zerbricht sich das Hirn und Morse? Der weigert sich immer noch standhaft aktiv in die Ermittlung einzugreifen. Lewis hat da so einen Verdacht. Je tiefer er in den Fall einsteigt, desto mehr beschleicht ihn ein dumpfes Gefühl von Befangenheit. Denn sein Kollege, der erfahrene, der überaus gewiefte, schwer durchschaubare Morse liegt bald schon wie ein offenes Buch vor ihm. Nicht so offen, dass man darin lesen kann. Doch immerhin so viel geöffnet, dass vieles, was bisher im Verborgenen lag plötzlich einen Sinn ergibt. Zumindest für Lewis.

„Der letzte Tag“ ist der letzte Fall für Inspector Morse. Das hat sein Vater Colin Dexter so beschlossen. Dreizehn Mal hat man ihn für seine Verschlossenheit gehasst. Dreizehn Mal hat man ihn für seine Kombinationsgabe in den Arm genommen und sich still dafür entschuldigt, dass man ihn nicht schon früher für seine geheimen Gedankengänge verehrte. Dreizehn Mal genoss man mit ihm im Pub ein Pint und unzählige Whiskys. Vor allem aber versuchte man in seinen bisweilen kruden Gedankengängen einen tieferen Sinn zu erkennen. Dass es den gab, geben musste, war klar. Denn in Morse’ Gehirn ist – salopp gesagt – jede Menge los. Das Kreuzworträtsel der Times ist für Morse eine Fingerübung, wo Andere sang- und klanglos untergehen. Colin Dexter schuf mit seinem Inspector Morse – vielleicht erfährt man ja im letzten Fall wie er denn nun mit Vornamen heißt? – einen Charakter, der nur in Oxford existieren kann. Intellektuell, kultiviert, interessiert und elitär. Für Mörder das Gift in der Suppe, für die Angehörigen der Retter in der Not, der die große Bühne scheut.

 

Fingerübung? Versteckspiel mit dem Leser? Oder doch pure Leidenschaft für das Krimigenre, das er so nachhaltig geprägt hat? Colin Dexters Kurzgeschichten, die unter dem Titel „Ihr Fall, Inspector Morse“ den Abschluss der Krimireihe bilden, lassen niemanden kalt. Morse kompakt bedeutet aber nicht weniger Brillanz. Im Gegenteil. Dexter gibt seinem Inspector nur wenig Zeit, um sich des Falles anzunehmen. Dennoch oder gerade deswegen muss sich der Whisky-Liebhaber, Wagner-Fan und Bücherfreund anstrengen, um vor der letzten Zeile den Fall gelöst zu haben. Und wenn nicht, dann wenigstens den Weg zur Lösung des Falles geebnet zu haben. Und das tut Morse mit unbestechlicher Logik.

Immer wieder treffen den Albtraum eines jeden Chefs die Geistesblitze und durchfahren ihn (und den Leser) wie ein Sonnenstrahl. Man muss ein bisschen mitdenken beim Lesen – so wie immer bei Morse. Folgt man den Brotkrumen, die das Gespann Morse/Dexter behutsam im unwegsamen Gelände legt, ist die Lösung eine Erlösung.

Elf Mal lässt Morse den Tätern keine Chance. Sie können sich verstecken, schweigen, im Dickicht der Geschichte untertauchen – Morse’ Spürnase findet jede noch so klein Spur. Dreizehn Mal hat Inspector Morse in seinen „großen Fällen“ dem Verbrechen das Fürchten gelehrt. Und dann war auf einmal Schluss. Einfach so! Eine Fortsetzung lag in unerreichbarer Ferne. Als Bonbon zum Abschluss der Krimireihe sind diese kriminalistischen Leckerbissen der gelungene Ausklang einer der größten Serien der Kriminalliteratur. Selbst der Chief Superintendent Strange kommt nicht umhin Morse Tribut zu zollen. Obwohl der ihn das eine oder andere Mal an den Rand der Verzweiflung getrieben hat.

Und Lewis, sein Assistent, weiß umso mehr, was er an seinem Lehrmeister hat. Was er von ihm, durch ihn lernt, steht in keinem Lehrbuch. Morse forever – auch dank dieses Konzentrats an kriminalistischem Gespür.