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Rhodos

Orthographisch ist die Insel die letzte Bastion der Tradition: Rhodos, mit H. Geographisch südlich der Türkei gelegen und in Sachen Erlebnis ein absoluter Volltreffer. Da muss man echt aufpassen, dass man nichts verpasst. Das Mittel der Wahl: Dieser Reiseband.

Natürlich ist Rhodos – die Insel Rhodos – ein exzellentes Badeparadies. Doch sich hier nur in die Sonne zu legen, wäre frevelhaft. Jahrtausendalte Hinterlassenschaften zeugen von einer reichhaltigen Geschichte – die neuere Geschichte trägt zum Beispiel den Namen von Anthony Quinn. Wie es dazu kommt – fahren Sie nach Faliráki… und genießen Sie die Ruhe, die mancherorts schon verflogen ist.

Hans-Peter Siebenhaar lässt den Leser an der wahren Identität der Insel teilhaben. Kaum eine andere griechische Insel hat einen derartigen Boom erlebt wie Rhodos. Dennoch gibt es sie, die kleinen versteckten Orte, die man suchen muss, um ursprüngliche Gelassenheit erleben zu können. Und dazu zählen nicht nur die Offensichtlichen wie Burgen und Wehranlagen vergangener Tage.

Wer sich auf den Brettern der Meere (für viele die Bretter, die die Welt bedeuten) wohlfühlt, für den ist Rhodos ein Paradies. Prasonisi im Süden der Insel klingt nicht nur wie Paradies. Hier schlagen die Wellen besonders hoch und die Herzen der Surfer höher. Höchstgenuss versprechen die Garnelen von Sými, einer Insel nordwestlich von Rhodos (ihr und auch Chalki im Westen sind Extrakapitel gewidmet – ein Ausflug dorthin ist im Nu erledigt).

Rhodos gehört sicher zu den Urlaubszielen, die allgemein bekannt sind. Bei der genauen Lage im Mittelmeer wird’s schon enger. Und wer immer noch meint, dass der Koloss das einzige Ziel der Insel ist, der muss unbedingt in diesem Reiseband blättern. Und sei es nur, um zu erfahren, dass er, der Koloss, aus bekannten Gründen nicht mehr zu den Ausflugszielen zu zählen ist, sondern vor allem, weil die Alternativen so zahlreich sind. Ob per pedes oder auf / neben Vierbeinern mit mal mehr oder weniger langen Ohren, ob auf dem Rad oder motorisiert – Rhodos wuchert mit einem Füllhorn an Möglichkeiten die Insel zu erkunden.

Der übersichtlich gehaltene Reiseband bietet für jeden etwas. Farbige Kästen, die die Geschichten hinter der Geschichte anschaulich untermalen, Ausflugstipps en masse sowie die Vorstellung von Orten, die man sonst in keinem Reiseprospekt findet. Hier hat alles, was sehenswert ist eine Heimat gefunden.

Doppelleben

Der Klappentext eines Buches soll Appetit auf das Buch. Man liest worum es geht, wer mit wem, und warum. Und man erfährt etwas über den Autor. Des Öfteren liest man dann auch welche Preise er gewonnen hat. Welchen rang diese Preise haben, bleibt oft verborgen. Natürlich sind es alle renommierte Preise. Den Prix Goncourt allerdings sollte man nicht sofort wieder aus dem Gedächtnis streichen. Wer den in Frankreich erhält, der darf sich tatsächlich was darauf einbilden. Hier nun die Geschichte, die hinter den Namensgebern steckt:

Es sind die Brüder Jules und Edmond Goncourt. Mitte des 19. Jahrhunderts residieren sie in einem durchaus vorzeigbaren Haus vor den Toren von Paris. Sie sind regelmäßig Gast im Salon der Cousine des Kaisers. Zola, Balzac und andere Größen zählen zu ihrem engen Bekanntenkreis. Die Literatur ist für beide mehr als nur ein Steckenpferd. Für Edmond, den Älteren der beiden, ist es die ewige Suche nach dem perfekten Wort. Jules ist nicht minder interessiert, jedoch ist er der weitaus Lebensfreudigere der beiden Brüder. Er treibt Sport und es mit so mancherlei Dirne. Edmond verabscheut Sport, jedoch nicht die Gesellschaft illustrer Damen. Fast könnte man meinen, sie wären Zwillinge. Doch sie trennen mehr als acht Jahre.

Bei einer seiner Amouren (nennen wir es einmal so, in Wahrheit war es doch eher ein Geschäft auf Dienstleistungsbasis) hat sich Jules ein dauerhaftes Souvenir eingehandelt. Nach und nach bemerkt er wie das Hantelstemmen ihm Mühe bereitet. Edmond bemerkt es auch, doch ihm ist ja Sport nicht so wichtig.

Das allabendliche Mahl dient beiden zum Austausch über ihr Leben, sie scherzen, lästern, machen Pläne. Und sie plaudern über ihr Dienstmädchen. Über sie werden sie einen Roman schreiben. Obwohl sie kaum etwas wissen über ihr geheimes Leben … was nebenbei gesagt, fast noch spannender ist als das ihre.

Als Jules immer schwächer wird, schreibt Edmond jedes noch so kleine Detail in ihr gemeinsames Tagebuch. So ist bis heute jedes noch so kleine Vorkommnis für die Nachwelt erhalten. Für Alain Claude Sulzer ist es die Fundgrube gewesne, die ihn antrieb einen Roman über die Bruder zu schreiben, deren Name den größten Literaturpreis Frankreich ziert. So ausschweifend das Leben des Bruderpaares war, so detailliert schildert er ihr gemeinsames Leben in der selbst geschaffenen Blase ihres Gemäuers. Die Blase platzt aber nicht. Dafür haben die beiden Junggesellen gesorgt. Als Chronisten ihrer Zeit sind sie unantastbar. Als Schriftsteller sind sie zu höherem berufen…

Kulturkalender für Baden und Württemberg 2024

Das ist die geballte Ladung Kultur für das Jahr 2024. Wissen über ein Bundesland, das seit Jahrzehnten mit Tradition und Innovation von sich Reden macht. Es ist aber auch ein Kleinod unter den Kalender für 2024. Hier werden nicht großformatig in strahlenden Farben und exklusiven Perspektiven die ohnehin bekannten und weithin sichtbaren Schätze noch einmal präsentiert. Hier zeigen sich Schätze des Landes, die immer da sind und enthüllen ob dieser Präsenz ihr wahres Gesicht.

Das beginnt beim Comic vom Äffle und Pferdle, reicht weiter über eine historische Abbildung des ersten Skilifts und endet noch lange nicht beim erhabenen Anblick auf den Saal des prächtigen Kurfürstlichen Hoftheaters in Schwetzingen.

Eine Woche, ein Bild, und ein historisches Datum. Und da man den Schwaben Sparsamkeit nachsagt, ist nach der ersten Jahreshälfte Umdenken angesagt. Umdrehen trifft es vielleicht besser. Als nachhaltig kann man es auch bezeichnen. Denn die Rückseite der Wochenblätter ist ebenso bedruckt und das zweite Halbjahr kann beginnen. Und zwar – wie könnte es anders sein – mit einer historischen Anzeige der Württembergischen Metallwarenfabrik. Denn am 1. Juli 1814 – der erste Tag des zweiten Halbjahres 2024 ist ein Montag, wie praktisch – wurde der Gründer von WMF, Daniel Straub, geboren.

Dass man sich im „Ländle“ gern weltoffen zeigt, beweist schon wenige Wochen später der August. Hector Belioz – was hat der mit Baden-Württemberg zu tun? Er wurde weder hier geboren, noch feierte er hier die Premieren seiner Opern. Die wurden alle in Paris uraufgeführt. Naja, nicht ganz. „Béatrice et Bénédict“ feierte ihre Uraufführung in … Baden-Baden. Und zwar am 9. August 1862. Aus gutem Grund. Denn das Theater wurde an diesem Tag eröffnet und Berlioz schrieb aus diesem Grund diese Oper.

Nicht ganz so lange ist es her, dass der Südwestrundfunk und der Süddeutsche Rundfunk zum Südwestrundfunk fusionierten. Gerade mal 26 Jahre ist das her – am 31. August 1998. Ein beeindruckendes Werbeplakat von Ernst Toller aus dem Jahre 1927 erinnert an dieses fast schon vergessene Ereignis.

Man kann ihn wenden und drehen wie man will, 2024 wird nicht langweilig. Auch wenn man zurückblickt. Nicht nur in Baden und Württemberg!

Künstlerinnen Kalender 2024

So mancher hat ein Pferd auf dem Flur stehen, andere lassen Künstler unterschiedlicher Art bei sich Schlange stehen. Und das ein ganzes Jahr lang. Da warten dann Schauspielerin Anne Francis, Sängerin Carmen McRae oder Schriftstellerin Jean Rhys auf ihren Auftritt.

Und der ist eine Woche lang Gesprächsthema. Formatfüllend und mit einem prägnanten Spruch füllen sie die (wenn auch nur sehr kurze) Leere des Raumes der während des kurzen Umblätterns einen umgibt. Immer wieder gerät man ins Staunen, wenn man dann eine Künstlerin entdeckt, deren Namen man vielleicht schon mal vernommen hat, aber nicht so recht einzuordnen weiß. Edith Sitwell, Poetin – Marianne von Werefkin, Malerin – Gertrude Kingston, Schauspielerin genießen den ihnen zugewiesenen Platz wie die Legenden Lauren Bacall, Jean Seberg und Grace Kelly.

Es passiert nicht mehr sehr oft, dass man Künstlerinnen noch ohne großes I schreiben darf. Hier muss man es! Denn hier sind ausnahmslos Damen und auch noch ersten Ranges vertreten.

Woche für Woche schaut man in ernste Gesichter, erinnert sich vielleicht an die ersten Begegnungen mit den Künstlerinnen, verbindet so manches, was schon in Vergessenheit gerieten war. Und man lernt so auch immer wieder neue Künstlerinnen kennen, die niemals nur ausschließlich Künstlerinnen waren. Sie waren stets auch Kämpferinnen. Denn einfach mal so eine Karriere starten war für die meisten einfach unmöglich. Das harte Brot des Künstlers kennen sie alle. Sie knabberten Stück für Stück ab bis sie ihr Ziel erreichten – im besten Fall. Als Tänzerin, wie Moira Shearer, war es sicher einfacher Fuß zu fassen in der Kunstszene als für Alba de Céspedes, die den Faschisten ihrer spanischen Heimat ein stechender Dorn im Auge war.

2024 wird das Jahr, in sie alle gleichberechtigt und gleich behandelt eine Woche lang die Wand nicht nur zieren, sondern auch zum Nachdenken anregen werden.

Frau Helbing und der tote Fagottist

So ein netter Mann, der Herr von Pohl. Fagottist ist er und hat seiner Nachbarin Frau Helbing Karten für eine Matinee geschenkt. Zusammen mit ihrer Freundin Heide lauschen die beiden den sanften Klängen von Mozart. Und sie beobachten welch ein Charmeur Henning von Pohl ist. Das schlohweiße Haar, das freundliche Gesicht – das bringt Frauenherzen zum Schmelzen. Für Frau Helbing mehr Amüsement denn Grund zur Sorge. Denn Grund sich um Henning von Pohl zu sorgen hat sie später noch genug. Ein paar Tage später sitzt er quietschvergnügt in ihrer Küche, schlürft Kaffee und schwärmt davon wie schön der Tag doch sei. Und verschwindet so schnell wie er gekommne war. Doch ohne sein Instrument, das Fagott, das wohl so einiges wert sein dürfte, mutmaßt sie. Als kurze Zeit später zwei weitere Kollegen sich nach von Pohl erkundigen – sie haben ihn vermisst – steht für die einstige Fleischereifachverkäuferin fest: Henning von Pohl ist etwas zugestoßen. Als passionierte Krimileserin hat sie da auch schon einen Verdacht, was das sein könnte… Mord!

Naja, so verkehrt liegt sie vorerst nicht. Von Pohl ist tot. Drei Wespenstiche haben einen allergischen Schock ausgelöst und sein Leben ausgelöscht. Dennoch: Frau Helbing bleibt bei ihrer Theorie. Und die lautet nun mal Mord. Kommissarin Schneider tut dies als Spinnerei einer alten Dame ab, die eindeutig zu oft und zu tief ihre Nase in Krimis gesteckt hat. Wo die Nase auch gefälligst zu bleiben hat. Ebenso Heide. Die ist wenig angetan vom Übereifer ihrer Freundin. Nur der Schneider Herr Aydin, der damals nach dem Tod von Frau Helbings Gatten deren Fleischerei übernahm und daraus eine ansehnliche Werkstatt machte, folgt den Gedankengängen der sympathischen Alten. Doch was nützt das alles?! Frau Helbing muss auf eigene Faust ermitteln… Ja, sie muss.

Krimiautor Eberhard Michaely traut seiner Frau Helbing einiges zu. Eine rüstige Frau, die sich ihr Leben lang in den Dienst des Familienbetriebes gestellt hat, schiebt man nicht einfach so aufs Abstellgleis. Sie ist nicht die resolute Matrone, die mit Worten und Lammkeulen gleichermaßen jongliert. Sie ist die bescheidene hanseatische Arbeiterin, die sehr wohl weiß, was sie sich zutrauen kann. Ab und zu mal einen Schritt zu weit wagend, doch immer Frau ihrer Sinne. Ganz ohne feministische Tendenzen. ’Ne Frau, die weiß, was sich gehört. Im Hamburger Grindelviertel ist es nämlich nicht so vertraut und geruhsam wie man es vermuten könnte. Und Frau Helbing stößt in ein Horn, das selbst Wespennester durchlöchert…

Der Schamaya-Palast

In seinen eigenen vier Wänden ist man sicher. Unter dem eigenen Dach ist man sein eigener Herr. In einem Palast … ist man nicht allein. Ahmad lernt das sehr früh. Mit seiner Familie ist er im einstigen Prachtpalast, dem Schamaya-Palast in Damaskus untergebracht. Ja, untergebracht. Seine Familie ist auf der Flucht. Weil sie Palästinenser sind und nirgendwo eine Heimat haben. Und nun sind sie ein Teil der großen „Familie“, die in diesem herrschaftlichen Gebäude im jüdischen Viertel von Damaskus Unterschlupf gefunden hat. So wie auch George, christlicher Palästinenser. Der Zusatz ist in dieser Situation immer noch zu erwähnen…

Gemeinsam machen sie allen Umständen zum Trotz das, was man in ihrem Alter macht: Das Haus, die Straße, die Stadt, sich austesten, einen tiefen Atemzug vom Leben nehmen und noch einen und noch einen. Bis Ahmad eins Tages verschwindet. Und das Labyrinth, das beiden bisher als sicherer Hort ihrer Unbeschwertheit galt zu einem Wirrarr an Anschuldigungen, Verdächtigungen. Die Geräusche und Gerüche sind nun nicht mehr der Teppich auf dem sie barfuß laufen, sondern ein steiniger Pfad ins Erwachsensein, das noch weit entfernt sein sollte.

Der syrische Schriftsteller und Journalist Ali Al-Kurdi malt anfangs ein Mandarla aus allen Farben des Regenbogens. Zwei Jungen, die froh sind in der verzweifelten Lage ihrer Eltern einen kleinen Ausbruch zu wagen in der Gewissheit am Ende des Tages wieder in den liebevollen Schoß der Familie zurückkehren zu können. Im Laufe der Zeit dreht sich die Welt um sie herum aber in eine andere Richtung. Nicht unbedingt langsamer, dennoch sind die Vorzeichen für die, die sensibilisiert sind, unübersehbar. Die Mahner sollen Recht behalten. Die, die aus verschiedenen gründen wegsehen, werden tiefer in ein Schwarz getaucht als sie es sich vorstellen konnten.

Die Unschuld der lebensfrohen Tage weicht einem quälenden Schmerz, der nicht einzuordnen ist. Hüften und sprangen an einem Tag noch zwei Kinder durch die Gassen, wabert nun einer von ihnen durch den dichten Qualm der Ungewissheit. Wo einmal Obststände waren, zerbricht die perfide Politik der Hausherren die Gemeinschaft entzwei.

Flüchtlingsgeschichten sind im Allgemeinen von Trauer und Hoffnung, von Zurückblicken und Leid sowie von Licht und Veränderung geprägt. Ali Al-Kurdi fügt diesen Geschichten mehr als nur eine Prise Blumigkeit hinzu ohne den bitteren Geschmack des Blutes zu überdecken. Immer wieder zieht er den Leser in ein Dickicht, um ihn geschützt zuschauen zu lassen wie verdorben Menschen sein können.

Ackermanns illustriertes Culinarium Kalender 2024

Mmmmh … lecker. Das ist der erste Gedanke, der einem durch den Kopf schießt, wirft man einen ersten Blick auf die Wochen des Jahres 2024. Auf bis ins kleinste Detail dargereichte Gaben der Natur, mit feinsten Pinselstrichen in Szene gesetzt. Und alles vor der Haustür bzw. direkt an der Wand!

So muss es sein. Schon am Morgen, wenn der Tag erwacht, wissen, was selbiger für einen parat halten kann. Ein Ideengeber für den abendlichen Kochgenuss oder einfach nur eine Augenweide und Stimmungsaufheller für den grauen Alltag. Knallbunt kann auch beruhigend sein.

Als es noch keine permanent verfügbaren Momentaufnahmen gab, waren Zeichnungen das einzige Mittel, um der Mitwelt zu zeigen wie vielseitig Mutter Natur ihren Gaben präsentiert. Fast schon ein bisschen beeindruckender als das Original … fast.

Ein Hauch von Nostalgie weht einem um die Nase, wenn man sich die vollreifen Melonen, frisch auf den Zeichentisch gebrachten Pilze oder der Auswahl verschiedener Zwiebeln anschaut. So genau hat man sich seinen Einkauf noch nie betrachtet. Es wird also Zeit. 2024 bietet sich einmal mehr die Gelegenheit dazu. Und das jeweils für zwei Wochen.

Mythos Wald Kalender 2024

Im Wald, da sind die Räuber. Und sie rauben Dir die Sinne. Ein so sattes Grün, rauschende Wasserfälle, das bunteste Laub, das man je gesehen hat und ein Lichteinfall, der seinesgleichen sucht. Das ist das Jahr 2024, wenn… ja, wenn der Wandbehang aus diesem Kalender besteht.

Atemlos steht man vor den in die Länge gezogenen Waldansichten und staunt, dass es den gesunden Wald noch gibt. Natürlich (!) wurde an der einen oder anderen Stelle nachgeholfen. Doch nicht, um mögliche Schadstellen zu vertuschen, sondern um dem Wald das Prädikat Sehnsucht anzuheften.

Wenn der Bach milchig trüb in die Tiefe rauscht, kann man nur an eine heile Welt glauben. Sie zu finden, ist eine andere Sache. Ein Lichtstrahl, der das morgendliche Dickicht durchdringt, ist ein Hoffnungsschimmer. Und das willkürliche Wachstum eines Baumes, der scheinbar schon immer dort stand, macht die Macht des Menschen überflüssig.

Man muss einfach innehalten und nicht daran vorübergehen. Dann entfaltet dieser Kalender seine unbeschreibliche Wirkung.

In meinem Herzen alles Sieger

Es ist immer noch ein Ereignis – trotz aller Totsagungen wegen anhaltender Skandale – Sportlern bei einer Sportart zuzusehen, die man selbst schnell erlernen und fast ein ganzes Leben lang ausüben kann. Der Giro d’italia ist zusammen mit der Tour de France der Zuschauermagnet des Sommers. Sowohl vor Ort als auch von zuhause aus auf der Couch.

Fabio Genovesi hatte einen Kindheitstraum: Einmal am Giro teilnehmen. Das wurde nichts. Zumindest nicht als Aktiver. 2013 wurde sein Traum gewissermaßen wahr. Als Reporter durfte er die Radrundreise begleiten. „In meinem Herzen alles Sieger“ ist das Ergebnis nicht nur tiefgreifender Recherchen, sondern vor allem ein emotionales Herzstück, das diese Leidenschaft für ein Sportereignis, das nur einmal im Jahr für drei Wochen stattfindet, die Fans fesselt und zu Höchstleistungen der Schreibfeder anstachelt.

Natürlich geht es auch um Sieger und Besiegte in diesem Buch. Massensprints, deren Ergebnis eine ganze Etappe auf den Kopf stellen können. Oder Ausreißversuche, die manchmal gelingen und ein Hurra hervorrufen oder eben zum Scheitern verurteilt sind und nicht mehr als ein „Hab ich’s doch gesagt“ zurücklassen.

Der Reporter Genovesi macht das, was ein Radprofi während des Wettkampfes niemals machen darf. Er bricht zwar aus, aber nicht nach vorn, sondern nach links und rechts. Und da trifft er dann Menschen, die den Giro wirklich zu dem machen, was er ist: Ein Ereignis, das man nie mehr vergisst.

Ein chinesischer Reporter erzählt ihm wie schwierig es ist, in seinem Land ein Radrennen zu verfolgen. Überall Sicherheitskräfte. Als Fan muss man da sehr erfindungsreich sein. In der Nähe von Bari muss die Wegführung verlagert werden, weil die eigentliche Streck zu gefährlich für die Fahrer geworden ist. Zu glatt, weil am Tag zuvor ein fest gefeiert wurde und überall auf der Straße Wachs verteilt liegt.

Das Besondere an diesem Buch ist die Tatsache, dass die Reportagen alle schon im Corriere della Sera erschienen sind. ABER: Für dieses Buch hat Fabio Genovesi sie noch einmal (um-)geschrieben. Soviel Mühe muss man sich erst einmal machen. Und eines ist sicher: Wenn im Sommer der Giro wieder im Fernsehen übertragen wird, liegt die Fernbedienung außer Reichweite des Zuschauers. Dieses Buch hingegen in greifbarer Nähe.

Gedichtekalender 2023

„Das Weltall ist so groß, und Satelliten sind klein“, wow, welch Erkenntnis. Von Elon Musk. Passend in jeder TV-Morningshow. Und bis zum Köpfen des Frühstückseis wieder vergessen. Was das Jahr 2023 an überraschenden Erkenntnissen für uns parathält, kann keiner voraussagen. Aber was es vor Jahren, Jahrzehnten zu sagen gab, was im poetischen Gewand die Gemüter erhitzte, erwärmte, erregte – das kann man bis heute getrost an die Wand hängen. Und dann auch noch in Schönschrift!

Kurzum: Auch 2023 wird ein poetisches Jahr. Wenn man sich diesen Kalender als Wandschmuck, als Ideengeber, als Wochenlosungsanschlag (bitte nicht als Attentat verstehen) gönnt. Als Belohnung winkt ein guter Start in den Tag. Ein Jahr lang der Titel als Bonmot-Verkünder. Oder einfach nur die Erkenntnis, dass „damals“ noch Werte galten, die heute vielleicht in den Hintergrund gerückt sind.

Und das beginnt schon beim Titelblatt – am besten den Kalender gleich an Heiligabend, nach der Bescherung aufhängen! Kurt Tucholsky bringt die Glücksformel auf den Punkt: Es gibt niemanden, der alles hat. Das beruhigt oder kann als Ansporn angesehen werden. Doch Vorsicht! Tucholsky wusste zwar um diesen Zustand, es half ihm wenig. Kurz vor Weihnachten des Jahres 1935 nahm er sich im schwedischen Exil das Leben. Das, was er wirklich hatte, nutzte er, um sich davon zu machen…

Fröhlicher kommt das erste Aprilgedicht von Theodor Storm daher. Ihm verheißt der kommende Sonnenrausch Aufschwung, Wiederbelebung und Lebenskraft.

Und wenn im August die Sonne erbarmungslos auf uns hernieder scheint, ist es mit Heine gesprochen, nur der ewige Kreislauf von Sonnenauf- und untergang, der uns erheitert. Alles halb so schlimm, weil man es einfach nur hinnehmen kann.

Mit Feingefühl wurden die Gedichte den einzelnen Monaten und Jahreszeiten zugeordnet. Von Mörike über Fontane bis zu Rilke, um nur drei der bekannteren Namen zu nennen. Das Beeindruckendste ist wohl aber – vor allem für diejenigen, die nur ihrer Handschrift nach das Zeug zum Arzt gehabt hätten – der wahrhaft gelungene Schreibstil. Herausgeber Hubert Klöpfer kann man dazu nur gratulieren und sich bei ihm bedanken, dass dieser Kunst immer noch ein würdiger Rahmen eingeräumt wird. Dass man so ganz nebenbei auch noch den Tag ablesen kann, ist mehr als nur eine Randnotiz. Es ist halt ein Kalender. Aber einer, der auch ohne viel Farbenkleckserei die Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird.